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BERICHT/027: "Die Untoten" - Transplantationsmystik - Wenigstens meine Organe sollen überleben... (SB)


Pro-Transplantationspropaganda auf verschlungenen Pfaden

Die Mär von "überlebenden Organen" soll den Tod der Spender vergessen machen

Um die Reputation der Transplantationsmedizin bemüht - Hossein und Katrin Solhdju - Foto: © 2011 by Schattenblick

Um die Reputation der Transplantationsmedizin bemüht - Hossein und Katrin Solhdju
Foto: © 2011 by Schattenblick

Die Transplantationsmedizin befindet sich, auch wenn dies in der breiten Öffentlichkeit bislang kaum deutlich gemacht wurde und insofern auch nicht wahrgenommen werden konnte, in extremen Rechtfertigungsnöten, nicht etwa, weil die Argumente ihrer Kritiker, denen im allgemeinen der Zugang zu massenwirksamen medialen Veröffentlichungskanälen nicht offen steht, plötzlich Gehör gefunden hätten. Nein, das Dilemma, in dem sich die seit vielen Jahrzehnten in der Bundesrepublik Deutschland wie auch in vielen anderen hochentwickelten Staaten übliche Praxis, unter fragwürdigsten Umständen lebenden Menschen Organe zu entnehmen, um sie in einen anderen Menschen zu transplantieren, befindet, beruht einzig und allein darauf, daß seitens der Wissenschaft das die Transplantationsmedizin rechtfertigende und eigens zu diesem Zweck geschaffene Konzept des Hirntodes inzwischen als vollständig widerlegt gilt. Diese Problematik wurde von der an der TU Darmstadt lehrenden Philosophin, Publizistin, Autorin und Kongreßreferentin bei den "Untoten", Petra Gehring in einem Textbeitrag [1] folgendermaßen auf den Punkt gebracht:

Organentnahmen, die den lebenden Menschen töten würden, wären Mord. Darin liegt das Paradox der Transplantationsmedizin: Will sie lebenswichtige Organe verpflanzen, so muss sie Leben aus dem toten Körper gewinnen. Zu warten, bis das Herz eines Sterbenden nicht mehr schlägt, ruiniert die für das Weiterfunktionieren von transplantierten Organen erforderliche Qualität des Materials. Hat die technische Vision eines Transfers von 'Leben' so besehen kannibalistische Züge?

Um dieses Dilemma juristisch aus der Welt zu schaffen, war im Jahre 1968, nachdem in Japan bereits ein Arzt, der einem "hirntoten" Patienten Organe zur Tranplantation entnommen hatte, wegen Mordes verurteilt worden war, von der Ad Hoc Kommission der Harvard Medical School in Boston (USA) der sogenannte Hirntod zum Todeskriterium erklärt worden, was von der an einer Legalisierung der Transplantationsmedizin interessierten Wissenschaftsgemeinde weltweit begierig aufgenommen wurde. Der Zusammenhang zwischen dem Hirntodkonzept und dem Interesse der Transplanteure an Organen, die noch lebenden Menschen entnommen werden können, war so offensichtlich, daß er schon damals Kritik hervorrief, so beispielsweise durch den Philosophen und Nobelpreisträger Hans Jonas.

Gleichwohl wurde und wird bis auf den heutigen Tag nach dieser Maßgabe weitertransplantiert. Das deutsche Transplantationsgesetz legt fest, daß lebenswichtige Organe nur von Toten entnommen werden dürfen (Tote-Spender-Regel) und überläßt im übrigen die buchstäblich über Leben und Tod entscheidende Frage, nach welchen Kriterien bzw. welchem Todeskonzept ein Mensch für tot erklärt werden kann, den Medizinern. Laut Bundesärztekammer ist dies das Hirntodkonzept, bei dem allerdings, wie vom Gesetzgeber verlangt, Diagnosemethoden anzuwenden seien, die "dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft" entsprächen. Das (wissenschaftsinterne) Problem besteht nun darin, daß das Hirntod-Konzept wissenschaftlich nicht mehr aufrechterhalten werden kann.

