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REZENSION/018: Robert Jungk, Hg. - Off limits... (Zeitgeschichte) (SB)


Herausgegeben von Robert Jungk


Off limits für das Gewissen

Der Briefwechsel Claude Eatherly Günther Anders



Anläßlich des weltweit begangenen 50. Jahrestages des Abwurfs der Atombombe auf die Stadt Hiroshima bietet sich die Gelegenheit, anhand eines einzigartigen Zeitdokuments auf das Selbstverständnis der unmittelbaren Täter, der ausführenden Soldaten in den Bombern, einzugehen. Auch wenn sie allgemein als quasimechanische Funktionseinheiten betrachtet werden, die den nuklearen Massenmord am Ende der Befehlskette kaum zu verantworten hätten, ist der befehlshabende Offizier des meteorologischen Vorauskommandos Claude Eatherly, der die Voraussetzungen für den Abwurf überprüft und mit seinem Okay den Abwurf eingeleitet hat, nicht über seine Beteiligung am Drama von Hiroshima hinweggekommen. Der 1961 als Rowohlt Paperback erschienene Briefwechsel zwischen ihm und dem Schriftsteller und Philosophen Günther Anders schildert die Problematik seiner Tatbeteiligung auf hautnahe Weise und macht nicht nur das persönliche Ringen um ein Leben nach dem Abwurf transparent, sondern dokumentiert auch die konsequente Ausschaltung eines prominenten Atomwaffengegners durch die konzertierte Zusammenarbeit von Familie, Militär und Regierung.

Gerade angesichts der publizistischen Breitseite in Printmedien, Hörfunk und Fernsehen, wo sich historische Analysen über die Hintergründe der amerikanischen Abwürfe mit erschütternden Erlebnisberichten von Überlebenden abwechseln, könnte ein Nuklearstratege den positiven Effekt postulieren, daß die Menschheit endlich gelernt habe, mit der Bombe zu leben. Die Berichte scheinen wenig mehr zu bewirken als eine Fortsetzung menschlicher Verblendung durch atomares Feuer, in der man sich weitestgehend sicher vor der Wirkung dieser und anderer Bomben fühlt. Schließlich sind die Zeiten politisch unliebsamer Proteste gegen nukleare wie auch konventionelle Rüstung, bei denen es geradezu zwangsweise zu der Unterstellung kam, im Interesse des ideologischen und militärischen Gegners zu handeln, weitestgehend vorüber, und die ernsthafte Forderung einer Abschaffung aller Atomwaffen wird heutzutage gerne als unrealistischer Anachronismus belächelt.

Ob es die Ostermärsche der frühen sechziger Jahre waren oder die religiös motivierte Bewegung "Schwerter zu Pflugscharen" in den USA, bei der das Engagement mit Vorschlaghämmern bewehrter Einzelpersonen gegen die Deckel der Abschußrampen amerikanischer Interkontinentalraketen mit drakonischen Haftstrafen von über 20 Jahren belohnt wurde, heute wirken diese Demonstrationen persönlicher Betroffenheit als antiquierte Auswüchse einer allzu tiefgründig schürfenden Epoche, in der die Frage kompromißloser Gewissenhaftigkeit noch nicht durch das egalisierende Prinzip eines allseits einleuchtenden Pragmatismus abgelöst wurde. Dieser beinhaltet vor allem die allgemeine Akzeptanz eines exklusiven Atomklubs, der allen anderen Nationen unverhohlen mit der atomaren Faust droht, um eine weitere Ausbreitung dieser Waffen zu verhindern. Was gerne als bloße Sorge um das Wohl der Menschheit verkauft wird, stellt vor allem die Bewahrung eines militärischen Monopols unter Federführung der mächtigsten Atommacht, den USA, dar.

Wie bei allen zuerst erschreckenden Momenten menschlicher Zerstörungswut hat sich der Faktor der Gewöhnung eingestellt, der sich um so wirksamer durchzusetzen scheint, je abstruser das Vernichtungspotential ist. Da Atomwaffen erst zweimal militärisch eingesetzt wurden, hat die Abschreckungsdoktrin an Glaubwürdigkeit gewonnen, und die Wirkungslosigkeit zivilen Widerstands ist in eine Form resignativer bis zynischer Akzeptanz gemündet. An Stelle einer Debatte um atomare Massenvernichtungswaffen sind vor allem Themen aus dem ökologischen Bereich getreten, bei denen es weniger um das grundlegende Problem menschlicher Aggression geht als vielmehr um eine Form des Krisenmanagements mit dem zunehmenden Charakter kollektiver Zwangsverfügung. Dabei gerät die ominöse Abstraktion der Natur, deren stoffwechselbegründeter Raub- und Freßcharakter in der überhitzten Verbrennungstechnolgie des Menschen lediglich ihre Potenzierung findet, zum Instrument eines Wandels ökonomischer und administrativer Strukturen, bei dem der Mensch ganz auf seine Funktion als verbrauchender Bioorganismus reduziert wird.

