Schattenblick →INFOPOOL →BUCH → SACHBUCH

BUCHBESPRECHUNG/125: Klinisches Wörterbuch Pschyrembel (Medizin) (SB)


Dr. Martina Bach u.a. (Redaktion)


Klinisches Wörterbuch Pschyrembel



Seit das erste Klinische Wörterbuch 1894 als "Wörterbuch der Klinischen Kunstausdrücke" mit einem Umfang von 148 Seiten, von dem Mediziner Otto Dornblüth verfaßt, erschienen ist, hat das Werk fast 2000 Seiten dazugewonnen. Dies muß nicht verwundern, denn der Zuwachs an Wissen und Fortschritt, den Wissenschaft und Forschung proklamieren, schlägt sich unweigerlich auch in einem Zuwachs an Buchseiten nieder.

Nachdem das Werk ab 1932 lange Jahre von einem kleinen Mitarbeiterstab, hauptsächlich aber von dem Arzt und Hochschullehrer Willibald Pschyrembel - dem das Buch seinen Namen verdankt -, zusammengetragen wurde, wird es seit Mitte der 80er Jahre, im Abstand von drei Jahren, von einer Vielzahl von Spezialisten aktualisiert.

Im wesentlichen richtet sich das Klinische Wörterbuch an medizinisches Fachpersonal. Allerdings hat sich gezeigt, daß es mehr denn je auch für den nicht medizinisch Gebildeten von Interesse ist. Zum einen bemühen sich zahlreiche Laien mit Hilfe des Nachschlagewerks um eine bessere Verständigung mit ihrem Arzt. Zum anderen erhofft mancher Nutzer sich, mit Hilfe des Lexikons einen Weg durch den Dschungel der zahlreichen Veränderungen im Gesundheitswesen und den damit einhergehenden neuen Fachjargon zu finden.

Ganz offensichtlich hat sich auch der de Gruyter Verlag auf diesen unter anderem sprachlichen Wandel eingestellt und neben den neuen Begriffen aus medizinischer Forschung und Technik, Diagnose und Therapie Wortprägungen aufgenommen, die Folge der Neuerungen innerhalb des Gesundheitswesens, besonders der letzten zehn, zwanzig Jahre, sind. Das Klinische Wörterbuch Pschyrembel hat sich im Laufe der Jahre von einem rein medizinischen Nachschlagewerk zu einem Buch der Wörter aus Medizin und Gesundheitspolitik entwickelt. Für alle aufgenommenen Begriffe findet sich mittlerweile auch das englische Fachwort wieder.

Grundsätzlich läßt sich sagen, daß ein lexikalisches Werk immer auch die Veränderungen seiner Zeit widerspiegelt. Längst ist das Klinische Wörterbuch Pschyrembel nicht mehr der alleinige "Pschyrembel" auf dem Markt. Es gibt ihn heute - entsprechend des Erkenntnisstandes und der Trends im Gesundheitswesen als Pschyrembel Naturheilkunde, Pschyrembel Diabetes, Pschyrembel Sozialmedizin und unter anderem auch als Pschyrembel Pflege.

Mit der 256. Ausgabe des Klinischen Wörterbuchs - also der zweiten Auflage nach Ausscheiden von Willibald Pschyrembel - fiel die Entscheidung, aktuelle gesundheitsrelevante Themen in das Werk zu integrieren. Folglich finden sich nicht mehr nur medizinische Fachausdrücke wie Azidose, Avitaminose oder Abulie, sondern ab 1990 auch Begriffe wie Altern, psychogener Anfall, Ängstlichkeit, Affekthandlung, Aggression, Akupressur, Akupunktur, aber auch Ärztekammer, Amtsarzt, Arbeit etc... wieder.

Darüber hinaus sollten fortan "über die Definition hinaus Grundlagen, Zusammenhänge und relevante Einzelaspekte ausführlicher" dargestellt werden. So nimmt schließlich im Pschyrembel von 1994 die Naturheilkunde mehr Raum ein, als dies noch in der vorangegangenen Ausgabe der Fall war. Den gebräuchlichen Arzneimittelpflanzen wurden Hinweise zu Anwendungsgebieten, Nebenwirkungen und Gegenanzeigen zugeordnet.

Gleichzeitig haben zu diesem Zeitpunkt - also nachdem mit dem Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz von 1977, dem Krankenhaus-Kostendämpfungsgesetz von 1981 und den darauf folgenden zahlreichen weiteren Veränderungen gravierende Eingriffe in die medizinische Grundversorgung der Bürger vorgenommen worden waren - dieser Entwicklung entsprechende Begriffe wie Gesundheitsstrukturgesetz bzw. Gesundheitsrecht, Pflegebedürftigkeit, Public Health und andere Einzug gehalten.

Das neueste Klinische Lexikon enthält noch darüber hinaus eine Reihe von Wörtern, die nicht auf den ersten Blick der Medizin oder im weiteren Sinne der Gesundheit zuzuordnen sind und dennoch in der heutigen Gesundheitspolitik eine so bedeutsame Rolle spielen, daß ihre Aufnahme in das medizinische Wörterbuch nahelag. Da heute wesentlich wirtschaftliche Aspekte die medizinische Versorgung bestimmen, haben sich Ratschläge, zum Thema Ernährung beispielsweise, mittlerweile zu Maßstäben für ein "korrektes" Gesundheitsverhalten gewandelt. Unter diesem Gesichtspunkt haben Begriffe in den Pschyrembel Aufnahme gefunden wie Body-Mass-Index, Taillenumfang, Taille-Hüft-Quotient, Ausdauertraining und auch das Wort Fischöle mit Verweis zu Omegafettsäuren. Letztere sind ab 2007 sogar mit dem zusätzlichen, sehr ausführlichen Verweis auf die empfohlene Nährstoffzufuhr versehen.

