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BUCHBESPRECHUNG/222: Armin Pfahl-Traughber - Intellektuelle Rechtsextremisten (Klaus Ludwig Helf)


Armin Pfahl-Traughber

Intellektuelle Rechtsextremisten. Das Gefahrenpotenzial der Neuen Rechten

von Klaus Ludwig Helf, Oktober 2022


Der Begriff "Neue Rechte" wird in Diskussionen häufig unbestimmt und pauschal für unterschiedliche Akteure, Organisationen und Denksysteme am rechten Rand verwendet, vom organsierten Rechtsextremismus über die Reichsbürger, 'Querdenker', Thilo Sarrazin bis hin zur AfD. In der politikwissenschaftlichen Debatte hat sich inzwischen durchgesetzt, dass damit in erster Linie intellektuelle Vordenker der extremen Rechten bezeichnet werden, die sich an der 'Konservativen Revolution' der Weimarer Republik orientieren und mit autoritär-nationalistischen Vorstellungen als ideologische Wegbereiter eines gesellschaftlichen Rechtsrucks agieren.

Armin Pfahl-Traughber analysiert in der vorliegenden demokratietheoretisch motivierten Monografie kritisch eine Gruppe rechtsextremistischer Intellektueller, die eine "Kulturrevolution von rechts" vorantreiben wollen in "deutlicher Frontstellung" zu den Basiswerten einer Demokratie. Dabei werden deren historische Vorläufer und geistigen Vorbilder untersucht, ebenso ihre ideologischen Grundpositionen, einschlägigen Publikationsorgane, Netzwerke und Strategien. Eine demokratie- und extremismustheoretische Einschätzung soll das Gefahrenpotenzial für unsere Gesellschaft bilanzieren.

Armin Pfahl-Traughber ist Politikwissenschaftler und Soziologe, seit 2004 Professor an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Brühl, Dozent an der Akademie für Verfassungsschutz, ehemals Referatsleiter in der Abteilung Rechtsextremismus im Bundesamt für Verfassungsschutz. Seine Forschungsschwerpunkte sind u.a. Politische Ideengeschichte, politischer Extremismus, Terrorismus und Antisemitismus.

Nach der Einleitung mit Darlegung der Erkenntnisinteressen des Autors folgen in dem Band acht Kapitel, Schlusswort, Zusammenfassung, Nachwort, Literaturverzeichnis, Anmerkungen und Hinweise auf den Autor. Die Ausführungen basieren auf der Grundlage langjähriger Beschäftigung des Verfassers mit dem Thema und auf seinen zahlreichen Publikationen. Ihm gehe es nicht um eine moralische oder politische Diskreditierung demokratisch-konservativer Gesellschafts- oder Staatskritik, die elementarer Bestandteil eines demokratischen Pluralismus sei, sondern dezidiert darum, rechtsextremistische Positionen aus der Blickrichtung der politikwissenschaftlichen Extremismusforschung zu analysieren: "Die Neue Rechte in Deutschland, die hier im Zentrum steht, ist dem antidemokratischen Konservatismus bzw. konservativen Rechtsextremismus zuzuordnen" (S. 23). Ideologisch gesehen seien diese Anhänger der "Konservativen Revolution", wie sie in der Weimarer Republik propagiert wurde. Sie stünden in der Tradition von Carl Schmitt, Arthur Moeller van den Bruck, Oswald Spengler, Ernst Jünger, Werner Best und Edgar Julius Jung. Diese hätten mit einen wesentlichen Baustein für die Entwicklung zur Diktatur beigetragen, da es den Denkern der 'Konservativen Revolution' vor allem darum gegangen sei, die "Normen und Regeln des damaligen demokratischen Verfassungsstaates zu zerstören... Diese Einsicht erlaubt auch für die Gegenwart politische Rückschlüsse. Denn eine Berufung auf die Konservative Revolution kann nicht damit einhergehen, eine moderne Demokratie als politisches Ordnungsmodell zu akzeptieren. Bestärkt wird ein solcher Eindruck noch durch Positionen, die auf eine autoritäre Diktatur als politisches System hinauslaufen würden" (S. 39).

