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BUCHBESPRECHUNG/049: Wie die Geheimdienste der DDR und der UdSSR zusammenarbeiteten (Gerhard Feldbauer)


Die Auslandsspionage der DDR half einen Atomkrieg verhindern

Ihre nicht unproblematische Zusammenarbeit mit dem Geheimdienst KGB schildert ein Insider: Oberst a. D. Bernd Fischer

von Gerhard Feldbauer, 28. Oktober 2013



Die Hauptabteilung Aufklärung (HVA), der Auslandsspionagedienst der Deutschen Demokratischen Republik, wird in dem 2010 in New York und London erschienenen E-Book von dem Geheimdienstexperten und Professor am Zentrum für Studien des Kalten Krieges an der Dänischen Universität Odensee, Thomas Wegener Friis, als "einer der erfolgreichsten, wenn nicht der erfolgreichste Spionagedienst des kalten Krieges" genannt. Der Däne weist damit die gerne vor allem in der Bundesrepublik Deutschland kolportierte These, die Ostdeutschen seien "lediglich eine Art Geheimwaffe ihrer KGB-Herren" gewesen zurück. Auch der langjährige Chefhistoriker der CIA Benjamin Fischer schätzte ein, die HVA habe "von der Errichtung bis zum Fall der Berliner Mauer" seinem Dienst "die größte Niederlage in der Spionagegeschichte bereitet", indem es ihr gelang, sämtliche CIA-Quellen in der DDR in Doppelagenturen zu verwandeln.


HVA lieferte 80 Prozent der Informationen über die BRD

Gelang es der vor allem auf Gebieten der Wirtschaft, aber auch in der Politik von der UdSSR abhängigen und noch nicht einmal zehn Prozent ihrer Bevölkerung zählenden DDR tatsächlich, wie auf dem Terrain des Sports, den "großen Bruder" auch in der Auslandspionage zu überbieten? Zu dem brisanten und umstrittenen Thema legte kürzlich ein Insider aus der DDR, Bernd Fischer, zuletzt Oberst der HVA, eine informative und faktenreich belegte Arbeit vor. Er konnte dazu auch bisher unbekannte Materialien des sowjetisch-russischen Geheimdienstarchivs einsehen. Vor allem das ermöglichte ihm wohl, manche bisher nicht bekannte Ergebnisse und ihre Wertung darzulegen. Zunächst einmal bestätigt hier nun ein wirklicher Insider, der für die Verbindung zur HVA zuständige KGB-Offizier Iwan Kusmin, die herausragende Rolle der DDR als "Hauptverbündeter der UdSSR und der hauptsächliche strategische Brückenkopf der Warschauer Vertragsorganisation" in der Auslandsaufklärung. Danach stammten etwa 80 Prozent der Informationen, die die UdSSR über die Bundesrepublik Deutschland erhielt, von Mitarbeitern und Quellen der HVA. Armeegeneral Krjutschkow, letzter Chef des KGB, hebt in seinen Memoiren "In eigener Sache", aus denen Fischer zitiert, den "gewaltigen Beitrag" der HVA zur Stärkung der UdSSR, zur Entwicklung ihrer Wirtschaft, Wissenschaft und ihres Verteidigungspotenzials hervor.


Erfolgreich die CoCom-Liste unterlaufen

Einmalige Professionalität entwickelte die HVA bei der Beschaffung wichtiger Materialien aus wirtschaftlichen und wissenschaftlich-technischen Bereichen, was nicht nur der DDR half, sondern von großem Nutzen auch für die UdSSR war. Darunter fielen aus dem Westen besorgte Spitzentechnologien, die auf der sogenannten CoCom-Liste (Ausfuhrverbotsliste) standen. Krjutschkow schreibt, "Ganze Zweige der Industrie und der Wissenschaft wurden in hohem Maße auf Grund der Anstrengungen unserer deutschen Freunde im Bereich der Aufklärung weiterentwickelt." Er nennt "unentgeltlich gelieferte Ergebnisse der Grundlagenforschung, neueste Technologien und Muster technischer Neuentwicklungen." Im Laufe der Jahrzehnte seien das "Werte in Höhe von Dutzenden Milliarden Dollar" gewesen, sofern "man das überhaupt in Geld ausdrücken kann."