Sehr umstritten sind hingegen die Konsequenzen, die aus der abhanden gekommenen wissenschaftlichen Rechtfertigung des Hirntodkonzepts zu ziehen sind. Dieses Dilemma trägt das Potential in sich, die gesellschaftliche Akzeptanz der Transplantationsmedizin, für die in einer geradezu aggressiv zu nennenden Weise Werbung gemacht wird, insgesamt zum Kippen zu bringen. Kann eine neue Rechtfertigung für die Gleichsetzung von Hirntod und Tod gefunden werden oder wäre die Abschaffung der Tote-Spender-Regel die Option der Stunde? Da für ersteres keine Idee zu bestehen scheint, die ihrerseits nicht mindestens genauso unglaubwürdig wäre wie die inzwischen als widerlegt geltende Behauptung, der menschliche Organismus werde in seiner Gesamtheit vom Gehirn gesteuert, weshalb der (angenommene) Totalausfall der Hirnfunktionen mit dem Tod des Menschen gleichgesetzt werden könne, wird die Tote-Spender-Regel zur Disposition gestellt.

Da dies, unverschnörkelt ausgedrückt, die Legalisierung eines Mordes bedeuten würde, um Petra Gehrings Ausführungen einmal aufzugreifen, ist dies natürlich ein "sehr heißes Eisen". Die Bemühungen der Transplantationsbefürworter scheinen nun darauf hinauszulaufen, über das eklatante Desaster der Organtransplantation in einem deutlich größeren Umfang zu informieren, um den Sprung zur Abschaffung der Tote-Spender-Regel publizistisch, um nicht zu sagen propagandistisch vorzubereiten. Wenn der Hirntoddefinition die gesellschaftliche Akzeptanz verloren gegangen ist oder dies nur noch eine Frage der Zeit sein kann, muß eben für ein anderes Konstrukt, das dieselbe Funktion übernehmen könnte, eine Akzeptanz aufgebaut werden. Diesem Zweck sind Darstellungen dienlich, die die Bereitschaft des Menschen erhöhen, eine extrem reduzierte körperliche Situation als lebensunwert zu bewerten, um sie auf dieser Basis dazu zu bewegen, unter dementsprechenden Bedingungen der eigenen Tötung zwecks Organentnahme zuzustimmen.

Hossein Solhdju - ein Transplantationsbeteiligter der ersten Stunde - Foto: © 2011 by Schattenblick

Ein Transplantationsbeteiligter der
ersten Stunde in Erinnerungen
Foto: © 2011 by Schattenblick
Auf dem Kongreß "Die Untoten" trat mit Hossein Solhdju ein fachkompetenter Befürworter der Transplantationsmedizin auf, der im Gespräch mit seiner Tochter Katrin Solhdju auf einer Veranstaltung mit dem Titel "Überlebende Organe" die Transplantationsmedizin positiv darzustellen suchte. Hossein Solhdju war als Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin an der ersten Herztranplantation, die am 13. Februar 1969 an der LMU München durchgeführt wurde, beteiligt gewesen. Da er später als Chefarzt der Anästhesie und Intensivmedizin am Knappschaftskrankenhaus Bardenberg tätig war und sich seit 1999 im Ruhestand befindet, liegen seine unmittelbaren Erkenntnisse und Erfahrungen aus dem Bereich der Organtransplantation rund vierzig Jahre zurück. So interessant und aufschlußreich es auch sein mag, ihn - auf Befragen seiner Tochter, der Kultur- und Religionswissenschaftlerin Katrin Solhdju, die im Bereich der Wissenschaftsphilosophie mit Theorien des Wissens und dem Experimentieren am Lebendigen befaßt ist - aus der Frühzeit der Transplantationsmedizin in Deutschland berichten zu hören, so wenig kann er zur gegenwärtigen Debatte tatsächlich beitragen.