Auf fruchtbaren Boden sei dieses Denken vor allem beim "gehobenen Bildungsmilieu im konservativen Lager der Weimarer Republik" gestoßen, was auch in der heutigen Zeit durchaus beobachtet werden könne. Organisatorisch handle es sich aktuell um eine eher lose verbundene Gruppe von rechtsextremen Intellektuellen, die aber mit Götz Kubitscheks Think-Tank 'Institut für Staatspolitik' und dessen Verlag 'Antaios' mittlerweile eine gewisse Struktur ausgebildet habe. Strategisch stehe ein "Kampf um die Köpfe" im Zentrum ihrer politischen Aktivitäten mit dem Ziel einer "Kulturrevolution von rechts" mit einem grundlegenden gesellschaftlichen Wechsel zu einem autoritären-nationalistischen System, für das sie die ideologischen Voraussetzungen bereiten wollten.

Nach einem Kapitel über Erkenntnisinteressen, Definitionen, Abgrenzungen (zu Rechtskonservatismus und anderen Varianten des Rechtsextremismus) und einer Skizzierung von Forschungsentwicklung und -stand zur 'Neuen Rechten' referiert und analysiert Armin Pfahl-Traughber in kompakter Weise die intellektuellen Vorbilder und Stichwortgeber der 'Neuen Rechten' aus der Weimarer Republik, aus der Philosophie der Klassiker, aus Frankreich und aus dem Euro-Faschismus. Die Art und Intensität der Rezeption dieser Vorbilder durch die 'Neue Rechte' in Deutschland bewertet der Autor insgesamt als wenig konsistent, kaum wissenschaftlich und differenziert geprägt, sondern eher als oberflächlich, schlagwortorientiert und instrumentell: "Demnach geht es ihnen nicht primär darum, was diese Klassiker gemeint haben, sondern darum, was sie daraus für ihre Praxis ableiten können... Denn es geht bei der Berufung auf die oben genannten Klassiker um den politischen Nutzen, nicht um eine von differenzierter Fachkenntnisse geprägte wissenschaftliche Rezeption" (S. 53). Die Berufung auf die Vordenker erfolge meist fragmentarisch und nur selten ginge das Studium ihrer Schriften in die Tiefe. Man könne hier eher von einem "ideologischem Eklektizismus, einem inhaltlichen Potpourri" (S. 128) sprechen. Demokratietheoretisch gesehen handele es sich "durchgängig" um Anhänger autoritärer und diktatorischer Politikkonzeptionen.

In den folgenden Kapiteln analysiert der Autor ausführlich und kenntnisreich die wichtigsten Akteure der gegenwärtigen 'Neuen Rechten', ihre Einrichtungen, Publikationsorgane und Verlage und ihre jeweiligen Positionen zu verschiedenen Themen. Als intellektuelle Akteure der gegenwärtigen Neuen Rechten analysiert Armin Pfahl-Traughber u.a. Armin Mohler, Günter Maschke, Alain de Benoist, Karlheinz Weißmann, Götz Kubitschek und Benedikt Kaiser, die insgesamt "diverse Gemeinsamkeiten, aber auch einige Unterschiede" und keine systematischen und stringenten Konzeptionen nachweisen könnten, sondern theoretisch eher schwach aufgestellt seien, "ein intellektuelles Desaster der Neuen Rechten" (S. 68). Gegenwärtig sei daher nicht von einem "breiteren Einfluss auf die Gesellschaft oder politischer Relevanz auszugehen" (S. 148). Als Strategien für die politische Wirkung spielten bei der Neuen Rechten die Begriffe 'Kulturrevolution' (Antonio Gramsci), 'Metapolitik' (Max Weber und 'Mosaik-Rechte' (Hans-Jürgen Urban) eine besondere Rolle.

