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BUCHBESPRECHUNG/028: Bultmann - Auf der Abschußliste (Wissenschaft) (SB)


Antje Bultmann (Hg.)


Auf der Abschußliste.

Wie kritische Wissenschaftler mundtot gemacht werden sollen



In der Geschichtsschreibung liest man meist nur über die erfolgreichen Wissenschaftler, über Menschen also, die eine bahnbrechende Entdeckung oder eine technische Erfindung gemacht haben, die im Glanz des Rampenlichts standen und deren Namen verewigt wurden. Oppenheimer, von Braun, Teller, sie alle und viele mehr waren oder sind mit daran beteiligt, dem jeweiligen System die Machtmittel an die Hand zu geben, daß es seine Vorherrschaft sichern kann. Von jenen aber, die mitunter zur Forschungsspitze zählten, dann aber aus Gewissensgründen ihre Karriere aufgaben oder die die Geheimniskrämerei ihrer Brötchengeber nicht mitmachen wollten, von diesen hört man nie etwas. Beinahe nie, muß man einschränkend sagen, denn in dem Buch "Auf der Abschußliste. Wie kritische Wissenschaftler mundtot gemacht werden sollen" wird über in Ungnade gefallene Forscher berichtet, die von ihren Institutionen zum Schweigen gebracht wurden oder werden sollen.

In dem genannten Taschenbuch-Sammelband ist von "Whistle Blowers" die Rede. Dies ist ein übergeordneter Begriff für Personen, die "die Alarmpfeife blasen", weil die Forschung, an der sie mitarbeiten, gefährlich für Menschen, wenn nicht gar die gesamte Menschheit ist. Aber auch Geheimnisverräter werden darunter gefaßt. Prominentestes Beispiel dafür ist der Israeli Mordechei Vanunu, der im israelischen Atomprogramm mitarbeitete. Zwischen 1976 und 1985 war er als Techniker im Nuclear Reactor Center in Dimona tätig und hatte genügend Einblick in den Produktionsverlauf genommen, um in einer Zeitung die Erklärung abgeben zu können, Israel verfüge über ein Potential von 200 Atomsprengköpfen.

Diese später als Landesverrat bezeichnete und damit indirekt bestätigte Aussage hat ihm zwar 1990 den Alternativen Nobelpreis eingebracht, aber angesichts seiner Haftstrafe von 18 Jahren hätte Vanunu darauf sicherlich gern verzichtet.

Vanunus Lebensweg nahm einen scharfen Knick, als er im September 1986 vom israelischen Geheimdienst Mossad regelrecht nach Rom gelockt wurde. Dort betäubte man ihn und entführte ihn nach Israel, wo er verurteilt wurde. Seit November 1986 sitzt Vanunu in Einzelhaft in einer 2,5 mal 3 Meter kleinen Zelle. Seine Schwester Meir Vanunu schrieb in dem vorliegenden Buch den Beitrag über ihren Bruder. Zweieinhalb Jahre lang brannte in seiner winzigen Zelle 24 Stunden lang das Licht. Die ganze Zeit mußte er sich beobachtet fühlen, denn in der Zelle war eine Videokamera angebracht. Im März 1988 schließlich wurde der Atomtechniker zu 18 Jahren Haft verurteilt.

Ein weiterer Beitrag des vorliegenden Buchs handelt von dem russischen Chemiker Vil Mirzajanow, der auch in Deutschland bekannt ist. 1994 hatte er auf einem Kongreß in Dortmund erklärt, daß Rußland zwar 1992 einem weltweiten Moratorium zur Vernichtung aller chemischen Waffen beigetreten sei, aber daß damit nicht die Produktion von neuen chemischen Waffen gestoppt wurde. In einem hier abgedruckten Interview klärt Mirzajanow darüber auf, daß die Russen angeblich 40.000 Tonnen C-Waffen vernichten wollten, doch daß ihnen anschließend immer noch 360.000 Tonnen blieben. Von dieser Menge würden aber schon wenige Gramm genügen, um, wie er sagt, der gesamten Menschheit irreparable Schäden zuzufügen, und das über Generationen. Der Chemiker besaß noch Glück, daß er über gute Auslandskontakte verfügte, denn das ermöglichte ihm nach einer kurzen Haftzeit die schnelle Ausweisung. Heute lebt und arbeitet er in den USA.

