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BERICHT/024: "Die Untoten" - Aus den Gräbern ein Spiegelbild menschlicher Obsession (SB)


Ein Filmgespräch läßt Zombies auferstehen

Marcus Stiglegger, Jörg Buttgereit - Foto: © 2011 by Schattenblick

Marcus Stiglegger, Jörg Buttgereit
Foto: © 2011 by Schattenblick

Unter den Horrorfilmen, die sich der Klaviatur des Schreckens in allen erdenklichen Variationen bedienen, nehmen die Zombiedarstellungen eine Sonderstellung ein. Man könnte sie als einzige politisierbare Metapher des Genres bezeichnen, da sie stets die gesellschaftlichen Verhältnisse ihrer Zeit widerspiegeln und zugleich deren Widerspruchslagen thematisieren. Bar jeder Romantisierung, Erlösungsszenarien oder höheren Sphären geht es ums nackte Überleben, bedroht von einer Gefahr, die menschenähnlicher nicht sein könnte. Indem die "lebenden Toten" von dem einzigen Verlangen getrieben sind, Menschenfleisch zu fressen, verkörpern sie die räuberische Existenzsicherung der menschlichen Spezies in Reinkultur. Was ihnen an Lebendigsein entgegengehalten wird, verschmilzt im Gewaltexzeß des unvermeidlichen Massakers zur einzig entscheidenden Frage, wer über die wirkmächtigeren Waffen verfügt. Die zivilisatorische Bändigung des Wilden, die das grundsätzliche Gewaltverhältnis in immer zugespitztere Formen der Verfügung vorangetrieben hat, wird mit dem nie beendeten Blutvergießen konfrontiert.

Der Voodoo-Religion einer Sklavengesellschaft entsprungen, handelte es sich bei diesen Wesen ursprünglich um willenlos gemachte Menschen, derer man sich unter Ausschaltung jeden Widerstands gefügig gemacht hat. Dieses Grundthema der Unterwerfung zum Zweck der Ausbeutung bis hin zur Vernichtung zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte des Zombiefilms. Enthielt schon die unterschwellige Fortexistenz der alten afrikanischen Kultur unter dem Deckmantel des übergestülpten Christentums ein ausgeprägt subversives Moment, so findet man die Kritik an den herrschenden Verhältnissen in späteren Darstellungen zur Zwangsarbeit geschaffener Zombies wieder. Sie sind jedoch keine unterdrückten Wesen, die Mitleid erregen oder Hilfe wachrufen, sondern gewissermaßen eine Projektion menschlicher Beherrschbarkeit, die zunehmend in einen unter- oder antimenschlichen Zustand überführt wird. Zombies abzuschlachten, korrespondiert mit einem Feindbild, das den nur dem Schein nach menschlichen Gegner nicht nur zum Freiwild erklärt, sondern das Gemetzel im Namen der lebensnotwendigen Selbstverteidigung entfesselt.

George A. Romero, der Altmeister des Zombiefilms, traf in seinem ersten Horrorfilm "Night of the Living Dead" ("Nacht der lebenden Toten") aus dem Jahr 1968 mit der hintergründigen Aussage gegen Rassismus und den Vietnamkrieg den Nerv der Zeit und avancierte rasch zum Geheimtip. Der kontroverse Film wurde sogar in die Sammlung des New Yorker Museum of Modern Art aufgenommen. Zombiefilme sind so primitiv wie die Verhältnisse, die sie auf krudeste Weise reflektieren und zugleich aufs Korn nehmen. Als Kontrastmittel zur Hochkultur verweigern sie sich deren Maßgaben und bekennen sich zum Schund, vor dem die Bundesprüfstelle warnt. Nach gängigen Normen sind es weder wert- noch anspruchsvolle Produkte, deren bereitwilliger Konsum auf den Verfall von Moral und Sitten schließen läßt. Wenngleich massenhaft als bloßer Nervenkitzel konsumiert und oftmals zu keinem anderen Zweck als diesbezüglichem Erfolg beim zahlenden Publikum produziert, birgt dieses Genre doch ein verstörendes Element der Konfrontation mit den als feindlich erfahrenen gesellschaftlichen Verhältnissen und deren grauenerregenden Konsequenzen.