Nicht unwesentlich hat zudem die Globalisierung auch des medizinischen Bereichs in diesem Nachschlagewerk zu Begriffsänderungen sowie zu etlichen Neuaufnahmen geführt. Im Zuge der zunehmenden Anglisierung der deutschen Sprache zum einen, der Anpassung an amerikanische medizinische Standards und der Zuordnung medizinischer Erkrankungen in ein internationales Klassifikationssystem zum anderen trifft man beim Durchstöbern der aktuellen, 261. Auflage auf zahlreiche entsprechende Abkürzungen. So hat das Kürzel ACVB (Aortocoronary venous bypass) das Wort Bypass abgelöst. Zwar wurde in der 253. Auflage von 1977 auch einmal ein englischsprachiger Begriff übernommen, wie diese aus den USA stammende Operationsmethode, doch stellt dies hier noch eine der wenigen Ausnahmen dar.

Auch bei ACLS (Advanced Cardiac Life Support) beispielsweise handelt es sich um eine Abkürzung für einen englischen Begriff aus der Reanimationsmedizin. Dieses Kürzel wurde wie andere in Anpassung an amerikanische Standards und im Zuge der Internationalisierung medizinischer Maßnahmen eingeführt. Heute werden die früheren "ARA"- Kriterien - als solche sind die "Kriterien der American Rheumatism Association zur Diagnose der rheumatoiden Arthritis..." noch im Pschyrembel von 1994 verzeichnet - als "ACR"-Kriterien für "Kriterien des American College of Rheumatology zur Klassifikation und Diagnose von Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises" bezeichnet. Die im Lexikon zu beobachtende Änderung zahlreicher Kürzel läßt sich auf die Einführung des international anzuwendenden Klassifikationssystems (ICD = International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) zurückführen.

Laut Pschyrembel handelt es sich bei dem ICD um "ein für medizinstatistische Zwecke entwickeltes ... Verzeichnis der Krankheiten, Verletzungen und Todesursachen". Der von 1948 an von der WHO (World Health Organisation) stets weiterentwickelte Verschlüsselungscode wurde in Deutschland erstmals 1989 verpflichtend eingesetzt. Sinn und Zweck des ICD ist es, medizinische Versorgungsmaßnahmen transparent zu machen. Nicht unwesentlich dient er dazu, den Kosten- und Leistungsaufwand der Krankenkassen kalkulieren zu können. Mit der Frage wer hat was, wann, wieviel und wie oft beansprucht wird das Verhältnis untersucht, in welchem die Ausgaben des Staates zum wirtschaftlichen Nutzen stehen.

Nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot des SGB V (Sozialgesetzbuch Paragraph 12) von 1989 gilt für die Krankenkassen die folgende Richtlinie:

"Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen."

Wie es sich zusehends abzeichnet, muß der einzelne immer häufiger Leistungen aus eigener Tasche bezahlen, denn das Raster der von Komitees und Experten ermittelten Prioritäten zur medizinischen Versorgung wird auch zukünftig enger werden. Bei genauer Betrachtung sind diese Entwicklungen des Gesundheitssystems - wie oben angerissen - dem Klinischen Wörterbuch Pschyrembel durchaus zu entnehmen. Wesentlich deutlicher wird dies allerdings noch in der erst zweiten Neuauflage des Pschyrembel Pflege von 2006. Dieser dürfte für medizinisches Fachpersonal aufgrund seiner umfassenden Erläuterungen von Begriffen aus dem Gesundheitsbereich ebenso bedeutsam geworden sein, wie das Klinische Wörterbuch Pschyrembel (siehe Rezension dazu im Internet unter: www.schattenblick.de -> INFOPOOL -> BUCH -> SACHBUCH -> REZENSION/410: S. Wied, A. Warmbrunn - Pflege Pschyrembel (SB) bzw. www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar410.html). Wie es hier unter dem Begriff Wirtschaftlichkeit unter anderem heißt, [können] "besonders Pflegepersonen ... beim Umgang mit Material und Hilfsmitteln sowie bei der Planung einer optimalen Arbeitsorganisation wirtschaftliche Aspekte berücksichtigen". Folglich dominieren zahlreiche Managementbegriffe, Worte wie Fallpauschale, Leistungssicherung, Qualitätssicherung u.ä. den Inhalt dieses Nachschlagewerkes.

In der 261., neu bearbeiteten und erweiterten Ausgabe des Klinischen Wörterbuchs Pschyrembel haben die Herausgeber neben den zahlreichen neuen Begriffen auf Wunsch der Leserschaft auch der Vielzahl an Abbildungen einen noch größeren Stellenwert beigemessen. Grafiken wurden farblich überarbeitet, Fotos in ihrer Qualität verbessert und neue Darstellungen hinzugefügt. Ausführliche und eindeutige Hinweise zur Benutzung machen das Klinische Wörterbuch Pschyrembel in der Tat für jedermann handhabbar.

Neben der gedruckten Ausgabe existiert zudem eine weit umfassendere elektronische Version, der Zugang kann im Internet unter der Webadresse http://www.pschyrembel.de/92.htm erworben werden.

07.03.2008


Dr. Martina Bach u.a. (Redaktion)
Klinisches Wörterbuch Pschyrembel
Walter de Gruyter GmbH & Co KG
261. Auflage 2007
2136 Seiten, 39,95 Euro
ISBN 978-11-018534-8 Buch
ISBN 978-11-019126-4 CD-Rom
ISBN 978-11-019127-1 Buch mit CD-Rom