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SPRACHE/582: Nicht ohne meine Sprache (Junge Akademie Magazin)


Junge Akademie Magazin - Nr. 8/Juli 2008

Nicht ohne meine Sprache
Streitgespräch der Jungen Akademie über "Forschen auf Globalesisch"

Alf Mentzer moderierte das Streitgespräch, das am 11. April 2008 im Frankfurter Goethe-Haus stattfand und anschließend von hr2 übertragen wurde. Im Junge Akademie Magazin wird das Streitgespräch in einer Gekürzten und bearbeiteten Fassung abgedruckt.


MENTZER: Globalesisch steht für ein ganzes Bündel von Rahmenbedingungen, denen sich die wissenschaftliche Praxis und Kommunikation im Zeitalter eines globalisierten Forschungswettbewerbs unterwirft. Dazu gehört eine bestimmte Sprache, das Globalesisch im engeren Sinne. Die Frage lautet, ob es sich um rein formale Rahmenbedingungen des Forschens handelt, von denen man abstrahieren könnte, um wieder zum reinen Kern der Forschung zu kommen, oder ob diese Wissenschaftsstandards über das rein Formale hinaus nicht auch Gegenstand oder Methode beeinflussen. Frau Landfester, Ihre Internetseite ist nur auf Englisch, warum?

LANDFESTER: Wir wollen international sichtbar sein. Im Prinzip wird alles auf Englisch veröffentlicht. Wer heute nur auf Deutsch publiziert, kann nicht mehr international mithalten.

MENTZER: Herr Trabant, warum ist Ihre Internetseite noch auf Deutsch?

TRABANT: Weil ich die deutsche Sprache zum Denken brauche. Ich glaube, dass Geisteswissenschaftler viel mehr als Naturwissenschaftler in der Sprache und mit der Sprache arbeiten. Ich messe nichts, ich schütte keine Säuren zusammen, sondern ich lese Bücher und schreibe eigene. Die Tätigkeit ist eine im Wesentlichen sprachliche, und dazu brauche ich das beste Instrument. Das ist für mich immer noch das Deutsche.

MENTZER: Stoßen auch Sie an Grenzen, wo Sie gezwungen werden, auf Globalesisch umzuswitchen?

TRABANT: Ich bin froh, wenn ich auf Englisch eine Vorlesung halten darf, und es ist für mich eine Freude, in einer anderen Sprache zu arbeiten. Goethe hat gesagt, dass Weltliteratur, aber bitte Weltliteratur, übersetzt werden soll. Nichts anderes sage ich in Bezug auf die Wissenschaft: Weltwissenschaft machen wir Geisteswissenschaftler in der eigenen Sprache, weil wir das am besten können. Anschließend muss sie übersetzt werden, um vielen zugänglich zu sein.

MENTZER: Wo treffen Sie auf akute Fälle von Globalesisch?

TRABANT: Zurzeit beobachte ich, wie die Linguistik dabei ist, massiv ins Englische überzugehen, und zwar in absurdesten Konstellationen. Ein Beispiel: ein Treffen von Spezialisten für in arabischer Schrift geschriebene altspanische Texte. Alle Forscher, die sich mit diesem Gegenstand beschäftigen, können Spanisch, und die Literatur ist in großen Teilen auf Deutsch. Was machen sie? Sie sprechen Englisch, um sich über dieses sehr spezielle spanische Thema international zu verständigen. Ich treffe gern auf Englisch, beispielsweise in der exzellenten britischen, aber auch amerikanischen Textbook-Kultur. Die englischen Bücher, die in Cambridge oder Oxford produziert werden, sind meistens von einer wunderbaren Klarheit, tatsächlich Weltwissenschaft. Meine Wunschvorstellung wäre, dass wir die englischsprachige Literatur wahrnehmen, uns aber so einklinken, dass wir unsere eigene Stimme bewahren. Die dominante Weltwissenschaft ist leider wenig neugierig auf die anderen Stimmen. Deswegen müssen wir darauf insistieren, dass unsere Stimme in die globale Sprache übersetzt wird.

