Schattenblick → INFOPOOL → BUCH → MEINUNGEN


BUCHBESPRECHUNG/207: Johannes Hillje - Propaganda 4.0. Wie rechte Populisten unsere Demokratie angreifen (Klaus Ludwig Helf)


Johannes Hillje

Propaganda 4.0. Wie rechte Populisten unsere Demokratie angreifen.

von Klaus Ludwig Helf, Oktober 2021


Die empirischen Befunde der Leipziger Studiengruppe um Elmar Brähler und Oliver Decker zeigen, dass autoritäre und extremistische Einstellungen nach wie vor eine "beständige Bedrohung" für die demokratische Gesellschaft in Deutschland bleiben. Zwar habe sich die Verbreitung rechtsextremer Ideen insgesamt reduziert, aber ethnozentrische Einstellungen, Chauvinismus und Ausländerfeindlichkeit seien innerhalb der Bevölkerung nach wie vor auf einem hohen Niveau zu finden. Die Polarisierung der Gesellschaft scheine sich insgesamt verfestigt zu haben. Wie ist es dazu gekommen? Damit beschäftigt sich der vorliegende Band, der als vollständig überarbeitete und aktualisierte Neuausgabe erscheint.

Der Autor Johannes Hillje geht der Frage nach, mit welchen Mitteln es Rechts-Populisten gelingt, aus den aktuellen gesellschaftlichen Verhältnissen politisches Kapital zu schlagen. Seine zentrale These lautet: Die AfD habe bereits lange vor ihrem Einzug in den Bundestag im Jahre 2017 die öffentlichen Debatten dominiert und die Themenagenda mitbestimmt, weil ihre Art der Beschreibung und Deutung von Problemen von den Medien und auch von den anderen Parteien aufgegriffen worden sei. Erfolgreiche rechtspopulistische Bewegungen hätten überall in Europa eine signifikante Gemeinsamkeit, so Johannes Hillje über das Ergebnis seiner langjährigen Recherchen. Sie seien die "Spitzenverdiener der Aufmerksamkeitsökonomie": "Das heißt, ihnen gelingt es am erfolgreichsten, mitunter völlig überproportional zu ihrer politisch-institutionellen Bedeutung, das knappe Gut der Aufmerksamkeit in der medial und digital vermittelten Öffentlichkeit an sich zu reißen. Sie kommunizieren und inszenieren auf eine Weise, die perfekt mit den journalistischen wie auch algorithmischen Auswahl- und Darstellungslogiken unserer heutigen Öffentlichkeit korrespondiert" (S. 14).

Wer den radikalisierten Rechtspopulismus bekämpfen wolle, müsse sich mit den Ursachen ihres Aufstiegs und mit den Instrumenten und Mitteln ihres Erfolges auseinandersetzen. In der sozialwissenschaftlichen Debatte seien in diesem Kontext die ökonomischen, sozialen und kulturellen Folgen der aktuellen Modernisierungs- und Transformationsprozesse in den westlichen Gesellschaften vor allem von Michael Sandel, Didier Eribon und Oliver Nachtwey untersucht worden. Diese fundierten Analysen über die Ursachen für das Aufkommen und massive Erstarken rechtspopulistischer Bewegungen müssten ergänzt werden durch eine Analyse der Mittel und Instrumente des erfolgreichen Aufstiegs. Diese lägen vor allem in einer ausgefeilten Kommunikationsstrategie. Hier liegt der Fokus des vorliegenden Bandes, da die Rechtspopulisten Politik vor allem durch Propaganda betreiben. Da sie sich selbst in einem "Informationskrieg" befänden, mobilisierten sie eine Gegenöffentlichkeit mit großem politischen Einfluss. Das Machtprinzip der Rechtspopulisten laute: 'Power through propaganda'.

Johannes Hillje ist seit seinem Studium an der London School of Economics und an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz Politik- und Kommunikationsberater in Berlin und Brüssel, berät Institutionen, Parteien, Politiker, Unternehmen und NGOs, war Wahlkampfmanager der Europäischen Grünen Partei bei der Europawahl 2014. 2017 veröffentlichte er das Buch "Propaganda 4.0".

Nach Vorwort und Intro gliedert sich der Band in drei analytische Teile. Es folgen der Anmerkungsapparat und die Informationen über den Autor. Der erste Teil mit dem Titel "Das Rennen nach rechts" analysiert die diskursive Einflussnahme der AfD und ihres Umfeldes auf Politik und Öffentlichkeit. Hier werden die sprachlichen Techniken wie das 'Framing', die Verwendung von Jargon, die Umdeutung von Begriffen, das gezielte Streuen von 'Fake News' anhand vieler Beispiele untersucht. Der AfD sei es dadurch bereits vor ihrem Einzug in den Bundestag gelungen, ein "medial-diskursives Gewicht" in konkreten Sachfragen zu gewinnen und die mediale Öffentlichkeit stark zu beeinflussen.

