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REZENSION/055: José Ramos-Horta - Funu · Osttimors Freiheitskampf (SB)


José Ramos-Horta


Funu

Osttimors Freiheitskampf ist nicht vorbei!



Timor - die größte und am weitesten im Osten gelegene Insel der Kleinen Sundas repräsentiert ein typisches Stück Kolonialgeschichte, wie es dutzende Male auf diesem Globus anzutreffen ist. Mitte des letzten Jahrhunderts zwischen Holland und Portugal aufgeteilt verblieb der westliche Teil bei Indonesien nach dessen Unabhängigkeit im Jahre 1949, während der Ostteil nach dem Rückzug Portugals, dessen koloniale Ambitionen mit der Entmachtung der Nachfolger des Diktators Salazar im Jahr 1974 hinfällig geworden waren, wieder in die Hände seiner ursprünglichen Bewohner fallen sollte.

Tatsächlich gelang dies auch für kurze Zeit, am 28. November 1975 erklärte die FRETILIN, die größte Befreiungsbewegung der Insel, einseitig die Unabhängigkeit der Demokratischen Republik Osttimor. Diesem Höhepunkt der kurzen Zeit von etwa drei Monaten, in denen Osttimor unter Verwaltung der FRETILIN stand und über alles verfügte, was einen modernen Staat ausmacht - womit die Unkenrufe ihrer Gegner in der Region und namentlich Australien, die Ureinwohner wären zu primitiv, um sich selbst zu verwalten, Lügen gestraft wurden -, schloß sich schon wenige Tage später, am 7. Dezember 1975, die Invasion der indonesischen Truppen zu Lande, zu Wasser und in der Luft an. Der heute noch amtierende Präsident Suharto hatte seinen begehrlichen Blick auf die vermeintlich herrenlose Hälfte des Eilands geworfen, die zu dieser Zeit immerhin von 700.000 Ureinwohnern bewohnt wurde.

Informations- und Außenminister im bislang einzigen Kabinett war der nur 25jährige José Ramos-Horta, Sohn eines Portugiesen, der nach Osttimor verbannt worden war, weil er als Marinesoldat auf einer portugisischen Fregatte gemeutert hatte, um mit dieser auf der Seite der Republikaner im spanischen Bürgerkrieg gegen Franco zu kämpfen. Seine timoresische Mutter hatte noch die Zeit der japanischen Besetzung der Insel miterlebt und verlor mehrere Kinder im Kampf gegen die Indonesier.

Bevor José Ramos-Horta 1996 für seine Verdienste um den Kampf der Bevölkerung Osttimors um nationale Selbstbestimmung mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, hatte er die indonesische Unterdrückung vor allem auf dem diplomatischen Parkett der Vereinten Nationen in New York bekämpft. In seinem Heimatland, das er nach der indonesischen Okkupation 1975 verlassen hatte, starben derweil mindestens 200.000 Landsleute in Lagern, auf Demonstrationen oder im Guerillakampf.

In seinem im Freiburger Ahriman-Verlag erschienen Werk "Funu - Osttimors Freiheitskampf ist nicht vorbei!" schildert der Politiker und bekennende Sozialdemokrat die Geschichte seines Landes und seines Anteils am Kampf um die Befreiung von den neuen, zu Imperialisten gewandelten indonesischen Herren. Leider gibt das 1997 auf deutsch erschienene Buch die Geschichte dieses Kampfes lediglich bis 1986 wieder, dem Jahr, in dem José Ramos- Horta "Funu" - in Tétun, der Sprache der Ureinwohner, das Wort für "Krieg" - verfaßt hat. Die zehn Jahre der indonesischen Annexion Osttimors und der vergeblichen Versuche, eine internationale Front gegen die Okkupatoren und für die Unabhängigkeit des Landes zu errichten, reproduzieren das Leitthema einer stets die Schwachen vergewaltigenden Machtpolitik jedoch in so ausgiebiger Form, daß die Lektüre im Sinne einer Studie in Sachen Aussichtslosigkeit mehr als ausreichend ist.

