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BUCHBESPRECHUNG/175: Der Rechtsruck. Skizzen zu einer Theorie des politischen Kulturwandels (Sachbuch) (Klaus Ludwig Helf)


Markus Metz, Georg Seeßlen

Der Rechtsruck. Skizzen zu einer Theorie des politischen Kulturwandels

Klaus Ludwig Helf, Oktober 2019


Was noch vor nicht langer Zeit unvorstellbar war, ist mittlerweile eingetreten. Die Gesellschaften in Europa befinden sich politisch und kulturell in einem dramatisch ansteigenden Sog nach rechts. Die AfD ist mittlerweile nicht nur im Bundestag, sondern auch in allen deutschen Landtagen vertreten. Mit 27,5 % erreichte sie ihr bislang bestes Ergebnis bei der Landtagswahl in Sachsen am 27. September 2019. Einen Monat später wurde die AfD mit 23,4 % zweitstärkste Partei und lag bei den Jungwählern bis 30 Jahren mit 24 % Stimmenanteil an der Spitze. Woher kommt dieser Trend? Welche Ursachen hat er? Was kann man dagegen tun?

Mit diesen Fragen beschäftigt sich der neue Band von Markus Metz und Georg Seeßlen vor allem unter dem Aspekt des politischen Kulturwandels. Dabei gehe es ihnen nicht um eine abgeschlossene Theorie, sondern vielmehr um soziologische und kulturelle Skizzen jenseits von Verschwörungs-Hypothesen:

"Wir werden versuchen, die unterschiedlichen Aspekte dieses Rechtsrucks, vom kaum merklichen Wandel in Sprache und Geschmack über die Vernetzung von Rechtspopulismus, Neokonservatismus und hartem neofaschistischem Kern bis zum Terrorismus von rechts miteinander in Beziehung zu setzen." (S. 12) 

Nach einem Vorwort und einer Einleitung folgen elf Kapitel u.a. zu den Themen: Wiederkehr des Neokonservatismus und der Rechtsintellektuellen, Wanderungen von Intellektuellen ins rechte Lager, "Popgida" und der Kulturkampf in der Popkultur, Begriffspiraterie oder Gramscismus von rechts, Sprache der Verblödung und semantische Strategien, "Wie werde ich Rechtspopulist?", New Age und alte Geister und Krise und Wiedergeburt der intellektuellen Kritik. Zu jedem Kapitel gibt es knappe Quellenhinweise. Die umfassende Krise in Deutschland sei die "Umwandlung von einem sozialstaatlich gebremsten, demokratisch-liberalen, aufklärerisch gezügelten Wohlfühlkapitalismus zu einem unbarmherzigen, Ungleichheit forcierenden, anarchisch-deregulierten 'neoliberalen' Kapitalismus." (S. 10).

Rechtspopulismus und die "Neue Rechte" könnten nicht erklärt werden, - so die Autoren - ohne diese drastischen gesellschaftlichen Veränderungen zu beachten, die der Neoliberalismus mit sich gebracht habe: "Dabei geht es immer zugleich um ökonomische Interessen ('Abstiegsängste'), um kognitive Vereinfachungen (eine 'Erzählung' der Welt, die schlicht und eindeutig ist) und um die psychologisch-moralische Legitimierung eines Verhaltens, das im modernistisch-demokratischen Kontext verwerflich wäre." (S. 11)

Die Autoren analysieren in ihren scharfsinnigen Skizzen, wie Neoliberalismus und Rechtspopulismus eine unheilvolle Allianz eingegangen seien, die ihre Energie nicht zuletzt aus anti-intellektuellen Affekten bezogen habe. Der Neuen Rechten ginge es weniger um einen Kampf gegen eine Linke, die ohnehin marginalisiert sei:

"Es geht in Wahrheit um die Auflösung des Konzepts der 'sozialen Marktwirtschaft', die Schwächung oder Abschaffung der parlamentarischen Demokratie und die Entmachtung der liberalen Zivilgesellschaft-" (S.220) 

Die extreme Rechte in Europa und seit einiger Zeit auch in Deutschland habe im Anschluss an Gramscis Konzept der Eroberung der kulturellen Hegemonie längst einen Kulturkampf ausgerufen, dessen Tiefe und Ausmaß menschenrechts- und demokratiegefährdende Dimensionen angenommen habe. Erschreckend sei z.B. die Gleichgültigkeit, die Lähmung und der Opportunismus in der Mitte der Gesellschaft gegenüber antidemokratischen, menschenverachtenden, rassistischen, rechtsgestrickten Ausformungen und Erscheinungen in Sprache, Kultur und Kommunikation, insbesondere auch in den 'Leitmedien', die ihre Funktion als Schutzschild von Demokratie und Liberalität nur unzureichend erfüllten:

"Immer wieder öffnen sie den Rechtspopulisten oder den Vertretern der neuen Rechten bereitwillig ihre Zeitungsspalten, ihre Studios, ihre Netze. Das Kokettieren mit dem rechten Rand gehört zu den Verkaufsstrategien bürgerlicher Medien und ihrer Autorinnen und Autoren. Nicht minder gefährlich ist aber die Taktik von Abwiegeln und Beschwichtigen, von Blindheit und Gleichgültigkeit." (S. 14) 

Mit der Neoliberalisierung der SPD hätten auch die linksliberalen Intellektuellen ihre Funktion verloren und gingen einen ähnlichen Weg,"...entweder direkt nach rechts oder erst einmal in die Arme der neoliberalen Text- und Traummaschinen" (S. 19).

Markus Metz und Georg Seeßlen haben eine Fülle von Materialien zusammengetragen, mit dem sie kenntnisreich und mit scharfem Blick die Strategien, Facetten und Gesichter der Neuen Rechten in den unterschiedlichsten Fragmenten des politischen und kulturellen Alltags vorstellen. Die analytischen Skizzen zeigen, dass die Entwicklung nach rechts viele Ursachen, Bedingungen und Protagonisten hat, aber kein unaufhaltsames Schicksal ist, dem man sich ergeben muss. Was also tun? Die beiden Autoren geben keine konkreten Antworten, sind aber zuversichtlich, dass die demokratischen, kritischen und aktiven Kräfte der Zivilgesellschaft in der Lage seien, aus dem Teufelskreis auszuscheren und die kulturelle Hegemonie gegen rechts zu erobern.

Markus Metz und Georg Seeßlen
Der Rechtsruck.
Skizzen zu einer Theorie des politischen Kulturwandels.
Bertz + Fischer, Berlin 2018
240 Seiten
12 Euro

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Quelle:
© 2019 by Klaus Ludwig Helf
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Oktober 2019

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