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SPRACHE/592: Das Lateinische lebt (RUBENS)


RUBENS 16. Jahrgang, Nr. 131 vom 1. Februar 2009
Nachrichten Berichte und Meinungen aus der Ruhr-Universität Bochum

Das Lateinische lebt
Klassische Philologie vor Ort: Studierende besuchen das Recklinghäuser Stadtarchiv

Von Meike Drießen


"Latein ist das Englisch des Mittelalters", sagt Dr. Matthias Kordes, Leiter des Recklinghäuser Stadtarchivs: Es war einfach unverzichtbar. Und es wirkt nach bis heute. Seine Gäste, die Lateinstudierenden des ersten Semesters von Dr. Wolfgang Polleichtner (Lateinische Philologie), hat er eine kurzweilige Stunde später überzeugt - und vergangene Zeiten zum Leben erweckt.


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Wer geglaubt hat, er würde eine tote Sprache studieren, den belehrt Matthias Kordes schnell eines Besseren. "In Rechts- und Kirchenangelegenheiten gab es zum Lateinischen bis ins Mittelalter keine Alternative - und noch heute sind viele Juristenausdrücke schlicht Rückübersetzungen", erklärt er. "Und auf mancher mittelalterlichen Urkunde steht bis heute geltendes Recht." Nicht mehr ganz im lupenreinen Stil der Antike zwar, aber lateinisch. Beweise hat Kordes auf einem Rollwagen mitgebracht, zum Anfassen. Pergamenturkunden von metergroß bis Taschenformat, zu behandeln "wie Neugeborene - auch wenn sie schon 600 Jahre hinter sich haben", mahnt er, bevor er sie in die Runde gibt. Alles staunt: Nichts ist verblasst, die Schrift gestochen scharf zu lesen. Die Siegel aus jahrhundertealtem Bienenwachs sind noch klar zu erkennen, inklusive Fingerabdrücken von Beamten auf den Rückseiten "für den Archivar natürlich das Allerschönste!", schwärmt Dr. Kordes.


600 Jahre alte Fingerabdrücke

Für ehrfürchtige Gänsehaut bleibt allerdings wenig Zeit, denn der Archivar hat schon den Bogen zum Vokabular geschlagen, wobei er noch schnell die Geschichte der Schreibkultur abhandelt. Pergament, das war eine Sache des Mittealters, hergestellt je nach Landstrich und dortiger Viehwirtschaft aus Ziegen-, Kalbs- oder Schafhäuten, vom Leder dadurch unterschieden, dass es nicht mit Säure gegerbt, sondern mit Lauge behandelt wurde. In der Antike schrieb man, wenn nicht auf Wachstafeln, auf pflanzlichem Material, Papyrus, und noch früher auf Bast.

Daher auch eines der lateinischen Wörter für Buch: liber (=Bast). Das andere, volumen, leitet sich vom Verb volvere her, das drehen oder wälzen meint, nämlich das der Papyrusrollen, wie die Studierenden schließen. Warum des Buch im mittelalterlichen Latein codex heißt? Codex heißt Holzklotz, und aus Holz waren später die Buchdeckel hergestellt. Auch das Schreibwerkzeug hat sich zwischen Antike und Mittelalter gewandelt. Nutzte man in der Antike noch einen Halm, den calamus, so schrieb man im Mittelalter mit Federkielen, lateinisch penna (deswegen noch heute Pennäler).

Die penna sehen wir auf der Kopie der Darstellung eines Evangelisten, die Kordes verteilt; der Schreiber krümmt sich gequält über seinem Werk. "Nur drei Finger schreiben, aber der ganze Körper müht sich ab", hat sich ein Schreiber unter seinem Werk verewigt. Der Handballen durfte auf dem Pergament nämlich nicht aufliegen, denn das gab Flecken. Kordes zeigt die verkrampfte Handhaltung mittelalterlicher Schreiber - uns ist klar: Wer tausende Seiten einer Bibel auf diese Weise abschrieb, leistete Schwerstarbeit.

Anhand der Bibel, einer Druckseite der Gutenberg-Bibel, die handschriftlich verziert ist, gibt es noch ein wenig Textarbeit, dann ist die Stunde auch schon vorbei - eine kurzweilige Angelegenheit, die bleibende Eindrücke hinterlässt.


Nicht mit den Römern ausgestorben

"Hier können die Studierenden erleben, dass das Lateinische nicht mit dem Ende des Römischen Reiches ausgestorben ist, wie viele meinen, sondern bis heute nachklingt", sagt Seminarleiter Wolfgang Polleichtner zufrieden. "Vielleicht eröffnet die Exkursion ja auch Berufsperspektiven und der eine oder andere macht hier mal ein Praktikum".

Er und Matthias Kordes, die sich zufällig bei einer Buchvorstellung kennen gelernt haben, haben die Zusammenarbeit gemeinsam ausgetüftelt. In kleinen Gruppen machen alle Studierenden, die am Seminar teilnehmen, einmal im ersten Semester die Exkursion ins Stadtarchiv. Nicht nur die Studierenden haben etwas davon. Das Stadtarchiv profitiert von der Außenwirkung und demnächst vielleicht auch ganz konkret von der Mitarbeit der Studierenden. Denn für die kommenden Semester planen die beiden Veranstalter die Hebung versteckter Schätze: die erstmalige Herausgabe von Urkunden, die bislang ihr Dasein abseits der Öffentlichkeit in den Stahlschränken des Stadtarchivs fristen.


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Quelle:
RUBENS 16. Jahrgang, Nr. 131 vom 1. Februar 2009, S. 7
Herausgeber: Pressestelle der Ruhr-Universität Bochum, 44780 Bochum
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ISSN 1437-4749


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Februar 2009