Ramos-Horta teilt diese Einstellung als zumindest persönlich erfolgreicher Streiter für die Sache seines Volkes sicherlich nicht, ansonsten wäre er wohl kaum in der Lage, mit akribischer Genauigkeit und nachhaltiger Ausdauer aufzuzeichnen, wie ein inzwischen auf 500.000 Personen dezimiertes Volk unter die Räder der internationalen Politik gerät. Wie in einem Brennglas fokussiert das Beispiel Osttimors das stets negative Ergebnis, das aus den Interessengegensätzen der sogenannten internationalen Gemeinschaft zulasten ihrer kleinsten Mitglieder resultiert, wenn sich diese im Konflikt mit einem mächtigen Land befinden. Indonesien ist zwar keine Groß- und auch keine Regionalmacht, als Land mit der fünftgrößten Bevölkerungszahl und größten Anzahl an muslimischen Bürger der Welt verfügt es jedoch über großen politischen und wirtschaftlichen Einfluß.

Ramos-Horta schildert, wie es nach dem indonesischen Einmarsch zwar gegen alle Widerstände noch gelang, die UNO-Resolution 384 auf den Weg zu bringen, in der der Anspruch Osttimors auf Unabhängigkeit bekräftigt und Indonesien zum Rückzug seiner Truppen aufgefordert wurde, doch weitere Anträge zur Unterstützung ihrer Sache durch den Sicherheitsrat scheiterten bereits an Staaten wie Japan und den USA, die eindeutige Interessen in Indonesien verfolgten. Obwohl sich der größte Teil Osttimors zu dieser Zeit noch unter Kontrolle der FRETILIN befand, die in unterlegener Position gegen die indonesische Übermacht stand und bald in die unwegsamen Berge der Insel zurückgedrängt wurde, fanden sich weder im Sicherheitsrat noch in der Vollversammlung Mehrheiten, die die Unterstützung Indonesiens mit Waffen unterbrochen und eine deutliche Verurteilung des Suharto-Regimes ermöglicht hätten.

Nicht nur die doppelbödige Haltung der westlichen Großmächte in dieser Angelegenheit, sondern auch die Spaltbarkeit der islamischen Nationen und die Korrumpierbarkeit der Blockfreienbewegung bilden von dort an den Inhalt einer politischen Studie, der es zwar an inhaltlicher Systematik und chronologischer Struktur mangelt, die jedoch mit einer Fülle an Fakten zur Dokumentation der Diskrepanz zwischen ideellem Anspruch und machtpolitischer Wirklichkeit aufwartet. Die ausdrücklich vom Autor in Anspruch genommene subjektive Sichtweise genügt der dargestellten administrativen Gewalt, an deren Ende die konkrete Vernichtung der timoresischen Bevölkerung steht, allerdings kaum, man merkt auch einem in der Sache so engagierten Mann wie Ramos-Horta deutlich die diplomatische Schule internationaler Realpolitik an.

In diesem Sinne entpuppt sich die Aufzählung von Ereignissen vor allem auf der Bühne der Vereinten Nationen denn auch als mitunter ermüdende Herumreiterei auf einer Adressierung des timoresischen Freiheitskampfes an Nationen und Personen, die sich ganz offensichtlich von anderen Interessen als den vorgeblichen Idealen der Menschenrechte und der Demokratie leiten lassen. Ob es um Waffenlieferungen der Carter-Regierung an Indonesien bei gleichzeitig geäußerter Sympathie für Osttimor geht, ob die Lippenbekenntnisse sozialistischer Politiker wie Olof Palme oder Charles Mitterand dokumentiert werden, denen jeweils der Verrat in Form der Unterstützung Indonesiens auf den Fuß folgt, ob die antiimperialistischen Bekenntnisse vieler Drittweltländer im Kontrast zu ihrer Unterstützung Indonesiens gegen Osttimor belegt werden, ob die mangelende Solidarität der kommunistischen Länder und der Schulterschluß zwischen dem Argentinien der Militärjunta und dem Kuba Fidel Castros gegen die Interessen Osttimors beklagt werden, ob die internationale Resonanz auf das britische Eintreten für die Falklandinseln mit der unerdrückten Debatte um Osttimor verglichen wird - stets lugt der Rechtsanspruch hinter den Anklagen Ramos-Hortas hervor und verwandelt die für sich gesehen interessanten Details in das politische Lamento eines Menschen, der es besser wissen müßte.

Auch die Rolle der katholischen Kirche im antikommunistischen Wahn ihres Führers Johannes Paul II., der es trotz aufopferungsvollen Einsatzes an der Basis der Gläubigen gegen indonesische Einschüchterung vollständig an Unterstützung für die von der indonesischen Propaganda als marxistisch titulierten FRETILIN mangeln ließ, sollte niemanden überraschen, der die Funktion des Klerus etwa im Kampf lateinamerikanischer Völker gegen die Internationale der Generale kennt.

