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BUCHBESPRECHUNG/134: Alireza Zarei - Die verletzte Pyramide (Esoterik) (SB)


Alireza Zarei


Die verletzte Pyramide

Wie Neugier Geschichte zerstört



Wie haben es die altägyptischen Pharaonen nur geschafft, die riesigen Pyramiden von Gizeh zu bauen? Technisch ist das eine bis heute nicht abschließend beantwortete Frage, menschlich hingegen dürften die ursprünglich bis zu 146 Meter hohen Bauwerke mit Hilfe von Religion, Repression und vor allem einem rücksichtslosen Verbrauch von Sklaven zustandegekommen sein. Die Frage, wie Menschen so zu beherrschen sein können, daß sie sich zugrunde richteten, ist jedoch keine, die in der Ägyptologie oder ihren esoterischen Anlehnungen, der Prä-Astronautik bzw. Paläo-SETI-Forschung (SETI - Search for Extraterrestrial Intelligence - Suche nach außerirdischem Leben), besonderes Interesse geweckt hätte. Auch Alireza Zarei widmet sich in seinem Buch "Die verletzte Pyramide - Wie Neugier Geschichte zerstört" nicht den Zwängen und Opfern pharaonischer Herrschaftsausübung, sondern, wie der Titel schon verrät, einer wie auch immer erfolgten Beschädigung pharaonischer Monumentalgrabstätten.

Der in Teheran geborene Autor arbeitet hauptberuflich als Chemietechniker in einer großen Firma in Basel und befaßt sich in seiner Freizeit mit den Geheimnissen der menschlichen Geschichte. In dem im März dieses Jahres erschienenen Buch stellt er zunächst einige für ihn wichtige Grundlagen der Pyramidenforschung vor. Warum er eben diese Themen ausgewählt hat, bleibt allerdings unklar; eine Begründung oder umfassende Einordnung der angeschnittenen Fragen findet nicht statt. Die ersten fast 50 Seiten des Buchs, mit "Einführung in die Thematik" überschrieben, sind besonders unsystematisch zusammengestellt.

Anschließend befaßt sich Zarei mit den baulichen Strukturen und Besonderheiten der Pyramiden von Gizeh (S. 52 ff), den "Theorien, Thesen, Vermutungen" ihrer Errichtung (S. 121 ff) und dem "Gizeh Plateau" (S. 168 ff), das nicht weniger Geheimnisse birgt als beispielsweise die legendenumwobene Cheops-Pyramide. Dabei hängt Zarei die Latte, die er überspringen will, ziemlich hoch, wenn er schreibt: "Ob Ägyptologe, Atlantis-Autor oder Paläo-SETI-Befürworter - dieses Buch richtet sich an Vertreter all jener Strömungen mit Lob, Bestätigung, Kritik aber auch unangenehmen Gegenüberstellungen. Es soll helfen, die Spreu vom Weizen zu trennen." (S. 11)

Das schafft logischerweise nur jemand, der sich über den Dingen wähnt und sich schon gar nicht der Spreu zuordnet. Von keiner geringeren Unbescheidenheit zeugt auch folgende Stellungnahme: "Das Hauptziel dieses Buches liegt darin, viele heute widerspruchslos akzeptierte Thesen zur Cheops-Pyramide mit allen vorliegenden Fakten zu vergleichen, um sie in den meisten Fällen eindeutig widerlegen zu können. Mit den vermittelten Informationen wird jeder Interessierte am Ende des Buchs imstande sein, zukünftige Theorien zur Cheops-Pyramide eigenständig und sachlich beurteilen zu können." (S. 12)

Damit behauptet Zarei nicht nur, den bereits ganze Bibliotheken füllenden Sachverstand der Ägyptologie überblicken und beurteilen zu können, sondern weiß auch schon, was zukünftig zu diesem Thema geschrieben wird. Dem noch nicht genug, hält er sich offensichtlich für einen so genialen Kommunikator, daß die Leserinnen und Leser nach der Lektüre dieses 224 Seiten umfassenden Taschenbuchs ebenfalls in der Lage sein werden, "zukünftige Theorien zur Cheops-Pyramide eigenständig und sachlich beurteilen zu können". Hui, da wird aber mächtig geklotzt! Hatten wir eigentlich schon erwähnt, daß das Buch den hohen Ansprüchen seines Autors nicht genügt?

Zwar ist "Die verletzte Pyramide" im Ancient Mail Verlag erschienen, dessen Programm Esoterisches umfaßt, und Zarei nimmt daran Anleihen, doch in seinen Schlußfolgerungen bleibt er eher vorsichtig. Lediglich im ersten von insgesamt elf Punkten, die seiner Meinung nach abschließend "festgehalten werden" können, schreibt er: "Eine mental begabte Frau namens Lucyna Lobos behauptet, mit dem sumerischen Gott Enki in Verbindung zu stehen und arbeitet mit der Universität Kairo zusammen." (S. 206)

Inwieweit sich das aus Polen stammende Medium mit seiner seit Mai 2001 verbreiteten Warnung, der Pharao Cheops müsse in sein Grab zurückgelegt werden, damit die Welt gerettet werde, vom cineastischen Medium, respektive den Filmen "Die Mumie" (USA, 1999) oder "Die Mumie kehrt zurück" (USA, 2001) inspirieren ließ, bleibt der Mutmaßung überlassen. Zarei versteigt sich nicht zu der Aussage, daß er Lobos' gechannelte "Informationen" für wahr hält. Auf der anderen Seite räumt er ihr über mehrere Seiten hinweg so viel Platz ein, daß man allein daraus folgern kann, daß der Autor den Beiträgen von Frau Lobos zur Pyramidenforschung etwas abgewinnen kann.

Ob eine systematisch betriebene geheime Archäologie existiert, weil nach Ansicht des Autoren bestimmte Spuren, die unter anderem zu einer weiteren Grabkammer in der Cheops-Pyramide führen sollen, nicht weiterverfolgt werden, oder ob nicht auf einem derart prestigeträchtigen Gebiet wie der Ägyptologie abgebrochene Forschungsprojekte auch anders zu begründen sein können, sei dahingestellt.

Weitere Schlußaussagen Zareis, in denen er diverse Unsicherheiten der Pyramidenforschung anspricht, dürften sogar die Zustimmung etablierter Ägyptologen finden, so sie jemals über dieses Buch stolpern sollten. Es bleibt der Fachwelt überlassen zu beurteilen, ob der "im Verborgenen angelegte Tunnel in der Davison-Kammer der Cheops-Pyramide" (S. 206) tatsächlich nicht ohne die Annahme einer "geheimen Ägyptologie" zu klären ist, wie der Autor behauptet.

Über die ägyptischen Pyramiden wurde schon viel esoterisches Geschwurbel verbreitet. Da bildet das vorliegende Buch keine Ausnahme. Es eignet sich kaum als Lektüre für Einsteiger in die Pyramidenforschung, da der Autor Debatten aufgreift und fortführt, die manchmal wenig nachvollziehbar präsentiert werden.

20. Oktober 2011


Alireza Zarei
Die verletzte Pyramide
Wie Neugier Geschichte zerstört
Ancient Mail Verlag Werner Betz
Groß-Gerau, 1. Aufl. März 2011
ISBN 978-3-935910-82-8
224 Seiten, 17,80 Euro