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BUCHBESPRECHUNG/007: Noa Ben Artzi-Pelossof - Trauer und Hoffnung (SB)


Noa Ben Artzi-Pelossof


Trauer und Hoffnung



Noa Ben Artzi-Pelossof ist die Enkeltocher Jitzhak Rabins, des ehemaligen Ministerpräsidenten Israels. Bei seiner Ermordung am 4. November 1995 war sie 18 Jahre alt.

Noa ist bei den Großeltern aufgewachsen und stand besonders ihrem Saba (hebräisch Großvater) sehr nahe. Um über seinen Tod hinwegzukommen, beginnt sie bereits kurze Zeit nach dem Attentat mit der Aufzeichnung ihrer Erinnerungen. Sie erklärt ausdrücklich, daß ihr Begriffe wie "absolute Objektivität" und "gewichtige historische Wahrheiten" zu gewaltig sind und dementsprechend erhält der Leser/die Leserin einen sehr persönlichen Bericht über einen Politiker, den seine Enkeltochter quasi erst durch die Reflexionen über seinen Tod für sich selbst auch als Staatsmann entdeckt.

Bei der Schilderung persönlicher Erlebnisse, Gefühle und Gedanken versteht sie sich allerdings nicht als reine Biographin. Vielmehr erzählt sie fröhliche, traurige und historisch bedeutsame Ereignisse aus Jitzhak Rabins wie auch aus ihrem eigenen Leben. Damit skizziert sie gleichzeitig einen Zeitraum israelischer Geschichte, bei dem sie - getreu ihrer Perspektive - besonderes Gewicht auf das Leben und die Einstellungen ihrer Generation legt.

Die Beschreibungen des Familienlebens machen nur einen Teil des Buches aus. Da Noa nicht davon ausgeht, daß alle Welt schon etwas von ihr, ihrem Großvater und ihrem Land wissen müßte, beschreibt sie viele grundsätzliche Dinge über ihre Heimat Israel, das alltägliche Leben dort sowie auch über das politische Verhältnis von Israelis und Palästinensern.

Von einigen Sentimentalitäten abgesehen beschreibt die junge Autorin in einem lockeren Ton israelische Geschichte und aktuellen israelischen Alltag. Das Buch ist darum besonders geeignet für alle, die sich angesichts der tagespolitischen Ereignisse auf eingängige und überschaubare Weise ein Bild von den Ansichten und der Lebensweise junger Israelis machen wollen.

Zur Veranschaulichung des Stil und des Grundtenors des Buches hier drei kurze Zitate:

Manchmal wurde die Kluft zwischen den Generationen auch bei uns daheim sichtbar. Die Jugendlichen meines Alters waren in einem anderen Israel aufgewachsen als ihre Eltern und Großeltern. Wir genossen mehr Freiheit und Unabhängigkeit und hatten Rap, modische Kleidung und McDonald's, die das Leben für uns angenehm machten. Schon in jungen Jahren zogen wir in Gruppen herum, kamen oft erst lange nach Mitternacht nach Hause, redeten über alles und vergnügten uns. Wir wollten in Frieden leben. Und was mich betraf: wenn das bedeutete, bestimmte Gebiete zurückzugeben, warum nicht? (S. 88)
(Die Argumentation der Gegner des Friedensprozesses) "folgt buchstabengetreu der Bibel. Sie berufen sich auf die Heiligkeit dieses Landes, das Gott uns gegeben hat. Sie behaupten, eine Rückgabe dieses Landes verletze das Reich von König David und verstoße damit gegen den Willen Gottes. Wenn das Land Israel durch und durch heilig ist, dann hat der Schutz der Grenzen Vorrang vor dem Schutz des Lebens. Doch für mich ist es der Friede im Land Israel, der heilig ist. Ich habe wenig gemeinsam mit den Vertretern der Position "Land um jeden Preis". Die Mehrzahl dieser Menschen hat eine völlig andere Bildung erhalten als ich. Extrem orthodoxe religiöse Schulen bringen ihren Schülern bei, sie müßten sich in allem nach der Bibel richten. Die Bibel bestimmt jeden ihrer Schritte. Ich komme nur selten mit solchen Schülern zusammen, weil wir in zwei getrennten Welten leben. Wir tragen nicht dieselben Kleider und verbringen unsere Freizeit nicht an denselben Örtlichkeiten. Sie pflegen einen traditionellen Lebensstil, streng nach der Bibel, während ich ein modernes, weltliches Leben führe. Ich mag einem Volk angehören, das fast 4000 Jahre alt ist, aber ich bin neunzehn und möchte nicht immer auf die Anfänge verpflichtet werden." (S.93/94)
"Der 13. September 1993 wird immer im Gedächtnis bleiben als der Tag, an dem sich Saba und Yassir Arafat vor den Augen der Welt die Hände schüttelten. Doch fast hätte der feierliche Akt im Weißen Haus in Washington gar nicht stattgefunden. Noch vier Tage vor der Unterzeichnung der Grundsatzerklärung, die die Voraussetzung für die palästinensische Autonomie schaffte, hielt sich Großvater in Jerusalem und Arafat im Hauptquartier der PLO in Tunesien auf. Erst in allerletzter Stunde schickte Arafat Großvater endlich jenes Schreiben, in dem sich die PLO vom Terrorismus lossagt und Israels Recht auf Existenz anerkennt. Als er es las, konnte Saba einen ironischen Kommentar nicht unterdrücken: "Jetzt hat Arafat dieselben Probleme wie ich", sagte er. Und das stimmte. Nach Meinung einiger Palästinenser hatte Arafat kapituliert; und nach Meinung einiger Israelis hatte Rabin ebenfalls kapituliert." (S. 97)


Noa Ben Artzi-Pelossof
Trauer und Hoffnung
Rowohlt - Berlin Verlag GmbH, Berlin 1996
189 Seiten
ISBN 3 87134 278 5