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REZENSION/005: Norman Mailer - Der Kampf (Boxen) (SB)


Norman Mailer


Der Kampf



Der sich im Oktober zum 20. Mal jährende Weltmeisterschaftskampf im Boxen zwischen Muhammad Ali und George Foreman um den Titel im Schwergewicht in Kinshasa, der Hauptstadt Zaires, bietet einen guten Anlaß, auf eines der wenigen in deutsch erschienenen Bücher zum Thema des Profiboxens zu verweisen, das nicht als Jugendbuch oder reine Sportpublikation erschienen ist. Es handelt sich viel mehr um den Bericht über eines der großen Ereignisse der modernen Boxgeschichte, in dem versucht wird, die persönlichen und politischen Ambitionen der Boxer mit dem konkreten boxerischen Element zu verknüpfen. Der lakonische Titel 'Der Kampf' bedurfte zumindest zur damaligen Zeit keines weiteren Kommentars. Neben Fraziers Boxkampf gegen Ali 1971, bei dem er ihm die Schwergewichtskrone abnahm, war dieser Fight das Boxereignis der siebziger Jahre.

Was dem 'Rumble in the Jungle', wie Promoter Don King den Kampf mit dem ihm eigenen Gespür für griffige Formeln annoncierte, zusätzliche Publizität verlieh, war der Austragungsort Zaire. Erstmals sollte ein international beachteter Boxkampf auf dem schwarzen Kontinent ausgetragen werden, und mit den beiden schwarzen Boxern traten auch zwei Weltanschauungen gegeneinander an. Der Black Muslim Muhammad Ali, der hier in Afrika unmißverständlich klar machte, wie sehr es ihm um die Sache der Schwarzen ging, sollte gegen den bekennenden Christen George Foreman kämpfen, mit dem er wegen seiner proamerikanischen Haltung schon früher außerhalb des Rings aneinandergeraten war.

Foreman, der nach eigenem Bekenntnis schon als Handtaschendieb so gläubig war, daß er seinen Opfern, sobald diese den Herrgott um Hilfe anriefen, jedesmal tieferschüttert seine Beute zurückgab, war nach dem Gewinn des olympischen Golds im Schwergewicht mit einem amerikanischen Fähnchen in der Hand im Ring herumgetanzt und hatte lauthals die USA gelobt, wo jedem, der wirklich wolle, alle Chancen offenständen. Sechs Jahre später nannte Ali Foreman bei einem Dinner der Boxautoren einen "fähnchenschwenkenden, weißen Scheißkerl" und zerrte ihm unter seinem Smoking das Hemd vom Leib, woraufhin Foreman Ali den Rücken der Jacke aufriß.

Norman Mailer hat die Geschichte des Kampfes in Kinshasa mit einer Vielzahl derartiger Begebenheiten und Anekdoten versehen, und der Leser, der das Geschehen in der Schwergewichtsszene verfolgt, trifft auf viele Namen, die noch heute das Geschäft dominieren. Sein bildhaft-literarischer Stil wirkt hier weniger überzogen als bei seinen anderen Werken, als Boxfan ist er offensichtlich in seinem Metier und hat es nicht nötig, zu sehr auf schriftstellerische Ausschmückungen zurückzugreifen. Norman Mailers Person wird im Trubel um die beiden Boxer, wie von einem anonymen Erzähler geschildert, zu der des bekannten amerikanischen Schriftstellers, der angereist ist, um über den Boxkampf zu berichten und der sich wie alle anderen in die Entourage der beiden Fighter einfügt. Durch diesen Kunstgriff wirkt der Bericht wie eine vermeintlich objektiv geschilderte Reportage, in der der Leser zu den Bewertungen des Autors eine größere Distanz herstellen kann und die so weniger vereinnahmend wirken.