MENTZER: Mir fiel auf, dass um das Jahr 2000 herum sehr viele Impulse gerade für das FAZ-Feuilleton aus amerikanischen Publikationen stammten. Das ist weniger geworden - so mein Eindruck. Wie steht es um den Status der anglo-amerikanischen Kultur als Leitkultur einer globalisierten Intelligenzia? Ist es nur eine Chimäre gewesen?

BAHNERS: Nein. Was den Standard im Sinne von Anschlussfähigkeit oder von Kristallisationspunkten für Diskussionen angeht, so wird allein durch die Größe des englischsprachigen Buchmarktes sehr viel vorgegeben. Nehmen Sie den sogenannten neuen Atheismus: Die Bücher, die man nicht unbedingt gelesen haben muss, aber deren Inhalt man kennen muss, um mitreden zu können, sind die Bücher des englischen Biologen Richard Dawkins und des auf beiden Seiten des Atlantiks sehr aktiven Journalisten Christopher Hitchens.

MENTZER: Die USA sind die scientific super power des 21. Jahrhunderts. Warum sollte man nicht auch die Sprache der Besten sprechen? Übernehmen wir deshalb Globalesisch so willig?

TRABANT: Warum insbesondere in Deutschland der Übergang zum Globalesischen so schnell und reibungslos funktioniert, hat einerseits mit der Exzellenz der Forschung in den USA zu tun, zum anderen mit unserer historischen Situation. Nach dem Krieg konnte die deutsche Wissenschaft, insbesondere die deutsche Naturwissenschaft, gar nicht anders, als ihren deutschen Mund zu halten. Das Deutsche war die kompromittierte, die - wie ich geschrieben habe - gebellte Sprache, und diese konnte international überhaupt nicht mehr erklingen, so dass die deutschen Naturwissenschaftler, wenn sie denn international wahrgenommen werden wollten, natürlich zum Englischen übergehen mussten.

MENTZER: Frau Landfester, benutzen Sie Englisch in Fachpublikationen, weil Sie einen historischen Schuldkomplex Ihrer Sprache gegenüber haben?

LANDFESTER: Das ist nicht unbedingt ein persönliches Schuldgeständnis, sondern eine Frage der Mentalität. Deutsche gehen immer noch davon aus, dass man im Ausland nicht Deutsch redet. Es ist einfach selbstverständlich, dass man im Ausland Englisch spricht. Es kommt aber noch etwas anderes hinzu: Amerikanische Institute vermarkten sich besonders gut. Ich glaube, dass deutsche Forschung durchaus mit amerikanischer mithalten kann - aber die Verkaufsstrategie der Deutschen ist einfach sehr, sehr zurückhaltend.

MENTZER: Können wir uns den amerikanischen Selbstdarstellungsstil so ohne weiteres überstülpen, oder machen wir uns lächerlich?

TRABANT: Wir sind dabei, uns im Marketing zu bessern. Wunderbar fand ich zum Beispiel vor zwei Jahren das Gutachten des Wissenschaftsrates über die Geisteswissenschaften. Zum ersten Mal haben deutsche Geisteswissenschaftler nicht geklagt über die Geisteswissenschaften, sondern deren gute Arbeit hervorgehoben. Wir sollten ruhig etwas lauter sprechen und uns loben. Das zeigt schon Konsequenzen, wie zum Beispiel den jetzt ausgeschriebenen Preis zur Förderung der Übersetzung geisteswissenschaftlicher Werke. Wir können also sagen: Schaut doch, das sind unsere Bücher; wir wollen die nicht selbst auf Englisch schreiben, wir wollen sie aber von guten Übersetzern übersetzen lassen.

MENTZER: Frau Landfester, Sie müssen trotzdem weiterhin auf Englisch publizieren?