Auf dem Kongreß "Die Untoten" führten Jörg Buttgereit und Marcus Stiglegger im unterhaltsamen Zwiegespräch das Publikum unter dem Titel "Der Zombiefilm - So untot wie seine Protagonisten?" durch einen Reigen von genretypischen Szenen. Angefangen von George A. Romero, der 1978 mit seinem Klassiker "Dawn of the Dead" eine Ikone der Populärkultur geschaffen hatte, war es ein langer Weg vom apathischen Voodoo-Zombie zum tierhaft-blutrünstigen Untoten unserer Tage. Doch die Verflechtungen seien vielfältig und geprägt von einer inneren Logik, denn Zombiefilme reflektierten stets die Epoche ihres Entstehens, argumentieren die beiden Experten. Die lebenden Toten stünden im Rang einer zeitgenössisch politischen, sozialen oder satirischen Metapher.

Jörg Buttgereit ist Regisseur und Autor diverser Arthouse-Horrorfilme, arte-TV-Dokumentationen, Theaterstücke und Hörspiele. Außerdem arbeitet er als Filmkritiker für diverse Zeitschriften und ist Autor der Bücher "Japan - die Monsterinsel" und "Nightmares in Plastic". Marcus Stiglegger lehrt Filmwissenschaft an der Universität Siegen, sowie an den Universitäten Mainz, Mannheim und an der Internationalen Filmhochschule (ifs) Köln. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher und Beiträge über Filmästhetik, Filmgeschichte und Filmtheorie und forscht u.a. zu Film und Philosophie, Essayismus, Montagetheorie, Körperkino und Autorentheorie. Er ist Herausgeber des Print- und Onlinemagazins :Ikonen: und schreibt regelmäßig für die Magazine epd Film, Filmdienst, Testcard, Deadline und Splatting Image, dreht Kurzfilme und Musikvideoclips. [1]

Angeregt, augenzwinkernd und bisweilen boshaft, vor allem aber unablässig aus dem Vollen schöpfend unterhielten die beiden Kenner der Materie sich und ihr Publikum mit einer Exkursion durch die Geschichte des Genres. Reichhaltig mit cineastischen Beispielen illustriert ließen Buttgereit und Stiglegger wesentliche Etappen des Zombiefilms Revue passieren, die sie mit diversen Hintergrundinformationen und Querverweisen verknüpften. Nach der nicht selten bitter ernsten Auseinandersetzung mit existentiellen Grenzsituationen zwischen Leben und Tod in den vorangegangenen Vorträgen und Workshops des Kongresses mutete dieser Zugang zunächst fast trivial und recht befremdlich an, ließ er doch jegliche Zurückhaltung in der Zurschaustellung von Gewaltexzessen vermissen. Allzu oft reizte der nostalgische Rückblick zu einem Lachen, das einem sogleich im Halse steckenzubleiben drohte, fand man sich doch in der Zwickmühle zwischen politisch korrektem Gestus und bedenkenlosem Trash-Konsum wieder. Die gewollte Provokation des Zombiefilms, dessen Qualität sich nicht zuletzt an der Irritation des Publikums bemißt, hat ihre Wirkung offenbar noch nicht ganz verloren.

George A. Romero wählte in seinem zweiten Werk dieser Reihe "Dawn of the Dead" ("Zombie") von 1978 das Szenario eines Einkaufszentrums. Darin verschanzen sich vier Menschen auf der Flucht vor Zombiehorden, worauf eine brutale Rockerbande in den Konsumtempel einfällt, was in eine beispiellose Gewaltorgie mündet. Der Film wurde damals in vielen Ländern wegen seiner exzessiven Darstellungen aus dem Verkehr gezogen. Tom Savini, der Effektspezialist des Films, war früher Fotograf in Vietnam gewesen und hatte seine Kriegserlebnisse in den Gewaltszenen verarbeitet. Dies deutet einen durchaus ernsthaften und seriösen Hintergrund dieses Genres und seiner führenden Protagonisten an, die weit mehr als bloße Kassenerfolge mit Billigware im Sinn hatten.

