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BIBLIOTHEK/458: SLUB - Eine Bibliothek im Wandel (TU Dresden)


Dresdner UniversitätsJournal Nr. 3 vom 15. Februar 2011

SLUB: Eine Bibliothek im Wandel
TUD-Exzellenz-Partner vorgestellt (6): Die Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB)

Von Martin Morgenstern


Fünfzehn Jahre ist es her, da schrieb ein Dresdner Gymnasiast euphorisch an einer Jahresarbeit über den Goldenen Schnitt. Er wusste viel, doch wollte alles wissen! Also mit einer Vollmacht der Eltern ausgestattet eines schönen Ferientags mit der Straßenbahn in die Albertstadt. Die dortige "Sächsische Landesbibliothek" dräute im Herbstnebel, schien von außen gänzlich menschenleer. Allein, die Tür ließ sich öffnen, freundliche Bibliothekare halfen bei der Anmeldung, der Recherche im Zettelkatalog, schließlich der "Bestellung". Ein paar Tage später warteten die erbetenen Bücher aufgestapelt auf einem separaten Leseplatz - eine Initiation war das, eindrücklicher als die Jugendweihe ...

Der Generaldirektor der heutigen "Sächsischen Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden", Prof. Dr. Thomas Bürger, blickt auf die Mühen der heftig umstrittenen "Verheiratung" der unterschiedlichen Bibliotheksbestände vor elf Jahren mit gemischten Gefühlen zurück, aber: "Heute sind wir nur froh darüber". Die Fusion zu einer der größten wissenschaftlichen Bibliotheken Deutschlands hat sich bewährt: die SLUB ist "Lese- und Diskussions-Bibliothek, Studienort, Flirt-Library, und fast immer voll ..."

Um zu begreifen, welche immensen Umwälzungen das Haus in den letzten Jahren durchgemacht hat, reicht ein Blick auf die Webseite. Anfang 2011 zum wiederholten Mal von Grund auf renoviert, agiert sie nun mit Suchtechnologien, wie sie in großen Bibliotheken wie der British Library oder der ETH-Bibliothek in Zürich im Einsatz sind, als Zehn-Meter-Brett, um in Informationsfluten ungeahnten Ausmaßes einzutauchen. Über neun Millionen Medien kann man jetzt unter einer Suchoberfläche finden, mehr und mehr davon digital im Volltext oder als Faksimile. Mit der Landesbibliothek übernommen wurde die "Deutsche Fotothek"; allein hier sind über eine Million Aufnahmen aus den Sammlungen online und frei zugänglich recherchierbar. Oder die digitale Sammlung der SLUB: Von den "Paulus-Briefen (Codex Boernerianus)" des 9. Jahrhunderts (Handschriftensammlung) bis zu Ernst Hirschs Videodokumentation "Der Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche" (Mediathek) spannt sich ein schier unerschöpflicher Themenkosmos. Wissenschaftler können, ohne ihren Schreibtisch in Dresden, Uppsala oder Honolulu zu verlassen, im "Kartenforum" (bislang 9000 Exemplare), in hochaufgelösten Architekturzeichnungen oder Hunderttausenden von Fotos aus Fotografennachlässen stöbern. Laufende, durch Drittmittel finanzierte Projekte (Umfang 2010: ca. 3 Mio. Euro) beinhalten Forschung zur Instrumentalmusik der Dresdner Hofkapelle ebenso wie ein Verzeichnis sämtlicher im deutschen Sprachraum erschienenen Drucke des 17. und 18. Jahrhunderts.

Die Bibliothek wird sich weiterhin stark verändern, sagt der Generaldirektor: "Einerseits verflüchtigt sie sich, wird virtueller", sie bringt als Dienstleister für die Universität und den Freistaat Informationen und Dokumente an den Arbeitsplatz des Wissenschaftlers. Andererseits ist sie für viele wie eine zweite Heimat: in der SLUB-Lounge hört man denn auch Gruppen in den verschiedensten Sprachen diskutieren. Die einen identifizieren sich mit dem Ort, die anderen nutzen die Bibliothek, ohne sie jemals zu betreten. Die Bibliothek der Zukunft lässt sich nicht in Regalmetern begreifen.


DAS GEDÄCHTNIS VON DRESDEN-CONCEPT

In der Technischen Universität mag das Herz des DRESDEN-concepts schlagen; die Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden ist das Gehirn und Gedächtnis des Wissenschaftsverbunds. Ganz praktisch passiert hier "kulturelle Transformation", und nicht ohne Reibungsverluste. Die Mitarbeiter des Hauses sind - nach einem Abbau von 130 Stellen auf nunmehr 270 Stellen in den letzten acht Jahren - nun durchschnittlich 50 Jahre, der durchschnittliche Besucher jedoch nicht einmal halb so alt. Das Gerät, das er für die Informationsbeschaffung am meisten nutzt, ist - ein Smartphone. Thomas Bürger begreift das als Herausforderung. "Die Bibliothek ist nach wie vor ein Reservoir für Skripte, Bücher, Kostbarkeiten - aber immer mehr auch eine Lizenzagentur und ein Netzwerk für Information und Wissen. Das DRESDEN-concept, die Universität, aber auch die Einwohner der Landeshauptstadt profitieren davon."

Trotz Etatkürzungen bleibt die Bibliothek leistungsfähig: Gewünschte und notwendige Bücher können in den allermeisten Fällen erworben werden. Zu den 27.000 elektronischen Zeitschriften sind in letzter Zeit die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten Nationallizenzen dazugekommen. Durch sie erlangen die Nutzer der SLUB digital Zugriff auf wissenschaftliche Literatur und Quellenwerke, die sie für ihre Arbeit brauchen, auch wenn sie nicht direkt in Dresden verfügbar sind. Zum Stichwort Exzellenz ergänzt der Direktor: "Die SLUB unterstützt Lehre und Forschung in Dresden mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln. Und selbstverständlich sollte keine Universität einen Exzellenzantrag einreichen, wenn die Türen ihrer Bibliothek nicht bis 24 Uhr geöffnet sind." Die SLUB hilft Wissenschaftlern, die Sichtbarkeit für ihr Forschungsprojekt zu erhöhen, sie ermöglicht auf vielen Feldern hohe Interdisziplinarität. "Im gewissen Sinne führen wir institutionsübergreifend virtuell zusammen, was in der Dresdner Forschungslandschaft zusammengehört."

Insofern ist der sperrige Langtitel der SLUB vielleicht das Einzige, was momentan noch an frühere Bibliothekszeiten erinnert, als mit der Maschine getippte oder handgeschriebene Karteikärtchen über den Bestand Auskunft gaben. Mit den Nutzergewohnheiten heutiger Gymnasiasten hat sich auch die SLUB verändert: vom Kulturgedächtnis mit beschränktem Zugang zur rasend schnellen, allverfügbaren, minütlich aktualisierten Wissensagentur. Die übrigens, neben Wickeltisch und Eltern-Kind-Arbeitsräumen, neben separaten Arbeitskabinen und "Co-working Spaces" auch ein nettes kleines Café hat, in dem man sich vom Intellektgebraus (oder -gebrowse) bei einem Stück Dresdner Eierschecke erholen kann.


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Quelle:
Dresdner UniversitätsJournal, 22. Jg., Nr. 3 vom 15.02.2011, S. 4
Herausgeber: Der Rektor der Technischen Universität Dresden
Nöthnitzer Str. 43, 01187 Dresden
Telefon: 0351/463-328 82
Telefax: 0351/463-371 65
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Internet: www.tu-dresden.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Februar 2011