Dementsprechend weist die derzeitige Kampagne gegen die französischen Atomversuche auf dem Mururoa-Atoll alle Anzeichen einer Schlacht um Einfluß und Macht in internationalen Entscheidungsprozessen auf und stellt keineswegs die Fortsetzung der Proteste gegen atomare Aufrüstung dar. Ganz im Sinne der zunehmenden Vernachlässigung sozialer Fragestellungen steht die Kampagne unter dem Zeichen der ökologischen Auswirkungen von Atomtests und stellt zudem mit keinem Wort die Frage nach den militärischen Erwägungen, die eine zweitrangige Atommacht wie Frankreich zu diesem Schritt veranlaßt haben. Während sich amerikanische Politiker in die weltweite Einheitsfront gegen französischen Großmachtansprüche einreihen, tritt eine große Mehrheit im US-Senat für die Wiederaufnahme von Atomtests ein. Zudem verfügen die Vereinigten Staaten über einen erheblichen Vorsprung in der Atomwaffentechnologie und sind keinesfalls bereit, ihren Platz als bestgerüstetste Weltmacht einzubüßen.

All das geht unter im großen Konsens schulterklopfender Boykotteure, die sich im Besitz basisdemokratischer Machtmittel wähnen und dabei übersehen, daß sie auch das Geschäft derjenigen Weltmacht betreiben, die die nukleare Option als erste und bisher einzige Nation gezielt gegen ein anderes Volk eingesetzt hat und kein Interesse am Erstarken anderer Atommächte haben kann. Ebenso ignoriert wird die in konkrete Angriffsszenarien umgesetzte Atomstrategie gegen nukleare Schwellenländer und andere unliebsame Vertreter der Dritten Welt, die sich durch eine amerikafeindliche Politik hervorgetan haben. Tatsächlich hat sich die Gefahr der atomaren Kriegsführung durch die Entwicklung eines maßgeschneiderten Arsenals vielseitig einsetzbarer Sprengköpfe im Kilotonnenbereich und eine neue Front zwischen Nord und Süd seit Ende des Kalten Krieges eher verstärkt, doch ein Boykott von McDonald's und Coca Cola angesichts amerikanischer Atomtestpläne scheint kaum wahrscheinlich.

Vor dieser Lage der Dinge gewinnt das Schicksal des 1978 verstorbenen ehemaligen Air Force-Majors Claude Eatherly eine umso bedrückendere Bedeutung, als daß allein die an seinem Anti- Atom-Engagement entzündete Debatte heutzutage so nicht mehr denkbar wäre. Schon die grundlegende Frage nach der Legitimation von Atomwaffen wirkt vor der derzeitigen Erörterung der militärischen Ratio ihres Einsatzes am Ende des Zweiten Weltkrieges überholt, und wie hölzern und verlogen die Litanei von Schuld und Sühne auch erscheinen mag, so bietet sie noch mehr Ansatz zu produktivem Zweifel als das selbstgerechte Aufrechnen gegenseitiger Kriegsgreuel. Auch dabei geht es um Schuld, doch immer nur im Sinne einer nachträglichen Rechtfertigung und einer um Ausgleich bemühten Bilanz der Grausamkeiten, als ob das individuelle Leiden in irgendeiner Form über Abstraktionen wie nationale oder kollektive Schuld zu tilgen wäre.

Claude Eatherly hat diesen Weg einer persönlichen Haftung mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln beschritten und sich als einziger der am Angriff beteiligten Soldaten für das verantwortlich gefühlt, was die gigantische Explosion angerichtet hat, die er vom Flugzeug aus beobachten konnte. Während sich die anderen Besatzungsmitglieder durch demonstrative Bekenntnisse, daß ihnen der Bombenabwurf nicht eine schlaflose Nacht beschert hätte, als beinharte und zuverlässige Vertreter militärischer Tugenden erwiesen, demontierte Eatherly das Bild des Kriegshelden nach Strich und Faden. Nach einer Phase sozialer Abstinenz im Anschluß an den Hiroshima-Einsatz, in der er mehrere Tage mit niemandem sprechen wollte, was noch als verbreitetes Phänomen bei kriegsmüden Soldaten galt, erteilte er bei der Rückkehr in seine Heimatstadt auch allen Versuchen, ihn als Helden zu feiern, eine Absage.