Das hat das Buch auch nötig, den selbst bei der Vielzahl der angeführten Fakten ist es von Norman Mailers höchstpersönlicher Sichtweise so sehr geprägt, daß der Charakter einer herkömmlichen Reportage weit überschritten wird. Ein interessanter und in seiner einseitigen Charakterisierung recht fragwürdiger Teil besteht in der Schilderung der Verhältnisse in Zaire und dem Führungsstil von Mobutu, der das Land in einem ganz den persönlichen Machtgelüsten des Alleinherrschers dienenden Personenkult regiert haben soll. Der nach Bekunden des Autors durch die CIA an die Macht gekommene Mobutu weist alle Züge eines verschlagenen Dikators auf, der heimlich seinen Konkurrenten Patrice Lumumba umbringt, um ihm dann ein riesiges Denkmal zu bauen, der sich die Armee durch eine Strategie von Vergünstigungen und restriktiver Personalpolitik, bei der sorgfältig darauf geachtet wird, daß Mitglieder desselben Stammes nicht in eine Einheit geraten, dienstbar hält, und der natürlich in großzügigen Prachtbauten in aller Welt residiert, während seine Untertanen in Wellblechhütten hausen.

Norman Mailer erklärt all dies mit der Formel "Prachtentfaltung beweist Lebenskraft" und läßt sich breit über die Verbindung afrikanischer Tradition mit moderner Technologie aus, über die Mobutu als letzter großer Stammeshäuptling herrscht. Bei einer jungen afrikanischen Nation, der nach der Vergewaltigung durch die Kolonialmacht Belgien und aufgrund der vielfältigen postkolonialen Einflüße außerafrikanischer Interessen keine andere Wahl blieb, als eine europäische Staatsform zu übernehmen und die nicht danach gefragt wurde, ob sie die Tradition der Stämme und Völker aufgeben wolle, sondern die ihre Existenz als zwölftgrößtes Land der Erde mit 200 unterschiedlichen Sprachen lediglich früheren kolonialen Gebietsansprüchen verdankt, ist es natürlich mehr als bequem, den Stab weißer Selbstherrlichkeit über undemokratische und quasifeudale Zustände zu brechen. Und wenn es sich bei allen Widersprüchen um einen relativen Fortschritt handeln sollte, die weißen Herrscher losgeworden zu sein und anderen Großmachtsinteressen wenigstens eine gewisse Eigenständigkeit entgegenstellen zu können, ist es sicher nicht Sache des sich an einer Stelle sogar als Marxisten bezeichnenden Autoren Norman Mailer, dies zu erkennen.

Ihm geht es mehr um die Verwertung konstrastreicher Fakten für seine Reportage, der er mit seinen Einsichten über Geist und Wesen der Afrikaner eine tiefere Dimension verleihen will. Seine Erkenntnisse bezieht er aus zwei Büchern natürlich weißer Autoren - 'Bantu Philosophy' des holländischen Pater Tempels und 'Muntu, the New African Culture' von Janheinz Jahn -, in denen er die eigene Auffassung, der Mensch bestehe vor allem aus den ihm umgebenden Kräften, die es zu vermehren gelte, und stelle daher mehr dar als die Summe von Erbmasse und Erfahrung, begeistert wiederentdeckt. Die sich daraus ergebende Schlußfolgerung für die Psychologie der Afrikaner läßt ihn von da an bei keiner Deutung mehr im Stich, und lugt auch an allen Ecken und Enden der kritische Intellekt hervor, der den Pragmatismus bei der Improvisation des alltäglichen Lebens als Relikt dieses animistischen Glaubens an Kräfte und Wirkungen durchschaut, so dient ihm diese Philosophie gleichzeitig als farbenprächtige Verbrämung des Kampfes und seiner beiden Protagonisten.