Katrin Solhdju leitete das Gespräch mit der These ein, daß es "überlebende Organe" gäbe, und zwar schon sehr lange. Während Petra Gehring in Hinsicht auf tranplantierte Organe von der dafür erforderlichen Qualität des "Materials" sprach und es ihr wohl nicht in den Sinn gekommen wäre, die Organe selbst als etwas Lebendes zu begreifen, könnte die hier vorgenommene Begriffswahl dem Anliegen geschuldet zu sein, der Behauptung Raum zu geben, daß durch die Transplantationsmedizin der uralte Menschheitstraum von der Unsterblichkeit verwirklicht worden wäre. Der Spender sterbe zwar (spätestens durch die Organentnahme), doch könne er "in seinen Organen" weiterleben, so die wenn auch indirekt vermittelte Botschaft. Wäre der Hintergrund einer solchen Begriffswahl, wie hier angedeutet, nicht ein so ernster, könnte man diese Thematik getrost beiseite legen.

Wie Katrin Solhdju darlegte, wurden bereits in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts bei physiologischen Experimenten "überlebende Organe", wie sie sagte, an Apparaturen angeschlossen und am Leben gehalten, die den heutigen der Intensivmedizin nicht ganz unähnlich waren. Der Zweck dieser Forschungen habe jedoch einzig darin bestanden, die Funktion einer Niere oder einer Leber "an sich" zu erforschen. Da die Organe als räumliche und funktionelle Einheit gesehen wurden, seien damals bereits die Voraussetzungen geschaffen worden, um Transplantationen überhaupt denken zu können. Ende des 19. Jahrhunderts sei dann die ersten Transplantation (einer Schilddrüse) vorgenommen worden, allerdings ohne Erfolg. Danach habe es in der Geschichte der Translantationsmedizin eine lange Pause gegeben, bis 1954 in Boston die erste Nierentransplantation bei eineiigen Zwillingen (um das Problem der Immunreaktion zu umgehen) durchgeführt werden konnte.

An dieser Stelle richtete Katrin Solhdju das Wort an ihren Vater, weil dieser just zu der Zeit, als in Deutschland in den 1960er Jahren mit Transplantationen begonnen wurde, hier auch sein Medizinstudium begonnen hatte. Befragt nach der ersten Herztransplantation in München, an der er selbst als Anästhesist beteiligt gewesen war, berichtete Hossein Solhdju aus der Frühzeit dieses Medizinzweiges. Schon 1963 habe auch in Deutschland der Wunsch bestanden, Herztransplantationen durchzuführen. Zwischen dem Team des Chirurgen Christiaan Barnard in Südafrika, dem dies schließlich im Dezember 1967 erstmals gelang, und dem Münchner Team habe eine enge Verbindung bestanden zu der Frage, wie das Problem der Organabstoßung medikamentös zu lösen sei. Als Barnard Erfolg hatte, war in München die große Frage aufgekommen, wann auch hier die erste Transplantation vorgenommen werden könne.

Im Februar 1969 sei es denn schließlich so weit gewesen. Mit Herzoperationen habe man seit 1954 viele Erfahrungen sammeln können, und so sei auch die erste Herztransplantation "technisch" kein Problem gewesen. Das neue Herz habe innerhalb einer Stunde transplantiert werden können, doch dann traten Komplikationen auf. 27 Stunden und 43 Minuten habe man versucht, das Problem zu lösen. Angeschlossen an die Herz-Lungen-Maschine habe das Herz zum Schlagen gebracht werden können, Herz und Blutdruck hätten funktioniert, auch die Nieren hätten angefangen auszuscheiden. Doch immer dann, wenn das Herz in den Brustkorb zurückgetan wurde, fiel der Blutdruck rapide ab. Am Ende hätten die Pathologen eine Erklärung für den Fehlschlag (und den Tod des Transplantierten) geliefert - das Spenderherz habe einen Infarkt erlitten. Wie Hossein Solhdju ganz bewußt erwähnte, liegt das, was er zu berichten hatte, 42 Jahre zurück.