Das unterschied in zwar von allen anderen Besatzungsmitgliedern, denn auch bei dem nachhaltigen Gerücht, einer der Piloten sei so erschüttert gewesen, daß er in ein Kloster eingetreten sei, handelt es sich um eine beliebte Legende, doch es fand noch in einem Klima statt, in dem die Option atomarer Aufrüstung noch kein selbstverständlicher Bestandteil amerikanischer Politik war. Die wurde erst mit dem Beginn des Kalten Kriegs realisiert, so daß es bald schon Landesverrat gleichkam, wenn man sich gegen Atomrüstung aussprach. Eatherly, der 1947 aus der Armee entlassen wurde, kam bei allen Versuchen, den Einstieg in ein normales Berufs- und Familienleben zu finden, nicht über sein zentrales Kriegserlebnis hinweg. Um seiner tiefempfundenen Schuld gerecht zu werden, beginnt er damit, Briefe mit Geld und Entschuldigungsschreiben nach Japan zu schicken und versucht 1950 erstmals, sich das Leben zu nehmen.

Nach einem Aufenthalt in einem Militärkrankenhaus plant er einen neuen Einstieg ins Berufsleben, diesmal mit körperlicher Arbeit in der Ölindustrie, von der er sich einen Ausgleich zu seinen seelischen Spannungen verspricht. Da auch das kein Entkommen von der Erinnerung an Hiroshima bewirkt, geht er dazu über, kleinere Überfälle und Einbrüche zu begehen, bei denen er die Beute entweder vor Ort läßt oder für Überweisungen nach Hiroshima verwendet. Nach einem weiteren Selbstmordversuch läßt er sich ein zweites Mal in das Militärkrankenhaus von Waco, in dem die mentalen Wracks des Krieges verwahrt werden, einweisen und wird mit Insulinschocks behandelt.

Seine Aufenthalte in der Nervenklinik sind vor allem auf das Eingreifen der Air Force zurückzuführen, die mehr an einer Pathologisierung seiner Taten interessiert ist als an einer Kriminalisierung, die weniger an der Glaubwürdigkeit seiner Person gerüttelt hätte. Auch in den folgenden Jahren von 1954 bis 1959 soll Eatherly das Leben eines dilettantischen, weil ausschließlich vom Motiv der Selbstbezichtigung getriebenen Straftäters geführt haben, der zwischen Gerichtssaal und Klinik hin- und herpendelt und sich ansonsten auf Veranstaltungen und in Vorträgen gegen die Atomrüstung engagiert.

1959 greift der in Wien lebende Philosoph und Schriftsteller Günther Anders eine Zeitungsmeldung über Eatherly auf und tritt mit dem tragischen Rebell und psychiatrisierten Delinquenten in Briefkontakt. Der Herausgeber Robert Jungk beschreibt diesen Schritt als Wende im Leben Eatherlys, der durch die klärenden Worte des auf Veröffentlichungen zum Thema der nuklearen Rüstung spezialisierten Anders neuen Lebensmut gewonnen habe, den er für eine verstärkte Aktivität gegen die Atomrüstung seines Landes nutzen wollte. Infolge dieses Einflusses sollen sich die Bemühungen der Air Force und anderer administrativer Stellen verstärkt haben, den unbequemen Piloten an seinem Vorhaben zu hindern, indem man ihn widerrechtlich in Zwangsgewahrsam nahm.

Auch wenn Eatherly in seinen Briefen an Anders bekundet, von dessen "Moralkodex für das Atomzeitalter", einer hochabstrakten Abhandlung über technologische Innovation und die moralische Legitimation zur Gegenwehr, sehr beeindruckt gewesen zu sein, scheint hier jedoch eine weitgehende Überschätzung der Wirkung Günther Anders' vorzuliegen. Robert Jungk wollte dem renommierten Autor, der ihn seinerseits lobend als kompetenten Kritiker der Atomrüstung ausweist, wohl eher seine Dankbarkeit erweisen.