Referent erläutert Film - Foto: © 2011 by Schattenblick

Auge in Auge mit einem Klassiker
Foto: © 2011 by Schattenblick

In Deutschland wurde eine aufgrund der Schnitte erheblich andere Version gezeigt, die zwar etliche als zu brutal eingestufte Szenen der amerikanischen Originalfassung aussparte, aber ihrerseits eine als extrem aggressiv und gewalttätig wahrgenommene Version auf die Leinwand brachte. Dieses Produkt bescherte dem Constantin-Verleih 1977/78 einen der größten Kinoerfolge der damaligen Zeit. Die Resonanz beim deutschen Publikum, das die Gewalt gegen menschenähnliche Wesen - ein juristisch bedeutsamer und zugleich umstrittener Terminus - offenbar in vollen Zügen genoß, war enorm. War Gewalt gegen Menschen in ihrer filmischen Darstellung verboten, so galt das nicht für Gewalt gegen Menschenähnliche wie Zombies. Gerade weil die Zombies, denen Romero allerdings blaue Gesichter verpaßt hatte, den Menschen, die sie selbst vormals gewesen waren, so ähnlich schienen, mutete ihr hemmungsloses Abschlachten wie ein Dammbruch an. Sie wurden gespalten, enthauptet, mit Motorsägen zerstückelt, wobei das lustvolle Wüten der Rocker fast schon legitimiert war, da es sich gegen untermenschliche Wesen richtete.

"Dawn of the Dead" wird oftmals als brachiale Konsumkritik auf niedrigstem, aber gerade deswegen unmittelbar konfrontativen Niveau ausgewiesen. Man sieht Zombies, die auf Rolltreppen fahren, "wie man das in großen Einkaufszentren in Berlin oder Hamburg ja täglich sehen kann", so die Referenten süffisant. Im Zuge des Gemetzels wird das Einkaufszentrum derart rabiat und gründlich zertrümmert, daß die Demontage und Verwüstung der säuberlich präsentierten Warenwelt mit ihren Spiegeln, Vitrinen, Regalreihen und Dosenstapeln durchaus Züge einer Katharsis hat.

Weniger begeistert zeigt sich Jörg Buttgereit von den Zombiefilmen italienischer Provenienz, denen er eine "unrealistische" Machart attestiert, die ihn nie sonderlich gereizt habe. "Pizza-Zombies" hätten sich seines Erachtens lediglich an den Erfolg Romeros angehängt. "Zombi 2" ("Voodoo - Schreckensinsel der Zombies") von Lucio Fulci bringt allerdings 1979 das Voodoo-Konzept ins Spiel, was von eigener Bedeutung ist. Waren Zombies in ihrer modernen Version zum Leben erweckte Tote, die ausschließlich auf Menschenfleisch aus sind, erfolgt nun ein Rückbezug auf die wesentlichen Quellen.

Beim Voodoo-Kult hat man es mit einer explizit synkretistischen Religion zu tun, zu der klar zu identifizierende unterschiedliche Einflüsse verschmolzen sind. Afrikanische Sklaven, die zu Millionen nach Nord-, Mittel- und Südamerika verschleppt wurden, brachten eigene religiösen Wurzeln mit und kultivierten sie weiter in der Situation der Sklaverei, um ihre Identität zu bewahren. Christliche Einflüsse überlagerten dieses Fundament, da die eigene Religion nur im Geheimen weiter betrieben werden konnte, woraus schließlich eine Mischform entstand.

Im Voodoo existiert die Vorstellung, daß man einen Feind, den man bannen oder vernichten möchte, mit einem speziellen Pulver betäuben und scheinbar sterben lassen kann. Er kehrt von den Toten zurück und steht dem Urheber seines Verhängnisses als willenloses Objekt zur Verfügung. In der Situation der Sklaverei war diese Form der Religion nicht nur ein Spiegel der herrschenden Verhältnisse, sondern zugleich eine Form der Auflehnung, da sie auf eine geheime Macht reflektiert, die sich zumindest dem weißen Sklavenhalter entzieht.