Die nächste Frage seiner Tochter bezog sich auf den damaligen Wettstreit, man könnte auch Wettlauf sagen, zwischen den jeweiligen Transplanteuren in den USA, Südafrika und Deutschland in der Transplantationsmedizin, die ohne die ihre Voraussetzungen schaffenden Entwicklungen in Intensivmedizin und Anästhesie nicht möglich gewesen wäre. In Deutschland wäre man, so berichtete ihr Vater, bedingt durch den Zweiten Weltkrieg diesbezüglich ins Hintertreffen geraten. Der Vorsprung, der in den USA, aber auch in Finnland und Schweden in der Nachkriegszeit habe erreicht werden können, sei in Deutschland jedoch relativ schnell aufgeholt worden. Die Zusammenarbeit hiesiger Ärzte, die oftmals in den USA ausgebildet worden waren, war so eng und reibungslos, daß sich das Verhältnis sogar umgekehrt habe und Amerikaner für Herzoperationen nach Deutschland gekommen seien.

Katrin Solhdju schnitt das höchst umstrittene Thema "Hirntoddefinition" zwar an, ließ die aktuelle Kontroverse und das auf der wissenschaftlichen Widerlegung der Behauptung, der gesamte Organismus werde zentral vom Gehirn gesteuert, beruhende Rechtfertigungsdefizit jedoch vollkommen unerwähnt. Sie fragte lediglich danach, wie man vor 1968, dem Zeitpunkt der Festlegung des Hirntod-Konzepts, mit der Hirntod-Feststellung umgegangen sei. Trias habe man das damals genannt, lautete die Antwort, und es seien sogar ein paar Bedingungen mehr (als drei) gewesen. Dazu hätten Atem- und Herzstillstand, eine tiefe Bewußt- und Reflexlosigkeit sowie weite, lichtstarre Pupillen gehört. Dann habe geprüft werden müssen, ob das Gehirn noch funktioniere, was mit Gefäßdarstellungen durch Kontrastmittel und später mit dem EEG [2] getan worden sei.

Katrin Solhdju präsentiert ihren Vater als Pionier der Medizingeschichte - Foto: © 2011 by Schattenblick

Katrin Solhdju präsentiert ihren Vater
als Pionier der Medizingeschichte
Foto: © 2011 by Schattenblick
Auf die Frage, ob er in seiner aktiven Zeit in die Feststellung, ob ein Patient sich im Zustand eines irreversiblen Komas oder Hirntods befunden habe, selbst involviert gewesen sei, erklärte Hossein Solhdju eher allgemein, daß dieses Feststellungsverfahren damals sehr streng gehandhabt worden sei. Drei bis vier Mediziner unterschiedlichster Disziplinen, die nicht an der Organentnahme beteiligt waren, hätten den Tod feststellen müssen und erst, wenn das festgestanden habe, sei im nächsten Schritt die Frage aufgeworfen worden, ob der Tote als Organspender in Betracht kommen könnte. Da es in den 1960er und 1970er Jahren noch nicht üblich war, schriftliche Willenserklärungen für einen solchen Fall abzugeben, seien dann die Angehörigen um ihre Zustimmung gefragt worden, was oftmals für die beteiligten Ärzte ein sehr schwieriges Unterfangen gewesen sei. Dabei sei es nicht nur um die Frage, ob ein Organ entnommen werden könne, gegangen, sondern auch darum, ob man aufhören könne, lebensverlängernde Maßnahmen fortzusetzen. Für einen behandelnden Arzt sei es der schlimmste Mißerfolg, so berichtete der heute im Ruhestand stehende frühere Intensivmediziner und Anästhesist, ein Leben aufzugeben. Es sei nie leichtfertig entschieden worden, die Maschinen abzustellen.

In den 1960er bis 1970er Jahren hätten nicht nur Mediziner solche Fragen zu entscheiden gehabt; nach und nach wären Juristen, Theologen, der Ethikrat und schließlich Philosophen hinzugekommen, so daß das Medizinerteam nicht mehr bereit und imstande war, dies allein zu entscheiden. Solhdju sprach als problematisch an, daß viele Patienten beatmet und künstlich weiter ernährt worden seien, die nicht gefragt wurden und daß man bis heute auch dann, wenn alle Disziplinen miteinander diskutierten, nicht wisse, wann der richtige Zeitpunkt zum Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen sei. Bei Patienten, die als Organspender in Frage kommen könnten und die Todeskriterien erfüllt hätten, sei als Problem hinzugekommen, daß der Blutdruck einen bestimmten Wert nicht unterschreiten und die Nierenausscheidungen nicht enden dürften, weil andernfalls innerhalb kürzester Zeit die Organe "unbrauchbar" werden könnten; dabei könnten fünf Minuten entscheidend sein.