Bei allem Einsatz und aller Hinwendung, die Günther Anders in seinen Briefen zeigt, wird man den nagenden Verdacht nicht los, daß das Schicksal eines mit Haut und Haaren um die persönliche Glaubwürdigkeit ringenden Menschen dazu benutzt wurde, eine erfolgsträchtige Geschichte mit vielseitiger Verwendbarkeit für den eigenen philosophischen und publizistischen Ruf zu verwenden. Überspitzt ausgedrückt könnte man sagen, daß Claude Eatherly ein geradezu vorzügliches Studienobjekt in einem Feldversuch zur Untersuchung einer so absoluten Instanz wie der des Gewissens bildete, in dem der Geisteswissenschaftler Anders die Gültigkeit seiner moralischen Thesen beweisen konnte.

Während Claude Eatherly in zunehmendem Maße von den psychiatrischen Zwangsmaßnahmen bedroht ist, an der auch seine von Regierungsstellen beeinflußten Geschwister maßgeblichen Anteil haben, die ihn drängen, in psychiatrischer Behandlung zu bleiben, und, nachdem Eatherly unter allen Umständen entlassen werden will, fragwürdig begründete Zwangsmaßnahmen erwirken, verbleibt Anders in der Distanz des beratenden Freundes und behauptet, keine Möglichkeit zu besitzen, ihn in den USA zu besuchen. Dabei ist das Interesse an der Person Eatherlys sehr groß, wie diverse Angebote für eine Verfilmung seiner Geschichte als auch eine Artikelserie in einer großen deutschen Illustrierte beweisen. Zu den Verfilmungen kommt es jedoch nicht, da sich die Interessenten aus Hollywood sämtlich als Protagonisten einer Heldensaga erweisen und zum Teil sogar zu Auftragsempfängern des Militärs gehören.

Bei aller Bemühung um einen emotionalen Kontakt, soweit dieser überhaupt in der brieflichen Distanz möglich ist, kann Anders es nicht unterlassen, sich demonstrativ von den intellektuellen Fähigkeiten Eatherlys abzugrenzen. Dabei weist er alle Merkmale des verknöcherten Denkers auf, der sich hinter einer abstrakten Sicht der Dinge verschanzt, um nicht in die Gefahrenzone persönlicher Betroffenheit zu geraten. Auf den Leser des Briefwechsels wirken die analytischen Fußnoten Anders' zu den Briefen Eatherlys wie die kleinliche Kritikasterei eines Oberlehrers, der nicht in der Lage ist, den Menschen über seinen sprachlichen Ordnungswahn zu stellen. Während Eatherly sich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln äußert und seine Überlegungen und Skrupel vollkommen stringent und überzeugend ausbreitet, schreibt Anders:

Eatherlys Sprache ist alles andere als die eines Schriftstellers, manchmal ist sie sogar primitiv. ... Die Sprache versagt häufig durch die entsetzliche Diskrepanz zwischen der (oft sogar idiomatischen und dialekthaften) Alltagssprache, die sein Erbteil war, und der Immensität des letztlich apokalyptischen Themas.

Auch wenn Günther Anders auf den zerstörerischen Einfluß der psychiatrischen Internierung hinweist und anführt, daß die Briefe, die er außerhalb der Anstalt schrieb, "sprachlich nahezu in Ordnung sind", bleibt der Eindruck nicht aus, daß Anders mit seinen Gedanken bereits bei der Veröffentlichung der Korrespondenz und weniger bei der Person Eatherlys ist. Immer wieder verweist Anders auf die stilistischen Fehler Eatherlys und rechtfertigt seine Übersetzung, die von einer besseren Sprachform als die Originalbriefe sein soll, damit, daß die Übernahme der "syntaktischen Armut" im Deutschen "läppisch" gewirkt hätte. Dabei handelt es sich um die Probleme jedes Übersetzers, der auch bei einer dünnen englischsprachigen Vorlage nicht auf die Reichhaltigkeit des eigenen Sprachraums verzichten wird.

Als Eatherly bei der Erwähnung eines Textes für eine japanische Zeitschrift den Begriff "Essay" verwendet, kommentiert Anders:

Immer wieder verwendet E. in seinen Briefen die fremden Literaturworte; wohl auch deshalb, um in dem Briefwechsel mit einem Schriftsteller (vermutlich dem ersten, dem er in seinem Leben begegnet ist) nicht ganz ungebildet zu erscheinen.

Liest man dann jedoch den Text des von Anders derart herabgewürdigten Autors, zeigt sich nicht nur die bodenlose Arroganz und der berufständische Dünkel des vermeintlichen Freunds, der seinerseits gleich beim ersten Satz des Zitats einem sprachlichen Blackout unterliegt, sondern es bestätigt sich auch die von Anfang an durch Eatherly getroffene Festlegung auf einen persönlichen Kampf gegen die Atomrüstung. Bis auf eine gewisse Verpackung für ähnlich anspruchsvolle Vertreter akademischer Stände können die hochtrabenden Ausführungen des Wiener Moralisten, die sich auf den einfachen Satz reduzieren lassen "Tue anderen nicht an, was du selbst nicht erleiden möchtest", nichts beigetragen haben.