Frühe Horrorfilme in den 1930er Jahren beziehen sich explizit auf Voodoo. Ein Klassiker ist "White Zombie" von 1932, in dem Zombies als Arbeitssklaven schuften, die keinerlei revolutionäres Potential besitzen, weil sie unter zauberischem Bann stehen. An diesem Beispiel wird wiederum deutlich, wie eng das Konzept des Zombie mit dem gesellschaftlichen Umfeld verflochten ist.

"I walked with the Zombie" ("Ich folgte einem Zombie") unter der Regie von Jacques Tourneur aus dem Jahr 1943 entführt den Zuschauer in den Urwald einer westindischen Insel, wo er Bekanntschaft mit der Welt des Voodoo macht. Eine junge Krankenschwester pflegt die Frau eines Plantagenbesitzers, die vollkommen emotions- und reaktionslos ist, da sie durch einen Voodoo-Zauber zu einem Zombie geworden ist. Betsy verliebt sich in ihren Dienstherrn und versucht, dessen Frau zu heilen. Als alle Mittel fehlschlagen irren die beiden Frauen auf der Suche nach einem Voodoo-Priester durch Zuckerrohrpflanzungen und Dschungel, wo sie zwischen Totenschädeln und Tierkadavern einer stummen, schwarzen und hünenhaften Männergestalt begegnen. Hier wird im Szenario eines Horrorfilms die Konfrontation der weißen Zivilisation mit den urtümlicheren, geheimnisvollen und als finster ausgewiesenen Praktiken der Schwarzen thematisiert. Voodoo-Rituale, die später Teile der populären Kultur wurden, sind in den Südstaaten der USA als "Hoodoo" geläufig.

Der Streifen "Plague of the Zombies" ("Nächte des Entsetzens") aus den britischen Hammer Film Productions überträgt Anfang der 1960er Jahre das Szenario nach Cornwall. Dort bedient sich ein ruchloser Minenbesitzer willenloser Zombies als Arbeitskräfte, um sie ohne Risiko ausbeuten zu können. Mag man auch von einem naiven Entwurf sprechen, so handelt es sich doch um einen Ansatz, der den zentralen gesellschaftlichen Widerspruch aufgreift.

Die Modernisierung des Genres beginnt mit George A. Romeros "Night of the Living Dead" ("Nacht der lebenden Toten") von 1968. Im deutschen Trailer wird der Streifen als "Horror, die neue Welle" und "Grausamster Film aller Zeiten" angekündigt. Zombies essen zum ersten Mal Menschenfleisch und werden halb verwest dargestellt, womit Romero an eine ältere Comic-Tradition anknüpft, in der es um Ghule ging. Die Rede ist von lebenden Toten, der Begriff "Zombie" fällt noch gar nicht. Gezeigt werden Wiedergänger, die dem Alltag entsprungen sind, teilweise nackt, aber auch in Berufskleidung agieren. Hier sind Motive angelegt, die Romero zehn Jahre später in "Dawn of the Dead" wieder aufgreift. Zugleich sind Zombies erstmals eine weltbedrohende Seuche, die am Ende des Films nicht besiegt werden kann. Darin klingen zeitgenössische Tendenzen an, die menschheitsumfassende Schreckensszenarien und Ausweglosigkeiten ins Visier nehmen.

Buttgereit flicht episodisch Auszüge aus einem Interview ein, das mit Romero zu führen er Gelegenheit hatte. Auf die Frage, wie er sich die ansteigende Popularität seiner Zombies erkläre, antwortet dieser pragmatisch, er habe damit relativ wenig zu tun, freue sich aber, daß er nach langer Pause wieder anfangen konnte, Zombiefilme zu drehen. Sein Verdienst sei das nicht, da die heutige Klientel vor allem aus Kids bestehe, die vom Videospiel her kommen, die Zombies und die sie bestimmenden Regeln von daher kennen und sich dann im Kino gnädig die Filme des Meisters ansehen. Romero versuche jedenfalls abzuwiegeln und die Schuld von sich zu weisen.

