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SPRACHE/888: Perfektes Deutsch, polnischer Akzent - Jugendliche betonen bewusst ihre Identität (idw)


Geisteswissenschaftliche Zentren Berlin e.V. (GWZ) - 19.02.2015

Perfektes Deutsch, polnischer Akzent: Deutsch-polnische Jugendliche betonen bewusst ihre Identität


In einer Studie mit 49 Teilnehmern zeigten Berliner Wissenschaftler u.a., dass deutschpolnische Kinder und Jugendliche mit ihrer Aussprache häufig den polnischen Teil ihrer Identität betonen. Deutsch werde dann mit einem polnischen Akzent gesprochen, obwohl es akzentfrei beherrscht werde. Zwischen Aussprache und grammatischer Richtigkeit besteht dabei kein Zusammenhang - häufig wird dieser jedoch von der Umgebung hergestellt. Identität ist somit ein bilateraler Prozess, der sich aus der selbst wahrgenommenen Identität und der von der Umgebung zugewiesenen Identität ergibt.

"Viele deutsch-polnische Kinder und Jugendliche in Berlin können grammatisch perfektes Deutsch. Um den polnischen Teil ihrer Identität zu betonen, wählen sie aber typisch polnische Aussprachemerkmale und rollen z.B. das 'r'", so Dr. Marzena Źygis, Sprachwissenschaftlerin am Zentrum für Allgemeine Sprachwissenschaft (ZAS) in Berlin.

Die Identität von Menschen hängt stark von der Sprache ab, die sie sprechen. Wer die Wahl zwischen akzentfreiem Deutsch und Deutsch mit einem polnischen Akzent hat, kann eine selbstbestimmte Entscheidung treffen. "Deutsch-polnische Kinder und Jugendliche mit einem stabilen Identitätsempfinden sprechen nicht durchgehend mit polnischem Akzent - sie tun es immer dann, wenn sie ihre polnische Identität zeigen wollen", so Prof. Błaszczak, Mitautorin der Studie in Kooperation mit dem ZAS. Problematisch wird es, wenn keine Sprache akzentfrei beherrscht wird. Dann kann es zu Frustration und dem Gefühl kommen, eigentlich keine klare Identität zu besitzen.

Der Akzent gibt keinen Aufschluss über die grammatische Richtigkeit. Menschen, die Deutsch mit einem Akzent sprechen, wird häufig eine fehlerhafte Grammatik unterstellt. Ein prominentes Beispiel ist Raed Saleh, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, der mit einem arabischen Akzent Deutsch auf muttersprachlichem Niveau spricht. Unabhängig davon, ob ein Sprecher mit seinem Akzent seiner Identität gewollt Ausdruck verleiht, kann für einen Zuhörer der gehörte Akzent Assoziationen auslösen, die nicht ausschließlich positiv sind.

Identität ist ein bilateraler Prozess. Der eine Teil wird vom Sprecher selbst bestimmt, der andere wird von der Umgebung zugewiesen. Bei der Zuweisung der Identität durch andere spielt der Akzent eine entscheidende Rolle. Wichtig ist der Zugang zur Standardsprache, damit Kinder später selbst entscheiden können, ob sie mit einem Akzent sprechen wollen oder nicht. Die Berliner Wissenschaftler empfehlen einen möglichst frühen und durchgängigen Besuch von Kindertagesstätten.

In der Studie von Marzena Źygis & Joanna Błaszczak wurde der Frage nachgegangen, welche Faktoren den größten Einfluss auf die Bestimmung der nationalen Identität haben. Die Ergebnisse zeigen, dass z.B. die Muttersprache, das Geburtsland, die Aufenthaltsdauer in Deutschland, die Herkunft der Verwandten und Bekannten (darunter die des besten Freundes) einen signifikanten Einfluss auf die gefühlte nationale Identität haben.


Weitere Informationen unter:
http://www.zas.gwz-berlin.de/fileadmin/material/presse/pressemitteilungen/Blaszczak_Zygis.pdf
- "Bin ich Deutscher oder Pole?", Artikel von Joanna Błaszczak, & Marzena Źygis
http://www.zas.gwz-berlin.de/fileadmin/newsletter/Newsletter_Januar_2015.pdf
- Interview mit Marzena Źygis & Joanna B&#322:aszczak, Seite 2 aktueller ZAS-Newsletter
http://www.marzenazygis.com
http://www.ifa.uni.wroc.pl/linguistics/?page_id=49

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution717

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Geisteswissenschaftliche Zentren Berlin e.V. (GWZ), Dr. Insa Gülzow,
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, 19.02.2015
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Februar 2015

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