Nun, nachdem ich Ihnen über meine Rolle bei der Mission gesprochen habe, möchte ich Ihnen erzählen, daß ich an diesem Tag des 6. August 1945 den Entschluß gefaßt habe, mein Leben der Aufgabe zu weihen, die Kriegsursachen zu zerstören und für die Ächtung aller Atomwaffen zu kämpfen. Dies gelobte ich in einem Gebet auf dem Flug zur Heimatbasis - und was in der Zukunft auch geschehen mag, ich weiß, daß ich drei Dinge gelernt habe, die für immer Überzeugungen meines Herzens und meines Geistes bleiben werden. Zu leben, selbst das härteste Leben zu leben, ist der schönste Schatz und das wundervollste Wunder in der Welt. Seine Pflicht zu erfüllen, ist das zweite wunderbare Ding. Und dieser Pflicht: Nämlich allen Menschen aller Rassen, gleich ob rot, weiß, schwarz oder gelb, ein Leben voller Glück, ohne Furcht, ohne Armut, ohne Ignoranz und ohne Knechtschaft zu verbürgen - der Erfüllung dieser Pflicht weihte ich mich auf dem Rückflug von Hiroshima nach Tinian. Das war mein zweites Credo. Mein drittes Credo ist, daß Grausamkeit, Haß, Gewalttätigkeit oder Ungerechtigkeit niemals ein Millenium wird heraufbringen können, weder im geistigen noch im moralischen noch im materiellen Sinne. Der einzige Weg zum Millenium ist die verströmende schöpferische Liebe, das Vertrauen und die Brüderlichkeit, die nicht nur gepredigt, sondern pausenlos praktiziert wird. Ungefähr 15 Jahre sind seit diesem Gelöbnis verflossen, und die Schuld, die mit einem solchen Verbrechen verbunden ist, hat in meinem Geist und in meinem Gemüt viel Verwirrung angerichtet. Beinahe acht von diesen Jahren habe ich in Hospitälern, und eine kurze Zeit in Gefängnissen verbracht. Mir schien, ich war in Gefängnissen stets glücklicher, weil ich dadurch, daß ich bestraft wurde, die Schuld los wurde.

Günther Anders hat zu all dem nichts weiter beizutragen, als die Probleme Eatherlys wortreich als Gleichsetzung von Opfer und Täter auszuweisen, als Demonstration dessen, daß "der Zerstörer dadurch, daß er seine Mitmenschen zerstört, mitzerstört ist." Diese unzutreffende Gleichsetzung, bei der nicht darauf eingegangen wird, das die tatsächlichen Opfer der Bombardierung im Unterschied zum Täter keine Chance auf eine Veränderung ihres Lebens mehr haben, hält er für ein adäquates Argument zur Abschreckung potentieller Massenmörder. Allein die ungestörte Seelenruhe der anderen Besatzungsmitglieder weisen das Argument als abgehobene Gedankenwindung eines reinen Theoretikers aus, der damit natürlich weiter an der Installation der von ihm propagierten Morallehre feilt, als dessen Hohepriester er fungiert.

Letztendlich wendet sich diese Inanspruchnahme moralischer Instanzen gegen Eatherly, den Anders mit keinem Wort von der physisch empfundenen Schuld entlastet, indem er sie etwa als ausschließlich moralische Kategorie kennzeichnet, ohne die er sehr viel wirkungsvoller für seine Ideale eintreten könnte. Stattdessen pocht der auf die Gültigkeit des begangenen Unrechts und versäumt darüber, Eatherly über die politischen Implikationen seines Falls aufzuklären und den Begriff der Geisteskrankheit als ausschließliches Mittel seiner Fesselung zu analysieren. All diese Dinge kommen zwar zur Sprache oder werden durch Anführungsstriche ironisiert, für einen Juden, dem die lebensbedrohende Naziherrschaft noch frisch in Erinnerung ist, läßt Anders es jedoch an konsequenter Parteilichkeit fehlen.