Bemerkenswert ist zudem, daß in "Night of the Living Dead" erstmals im US-Kino ein Schwarzer als Hoffnungsträger dargestellt wird, den allerdings kurz vor dem Finale des Films ein paar Rednecks erschießen. "Soviel Nihilismus mußte Ende der 1960er Jahre wohl sei", merken die Referenten an. Der Schwarze war der letzte überlebende Mensch im Haus, wird von den Vigilanten aber für einen Zombie gehalten und in den Kopf geschossen. Als man seine Leiche an Fleischerhaken hinausschleift und mit den getöteten Zombies auf einem Scheiterhaufen verbrennt, wird dies in grobkörnigen Standbildern gezeigt, die dokumentarisch wirken sollen. Deutlich wird in dieser Darstellung der Bezug zu Nachrichtenbildern, womit der Zombiefilm Elemente der Berichterstattung dieser Zeit aufgreift.

Wie man sich vorstellen kann, waren deutsche Kulturhüter außerordentlich besorgt über den wachsenden Konsum von Horrorfilmen unter Kindern und Jugendlichen. Die Pseudodokumentation "Mama, Papa, Zombie!" (1984) sollte im ZDF davor warnen, daß Kinder nach "Mama" und "Papa" bereits als drittes Wort "Zombie" lernen. Als Sammlung abschreckender Beispiele konzipiert und mit Warnhinweisen versehen, wurde das Machwerk im Vorabendprogramm ausgestrahlt und zeigte härteste Ausschnitte aus damaligen Filmen mit der Aufforderung, wegzuschauen oder auszuschalten. Auf diese Weise sahen Millionen deutsche Halbwüchsige diese Szenen und stürmten daraufhin die Videotheken. In den 1990er Jahren gab es sogar eine Edition eines italienischen Zombiefilms, die als Bonusmaterial "Mama, Papa, Zombie!" enthielt.

Für herzhaftes Lachen im Publikum sorgten auch Ausschnitte aus dem Trailer des Streifens "Zombies unter Kannibalen", der eine geballte Ladung krudester ethnokultureller Bezichtigungen von eingeborenen Urwaldbewohnern mit der noch größeren Grausamkeit einfallender Untoter übertrumpft.

Die anfangs schwerfällig staksenden Zombies bekommen im Laufe der Zeit immer neue Fähigkeiten, bis sie schließlich den Menschen an Schnelligkeit überlegen sind und sie zu bekämpfen immer schwieriger wird. Zugleich fließen unablässig gesellschaftspolitische Entwicklungen und Impulse in die Szenarien ein. In "Land of the Dead" verbrennt ein schwarzer Zombie, der die Revolte anführt, den weißen Kapitalisten (dargestellt von Dennis Hopper) im Auto, das er mit Benzin füllt.

Romeros Filme sind zunächst nicht in den Metropolen, sondern in seinem heimischen Pittsburgh angesiedelt, so daß man in diesem Stadium von einer Apokalypse auf provinziellen Level sprechen kann. Die weltweite Apokalypse wird erst in späteren Filmen ("Day of the Dead" von 1985) angedeutet und in "Land of the Dead" (2005) endgültig auf die Tagesordnung gesetzt. In seinen neueren Werken adaptiert der Altmeister im übrigen durchaus die Kritik und Arbeit anderer.

Romero räumte im Gespräch mit Buttgereit auf die Frage, wie er es schaffe, nach all den Jahren immer noch neue Szenarien zu erfinden, durchaus ein, daß ihm das allmählich schwerfällt. So hat er in "Survival of the Dead" (2009) eine obskure Zombiefigur in Gestalt eines toten Mädchens auf einem Pferd eingeführt. Das Pferd wird am Ende verzehrt, womit die Zombies erstmals auf tierische Nahrung übergehen und damit den Menschen noch ähnlicher werden.