Es ist durchaus unterhaltsam zu lesen, wie Norman Mailer die Begegnung von Ali und Foreman zum Duell der Giganten hochstilisiert, und die kompromißlose Begeisterung der Afrikaner trägt ihren Teil dazu bei, dem Ereignis die Dimension eines Aufeinandertreffens von Naturgewalten zu verleihen. Wann immer es ums Boxen und die dazu angereisten Amerikaner geht, ist das Buch frisch und unterhaltsam geschrieben, und die gelegentliche Überhöhung der Fähigkeiten der beiden Kämpfer fügt sich nahtlos in die Schilderung der mal überschwenglichen, mal deprimierten Stimmung ein, die in den gegnerischen Lagern herrscht. Allein die Geschichten über die einzelnen Sparringspartner, über die Trainer und Promoter sind die Lektüre wert - es kommt zu begeisternden Auftritten Alis während des Trainings, wo er alle Register seines schauspielerischen Könnens zieht, zu Wortgefechten in der Lobby des Hotels zwischen den Gefolgen der beiden Boxer, zu denkwürdigen Begegnungen mit George Foreman, Don King läßt seinen Charme spielen und überzeugt Norman Mailer mit ausladender Rhetorik -, eine wahre Fundgrube für den Leser, der gerne einmal einen persönlicheren Blick auf die Boxer und ihr Umfeld wirft.

Die ausführliche Schilderung der Trainingssessions und der Strategie der Trainer und Betreuer verdient besonderes Interesse, da sie bei aller Emphatie in der Darstellung einen guten Blick auf die Bemühungen der Boxer um effizienten Körpereinsatz und Kontrolle über den Kampf gewährt. Besonders beeindruckend sind dabei die Qualitäten von Foremans Trainer Archie Moore, der selbst noch mit weit über 40 Jahren gegen Ali um den Schwergewichtstitel geboxt hatte:

Gegen Ende seiner Karriere konnte Archie Moore fünfzehn Runden durchstehen, während er kaum Kondition genug für einen Spaziergang von einer Meile besaß. Er hatte die Fähigkeit erworben, auch mörderischen Schlägen durch eine lässige Bewegung des Kinns zu entgehen. Warum eine hastige Bewegung von fünfzehn Zentimetern machen, wenn auch zwei Zentimeter genügen? Daher wußte Moore genau, wieviel man noch aus dem ältesten Körper herausholen konnte. Gelassenheit im Ring, absolut cool, keine unnötige Bewegung, keine Angst und ein paar Tricks - das war der ultimative Ersatz für Kondition.

Bei George Foreman, der fast genau 20 Jahre, am 5. November 1994, nach dem Kampf gegen Ali wieder im Ring steht, diesmal gegen den Schwergewichtsweltmeister Michael Moorer, kann man studieren, was hinter diesem Verständnis vom Boxen steckt. Allein die Tatsache, daß Foreman im Alter von 47 Jahren noch einen Kampf wagt, spricht für sich und ist wohl nur durch die ökonomische Art seiner Bewegung zu erklären, die man von seinen Kämpfen her kennt. Norman Mailer beschreibt ihn als gefürchteten Puncher, der den härtesten Schlag der damaligen Boxer gehabt haben soll und dessen Persönlichkeit von einer bedrohlichen Ruhe und Wachsamkeit geprägt war. Anhand der in Kinshasa geführten Gespräche mit Journalisten wird denn auch deutlich, daß George Foreman das Prinzip eines geringen Aufwands durch die Vermeidung unnötiger Aktionen auch im persönlichen Umgang befolgte. Er bestimmte die Interviews und ließ sich beinahe nie aus der Reserve bringen. Lediglich die Frage eines Reporters nach seiner Reaktion auf Alis Behauptung, er vertrete die Interessen der Schwarzen militanter als Foreman, soll ihn kurzfristig aus der Fassung gebracht haben. Mit dem Verweis darauf, daß er nichts von Fragen halte, die er schon häufig vorgesetzt bekommen habe und daß er keine weitere Ablenkung wünsche, weil man alles, was man tue, hundertprozentig tun müsse, beendete er das Interview an dieser Stelle.