Deutlich wird die ambivalente Haltung des Autors in einem Brief an den behandelnden Arzt Eatherlys, in dem er sich für dessen Freilassung einsetzt und dabei auch die Möglichkeit einräumt, daß Eatherly begründetermaßen interniert ist. Auch wenn man das als taktischen Zug verstehen kann, um den Arzt nicht zu brüskieren, spiegelt sich darin die bewertenden Distanz des Beobachters, der sich nie ganz auf die Seite des Sonderlings Eatherly gestellt hat, der mit seinem Leben einlöst, was Anders lediglich als moralischen Imperativ formuliert. Angesichts eines abgelehnten Filmangebots stellt er Eatherly eine moralische Expertise aus, die die Frage aufkommen läßt, aus welchem Gral reinster Gesinnung eigentlich Günther Anders schöpft, daß er so ohne weiteres über den Wert eines Menschen entscheidet und damit unverhohlen auch den Unwert postuliert.

Krieg, so schrieb ich, hat einen gespenstisch indirekten Charakter angenommen, da Feinde einander nicht mehr sehen, und da die Größe der Effekte unserer Taten ein für allemal unser seelisches Vermögen, z.B. unsere Vorstellungskraft, übersteigen. Was man effektiv tun kann, ist mehr, als was man sich ausmalen kann, wir können mehr produzieren als geistig reproduzieren. Ferner sprach ich von der eigentümlich invertierten Beziehung, die zwischen Hemmung und Tatgröße bestehe, und zwar deshalb bestehe, weil der Hemmungsmechanismus gerade dann lahmgelegt sei, wenn die Effekte dessen, was wir tun, unzweideutig unsere Vorstellungskraft überstiegen - kurz: Ich erklärte ihm, daß man heute schuldlos schuldig werden könne. Meine Argumente entnahm ich fast durchweg meinem Buche 'Die Antiquiertheit des Menschen', aber natürlich formulierte ich sie in einem weniger akademischen Idiom. ... Er schrieb mir einen Brief, der mir durch seine sonderbare Verbindung von simpler Sprache einerseits und Einsicht und Gewissenhaftigkeit andererseits bewies, daß er nicht nur ein Mensch von unbestreitbarem Wert ist, sondern effektiv als ein Opfer des neuen Stadiums unserer Technik angesehen werden muß. ... Claude war groß genug, sofort auf die Glamour-Versuchung zu verzichten: er versprach mir, sich auf einen Geschäftsabschluß allein dann einzulassen, wenn ihm die Wahrhaftigkeit eines solchen Filmes zuvor verbürgt werden würde. - Dies als Illustration für den moralischen Standard dieses Mannes, der sonst vielleicht (das gebe ich ohne zu zögern zu) etwas knabenhaft geblieben sein mag, was freilich kaum ein Wunder ist, da er ja kaum jemals die Chance gehabt hat, das Leben eines erwachsenen Mannes zu führen. - Ich halte es durchaus für möglich - aber das ist nur eine Hypothese - daß das Bild, das ich mir von ihm mache, unvollständig oder vielleicht sogar schief ist. Es ist ja denkbar, daß er mir in seinen besten Augenblicken geschrieben hat. Wenn das der Fall sein sollte, dann wäre ich Ihnen für eine Information zu Dank verpflichtet, da ich dann ja meinen Briefstil danach einzurichten hätte.

Dieser wie auch immer begründete Schulterschluß mit den Vertretern einer Institution, die es darauf angelegt hat, den prominenten Atomgegner mundtot zu machen, stellt ein deutliches Zeugnis der Korrumpierbarkeit gerade des moralisch lauteren Experten dar, denn als solcher ist er vor allem der Konsistenz seines Berufstandes und der durch ihn verkörperten Werte verpflichtet. Im Kontext der McCarthy-Ära und der virulenten Bezichtigung, für die Interessen des Gegners einzutreten, wird diese unterschwellige Bereitschaft um so deutlicher. Indem Günther Anders dem ehemaligen Bomberpiloten mit einer fadenscheinigen Begründung den Ablaß erteilt, denn schließlich wird die Vorstellungskraft als reprojektive, ausschließlich an vergangenen Erfahrungen orientierter Instanz ständig von der Wirklichkeit übertroffen, und ihn zum Opfer verklärt, entmündigt er ihn im Namen seiner Morallehre ein weiteres Mal und verhindert seine Emanzipation zu einem Menschen, der ohne fremdbestimmte Hebelfunktionen für die eigenen Interessen eintritt.