Geschichtlich schon etwas weiter zurück liegt ein dritter Fall. Als der britische Kernphysiker Joseph Rothblatt im Zweiten Weltkrieg in den USA am "Manhattan Project" mitarbeitete, in dem Tausende von Wissenschaftlern fieberhaft am Bau der Atombombe tätig waren, da war sein ursprüngliches Anliegen, eine Waffe gegen Deutschland zu bauen. Doch als er eines Tages mitbekam, daß die US-Militärs schon damals die Atombombe gegen die verbündeten Sowjets einsetzen wollten, kündigte er seine Stellung. Das war allerdings nicht so einfach, denn das "Manhattan Project" war streng geheim, die Wissenschaftler lebten in Los Alamos, einer abgeschotteten Stadt. Rothblatt wollte nach England zurückkehren, doch er wurde wegen mutmaßlicher Spionage an der Ausreise gehindert.

Drei Beispiele von Forschern, die sich gegen den Strom gestellt haben. Es sind keine heroischen Revolutionäre, die gegen das Establishment zu Felde ziehen, sondern Menschen, die nicht bereit sind, der Wahrheit ihres Staates oder Unternehmens zu folgen, sondern ihre persönliche Entscheidung getroffen haben, welche Werte sie vertreten. Sicherlich sind auch einige dabei, die sich gar nicht darüber bewußt waren, welche Konsequenzen ihre Verweigerung für sie persönlich haben würde.

Antje Bultmann, Mitherausgeberin von "Auf der Abschußliste", schreibt in ihrer Einleitung, daß viele Menschen in Zeiten wirtschaftlicher Rezession aus Sorge um ihren Arbeitsplatz nicht mehr ihre Existenz aufs Spiel setzen wollen und sich deswegen bereitwillig allem fügten. Das Buch handelt von jenen, die genau das nicht tun. Um aber nicht nur zu mäkeln, bietet die Mitherausgeberin eine Lösung an, wie man dem blinden Gehorsam der Mitläufer begegnen könne. Sie fordert eine strikte Trennung zwischen Wissenschaft und Forschung auf der einen sowie Wirtschaft und Industriekapital auf der anderen Seite.

Mit diesem Anliegen beziehen Bultmann und die anderen Herausgeber einen ähnlichen Standpunkt wie die Personen, von denen das Buch handelt. Denn in jüngster Zeit hat Bundesforschungsminister Rüttgers, aber auch Bundespräsident Herzog sowie deutsche Universitätspräsidenten eine engere Bindung von Wissenschaft und Wirtschaft verlangt - mit Blick auf die USA, wo das Rendite-Denken an den Hochschuleinrichtungen schon etabliert ist.

Bultmann fordert eine unabhängige Forschung und stellt dem moralischen reinen Wissenschaftler einem verwerflichen Pendant gegenüber. Damit hängt sie die Latte ziemlich hoch, wogegen an sich nichts zu sagen wäre, wenn sie nicht mit ihrer Unterscheidung zwischen Scheinwohlstand und wahren Wohlstand einen abgehobenen Standpunkt bezöge, bei dem aus dem Blickfeld geraten ist, daß die Wissenschaft, hervorgegangen aus der Religion, schon immer systemstabilisierend war. Durch den Absolutheitsanspruch, der in dem Begriff des wahren Wohlstands steckt, unterschlägt Bultmann, daß jeder Produktionsweise, jedes Wirtschaften und selbst jedes Streben nach effizienterer Ausnutzung der Ressourcen die Denkweise des Verbrauchs befördert und damit Wandlung und Zerstörung notwendig voraussetzt. Das hat natürlich keinen Eingang in das Buch gefunden, denn es stellte die positive Antwort der Herausgeber auf die existentiellen Probleme des Menschen in Frage.

Antje Bultmann (Hg.)
Auf der Abschußliste.
Wie kritische Wissenschaftler mundtot gemacht werden sollen.
Hrsg. von Antje Bultmann, der Naturwissenschaftler-Initiative
Verantwortung für den Frieden und von DGB-Angegstelltensekretariat
Knaur Verlag
16,90 DM.