Norman Mailer jedenfalls hatte seine eigene Begegnung der merkwürdigen Art mit George Foreman, die er in einer ausführlichen Beschreibung würdigt:

Da Norman häufig nicht so alert war, wie er es eigentlich müßte, war er gelegentlich zu voreilig. Nachdem er gerade erst wieder in Kinshasa eingetroffen war, konnte er nicht wissen, daß man Foreman in der Halle nicht ansprechen durfte, und ging ihm mit ausgestreckter Hand entgegen. In diesem Augenblick eilte Bill Caplan herbei, der die Public Relations für Foreman bestritt. 'Er ist gerade erst angekommen, George', erklärte Caplan dem Champion und übernahm die Honneurs. Foreman nickte, lächelte unerwarteterweise und machte dann jene nette Bemerkung vom Champion unter den Schriftstellern - mit einer Stimme, die verblüffend weich und ebenso typisch südstaatlerisch wie ganz und gar texanisch klang. Sein Blick wurde interessiert, als gefalle ihm die Idee des Schreibens - bald sollte bekannt werden, daß Foreman selbst an einem Buch arbeitete. Dann jedoch machte er eine seltsame Bemerkung, über die man die ganze Woche lang nachdenken konnte. Sie war für vieles an Foreman charakteristisch. 'Entschuldigen Sie, daß ich Ihnen nicht die Hand gebe', sagte er mit dieser Stimme, die er so sorgfältig dämpfte, um seine Kraft nicht zu vergeuden, 'aber Sie sehen ja, daß meine Hände in den Taschen stecken.' In der Tat! Wenn sie in den Taschen steckten, wie sollte er sie dann herausnehmen können? Ebenso könnte man einen Dichter mitten im Verseschmieden fragen, ob er Kaffee mit Milch oder Sahne trinke. Foreman machte diese Bemerkung mit einer solchen Selbstverständlichkeit, daß der Gedanke eher liebenswert als ungehobelt wirkte. Er sagte die Wahrheit. Es war wichtig, daß er die Hände in den Taschen behielt. Ebenso wichtig war es, die Welt auf Abstand zu halten. Er lebte in einer Aura des Schweigens.

Ganz anders die Begegnungen Mailers mit Muhammad Ali. Der hatte zu jeder Zeit etwas zu sagen, ob er nun als Komödiant vor dem Kampf die Gegner, die er während seiner Laufbahn geschlagen hat, wortreich mit denen verglich, die Foreman auf die Bretter geschickt hatte, und für seinen voller Überzeugungskraft vorgetragenen Spott brüllendes Gelächter erntete, oder ob er sich ernsthaft über sein Verhältnis zum Islam und zum Kampf der schwarzen Rasse äußerte. Er verband sein Auftreten als Boxer mit seiner Mission als eine Art Botschafter der Nation of Islam, was ihn auch dazu veranlaßte, bei der Verschiebung des Kampftermins wegen einer Verletzung Foremans um einen Monat in Zaire zu bleiben. Schwarzen Journalisten und anderen afrikanischen Besuchern gewährte er größte Aufmerksamkeit, und die Bevölkerung Zaires stand geschlossen hinter Ali, den sie als Vertreter ihrer Sache begriff. Seine Ausführungen und Auftritte nehmen den größten Teil des Buches ein, und Norman Mailer kann nicht umhin, Ali auch als Vertreter der Sache der Schwarzen Respekt zu bezeugen, auch wenn er selbst ein mehr als gespaltenes Verhältnis dazu hat.

Mailers Sympathie mit der schwarzen Bürgerrechtsbewegung ist mit dem Aufkommen der Black Panther verflogen, und in einer aufwendigen Abhandlung über seine Version schwarzer Herkünfte kennzeichnet er die Afroamerikaner mit der Leichtfertigkeit eines an freizügige Interpretationen gewohnten Schriftstellers als unentrinnbares Produkt ihrer rassischen Herkunft und familiären Sozialisation. Während er zugibt, sie um ihre aggressive Vitalität zu beneiden, legt er es mit weitschweifiger Bezichtigungsakrobatik darauf an, in einem Vergleich zwischen Schwarz und Schwarz den hart erkämpften Stolz nordamerikanischer Farbiger als sinn- und zwecklosen Krampf zu diffamieren:

Doch während er sich in seinem Neid erging, verspürte er seltsamerweise Erleichterung. Denn er war zu einer nützlichen Erkenntnis gekommen. Als der afrikanische Schwarze seiner Heimat entrissen wurde, wurde er auch seiner Philosophie entrissen. Also konnte man seiner Gewalttätigkeit und Arroganz wiederum einiges Verständnis entgegenbringen. Man braucht sich nur diese Qual vorzustellen. Nach der afrikanischen Philosophie entstand alles aus der Wurzel, aber die Philosophie war selber entwurzelt worden. Welch ein verstümmeltes und überstimuliertes Transplantat war doch der amerikanische Neger! Seine Lebensanschauung entsprang nicht nur seinen üblen Erfahrungen in Amerika, sondern außerdem den Fragmenten seines verlorenen afrikanischen Glaubens. So daß er nicht einer, sondern zwei Kulturen entfremdet worden war. Welche Idee aus seinem Erbe sollte ein Afro-Amerikaner denn bewahren, wenn nicht die, daß jeder Mensch für sich ein Maximum an Kraft erstreben muß? Da er in einem Feld menschlicher Kräfte lebte, die sich ständig, und zwar drastisch, veränderten, da die Menschen, die er kannte, umgebracht oder verhaftet wurden oder dem Rauschgift zum Opfer fielen, mußte er sich absichern. Wie sollte er sonst zum Leben finden? Ein Verlust an Lebenskraft war ein realer Verlust, einem Verlust an Ego, an Status, an Vorteilen zum Erwerb von Schönheit gleichzusetzen. Im Vergleich zum amerikanischen Schwarzen konnte ein weißer Judeo-Christ einen Verlust an Lebenskraft überstehen und sich dennoch moralisch, selbstlos, ja sogar heiligmäßig vorkommen; konnte ein Afrikaner sich inmitten der traditionellen Kräfte im Gleichgewicht halten. Ein Afrikaner konnte die Last seiner Verpflichtung dem Vater gegenüber tragen, weil sein Vater ihm an der langen Kette zu Gott einen Schritt weit voraus war - in jener ununterbrochenen Kette der Menschenleben, die an den Anfang der Schöpfung zurückführt. Der amerikanische Schwarze war dagegen soziologisch berühmt für den Verlust des Vaters. Kein Wunder, daß sie mit ihren Stimmen die Aufmerksamkeit auf sich zogen! Die Stimmen sprachen von einer - verkrampften - Lebenskraft. Ein armer, ungebildeter Mensch war ohne diese Kraft nichts. In dem Maße, in dem sie ihm innewohnte, steckte er voll Kapital, voll Ego-Kapital, und das war alles, was er besaß. Das war der Kapitalismus des armen amerikanischen Schwarzen, der versuchte, mehr von dem einzigen Reichtum zu sammeln, der für ihn erreichbar war: dem Respekt vor seiner eigenen Sphäre, dem Respekt der lokalen Speichellecker vor der Macht seiner Seele. Welch ein krasser, tastender, drängender, rivalisierender Kapitalismus! Welch ein Mangel an Profit! Das Establishment setzte diesem massiven Ego-Fieber massive Hindernisse entgegen. Kein Wunder, daß das Stammesleben in Amerika zwischen Steinmauern und Drogen begann. Die Drogen verliehen dem Gefühl, daß in einem noch eine mächtige Kraft lebte, ungeheure Dimensionen, und die Strafanstalt ließ die alte Idee wiederaufleben, daß der Mensch eine Kraft inmitten eines Kräftefelds sei. Hatte in Afrika die Tradition die einschränkende Rolle des Gesellschaftsvertrags gespielt, war der amerikanische Schwarze, der ein politisches Ideal hatte, gezwungen, statt dessen unter revolutionärer Disziplin zu leben. Und während er in seinen Steinmauern duldete, wurde sie zu einer Disziplin, die so vernichtend auf die Seele wirkte wie das Ringen eines Boxers um Kondition.

