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BUCHBESPRECHUNG/005: Westliches Gesellschaftsmodell gut fürs Volk oder für Reiche? (Falkenhagen/Queck)


Westliches Gesellschaftsmodell gut für das Volk oder die Reichen?

Zu dem Buch "Geschichte des Westens" von Prof. Dr. Heinrich August Winkler

Von Hans-Jürgen Falkenhagen und Brigitte Queck, 24.1.2010


Das Buch, das im 1. Band vorliegt und dessen 2. Band demnächst erscheinen soll zeigt, wie weit der Anpassungsopportunismus der modernen Apologeten des westlichen neoliberalen Gesellschafssystems geht.
Herr Winkler preist aus der Sicht eines Historikers das westliche Gesellschaftsmodell an, aber die von ihm beschworene und als Vorbild für die Menschheit hingestellte westliche Wertegemeinschaft findet immer weniger Befürworter in der Welt und auch selbst inmitten der westlichen Welt. Sie verliert die breite Akzeptanz und Konsensfähigkeit. Das hängt damit zusammen, dass die so genannten unveräußerlichen Menschenrechte und die Herrschaft des Rechts, die repräsentative Demokratie und Gewaltenteilung, die die westliche Welt, geführt von den USA, prägen sollen, zunehmend aufgesetzt, irreal und imaginär wirken. Und viele Bürger betrachten sie auch in wesentlichen Elementen als vorgetäuscht, heuchlerisch bis substanzlos, weil sie die sozialen Rechte, die eigentlich ein lebenswertes Leben ausmachen, völlig außer Acht lassen. Auffällig ist, dass die sogenannte westliche Wertegemeinschaft, selbst in ihren Metropolländern, keinen annehmbaren Lebensstandard für die breiten Volksmassen mehr gewährleisten kann, ja, dass selbst in den Mittelschichten zunehmend Wohlstandsverluste zu verspüren sind. Es droht zudem eine Hyperinflation.
Ist es Zufall, dass ein Herr Professor Dr. Winkler die sozialen Menschenrechte, wie das Recht auf Arbeit, Bildung, Wohnung, das Recht auf Substanzerhalt der Geldersparnisse und -rücklagen usw. bewusst ausgeklammert und imaginäre politische Rechte, wie das Recht auf das freie Wort, zur Grundessenz, zum Wesensinhalt der Menschenrechte erklärt?
Das Interessante dabei ist, dass Konditionalität dieser von ihm gepriesenen Rechte geflissentlich übersehen wird, z. B. dass ein Arbeitsloser, ein in prekären Arbeitsverhältnissen befindlicher Beschäftigter, ein unter dem Existenzminimum dahinvegetierender Rentner oder Hartz-IV-Empfänger, sich mit der Rede- und Meinungsfreiheit nichts kaufen kann, zumal man ihn in der Regel gar nicht anhört, wenn er aufbegehrt oder protestiert. Und ein Verhungernder oder Dahinsiechender kann schon gar nicht mehr an imaginären Menschenrechten interessiert sein, wenn es darum geht, das Nötigste zum Essen zu besorgen oder unentgeltlich eine dringend notwendige medizinische Behandlung zu erhalten!!
Herr Winkler geht in seinem Buch auch nicht auf die Frage ein, warum selbst das freie Wort, die Informations- und Publikationsfreiheit hier im Westen in letzter Zeit immer mehr eingeschränkt worden sind, in den USA z. B. durch den Patriotic Act, in Deutschland durch Pressezensuren, die staatliche Online-Überwachung im Internet, die verstärkte Telefonüberwachung, die zunehmende Tabuerklärung bestimmter Meinungen in Journalistenkreisen usw. Neulich sagte uns jemand, seine freie Meinung publikumswirksam veröffentlichen zu können, das hängt vornehmlich von potenten Geldgebern ab. Und was die Demonstrationsfreiheit betrifft, so ziehen bei Demos, selbst wenn sie behördlich genehmigt wurden, im Geleit bisweilen mehr Polizisten als Demonstranten mit und den Verlauf der Demorouten bestimmen die Regierenden. Wer bestimmt in den westlichen Demokratien die Grundlinien der Politik? Sind es nicht eher die großen Wirtschaftbosse, die Oligarchen der Banken, Börsen und Versicherungen als die Politiker und Parlamentarier, die zudem immer mehr käuflich werden, weil sie von den "Geldleuten" schließlich bezahlt werden? Was die Unabhängigkeit der Justiz, die dritte Säule der Gewaltenteilung anbelangt, so sieht es bei genauer Betrachtung auch hier sehr bedenklich aus. Es existiert auch hier offenkundig der politische und ökonomische Druck auf Staatsanwaltschaften und Gerichte.
Und warum lehnt Herr Winkler die Polis-Demokratie im alten Athen und Griechenland als für die moderne westliche Demokratie irrelevant ab? Liegt das vielleicht gar nicht daran, dass es dort rechtlose Sklaven gab, sondern, dass die alten Griechen beispielsweise schon den Begriff Plutokratie (Herrschaft der Reichen) für eine Herrschaftsform der Gesellschaft prägten, wie sie gegenwärtig augenfällig in den sogenannten westlichen Demokratien besteht? Oder liegt es daran, dass die alten Griechen unter Demokratie eben wahre Volksherrschaft und nichts anderes verstanden?
Die USA gar als den großen prägenden Staat der westlichen Wertegemeinschaft, ja als "transatlantisches Erfolgsmodell" zu bezeichnen, ist humanistisch gesehen, von nicht zu überbietender Arroganz und Menschenfeindlichkeit geprägt, wenn man weiß, dass dieser Staat durch brutale Land- und Rohstofferoberungen und die Ausrottung der Ureinwohner, der Indianer, zustande kam, sowie seine Machtfülle und auch sein Reichtum auf Eroberungskriegen beruht. Seine Kriegslegitimität bezieht er auf der Grundlage von Lüge und Betrug, auf der Mißachtung selbst elementarster Menschen- und Völkerrechtsprinzipien. Kann das das Vorbild für Zivilgesellschaften sein? Kann man Ausbeutergesellschaften als Zivilgesellschaften bezeichnen, in denen rücksichtsloses Lohn-, Renten- und Sozialdumping für die Mehrheit der Menschen betrieben wird? Und Herr Winkler möge doch bitte westliche Staaten benennen, in denen in letzter Zeit reale Verbesserungen des Lebensstandards für die breiten Volksmassen stattgefunden haben und in denen Politik für das Volk anstelle von Klientelpolitik für die Reichen und Superreichen gemacht wird!

Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen, Berlin
Brigitte Queck, Potsdam


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Quelle:
Copyright 2010 by Brigitte Queck und Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen
mit freundlicher Genehmigung der Autoren


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Januar 2010