Im übrigen seien Nieren in Deutschland bereits entnommen worden, bevor es im April 1968 die Hirntoddefinition aus den USA gab. Eine ganz ähnliche Definition habe es zuvor auch schon in Deutschland gegeben, die von einer "Kommission für Reanimation und Transplantationsmedizin" vorgelegt worden sei. Diese Kommission sei von der Gesellschaft für Chirurgie und nicht etwa von der Gesellschaft der Anästhesisten und Intensivmediziner eingesetzt worden. In Deutschland wie auch in den USA hätten diese Definitionen zu Kritik bei Ethikern und Philosophen geführt, die stark das Gefühl gehabt hätten, daß diese Definitionen aus dem Interesse, Transplantationen durchführen zu können, festgelegt worden seien. Mit dieser Formulierung deutete der Referent seine Auffassung an, daß dies nicht so gewesen sei. Diese Kritik habe die damalige Arbeit in der Tranplantationsmedizin weder beeinträchtigt noch beschäftigt. Chirurgen und Anästhesisten hätten gleichwertig zusammengearbeitet und ein Team gebildet, in dem sich jeder auf den anderen verlassen können mußte. Gleichwohl hätten primär die Transplanteure, da sie direkt mit den Patienten zu tun hatten, eine Richtschnur haben wollen, was sie tun dürfen und was nicht.

Nach den Jahren in der Herzchirurgie in München war Hossein Solhdju als Anästhesist und Intensivmediziner in einer kleineren Klinik tätig, in der keine Transplantationen durchgeführt worden waren. Gleichwohl blieb er auch in diesem Tätigkeitsfeld, wie er berichtete, sehr interessiert daran, geeignete Spender zu finden und dafür zu sorgen, daß die Empfänger die Organe auch bekämen. Dies habe allerdings zu Komplikationen geführt, weil sich diese Klinik dadurch unter den Nachbarkrankenhäusern den Ruf eingehandelt habe, sich nur für Organspender zu interessieren. Von anderen Krankenhäusern wie auch in den Medien sei der Vorwurf erhoben worden, daß Patienten in diesem Haus schnell für hirntot erklärt werden würden. Dazu erklärte Hossein Solhdju, daß er guten Gewissens sagen könne, daß man immer bemüht gewesen sei, die Patienten um jeden Preis über die Runden zu bekommen; Schilderungen, die von einem regelrechten Ausweiden berichteten, seien eine Beleidigung für alle Beteiligten.

Soweit die Erinnerungen eines an der Transplantationsmedizin der ersten Stunde direkt beteiligten Mediziners, der bis heute hundertprozentiger Befürworter der Organtransplantation geblieben ist. Er vertrat zum Abschluß dieser Veranstaltung denselben Standpunkt, der auch von den Werbestrategen der aktuellen Pro-Organspende-Kampagnen verbreitet wird und sich zusammenfassen läßt mit dem Hinweis auf die vielen wartenden Empfänger, denen geholfen werden könne, wenn nicht zu lange abgewartet werde und darauf, daß die Spender, die es infolge der vielen Unfälle nun einmal gäbe, auf jeden Fall zugrundegingen, ob man ihre Maschinen nun abschalte oder nicht.

Zur aktuellen Diskussion allerdings trugen diese beiden Gesprächspartner nicht das geringste bei; sieht man einmal von dem Bemühen ab, die Transplantationsmedizin und ihre (vermeintlichen) Erfolge in einem denkbar günstigen Licht darzustellen. Da Hossein Solhdju kein Transplanteur war und seine persönlichen Erfahrungen über vier Jahrzehnte zurückliegen, blieb die Frage, warum auf diesem Kongreß kein einziger im aktiven Dienst stehender Transplantationsmediziner Werbung für seine Sache machte, ungestellt und unbeantwortet. Und so entstand der etwas schale Eindruck, daß hier ein Pionier der Medizingeschichte eigens bemüht wurde, eine medizinische Praxis zu vertreten, für die öffentlich einzustehen sich die direkt an ihr beteiligten Ärzte wohlweislich scheuen.


