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SPRACHE/450: Frankophonie als internationaler Kulturraum (JOGU Uni Mainz)


JOGU Nr. 199, Februar 2007
Das Magazin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

"Parlez-vous français?"
Eine Frage von weltpolitischer Bedeutung?

Von Frank Wittmer


Die Globalisierung ist zur Zeit der Themenkomplex, an dem sich die (welt-)politische Meinungsbildung bewähren muss. Die multikulturelle Gesellschaft ist der ergänzende Begriff, der auf die "Innenseite" der Nationen zielt. Zu den politisch-soziologischen Implikationen beider Begriffe kommen weitreichende kulturelle Aspekte hinzu. In diesem aktuell brisanten Spannungsfeld bewegt sich das Forschungsprojekt "Die Frankophonie als internationaler Kulturraum und internationaler politischer Akteur".


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Unter Federführung der Romanistikprofessorin Véronique Porra und dem Kulturgeographen Georg Glasze untersucht das Forschungsprojekt am Beispiel der Frankophonie, wie in einer globalisierten Welt Kultur, Macht und Territorium miteinander verwoben sind. Das interdisziplinäre Projekt wurde von 2004 bis 2006 vom Mainzer Zentrum für Interkulturelle Studien (ZIS) gefördert.

Die Idee der "Frankophonie" als weltweite Gemeinschaft der (auch) französischsprachigen Territorien entwickelte sich mit dem Höhepunkt der kolonialen Expansion Frankreichs und wurde erstmals von dem Geographen Onésime Reclus Ende des 19. Jahrhunderts formuliert - man kann entfernt an eine Parallelbildung zum britischen Commonwealth denken. Erste Ansätze zur "Institutionalisierung" liegen in der Phase der Entkolonialisierung in den 1960er Jahren (Initiativen vornehmlich aus den ehemaligen Kolonien Afrikas und der kanadischen Provinz Quebec); eine internationale Organisation wird 1969 gegründet. Seit Ende der 80er Jahre versteht sich diese Staatengemeinschaft als dezidiert politisch; seit 1997 nennt sich der Verband von mittlerweile 68 Staaten Organisation Internationale de la Francophonie (OIF).

Die theoretisch-konzeptionellen Grundlagen des Projektes werden aus der Diskurstheorie gewonnen. Was die OIF als "espace géoculturel" (geokultureller Raum) bezeichnet, wird als "imagined community" gefasst - als erst im Diskurs definierte Gemeinschaft: Das interdisziplinäre Projekt untersucht, wie in offiziellen Texten der entsprechenden Institutionen und in der "frankophonen" Literatur die Grenzen der Frankophonie gezogen werden und damit in unterschiedlichen Phasen eine frankophone Identität bestimmt wird.

Die Kritik am neokolonialen Charakter der Frankophonie führte zu einer Verschiebung des Frankophonie-Diskurses. War der "Knotenpunkt" zuerst die langue française, die als einheitliche Sprache heterogene Elemente verbindet, so definiert sich die institutionalisierte Frankophonie seit Ende der 1990er Jahre zunehmend als Gemeinschaft der kulturellen Vielfalt. Der neue Bezugspunkt diversité culturelle ermöglicht eine Ausweitung der Gemeinschaft: Zahlreiche der neuen Mitgliedsstaaten (zum Beispiel Rumänien, Albanien) rechtfertigen ihren Beitritt in erster Linie mit Bezug auf die diversité culturelle.

Mit dieser "kulturellen Vielfalt" wird also ein Begriff zum Kennzeichen der Frankophonie, mit dem Kritik an kultureller Vormachtstellung verbunden wird - auch Kritik an der kulturellen Hegemonie Frankreichs. Ob die Organisationen der Frankophonie damit 30 Jahre nach ihrer Gründung als "post-kolonial" beschrieben werden können, ist eben zu untersuchen. So zeigt sich beispielsweise im Literaturbetrieb, dass nach wie vor zwischen "französischer Literatur" als Nationalphilologie und "frankophoner Literatur" als französischsprachige Literatur außerhalb Frankreichs differenziert wird.

Das Mainzer Forschungsprojekt, das Anfang 2007 ausläuft, diente auch der Vernetzung der Frankophonieforschung. Eine internationale Tagung zur "Diskursiven Konstitution der Frankophonie" führte Ende 2005 Wissenschaftler aus Großbritannien, Frankreich, Belgien und der Schweiz nach Mainz. Der um zusätzliche Aufsätze erweiterte Tagungsband erscheint Anfang 2007. Darüber hinaus gehen von dem Projekt Impulse für die Diskursforschung in den Kultur- und Sozialwissenschaften aus sowie für die Untersuchung der Rolle der Literatur im neuen Selbstverständnis der Frankophonie, die in Anschlussprojekten in Mainz umgesetzt werden sollen. In dem von Glasze gemeinsam mit dem Islamwissenschaftler Jörn Thielmann geleiteten Projekt "Les colonisés de l'intérieur - die Neuaushandlung kultureller Identitäten im Gefolge der Vorortunruhen in Frankreich" soll die diversité culturelle innerhalb Frankreichs beleuchtet werden. Darüber hinaus wird derzeit ein Projekt zum Thema "Die lieux d'oubli" (Orte des Vergessens) der Frankophonie (Subsaharisches Afrika - Maghreb - Karibik)" unter Leitung von Véronique Porra entwickelt; untersucht wird die Auseinandersetzung mit bislang nicht verarbeiteten "schmerzhaften" Grauzonen der Kolonialzeit.


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Quelle:
JOGU - Magazin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Nr. 199, Februar 2007, Seite 18
Herausgeber: Der Präsident der Johannes Gutenberg-Universität Mainz,
Univ.-Prof. Dr. Jörg Michaelis
Tel.: 06131/39-223 69, -205 93; Fax: 06131/39-241 39
E-Mail: Annette.Spohn@verwaltung.uni-mainz.de

Die Zeitschrift erscheint viermal im Jahr.
Sie wird kostenlos an Studierende und Angehörige
der Johannes Gutenberg-Universität sowie an die
Mitglieder der Vereinigung "Freunde der Universität
Mainz e.V." verteilt.


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. März 2007