Typisch für die moderne Lesart ist ein Kurzfilm von Studenten der Filmhochschule Ludwigsburg. Wie diverse Vorgänger befördert auch er das apokalyptische Element auf den Weltmaßstab, doch stellt er darüber hinaus die Verhältnisse auf den Kopf. Die Zombies haben die Herrschaft übernommen und sind mithin zur Normalität geworden, während die wenigen verbliebenen Menschen das Unnormale verkörpern. Hauptdarstellerin ist eine junge Frau, die sich im Verlauf ihres einsamen Überlebenskampfs mit der Frage konfrontiert sieht, ob es nicht besser sei, auch normal zu werden wie die Zombies. Mit schnellen Bildfolgen und schockartigen Geräuschen, gesteigertem Tempo der Untoten und einer rasanten Montage ist der Film von einer Videoclipästhetik, die ihre enge Verwandtschaft zu entsprechenden Videospielen und Egoshootern nicht verhehlen kann.

Filmförderung für Schmuddelfilme?, fragt Buttgereit rhetorisch, worauf Stiglegger ihn daran erinnert, daß das ZDF die Zombiekommödie "Rammbock" produziert hat. Das sei ein Zeichen dafür, daß diese Metapher einen Punkt erreicht hat, an dem sie ironisiert und somit auch anerkannt wird. Das Genre hat den Level der Hochkultur erreicht, man fürchtet sich nicht mehr vor Zombies, wenn sie, finanziert von Gebühren, im kleinen Fernsehspiel zu sehen sind.

Was also kann die Zombie-Metapher heute noch leisten? Für ihn sei sie ausgelutscht, meint Buttgereit, weswegen er den Titel der Veranstaltung "Der Zombiefilm - So untot wie seine Protagonisten?" ja auch mit einem Fragezeichen versehen habe. Ein Film wie "Rammbock" komme viel zu spät, da er jetzt nichts mehr anrichten könne. Horrorfilme sollen kein Minimalkonsens sein, sondern Urängste ansprechen, uns ärgern, terrorisieren. In "Fluch der Karibik 4" seien auf einem Geisterschiff von Blackbeard zwei zombifizierte Schwarze zu sehen. Das sei ein Disney-Film, der als extrem kindgerecht gilt. Man brauche die Zombies im Grunde nicht mehr, da sie sosehr Teil der populären Kultur geworden seien, daß man sie auf allen Ebenen liebgewinnen könne.

Als wollten die Referenten diese Zombie-skeptische Einschätzung denn doch nicht als Fazit stehenlassen, kamen sie abschließend auf die zahlreichen Synkretismen im Kontext dieses Genres zu sprechen. So irrten in den 1970er Jahren erstmals Nazi-Zombies über die Leinwand, gewissermaßen also die Wiederkehr des Verdrängten in der Personifizierung gewalttätiger Untoter. In "Shockwaves - Die Nazis, die aus der Tiefe kamen" wirkte übrigens Peter Cushing mit, der bereits bei den Produktionen der Hammer-Studios zu den seriöseren Darstellern gezählt hatte.

Seither wurden diverse Splatter-Filme mit Nazi-Zombies produziert. Kürzlich erst ist ein Teaser im Netz aufgetaucht, der ein Projekt namens "Frankensteins Army" vorstellt. In der Ästhetik alter Wochenschaubilder exhumieren deutsche Soldaten Leichen aus Massengräbern und setzen sie in einem Frankensteinlabor neu zusammen. "Extrem geschmacklos für deutsche sensible schuldbeladene Seelen", wie die Referenten anmerken. Der Film "Outpost" schaffte es sogar ungekürzt ins Fernsehen, was damit zusammenhängen könnte, daß der Streifen nach dem Jugoslawienkrieg in Kroatien spielt. Eine Gruppe von Söldnern reaktivierte in einem Bunker Experimente der Nazis, was natürlich dazu führt, daß dort Nazi-Zombies auftauchen. Offenbar scheint sich diese Variante in jüngerer Zeit wachsender Popularität zu erfreuen, knüpft sie doch assoziativ an Kriegsvorwände der NATO an, die sich des abstrusen Nazi-Vergleichs bedienen, es gelte beim Überfall auf andere Länder eine drohende Massenvernichtung zu verhindern.

Damit waren die Referenten am Ende ihres Filmgesprächs angelangt, das ihnen die zahlreich erschienenen Zuschauer mit lebhaften Beifall dankten. Da diese Veranstaltung zu den letzten des dreitägigen Kongresses gehörte, konnten sich Interessierte im Anschluß ins Alabama-Kino begeben, das Teil des Kampnagel-Komplexes ist. Dort warteten nach einführenden Worten ausgewählte Zombiefilme in voller Länge auf sie, so daß sie den Kongreß mit einer Nacht voller Untoten abschließen konnten.