LANDFESTER: Um ein gewisses Pensum publizieren zu können, würde ich nicht ständig zweisprachig veröffentlichen. Für Naturwissenschaftler gibt es keinen Übersetzungsdienst, das heißt, wir müssten das selbst machen. Allerdings halte ich es für sehr wichtig, auch auf Deutsch zu schreiben. Bei Dissertationen von deutschen Studenten bestehe ich auf Deutsch, weil das sprachliche Ausdrucksvermögen doch besser ist, gerade für die jungen Wissenschaftler, die mit einem doppelten Problem zu kämpfen haben: das Wissenschaftliche zu verarbeiten und sprachlich angemessen auszudrücken. Es ist ein Unterschied, ob ich in "Nature" veröffentliche oder in einem anderen englischsprachigen Journal, weil dort der Formalismus so stark ist, dass es auf die Sprache nicht mehr ankommt. Naturwissenschaft darf nicht auf einen zu starken Formalismus reduziert werden. Denn man will etwas beweisen, muss überlegen, welche Experimente man durchführen und wie man die präsentieren möchte, damit das Gegenüber überzeugt wird. Die Struktur des Aufsatzes ist ähnlich wie in den Geisteswissenschaften. Deswegen kommt es auf die Sprache an. Es ist nachher vollkommen gleichgültig, ob das auf Deutsch oder Englisch funktioniert.

MENTZER: Jetzt sind wir schon mitten in der Frage, inwiefern solche sprachlichen Strukturen das Denken und Forschen tatsächlich prägen. Gibt es einen amerikanischen Publikationsstil, etwa in den Geisteswissenschaften, der eher auf Pointiertheit, auf Zuspitzungen hinarbeitet und dann auch leichter zu vermarkten ist?

TRABANT: Ganz sicher ist das so. Ich erinnere mich an einen Abend in Stanford mit dem Forscher Stephen Jay Gould. Das ist einfach unglaublich gewesen, wie der Mann seine Wissenschaft verbreitet hat, wie lebendig er das gemacht hat, mit Bildern, mit Witzen. Das Auditorium war brechend voll.

LANDFESTER: Aber das liegt an der Person und nicht unbedingt in erster Linie an der Sprache.

TRABANT: Das ist aber doch eine sprachlich kulturelle Tradition: witzige große Vorlesungen von einem Meister, der kommt und so spricht, dass alle sich freuen und Lust haben, an de Wissenschaft teilzunehmen.

MENTZER: Fördert eine bestimmte Sprache einen bestimmten Denk- und Forschungsstil?

TRABANT: Die natürlichen Sprachen sind so etwas wie die Basis für das Denken. Die Sprache gibt uns die Welt auf eine bestimmte Art und Weise. Aber dann müssen wir als Wissenschaftler über die Sprache hinausgehen.

MENTZER: Was passiert mit unserer Sicht auf die Welt oder mit unserem Weltbild, wenn wir auf Globalesisch forschen?

BAHNERS: Auch für englische Muttersprachler gibt es Globalesisch - eine theoretische Sprache, die immer in Gefahr ist, ins Subtheoretische umzukippen und die Präzision zu verfehlen, die eigentlich mit den theoretischen Ansätzen gewollt ist. Das gilt auch für Leute, die sich in ihrer eigenen Sprache ausdrücken und es ein bisschen leichter haben, Sachen auf dem Weltmarkt zu lancieren.

MENTZER: Frau Landfester, können Sie sich vorstellen, dass sich dieser Trend zum Englischen als der Lingua Franca der Naturwissenschaften irgendwann einmal umkehren wird?

LANDFESTER: Die Sprache unserer Veröffentlichungen sicherlich nicht. Allerdings ist noch gar nicht deutlich genug geworden, dass wir zwar international forschen, aber jeder in seiner eigenen Sprache. Ob wir jetzt einen Inder, einen Ägypter oder eine Thailänderin im Labor haben - sie werden vermutlich nicht die ganze Zeit auf Englisch denken, sondern bringen die Gepflogenheiten ihres Landes mit in ihre Arbeit ein. Nur die Kommunikation erfolgt auf Englisch. Naturwissenschaftler müssen, anders als Geisteswissenschafter, Forschung und Kommunikationsfähigkeit trennen.

TRABANT: Wir können das Kreieren des wissenschaftlichen Gegenstandes und das Kommunizieren nicht voneinander trennen. Wir brauchen zwar nicht unbedingt Deutsch, aber die Sprache, die wir am besten können.

