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MELDUNG/098: Aborigines erhalten in Romanen eine neue Sichtbarkeit (idw)


Universität Stuttgart - 24.07.2018

Aborigines erhalten in Romanen eine neue Sichtbarkeit - Wie ein Urteil die Literatur verändert


Geoff Rodoreda hat sich in seiner Dissertation damit beschäftigt, ob und welche Auswirkungen das australische Urteil zu den Landrechten der Aborigines - das sogenannte Mabo-Urteil - auf die Literatur Australiens hat. Dafür wurde der Australier gleich mit zwei Preisen ausgezeichnet, darunter der international bedeutende Preis der Gesellschaft für angolphone postkoloniale Studien (GAPS). Der wissenschaftliche Mitarbeiter der Abteilung Englische Literaturen am Institut für Literaturwissenschaft der Universität Stuttgart wies nach, dass sich die australische Literatur seit dem Urteil in mehrfacher Hinsicht deutlich verändert hat.

1992 fällte das Oberste Gericht Australiens das Mabo-Urteil und gab damit der Landrechtsklage von Eddie Koiki Mabo statt. Es entschied, dass der indigenen Bevölkerung Australiens eine Art Territorialherrschaft (native title) über ihr jeweiliges Gebiet zusteht. Dieses Urteil habe zu einem radikal anderen Verständnis von Landrechten in Australien geführt, erklärt Rodoreda. Mehr als alle anderen Ereignisse in der Geschichte Australiens habe die Mabo-Entscheidung das vorherrschende Verständnis der nicht-indigenen Bevölkerung von Land, Identität, Zugehörigkeit und Geschichte in Frage gestellt.

In seiner 2018 veröffentlichten Dissertation postuliert der Literaturwissenschaftler, dass sich dieses neue Selbstverständnis auch auf die Literatur Australiens ausgewirkt haben müsse. Um dies zu beweisen, untersuchte der 52-Jährige die zeitgenössische australische Erzählliteratur. Insbesondere analysierte er 19 Romane, deren Autoren Aborigines und Nicht-Aborigens sind. Seine Arbeit The Mabo Turn in Australian Fiction ist die erste grundlegende Studie zu diesem Thema. "Ich bin in meiner Arbeit zu der Erkenntnis gekommen, dass sich das neue Verständnis der Landrechte und der Geschichte Australiens in der Erzählliteratur widerspiegelt", erklärt Geoff Rodoreda. "Gleichzeitig hat auch die Literatur in dieser Zeit großen Einfluss auf das neue Verständnis von Identität und Geschichte." Er konnte eine echte Wende (turn) nachweisen: "Es entstand eine Post-Mabo-Literatur."

Geoff Rodoreda fand in seiner Studie, dass die Aborigines vor dem Gerichtsentscheid in der Literatur nur geringe Bedeutung erhielten. Nach dem Urteil veränderte sich das. Die Charaktere wurden präsent und vielfältiger, sie bekamen ein Gesicht. Der Literaturwissenschaftler stellte zudem fest, dass die Autoren heute ihre Romanfiguren mit einem liberaleren Geist gegenüber Aborigines ausstatten. Auch in heutigen historischen Romanen werde die Geschichte neu geschrieben und ehrlicher dargestellt.

Interessant ist, was Rodoreda über die Literatur der Aborigines-Autoren sagt: "In ihren Geschichten greifen sie nicht das Nutzungsrecht auf, das ihnen das Mabo-Urteil zugesteht. Stattdessen schreiben sie darüber, was ihnen das Mabo-Urteil verweigert, nämlich das Souveränitätsrecht." Dieses Recht hat der Staat behalten, das Land ist nicht Eigentum der Aborigines. "Doch in den Romanen nach dem Mabo-Urteil haben sie dieses Recht, das heißt, die Figuren in den Romanen verhalten sich so, als ob das Land ihnen gehört", führt Rodoreda aus. In seiner Dissertation kommt der Literaturwissenschaftler zu dem Ergebnis, dass solche Souveränitätsromane ein neues Genre in der indigenen Prosaliteratur Australiens darstellen, da sie sich stilistisch stark vom dominierenden Prosaformat der 1980er und 90er Jahre unterscheiden. Diese Jahrzehnte waren stark von Lebensgeschichten über die Identität von Aborigines gekennzeichnet.

Für seine Doktorarbeit erhielt Geoff Rodoreda den GAPS Dissertationspreis, eine sehr hohe, international beachtete Auszeichnung. Im Oktober 2018 wird er zudem mit dem Förderpreis für Wissenschaftlichen Nachwuchs der Gesellschaft für Australienstudien geehrt.



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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Stuttgart, 24.07.2018
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juli 2018

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