Fußnote:

[1] http://www.untot.info/

Alabama-Kino - Foto: © 2011 by Schattenblick

Foto: © 2011 by Schattenblick

Zu "Die Untoten" bisher erschienen:

BERICHT/003: "Die Untoten" - Pressegespräch zu Kongress & Inszenierung vom 12.-14.5.2011 auf Kampnagel (SB)
BERICHT/004: "Die Untoten" - Im Stahlbad der transhumanistischen Optimierungsdoktrin (SB)
BERICHT/005: "Die Untoten" - Wachkoma, ein Widerspruch in sich (SB)
BERICHT/006: "Die Untoten" - Roboter - reprojektiver Entwurf menschlichen Scheiterns (SB)
BERICHT/007: "Die Untoten" - Wachkoma - ein Film erzählt (SB)
BERICHT/008: "Die Untoten" - Altern eine Krankheit? (SB)
BERICHT/009: "Die Untoten" - Mark Ravenhill ... im Limbus medizinischer Unwägbarkeit (SB)
BERICHT/010: "Die Untoten" - Systemvollendet - Schlachtvieh Mensch (SB)
BERICHT/011: "Die Untoten" - Verrechtlichung der Sterbehilfe Einfallstor für genozidale Lösungen? (SB)
BERICHT/012: "Die Untoten" - Palliativmedizin zwischen Patientenautonomie und Sterbehilfe (SB)
BERICHT/013: "Die Untoten" - Hirntodlüge aus Pflegesicht (SB)
BERICHT/014: "Die Untoten" - Her- und Hinkünfte des deregulierten Todes (SB)
BERICHT/015: "Die Untoten" - Vorgriff auf den eigenen Tod in künstlerischer Inszenierung (SB)
BERICHT/016: "Die Untoten" - Sandy Stone ... aus einem bewegten Leben (SB)
BERICHT/017: "Die Untoten" - Das zweite Gesicht des Schönheitskultes (SB)
BERICHT/018: "Die Untoten" - Kapitalgespenster - Zur Ästhetik fehlender Theorie (SB)
BERICHT/019: "Die Untoten" - Auf der Suche nach dem Sitz des Bösen (SB)
BERICHT/020: "Die Untoten" - Verschleißwelten unvollständiger Autonomie (SB)
BERICHT/021: "Die Untoten" - Menschliches Gemüse - Organspender philosophisch totgesagt (SB)
BERICHT/022: "Die Untoten" - "Nollywood" - Nigerias populärkulturelle Filmproduktion (SB)
BERICHT/023: "Die Untoten" - Prothetik im Dienste der herrschenden Ordnung (SB)
INTERVIEW/001: "Die Untoten" - Matthias Zerler kämpft für Wachkoma-Patienten (SB)
INTERVIEW/002: "Die Untoten" - Petra Gehring, Philosophin (SB)
INTERVIEW/003: "Die Untoten" - Thomas Macho, Kulturwissenschaftler (SB)
INTERVIEW/004: "Die Untoten" - Roberto Rotondo, Diplom-Psychologe und ehemaliger Krankenpfleger (SB)
INTERVIEW/005: "Die Untoten" - Sander L. Gilman zu Fragen der kosmetischen Chirurgie (SB)
INTERVIEW/006: "Die Untoten" - Georg Fülberth, Politikwissenschaftler (SB)
INTERVIEW/007: "Die Untoten" - Sandy Stone, Performancekünstlerin und Wissenschaftlerin (SB)
INTERVIEW/008: "Die Untoten" - Hans Werner Ingensiep, Philosoph und Biologe (SB)
INTERVIEW/009: "Die Untoten" - Dorothee Wenner, Journalistin und Filmemacherin (SB)
INTERVIEW/010: "Die Untoten" - Karin Harrasser, wissenschaftliche Leitung des Kongresses (SB)

21. Juni 2011