Mit diesem intellektuellen Gewaltakt würdigt Norman Mailer nicht nur alle Afroamerikaner als wurzel- und daher seelenlos herab, sondern erklärt auch den einzigen Ausweg aus diesem Dilemma, wenn es denn eins sein sollte, als gleichermaßen seelentötend. In der diffusen Gleichsetzung von Wurzel, Lebenskraft und Seele dominiert die rassische Abstammung alle anderen möglichen Interpretationen, womit ein Menschenbild Geltung erlangt, das nicht so weit entfernt ist von finsteren Ideologien, die gerade Liberale wie Mailer gerne zum Ausbund alles Bösen erklären. Seiner Ansicht nach ist es diese rassische Herkunft und nicht das Aufwachsen in einer rassistischen Gesellschaft, die den Schwarzen zum verstümmelten Transplantat macht - eine Diktion, die kaum verächtlicher sein könnte.

Seele bedeutet ihm die vermeintlich integrative Kraft väterlicher Autorität, die Eingebundenheit in kulturelle Eigenarten und die aggressive Behauptung der Lebenskraft im von ihm so verstandenen afrikanischen Sinne. Der Erwerb von Kräften im Rahmen der Tradition sozialer und religiöser Bezüge, deren Auflösung er zuvor für Afrika gleichermaßen festgestellt hat, erzeugt eine Art gesunder Lebenskraft, das Ringen um diese Kräfte in den Mauern des amerikanischen Ghettos dagegen eine verkrampftes, unnatürliches Abbild dieser Vitalität. Der Mensch ist, kurz gesagt, das Opfer seiner Umstände, und wenn diese häßlich sind, ist es der Mensch auch. Selbstbehauptung im bunten Gewand folkloristischer Stammesriten ist edel, in der abstoßenden Realität des Überlebenskampfes in amerikanischen Metropolen ist sie verwerflich. Norman Mailer bemüht sich hier auf denkbar umständlichste Weise, dem amerikanischen Schwarzen zu sagen, daß er als pervertiertes Produkt des Sklavenhandels nicht auch noch an diesem Fakt rütteln solle, denn damit wäre das erträgliche Maß des verletzten ästhetischen Empfindens wirklich überschritten.

Daß sich der weiße Judeo-Christ auch bei geringerer körperlichen Präsenz besser behaupten kann, ist nicht etwa Folge einer stärkeren Verbindung mit seinen Ahnen oder einer authentischeren ethnisch-religiösen Identität, sondern beruht schlichtweg auf dem besseren Zugriff auf Institutionen und Verfügungsformen aller Art. Für den Besitzer von Produktionsmitteln oder Teilhaber an administrativer Macht ist Schönheit, also soziale Attraktivität, und körperliche Durchsetzungsfähigkeit keine zwingende Voraussetzung zum Überleben. Unter den verschärften Überlebensbedingungen des Ghettos hingegen kommt es schon sehr darauf an, sich körperlich behaupten zu können, und wenn man Karriere in der Welt der Weißen machen will, denn nur dort hängen die Trauben, und für einen Schwarzen oder Hispanic hängen sie sehr hoch, kann auch ein ansprechendes Äußeres nicht schaden.

Wenn sich dann jemand, frei nach amerikanischer Maxime, raffgierig und somit kapitalistisch gebärdet, kommt es einer Verhöhnung gleich, ihn ob seiner Armseligkeit auch noch zu bedauern und den Mangel an Profit zu beklagen. Und bereichert sich jemand nicht über die Achsen technologischer und ökonomischer Instanzen, sondern tut dies auf der persönlichen Ebene einer überschaubaren sozialen Gruppe, dann muß sein Kapitalismus als krasser und rivalisierender verurteilt werden als etwa derjenige, der nicht nur in Drittweltländern tausende von Toten zurückläßt, um saubere und sterile Produkte in den USA vermarkten zu können.