Durch die Disposition für eine Zusammenarbeit mit dem Psychiater plaziert Anders das Bekenntnis Eatherlys hinter die fachliche Beurteilung eines Arztes, für den nicht etwa die inhaltlichen Beweggründe von Eatherlys Verhalten entscheidend sind, sondern der - neutral ausgedrückt - lediglich Normabweichungen bewertet und einer Behandlung zuführt. Während Anders selber zugesteht, daß ein so außergewöhnliches und alle Wertmaßstäbe sprengendes Ereignis wie die Bombe von Hiroshima geradezu außergewöhnliche Reaktionen verlangt, also eigentlich das weiterhin normale Verhalten der anderen Besatzungsmitglieder die in seiner Weltsicht verwerfliche Unmoral verkörpert, besteht er im Kontakt mit Ärzten und anderen Funktionsträgern auf den in Frage gestellten Normen.

Man kann die Abgründe der sozialen Verdammnis erahnen, die sich auftun, sobald Eatherly den eingeforderten Konsens auch nur um ein Jota überschreitet. Aus dem moralisch hochgelobten Kämpfer für die gerechte Sache würde ein in jeder Beziehung ausgeliefertes Opfer gesellschaftlicher Ächtung und psychatrischer Stigmatisierung, dem keine Stimme mehr zugestanden würde. Ohnehin geht es Anders, auch wenn er im Verlauf des Briefwechsels einen anderen Eindruck entstehen läßt, nicht um das Schicksal Eatherlys, sondern um dessen Instrumentalisierung im Kampf gegen die Atomrüstung, wie er in seinem ersten Brief in Bezug auf eine angeblich neuartige Schuld unverblümt deutlich macht. Seine ganz persönlichen Pfründe als Autor, der hinsichtlich Eatherlys Rolle als eine Form öffentlichen Eigentums die letztliche Veröffentlichung bereits fest im Blick hat, und Philosoph, der einen moralischen Präzedenzfall erforscht, erwähnt er allerdings an keiner Stelle.

Schließlich gehören Sie ja zu den ersten, die sich in diese neuartige Schuld, in die sich heute oder morgen jeder von uns verstricken könnte, wirklich verstrickt haben. Aus diesem Grunde also spielen Sie für uns die große Rolle eines Kronbeispiels, ja die eines Vorläufers. Vermutlich ist Ihnen das gar nicht recht. Sie wollen Ihre Ruhe haben, your life is your business. Wir versichern Ihnen, daß wir Indiskretion genauso wenig lieben wie sie es tun, und wir bitten Sie um Verzeihung. Aber in diesem Fall ist, aus dem Grund, den ich eben genannt habe, Indiskretion leider unvermeidlich, ja sogar geboten: Ihr Leben ist auch unser business geworden. Da der Zufall (oder wie immer wir die unbestreitbare Tatsache nennen) es gewollt hat, Sie, den Privatmann Claude Eatherly, in ein Symbol der Zukunft zu verwandeln, haben Sie kein Recht mehr darauf, sich gegen unsere Indiskretion zu verwahren.

Auch als Opfer dieser moralischen Zwangsverpflichtung ist Eatherly sehr wohl in der Lage, die Spur der Beteiligung aller am Geschäft mit Schuld und Sühne zu erahnen. Obwohl er, auf Anders' intensives Anraten hin, eine für damalige Verhältnisse große Summe von 250.000 Dollar für die Filmrechte an seiner Geschichte abgelehnt hat, weiß er von der Notwendigkeit einer heroischen Verklärung seiner Person zur Beruhigung aller Beteiligten und benennt präzise die treibenden gesellschaftlichen Kräfte bei der Ausmerzung streithafter Andersdenkender. Die von ihm angedeutete Funktion des Guten als Mittel zur Polarisierung und Ausgrenzung durch die herrschende Gesellschaftsschicht überschreitet die so aufwendig verpackte Moral des Wiener Philosophen und enthüllt deren potentiell gewalttätigen Charakter.

Das Geld, das ich erhalten würde, würde mich, wenn dessen Empfang an andere Zielsetzungen gebunden wäre, nur an die dreißig Silberlinge erinnern, die Judas Ischariot für seinen Verrat empfangen hat. (Andererseits freilich hatte ich immer das Gefühl, der wirklich Schuldige am Justizmord an Christus war der Hohepriester Kaiphas, der Repräsentant der Frommen, Respektablen, im konventionellen Sinne Guten aller Zeitalter, auch unseres Zeitalters.) Obwohl diesen Leuten nicht im gleichen Sinne wie Judas Vorwürfe gemacht werden können, sind doch auch sie schuldig, in einem subtileren und tieferen Sinne als er. Dies ist es, was es so schwer macht, der Gesellschaft beizubringen, die Tatsache meiner Schuld, die ich längst eingesehen habe, anzuerkennen. Die Wahrheit ist, daß die Gesellschaft die Tatsache meiner Schuld einfach nicht annehmen kann, ohne damit gleichzeitig ihre eigene, viel tiefere Schuld anzuerkennen.