Der 'Kampf um die Köpfe' sei ein wichtiges Merkmal - in Analogie zur Strategie der Linken - da die politischen Änderungen auch immer die Folgen von geistigen Veränderungen seien. Daher müsse nach Gramsci eine 'kulturelle Hegemonie' vor einer politischen Vorherrschaft geschaffen werden. Mit dieser "strategischen Produktpiraterie" versuchten Teile der Neuen Rechten das demokratische System zu delegitimieren u.a. mit einer "geistigen Partisanentätigkeit" durch gezielte Tabubrüche und Versuche der Umwertung oder Lächerlichmachung von demokratischen Werten. Bekannt sind die Provokationen im öffentlichen Raum von Götz Kubitschek oder auch von AfD-Politikern. Beim Aufbau einer 'Mosaik-Rechten' gehe es um den Versuch, ein arbeitsteiliges, handlungsfähiges, weltanschaulich profiliertes rechtsextremes Milieu aufzubauen z.B. als Verbund von AfD, Pegida, Querdenkern, Reichsbürgern, Impfgegnern.

Was empfiehlt der Autor als angemessene Umgangsweise mit der Neuen Rechten? Eine Traumatisierung sowie eine ignorierende Verharmlosung seien abzulehnen. Anstatt sich zu empören, wäre es besser, bei ihr inhaltlich genau und beharrlich nachzufragen und mit den aufklärerischen Methoden einer ideologiekritischen Prüfung die intellektuelle Substanzlosigkeit und antiaufklärerische, antipluralistische, autoritäre, diktatorische und ethnozentrische Grundierung als rechtsextrem zu entlarven. Zwar finde man explizit kein offenes Bekenntnis zu faschistischen Inhalten, aber eine Faszination für einen faschistischen Habitus sei festzustellen: "Gleichwohl bemühen sich die Intellektuellen der Neuen Rechten durch ihr vielfältiges Wirken die geistige Basis einer modernen Demokratie zu delegitimieren und werben für ein autoritäres und nationalistisches Ordnungsmodell... ihre angestrebte 'Kulturrevolution von rechts' soll ideologische Verschiebungen in ihrem Sinne über die Partei [AfD, d.V.] ermöglichen. Genau darin besteht das extremistische Gefahrenpotential der Neuen Rechten" (S. 152).

Neben der ideologiekritischen Auseinandersetzung mit der Neuen Rechten sei auch die Satire eine "angemessene Umgangsform": "Das kontinuierliche selbstgefällige Gehabe, als heldenhafter Kämpfer gegen den angeblichen Mainstream zu wirken, lädt zu solchem Vorgehen ein" (S. 154). Diese Form der politischen Auseinandersetzung kann eine originelle, aber auch wirksame, ergänzende Strategie sein. Die Neuen Rechten - das kann Armin Pfahl-Traughber in seinem Band eindrucksvoll und faktengesättigt belegen - sind nicht konservativ und "rechts" in einem demokratischen Umfeld, sondern rechtsextrem und eine potenzielle Gefahr für die Demokratie.

Der Autor hat eine sachlich-nüchtern gehaltene, gut lesbare und verständlich geschriebene politikwissenschaftliche Analyse der Rechtsintellektuellen geschrieben und deren Gefahrenpotenzial realistisch und ausgewogen bilanziert - eine Studie, die eminent wichtig ist in der gegenwärtigen Zeit für die Auseinandersetzung mit dem anschwellenden Rechtsdrall in unserer Gesellschaft.


Armin Pfahl-Traughber: Intellektuelle Rechtsextremisten. Das Gefahrenpotenzial der Neuen Rechten. J.H.W. Dietz Nachf., Bonn 2022, 184 Seiten, 18 Euro.

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Quelle:
© 2022 by Klaus Ludwig Helf
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 11. Oktober 2022

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