Wenn man schon so spekulative Begriffe wie Wurzel und Seele verwendet, bedürfte es zumindest einer präziseren Begriffsdefinition, wenn diese Termini in irgendeiner Form tragfähig sein sollen. Wenn man Seele etwa in ihrer Grundbedeutung 'die zum See Gehörenden' als ein die Individualseele ausschließendes Charakteristikum von Sippe oder Gemeinschaft versteht, dann erschließt sich dieser Begriff als etwas, dem jede egozentrische Selbstbehauptung abträglich ist. Gerade in Bezug auf die kollektive Organisation sozial Unterprivilegierter, die sich immer noch als gangbarer Weg zur Erkämpfung bestimmter Freiräume und Teilhaberschaften erwiesen hat, macht eine solche Definition mehr Sinn.

Norman Mailer zielt mit seiner Kritik am angeblich seelentötenden Charakter revolutionärer Disziplin auf die Ideologie und Verhaltensregeln der Black Muslims, die er als einzige derzeit noch ernstzunehmende Organisation der Afroamerikaner bezeichnet. Restriktiv, wie diese Regeln sein mögen, stellen sie doch ein Bollwerk gegen die Auswüchse der beklagten Wurzellosigkeit im amerikanischen System dar. Und wenn der Afroamerikaner in dessen Steinmauern stumm sein Schicksal erleidet, dann ist das wohl eher das Ergebnis eines Mangels an revolutionärer Disziplin, das gebietet schon der Begriff Revolution, der nur Umwälzung infolge von überstrapazierter Duldsamkeit und nicht passives Erleiden meinen kann.

Doch schon die sozialreformerische - und nicht etwa revolutionäre - Militanz der Nation of Islam im Kampf gegen Drogensucht, Prostitution und Verelendung ist Norman Mailer zu bedrohlich, um in seinen Augen Anerkennung als würdiges Mittel schwarzer Selbstbehauptung zu finden. Besonders mißfällt ihm, was Louis Farrakhan in einem gegen Ende des Buches abgedruckten Ausschnitt aus einer seiner Reden zu sagen hat. Der heutige Führer der Nation of Islam, die sich von der weniger radikalen Nachfolgeorganisation der Black Muslims abgespalten hat, war damals noch National Representative des Gründers Elijah Muhammad. Farrakhan erinnert mahnend an die vielen erfolgreichen Versuche, die schwarzen Bewegungen zu spalten, wie es zuletzt durch die Unterwanderung der Black Panthers mit schwarzen Agenten des weißen Staates gelungen sei, und davon, daß die Nation of Islam als einzige Organisation übriggeblieben ist, kompromißlos die Interessen der Afroamerikaner zu vertreten.

Norman Mailers Vergleich zwischen afrikanischen und nordamerikanischen Schwarzen stellt nichts anderes dar als eben diesen Versuch, einen möglicherweise starken Gegner auseinanderzudividieren. Ob die afrikanische Tradition mit ihren gleichsam grausamen Auswirkungen zivilisatorischer Herrschaftsstrukturen ein so positives Vorbild ist, darf gerade angesichts der touristischen Schwärmereien des Autors stark bezweifelt werden. Das Bild des Negers im Kral als dem Affen am nächsten stehender Mensch, dem die Projektion urtümlicher Kraft und rituellen Hordenverhaltens zugrunde liegt, trifft auch für das vorkoloniale Afrika nicht zu. Wenn man den technologischen Entwicklungsstand einmal nicht zum singulären Maßstab für soziale und gesellschaftliche Entwicklung erhebt, erkennt man in den alten afrikanischen Kulturen mit ihren komplexen Regeln und Gesetzen, ihren ominösen Tabufunktionen und grausamen Verstümmelungen ein ähnliches Instrumentarium verfeinerter Sozialkontrolle wie dasjenige ihrer späteren Kolonisatoren.