LANDFESTER: Aber deswegen ist durch Englisch oder Globalesisch keine Reduktion in der Forschung zu erwarten, weil wir sowieso international und in der eigenen Sprache forschen. Sprache ist von Anfang an eng mit der Naturwissenschaft verwoben. Bereits in der Schule muss klar werden, dass Sprache auch für die Naturwissenschaften wesentlich ist. Naturwissenschaft lebt nicht nur von Daten allein, sondern auch von der Darstellung der Daten und von der Diskussion.

MENTZER: Herr Bahners, so schlecht scheint es um die deutschsprachige Forschungspraxis gar nicht bestellt zu sein, oder reden wir es uns schön?

BAHNERS: Vieles ist wirklich einfach nur Unfug, diese Etikettierung der Universitätsschilder auf Englisch. So ernst muss man das nicht nehmen. Das Englische ist selbstverständlich die Sprache der größten Demokratie der Welt. Mit dieser Sprache ist auch ein utopisches Versprechen universaler Verständigung verbunden. Das ist etwas Tolles. Und wenn es einmal einen Weltstaat geben wird, dann wird man sich eben auf Englisch verständigen. Aber wenn wir ein Schulwesen haben, in dem der Privatunterricht und der privat bezahlte Sprachaufenthalt in England belohnt werden, wenn wir eine Universität haben, auf der die Erfahrungen des englischen Internats, das die Kinder reicher Deutscher besucht haben, belohnt werden, dann reden wir immer mehr und scheinbar geläufiger, aber dieses Bildungsziel der Selbsterziehung zum Demokratischen würde verfehlt.

MENTZER: Also eine deutsche selbstbewusste Forschungspraxis ist auch ein Teil einer demokratischen Forschungspraxis, einer offenen Forschungspraxis für Forscher verschiedener Herkunft. Was heißt das für die Zukunft?

TRABANT: Wir müssen in unseren Sprachen arbeiten können, und wir freuen uns, dass wir das Globalesische haben, damit wir auf Kongressen mehr oder minder gut kommunizieren können. Die Strategie muss sein: gute Forschung in der Sprache, die man am besten kann, und eine Politik des Übersetzens für die Geisteswissenschaften.

MENTZER: Das kostet Geld und Zeit.

TRABANT: Ja, aber das ist billiger als die totale Anglisierung des ganzen Volkes, denn das geschieht im Moment. Es wird versucht, eine ganze Generation umzuschulen - aus lauter Angst, wir kämen nicht mit, sei es beim Business, bei der Technik oder in der Wissenschaft.


Gekürzt und bearbeitet von Uschi Heidel und Isabell Lisberg-Haag

Die AG Manieren! der Jungen Akademie hat zu "Forschen auf Globalesisch" auch ein Thesenpapier verfasst, das unter
www.diejungeakademie.de/pdf/Globalesisch_Thesenpapier.pdf heruntergeladen werden kann.


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Alf Mentzer kam 1994 zum Hessischen Rundfunk. Dort leitet er seit 2006 die hr2-Literaturredaktion.

Katharina Landfester ist Inhaberin des Lehrstuhls für Makromolekulare Chemie der Universität Ulm. Sie war Mitglied der Jungen Akademie von 2002 bis 2007.

Patrick Bahners leitet das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung seit 2001. Er studierte Geschichte und Anglistik, unter anderem in Oxford.

Jürgen Trabant ist Professor für romanische Sprachwissenschaft an der FU Berlin. Er hat unter anderem über Giambattista Vico und Wilhelm von Humboldt geforscht, aber auch etliche pointierte Aufsätze veröffentlicht über die allzu enthusiastische Hinwendung zu einer englischen Wissenschaftssprache.


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Die Junge Akademie ist ein Vorhaben unter dem Dach der beiden ältesten Wissenschaftsakademien Deutschlands. Ihre fünfzig Mitglieder, Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler aus dem deutschsprachigen Raum, widmen sich dem interdisziplinären Diskurs und engagieren sich an den Schnittstellen von Wissenschaft und Gesellschaft.


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Quelle:
Die Junge Akademie Nr. 8/Juli 2008, Seite 4 - 7
Herausgeber:
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Das Junge Akademie Magazin erscheint zweimal jährlich
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und wissenschaftspolitische Debatten ein.


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Dezember 2008