Der von der Weltbank finanzierte medizinische Genozid, bei dem timoresische Frauen planmäßig zum Zwecke der Geburtenkontrolle zwangssterilisiert werden, fristet dagegen ein Dasein als Fußnote und wird als erstaunlicher Kontrast zur moralischen Position internationaler Institutionen wie UNICEF, UNHCR oder World Food Programme dargestellt, die erklärt haben, dem Volk von Osttimor im Rahmen ihrer jeglichen Betätigungsfelder alle erdenkliche Hilfe zukommen zu lassen. Hier wäre eine gleichsinnige Bewertung des Charakters internationaler Hilfe sinniger gewesen, als einen vermeintlichen Widerspruch zu konterkarieren, schließlich bilden Maßnahmen der Bevölkerungskontrolle typische Felder humanitären Engagements, und wendet man sie etwa an einem Volk an, das mehr als ein Drittel seiner Menschen durch kriegerische Ausrottung verloren hat, so wird es an wissenschaftlichen Rechtfertigungen nicht mangeln.

Streicht man einmal die am Anspruch auf nichtvorhandene Gerechtigkeit entzündete moralische Empörung eines Intellektuellen, der nicht umsonst anstelle des FRETILIN-Chefs Xanana Gusmao, der sich als Führer des bewaffneten Kampfs gegen die indonesischen Truppen seit vier Jahren in feindlicher Gefangenschaft befindet, in die Riege nobler Friedenskönige aufgerückt ist, so läßt sich "Funu" sicherlich als deutschsprachiges Standardwerk zur politischen Geschichte des timoresischen Befreiungskampfes empfehlen, allerdings mit den Einschränkungen, daß die Kenntnis von den inneren Zerwürfnissen unter den verschiedenen Befreiungsgruppen Osttimors, die bis zu einem Bürgerkrieg vor der indonesischen Okkupation eskalierten, nicht allein aus einem Werk bezogen werden sollte, und daß das Ende der Sowjetunion und das Heraufdämmern einer monolithischen Weltordnung nach Abschluß des Buches auch die Rahmenbedingungen des internationalen Krisenmanagements in einer Weise verändert haben, die es nationalen Unabhängigkeitsbewegungen noch schwerer als zuvor macht, ihr Anliegen durchzusetzen.

Auch wenn die Bundesrepublik zu den Ländern gehört, die so gut wie keine Erwähnung im Werk Ramos-Hortas finden, so hat sie doch allein zwischen 1990 und 1993 Waffen im Wert von mehr als einer Milliarde Mark an Indonesien geliefert, und das natürlich, obwohl der Export von Waffen in Kriegsgebiete verboten ist. Es gibt also auch im nationalen Diskurs genügend Gründe, sich mit dem in den großen Medien so erfolgreich ausgeblendeten Thema Osttimor auseinanderzusetzen.

Eine echte Bereicherung des Buches besteht in dem elfseitigen Geleitwort des wohl explizitesten Kritikers amerikanischer Globalpolitik, den die USA in den Reihen ihrer akedemischen Elite vorzuweisen haben, des Linguisten Noam Chomsky, der einen bezeichnenden Einblick in die Politik seines Landes gegenüber Osttimor gewährt. Die Begründung des deutschen Herausgebers Fritz Erik Hoevel, warum das Werk in der Reihe "Unerwünschte Bücher zum Faschismus" des Ahriman-Verlags erschienen ist, kann man sich allerdings schenken, sie wirkt eher wie die notgedrungene Entschuldigung dafür, daß das Kind im Rahmen des Verlagsprogamms nun einmal irgendwo unterkommen mußte.

Ansonsten merkt man dem 220 Seiten starken, großformatigen Werk jedoch die liebevolle Gestaltung eines Kleinverlags an, der sich offensichtlich Mühe gibt, seinem programmatischen Namen - Ahriman ist der erzböse Widersacher in der parsischen Mythologie - durch Werke etwa über amerikanische Kriegsverbrechen im Irak oder gegen die internationale Interventionspolitik auf dem Balkan gerecht zu werden.


José Ramos-Horta
Funu
Osttimors Freiheitskampf ist nicht vorbei!
Ahriman-Verlag, 1997