Frühzeitig atomare Gelüste der Bundeswehr im Blick

Wenn dieser Bereich auch einen wichtigen Abschnitt darstellte, machte er keinesfalls den Hauptteil der Arbeit der HVA aus. Sie hatte frühzeitig die unter Bundeskanzler Adenauer und seinem Kriegsminister Strauß in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre betriebene Aufstellung der Bundeswehr für einen neuen Ostlandritt und die schon zu dieser Zeit geforderte atomare Bewaffnung im Blick. Durch ihren Kundschafter in der Politischen Abteilung des Brüsseler Nato-Hauptquartiers Rainer Rupp (Deckname "Topas") verfolgte die HVA die brisante Zuspitzung in der Konfrontation von Nato und Warschauer Pakt, die im März 1983 durch das von US-Präsident Reagan verkündeten SDI-Programm zur Stationierung atomarer Raketen im Weltraum gipfelte. "Die HVA lieferte den Sowjets umfangreiche und detaillierte Informationen über die Stationierung von Pershing II und Cruise Missiles im Rahmen des sogenannten Nato-Doppelbeschlusses auf dem Boden der BRD", schreibt Fischer.


Einen atomaren Schlagabtausch verhindert

In Moskau habe man mit einem unmittelbar bevorstehenden nuklearen Erstschlag der Nato gerechnet, die Luftstreitkräfte in der DDR und Polen in Alarmbereitschaft versetzt und ein eigenes Konzept (Plan RJAN), entwickelt, um dem gegebenenfalls zu begegnen. Es war die HVA, die über ihren Spitzenmann Rupp in Brüssel die Washingtoner Pläne aufklärte. Rupp brachte zweifelsfrei in Erfahrung, dass ein US-Raketenangriff nicht zu erwarten war und übermittelte dazu zahlreiche Geheimdokumente der Nato. Das war einer, vielleicht der wichtigste Erfolg, mit dem die HVA dazu beitrug, einen atomaren Schlagabtausch zu verhindern. Im Prozess wegen "Geheimnisverrats" wurde Rainer Rupp das mitnichten angerechnet. Er wurde von einem Gericht der BRD zu 12 Jahren Gefängnis verurteilt. Wie er standen Bundesdeutsche für ihr Engagement in der HVA, von einer rachsüchtigen Justiz verurteilt, mit langjährigen Haftstrafen für ihre Überzeugung ein. Kenner der Branche meinen aber auch, dass es einer Anzahl Leuten der HVA gelang, unentdeckt zu bleiben und das bis heute. Ob einige von ihnen vom neuen Auslandsgeheimdienst Russlands oder anderer Nachfolgestaaten der UdSSR übernommen wurden, bleibt unbekannt.


Bericht von 30 Spitzenquellen der HVA im Westen

Nicht zuletzt belegte der Einsatz bundesdeutscher Staatsbürger die Ausstrahlungskraft, die der sozialistische deutsche Staat vor allem durch sein Wirken für Frieden und Entspannung auf Menschen hatte, die sich diesen Idealen, oft auf anderen politischen Positionen, verpflichtet fühlten. Ein Aspekt übrigens, dem Fischer hätte etwas mehr Aufmerksamkeit widmen können. Ausführlich informierte darüber aber bereits ein 2003 erschienenes Buch "Kundschafter im Westen" (edition ost Berlin), in dem 30 ehemalige Spitzenquellen der HVA über die Motive ihres friedenssichernden Einsatzes berichteten.


Spannungen im Verhältnis zum "großen Bruder"

Fischer geht auf Spannungen im Verhältnis der Großmacht UdSSR mit ihren Verbündeten, so auch der DDR ein. So war die DDR-Führung über die Stationierung von Atomwaffen in der DDR zumeist nicht informiert worden. Grundsätzlich, so hebt der Autor hervor, erfolgte die geheimdienstliche Zusammenarbeit vielschichtig, aber keineswegs distanziert und im Duett. Die sowjetischen Partner seien "wirkliche Verbündete" gewesen und hätten die DDR-Vertreter zum einen "als Klassenbrüder im Sinne der Arbeiterbewegung und ihres Internationalismus" gesehen, um dann einzuschränken "zum anderen aus der Sicht von Repräsentanten der Großmacht UdSSR." Wenn er zurückschaue, habe jedoch eine ausgeprägte, aufrichtige solidarische Verbundenheit die Zusammenarbeit dominiert.