Claude Eatherly wehrte sich in zunehmendem Maße gegen die an ihm vollzogenen Zwangsmaßnahmen und floh schließlich aus der Anstalt in Waco. Dort hatte man ihn in die geschlossene Abteilung gesteckt, wo er nach eigenem Bekunden nur noch mit den Wärtern reden konnte, da die anderen Internierten kein verständliches Wort mehr hervorbrachten. Seine Flucht wurde erst mit einer Verzögerung von mehreren Wochen bekanntgegeben, wie überhaupt wenig über den rechtlichen Status seiner Festsetzung nach außen drang. Die erneute Festnahme, die ebenso auf illegaler Basis erfolgte, führte nur noch zu einer vorübergehenden Einweisung.

Die durchgängige Psychiatrisierung Eatherlys in verschiedenen Einrichtungen des Militärs weist auf die übergeordnete Zusammenarbeit der beteiligten Behörden mit dem Ziel hin, den Ruf dieses prominenten Atomwaffengegners nachhaltig zu untergraben. Die zum Hiroshima-Jahrestag von der Nachrichtenagentur AFP verbreitete Version zeigt, wie erfolgreich diese Strategie war, zumal sehr wenige Veröffentlichungen überhaupt an Claude Eatherly erinnern.

Heatherley starb 1978 an Krebs, doch sein Leben war schon längst vorher zu Ende. Hiroschima hatte aus dem Spitzenpiloten ein Wrack gemacht: Er verlor seine Familie, seine Karriere, sein psychisches Gleichgewicht. Siebenmal nahm ihn die Polizei wegen kleinerer Delikte fest, neunmal wurde er in Nervenkliniken eingeliefert. Mit Drogen und Alkohol versuchte Heatherley das traumatische Erlebnis zu vergessen, mehrmals versuchte er sich das Leben zu nehmen.

Diese Lesart zeigt deutlich, daß ein derart engagierter Einsatz gegen Atomrüstung heutzutage bereits ein Tabu darstellt, auch wenn die letzten Aktionen der dann schon gesellschaftlich weitgehend integrierten Antiatomwaffenbewegung gerade einmal vor 15 Jahren stattfanden. Auch von daher stellt das nicht mehr verlegte Werk ein einzigartiges Dokument der Zeitgeschichte dar, das auf eine Kultur der Diskussion verweist, die bei aller moralischen Engstirnigkeit zumindest den Ansatzpunkt zu weiterführenden Überlegungen bilden konnte. Heutzutage sind es eher spektakuläre Fallgeschichten wie diejenige des kürzlich interviewten Japaners, der nach der Verseuchung Hiroshimas zu Verwandten nach Nagasaki flüchtete, nur um dort einer weiteren Bombardierung ausgesetzt zu werden, die Schlagzeilen machen und die Leser beschäftigen. Denn schließlich sind sie allemal interessanter als die blutleeren Betroffenheitsadressen zum Jahrestag von Hiroshima, die nicht einmal die Qualität der moralischen Forderungen eines Günther Anders erreichen.

Aufgrund der bevorstehenden Entlassung Eatherlys und der baldigen Veröffentlichung des Briefwechsels, von der Günther Anders Eatherly voller Enthusiasmus in einem Brief berichtet, endet das Buch mit einer optimistischen Note und voller Hoffnungen auf die Zukunft. Auch Robert Jungk verweist in seinem Vorwort auf die Bedeutung des Buches für den "wichtigen Schritt hin zur Gesundung einer kranken Gesellschaft" und läßt eine zukünftige Beurteilung Eatherlys in hoffnungsvollem Licht erstehen. An wenigen Stellen wird deutlicher, wie trügerisch Hoffnungen sein können. Schon dieser reizvolle Kontrast könnte Grund genug für eine Neuveröffentlichung sein, vom Wert der Publikation als zeitgeschichtlichem Dokument einmal ganz abgesehen.

Seine Verwirrung, seine Empörung, seine Leiden werden vermutlich künftigen Generationen 'normaler' erscheinen, als die Verhaltensweise seiner Landsleute im engeren, seiner Zeitgenossen im weiteren Sinne.


Herausgegeben von Robert Jungk
Off limits für das Gewissen
Der Briefwechsel Claude Eatherly Günther Anders
Herausgegeben von Robert Jungk
Rowohlt