Norman Mailers These vom Stammesleben in den USA, das durch sein angeblich durch Drogenrausch und Knastexistenz bewirktes Entstehen zum Brutkasten antisozialer Aktivitäten werde, schließt sich wiederum dem Verständnis einer Ethnologie an, der der urbane Single in all seiner Berechen- und Verfügbarkeit den fortschrittlichsten Stand menschlicher Entwicklung darstellt. Wenn sich aus den Widrigkeiten der Drogenkultur und der Menschenfeindlichkeit der Gefängnisse Rituale und Umgangsformen entwickeln, die den Mitgliedern dieser sozialen Gruppen eigen sind, dann wird damit das zum Überleben notwendige Minimum an Gemeinschaft geschaffen, das nicht unbedingt über das Gefühl einer Zugehörigkeit hinausgehen muß. Wer aufgrund äußerer Anzeichen gleich von Stammesleben spricht, unterliegt bestenfalls einer Verwechslung und weist ansonsten alle Anzeichen des verhärmten Voyeurs auf, der seine Unfähigkeit zu kollektivem gemeinschaftlichem Leben mit der Disqualifizierung derartiger Lebensformen kompensieren muß. Und daß ein Knast durchaus zum revolutionären Wendepunkt im Leben eines Menschen werden kann, wie es nicht nur Malcolm X bewiesen hat, ist wohl die direkte Widerlegung des vulgärmaterialistischen Determinismus sozialer Bedingungen, den Norman Mailer vertritt.

Es ist nicht die durch die willkürliche Trennung von Heimaterde und traditioneller Kultur postulierte doppelte Entwurzelung der Afroamerikaner, die sie in fremden Steinmauern leiden läßt, es sind die Suggestionen liberaler weiße Propagandisten vom Schlage Norman Mailers, die versuchen, über die Überhöhung sozioökonomischer Bedingungen zur zwanghaften Kausalität eines Naturgesetzes einen Typus zu erschaffen, der dem Abziehbild des protzenden, rüden schwarzen Pimps entspricht, das der Autor an anderer Stelle zeichnet und das ihm von ganzem Herzen verhaßt ist. Dabei vergißt er, daß auch die meisten als pädagogisch wertvoll präsentierten afroamerikanischen Role Models dieser Sozialisation entstammen und das gerade Muhammad Alis Beispiel eines kämpferischen, sozial verantwortungsvollen und mit seinem Tun im Einklang befindlichen Schwarzen die Antithese zu seiner Charakteristik verkörpert.

Doch es geht dem Autor naturgemäß nicht darum, Schwarzen in den USA oder in Afrika gerecht zu werden, sondern seine Ängste vor einer gesellschaftlichen Entwicklung zu kanalisieren, die in den USA durchaus zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen führen könnte. Mobutu ist in seinen Augen zwar der König einer überdimensionalen Bananenrepublik, doch Schwarzafrikaner sind ihm in ihrer leichten Beherrschbarkeit, vermittelt durch Tradition und Familienbande, wesentlich lieber als der unberechenbare Black Panther, der mit der AK-47 auf dem Schoß im Straßenkreuzer durch die Stadt patrouilliert, oder die Bedrohung durch die Aufstände in den nordamerikanischen Schwarzenghettos der sechziger Jahre, bei denen die US Air Force ihre Bombenschächte sogar über den eigenen Städten entleerte. Als Boxfan und liberaler Amerikaner ist der Autor Foreman und Ali naturgemäß verbunden, was seiner ambivalenten Haltung entsprechend in Sticheleien und Boshaftigkeiten resultieren muß. Zwischen den Zeilen steht Ali durchaus auch als ignoranter Prahlhans da, und das Urteil, er besitze einen offenen und nicht etwa repetitiven Intellekt, läßt an Herablassung nichts zu wünschen übrig, denn über welch einen Intellekt muß wohl derjenige verfügen, der so etwas beurteilen kann.

All diese Widersprüche machen das Buch "Der Kampf" zu einem Zeitzeugnis der Geschichte des schwarzen Amerikas und seiner weißen Chronisten, das auch 20 Jahre nach seinem erstmaligen Erscheinen nichts an Aktualität und Brisanz eingebüßt hat.

Das Buch ist 1976 in der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. München/Zürich erschienen und hat 247 Seiten. Die Übersetzung der amerikanischen Originalausgabe "The Fight" von 1975 besorgte Gisela Stege.


Norman Mailer
Der Kampf
ISBN 3-426-08862-2