Gorbatschow verkaufte die DDR

Das änderte sich, als die Clique unter Gorbatschow sich der Führung der KPdSU und der UdSSR bemächtigte und die DDR an die BRD verkaufte. Perfekt gemacht wurde dieser Verrat in dem berühmt-berüchtigten Treffen im Juli 1990 im Kaukasus, das "die Preisgabe der DDR durch Gorbatschow besiegelte." Fischer schreibt, dass dabei "Kanzler Kohl die sowjetischen Partner aufforderte, die Namen oder Kategorien von Personen aus der Führung der DDR zu benennen, gegen die nach der Wiedervereinigung keine gerichtliche Verfolgung erfolgen sollte. Michail Gorbatschow antwortete darauf, dass die Deutschen selbst mit einem solchen Problem fertig würden." Der Chef des Kreml überließ so skrupellos die einstigen Verbündeten ihrem Schicksal. Es ist belegt, dass selbst Kohl über die Haltung der sowjetischen Seite erstaunt war.

Über Etappen kam es zur Auflösung der HVA und die einstigen Kampfgefährten wurden im Stich gelassen. Als der Autor dieses aufschlussreichen Berichts "Der große Bruder" sich mit seinem langjährigen Partner, Generalleutnant Kirpitschenko, 2004 traf, bekannte dieser: "Ihr habt alles Recht zu fragen, warum wir Euch so im Stich lassen konnten. Aber irgendwie haben wir uns selbst im Stich gelassen." Das Eingeständnis des Versagens auf beiden Seiten, ist ein schwacher Trost, angesichts der katastrophalen Folgen, die die kapitalistische Restauration im Land des "großen Bruders" und seines so erfolgreichen Verbündeten für die Menschen brachte.


Als Präsident Putin in der DDR KGB-Chef war

Vielleicht hätte Fischer erwähnen sollen, dass der heutige russische Präsident Putin zum Ende der DDR Chef der KGB-Residentur in Dresden war und die Kontrolle ausübte, über alles, was dort geschah. Von ihm ist nie bekannt geworden, dass er in den zahlreichen Gesprächen mit der derzeitigen Kanzlerin Merkel (die "überzeugte" Mitläuferin hat nebenbei bemerkt zu DDR-Zeiten in Moskau ein Hochschulpraktikum absolviert) die Verfolgung von DDR-Bürgern angesprochen hätte.

Der Autor lüftet auch Ereignisse, die bisher im Dunklen lagen. So war der Übertritt des Präsidenten des Verfassungsschutzes der BRD, Otto John, in die DDR im Juli 1954 vom KGB durch dessen Entführung von Westberlin aus erfolgt, von der die HVA nichts wusste. Der KGB konnte jedoch John dafür gewinnen, als Überläufer aufzutreten, da dieser "seine Laufbahn in der Bundesrepublik ohnehin irreparabel beschädigt" sah. Die Aktion erfuhr, so Fischer, "eine große internationale Resonanz und trug zum Fehlschlagen der Pläne der USA zum Beitritt der BRD zur Europäischen Verteidigungsunion (EVU) bei."

Der interessierte Leser erhält auch einen ausführlichen sehr interessanten Überblick über das weltweite Auslandsnetz der HVA. Unterbelichtet bleiben an manchen das Ende der DDR betreffenden Abschnitten Rolle und Verantwortung hochrangiger politischer Repräsentanten (wie Modrow) oder des langjährigen Chefs der HVA Markus Wolf.


Der Große Bruder. Wie die Geheimdienste der DDR und der UdSSR zusammenarbeiteten. 224 S., brosch. Mit Fotos. 14.95 Euro (D), 15.40 (A). edition ost Berlin, ISBN 978-3-360-01839-7.

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Quelle:
© 2013 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Oktober 2013