Fußnoten

[1] leben frisst tod? sterben in einer epoche des lebens, von Petra Gehring, aus: das magazin der kulturstiftung des bundes, no. 16, herbst/winter 2010, S. 10

[2] EEG = Elektroenzephalografie, worunter ein heute übliches Verfahren zur Messung elektrischer Gehirnströme verstanden wird.

Hossein und Katrin Solhdju - kritische Fragen bleiben ausgeklammert - Foto: © 2011 by Schattenblick

Transplantationsbefürworter klammern kritische Fragen aus
Foto: © 2011 by Schattenblick

Zu "Die Untoten" bisher erschienen:

BERICHT/003: "Die Untoten" - Pressegespräch zu Kongress & Inszenierung vom 12.-14.5.2011 auf Kampnagel (SB)
BERICHT/004: "Die Untoten" - Im Stahlbad der transhumanistischen Optimierungsdoktrin (SB)
BERICHT/005: "Die Untoten" - Wachkoma, ein Widerspruch in sich (SB)
BERICHT/006: "Die Untoten" - Roboter - reprojektiver Entwurf menschlichen Scheiterns (SB)
BERICHT/007: "Die Untoten" - Wachkoma - ein Film erzählt (SB)
BERICHT/008: "Die Untoten" - Altern eine Krankheit? (SB)
BERICHT/009: "Die Untoten" - Mark Ravenhill ... im Limbus medizinischer Unwägbarkeit (SB)
BERICHT/010: "Die Untoten" - Systemvollendet - Schlachtvieh Mensch (SB)
BERICHT/011: "Die Untoten" - Verrechtlichung der Sterbehilfe Einfallstor für genozidale Lösungen? (SB)
BERICHT/012: "Die Untoten" - Palliativmedizin zwischen Patientenautonomie und Sterbehilfe (SB)
BERICHT/013: "Die Untoten" - Hirntodlüge aus Pflegesicht (SB)
BERICHT/014: "Die Untoten" - Her- und Hinkünfte des deregulierten Todes (SB)
BERICHT/015: "Die Untoten" - Vorgriff auf den eigenen Tod in künstlerischer Inszenierung (SB)
BERICHT/016: "Die Untoten" - Sandy Stone ... aus einem bewegten Leben (SB)
BERICHT/017: "Die Untoten" - Das zweite Gesicht des Schönheitskultes (SB)
BERICHT/018: "Die Untoten" - Kapitalgespenster - Zur Ästhetik fehlender Theorie (SB)
BERICHT/019: "Die Untoten" - Auf der Suche nach dem Sitz des Bösen (SB)
BERICHT/020: "Die Untoten" - Verschleißwelten unvollständiger Autonomie (SB)
BERICHT/021: "Die Untoten" - Menschliches Gemüse - Organspender philosophisch totgesagt (SB)
BERICHT/022: "Die Untoten" - "Nollywood" - Nigerias populärkulturelle Filmproduktion (SB)
BERICHT/023: "Die Untoten" - Prothetik im Dienste der herrschenden Ordnung (SB)
BERICHT/024: "Die Untoten" - Aus den Gräbern ein Spiegelbild menschlicher Obsession (SB)
BERICHT/025: "Die Untoten" - Im Anatomischen Theater auf der Suche nach dem Leben (SB)
BERICHT/026: "Die Untoten" - Die Teilbarkeit der Welt eine kulturgeschichtliche Errungenschaft? (SB)
INTERVIEW/001: "Die Untoten" - Matthias Zerler kämpft für Wachkoma-Patienten (SB)
INTERVIEW/002: "Die Untoten" - Petra Gehring, Philosophin (SB)
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INTERVIEW/004: "Die Untoten" - Roberto Rotondo, Diplom-Psychologe und ehemaliger Krankenpfleger (SB)
INTERVIEW/005: "Die Untoten" - Sander L. Gilman zu Fragen der kosmetischen Chirurgie (SB)
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INTERVIEW/010: "Die Untoten" - Karin Harrasser, wissenschaftliche Leitung des Kongresses (SB)

26. Juni 2011