Universität Trier - 15.06.2018
Warum es sich weiter lohnt, Literatur zu lesen
"Warum soll ich das lesen?" Diese Frage stellt sich automatisch beim Blick auf einen Text. Handelt es sich bei dem Lesestoff um Literatur, reagieren immer mehr Menschen ablehnend: "Literatur lesen? Zu schwierig, das bringt mir nichts." Niklas Bender ist ganz anderer Meinung. Lesen ist für ihn eine Lebenskunst und Literatur ein wichtiger Ratgeber und Handlungsleitfaden für das eigene Leben. Diese Meinung hat der Literaturwissenschaftler der Universität Trier in seinem gerade erschienenen Buch "Verpasste und erfasste Möglichkeiten" ausführlich und lesenswert begründet.
Warum also, Herr Bender, sollen Menschen im 21. Jahrhundert
sperrige Literatur in die Hand nehmen, wenn sie mit dem Lesen von Social
Media-Posts kaum hinterherkommen? "So, wie wir das Internet meistens
benutzen, verspricht es viel und hält wenig", entgegnet Bender und rät zu
einer kritischen Bilanz: "Wer viel Zeit in Social Media oder im Internet
verbracht hat, sollte sich hinterher fragen: Was hat es mir gebracht? Was
habe ich gelernt? Hat es mich geformt?" Eine ehrliche Bilanz falle meist
dürftig aus.
"Social Media sind Snacks. Literatur ist eine vollwertige Mahlzeit", verbildlicht Niklas Bender die Unterschiede. Seiner Ansicht nach bilden Social Media nur kurze Ausschnitte des Lebens ab. "Man zappt sich durch viele alternative Möglichkeiten, wer, wo oder was man gerade sein könnte. Aber die meisten dieser Optionen sind irreal und zwar eben deshalb, weil man von so vielen überflutet wird. Wenn es immer bessere, jederzeit verfügbare Möglichkeiten gibt, dann ergreifen wir keine einzige richtig. Auf Dauer ist das unbefriedigend", glaubt Bender. Literatur zeige Möglichkeiten und Lebensentwürfe bis zum Ende auf und unterstütze den Leser darin zu erkennen, was für ihn reale und irreale Optionen für das eigene Leben sind. In seinem Buch veranschaulicht Bender diese Wirkungsmechanismen des Lesens durch ausgewählte Literaturbeispiele - von Luigi Pirandello bis Michel Houellebecq, von Charles Baudelaire bis Nico Bleutge.
So wie Literatur ein Fluchtweg aus der Schnipsel-Flut der digitalen Medien sein kann, so kann sie auch den Umgang mit einem weiteren aktuellen Phänomen lehren: dem Storytelling. "Das reale Leben besteht nicht nur aus der einen, sondern aus vielen Geschichten. Und die sind weitaus komplexer als es Werbung und Journalismus mit Storytelling vorgaukeln", sagt Bender. Literatur könne erklären, wie Storytelling funktioniere und davor bewahren, dem Trend auf den Leim zu gehen.
Niklas Bender räumt ein, dass Literatur nicht immer als leichte Kost serviert wird. Er ist aber überzeugt, dass sich die Mühe für die Leser lohnt. Das gilt ebenso für die Gattung Lyrik, die große Gefühle, konzentrierte Einsichten und intensive Erlebnisse auszulösen vermag. Ihn selbst habe die Literatur "verändert und in allen Bereichen geprägt". Dem Literaturwissenschaftler ist bewusst, dass sein Enthusiasmus von immer weniger Menschen geteilt wird. Er ist nicht allzu optimistisch, dass die Leselust und der öffentliche Austausch über Literatur noch einmal deutlich steigen werden. "Es wäre aber schade, es nicht wenigstens zu versuchen", erläutert er seine Motivation für das vorgelegte Buch.
So sehr die digitalen Medien der Literatur das Wasser abgraben, in zwei Punkten könnten sie dabei helfen, dem Negativtrend im Literaturkonsum entgegenzuwirken. Internetforen könnten sich zu einer Ergänzung der klassischen Literaturkritik entwickeln und die gesellschaftliche Diskussion über Literatur antreiben. Zum zweiten kann das Internet Unerfahrene bei der Suche nach guter Literatur unterstützen. Sein Tipp: das Online-Kulturmagazin www.perlentaucher.de.
Zum Buch
Niklas Bender: Verpasste und erfasste Möglichkeiten: Lesen als
Lebenskunst. Schwabe Verlag. Mai 2018
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Trier - 15.06.2018
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Juni 2018
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