Politik so die These von Hillje, machten die Rechtspopulisten vor allem mithilfe der Sprache im öffentlichen Diskurs und nicht mit Parlamentsarbeit. Sie konstruierten durch ihre extreme Sprache eine andere Version der Wirklichkeit: "Kriegsflüchtlinge werden zu 'Invasoren', die Diskriminierung von Minderheiten zur 'Meinungsfreiheit', die Willkommenskultur zur 'Volksverhetzung' und die kritische Berichterstattung zur 'Zensur'. Die Kategorien 'normal' und 'problematisch' werden mit völlig neuen Inhalten gefüllt. Rechtspopulisten verändern die Realität viel mehr durch Sprache als durch Gesetze - doch ihre Umdeutungen schlagen sich dennoch in politischen Entscheidungen nieder" (S. 16). Die Sitze in den Landesparlamenten und im Bundestag würden von der AfD unter Ausnutzung der parlamentarischen Ressourcen weniger zur konstruktiven Kontrolle der Regierung und zur Mitarbeit an Gesetzesvorhaben genutzt, sondern vielmehr als "Bühne für Protest und Provokation", die über die Medien-Kanäle gestreut werden: Inszenierung statt Inhalte. Sprache sei das "schärfste Schwert des Populismus".

Mit verbalen Grenzüberschreitungen und ständig wiederholten Tabubrüchen werde die geltende Diskursordnung mit der Übereinkunft des gegenseitigen Respekts und Anstandes erheblich gestört. Rechtsradikale, menschenverachtende Begriffe hätten dadurch in der Öffentlichkeit 'Karriere' gemacht und seien zum Teil in das alltägliche Sprechen und Denken eingesickert: Massenmigration, Fickilanten, Umvolkung, Biodeutsche, Asylflut, Gutmenschen, Systemparteien, Schweinepresse und ähnliche: "Mit der Veränderung des Sagbaren verändert sich nicht allein der Sprachgebrauch von Menschen, sondern das, was sie als 'Wirklichkeit' und 'Normalität' empfinden... Für die AfD sind diese Wahrheitsspiele die wichtigste Disziplin, um gesellschaftlichen Einfluss zu erlangen" (S. 38/39).

Das zweite Kapitel beschreibt die neuartige Medienstrategie der Rechtspopulisten: "Diese Propaganda 4.0 ist einerseits durch ein doppeldeutiges, aber nicht widersprüchliches Verhältnis zu journalistischen Medien gekennzeichnet und andererseits durch den intensiv betriebenen Aufbau eigener Kommunikationskanäle und damit einer alternativen Öffentlichkeit, einem alternativen Wahrheitssystem im digitalen Raum" (S. 17).

Im dritten Kapitel entfaltet der Autor eine Reihe von Denkanstößen zur Beschränkung des rechtspopulistischen Einflusses in unserer Gesellschaft. Dabei plädiert er für ein Verständnis von Rechtspopulismus als Ideologie, nicht als Stilmittel: "Eine demokratisch gewählte Partei wie die AfD kann man nicht ausgrenzen, man muss sich von ihr abgrenzen... statt Begriffe von Rechtspopulisten zu übernehmen, sollten demokratische Akteure sich viel stärker darauf konzentrieren, eine eigene positive Sprache für ihre Agenda zu entwickeln und verlorengegangene Deutungsfelder zurückgewinnen (Framing und Reframing)" (S. 17/18).

Johannes Hillje hat vier zentrale Elemente der "Propaganda 4.0-Strategie" rausgefiltert: Delegitimierung der klassischen Medien / Schaffung von Alternativmedien / Bildung eines "digitalen Volks" / Instrumentalisierung des Journalismus. Die Delegitimierung der klassischen Medien finde man in jedem "Lügenpresse-" oder "Systempresse-"Ausspruch, Alternative Medien habe die AfD mit eigenen Video- oder Nachrichtenportalen geschaffen, unterstützt von politisch nahestehenden Medien wie 'Compact'. Das 'digitale Volk' verberge sich in der großen Zahl an Accounts, die der AfD in den 'sozialen Medien' folgten. Auch die klassischen journalistischen Medien wie ARD, ZDF oder die großen Tages- und Wochenzeitungen - üblicherweise als "Lügenpresse" beschimpft - würden genutzt für kalkulierte Provokation oder Skandale wie Auszug aus der Talkshow (Alice Weidel) oder Aussagen über den "Schießbefehl", "das Denkmal der Schande" oder den "Vogelschiss". Es ginge immer darum, in den Medien vorzukommen: "Mit der Propaganda 4.0 nutzen demokratiefeindliche Kräfte die digitalen Kanäle genau wie traditionelle Medien, um die Demokratie von innen mindestens zu beschädigen, wenn nicht sogar zu illiberalen Systemen umzubauen. Oft heimlich und leise, manchmal aber auch laut und aggressiv" (S.182).

Johannes Hillje hat eine brillante Analyse der ausgefeilten und wirkmächtigen Kommunikationsstrategien der AfD und ihrer europäischen Partner vorgelegt. Mit vielen Beispielen illustriert er, wie "Propaganda 4.0" in traditionellen und digitalen Öffentlichkeitsstrukturen funktioniert und bei bestimmten Themen Einfluss auf den öffentlichen Diskurs nimmt. Hillje sensibilisiert für diese Instrumente der Rechtspopulisten und entwickelt wirksame Gegenstrategien, um Abwehrkräfte gegen diese Feinde der Demokratie und des Pluralismus zu stärken. Ein wichtiges Buch für alle wachsamen und aufrechten Demokraten.


Johannes Hillje: Propaganda 4.0. Wie rechte Populisten unsere Demokratie angreifen. Verlag J.H.W. Dietz Nachf. Bonn 2021 (vollständig überarbeitete Neuausgabe), 192 Seiten, Broschur, 18,00 Euro.

*

Quelle:
© 2021 by Klaus Ludwig Helf
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 26. Oktober 2021

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang