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REZENSION/067: Franz Alt - Das ökologische Wirtschaftswunder (SB)


Franz Alt


Das ökologische Wirtschaftswunder



Dieses Buch ist ein Ärgernis für diejenigen, die sich ernsthaft mit den weltweiten Problemen - und nicht nur denen der Menschen - konfrontieren. Durch eine gnadenlose Oberflächlichkeit werden Lösungsvorschläge unterbreitet, die nur Menschen entwickeln und gutheißen können, die das Privileg haben, den Industrienationen anzugehören. Franz Alt erweist sich als Prediger für das Fortbestehen derjenigen Verhältnisse, die zu dem vorgeblich auch von ihm beklagten Elend geführt haben. Statt sich den existentiellen Fragen zu stellen, modelliert er an den Bedingungen und entwirft Verbesserungsvorschläge. Doch die werden wiederum nur dem kleinsten Teil der Erdbevölkerung zum Vorteil gereichen. Seine Vorschläge nennt er "Visionen", die allerdings auf optimierte Anpassungskonzepte beschränkt bleiben.

Man muß Visionen verwirklichen, lautet seine Überzeugung, um Veränderungen herbeizuführen. Veränderungen zeichnen sich jedoch dadurch aus, daß lediglich die Gewichtung der Vorteilslage für einzelne Menschen oder Menschengruppen verändert wird. Seit Ewigkeiten haben Menschen Visionen, träumen von einer besseren Zukunft für sich und ihre Kinder. Stets war gerade dieses Streben nach "besser" und "mehr" Motivation für vorteilsgerechte Überlebensstrategien.

Franz Alt beschreitet einen ausgetretenen Pfad, einen jahrtausendealten Pfad, und könnte eigentlich ermessen, wohin derartige Anstrengungen bislang geführt haben und führen werden. Doch beschränkt er sich auf intellektuelle Unwissenheit und verweigert die Konfrontation mit dieser Tatsache.

Statt dessen liefert er theoretische Gedankengebäude zur Förderung einer Gesellschaftsentwicklung, in der Reglementierung, Zwang, Verwaltung und eine ökologische Rechtsstaatlichkeit herrschen, obgleich Franz Alt selbst dies wohl bestreiten möchte. Ihm scheinen die absehbaren Konsequenzen aus der Errichtung des von ihm favorisierten "ökologischen Rechtsstaates" nicht ausreichend klar zu sein. Eine Privatsphäre, also ein vom Staat nicht kontrollierter Freiraum, wird letztendlich ganz und gar abgeschafft (jedenfalls für den größten Teil der Bevölkerung). Kontrolle über Verhalten und Verbrauch des Einzelnen werden in Zeiten knapper Ressourcen dringend erforderlich. Was noch zur Verteilung verfügbar ist, wird unter denen aufgeteilt werden, die über Macht und Mittel verfügen, die Zuteilung in ihrem Sinne zu steuern. Nichts wird sich ändern. Vielleicht nur, daß gerade auch diese bevorteilte kleine Menschengruppe lernen muß, mit den "Resten" sinnvoll und nachhaltig umzugehen. Und genau in diese Richtung zielt das Bemühen von Franz Alt, wie man nach der Lektüre seines neuen Buches wohl annehmen muß. "Arbeit und Wohlstand für alle" ist eine etwas simplifizierte Forderung, die nur offenlegt, für welche kleine Zielgruppe die in dem Buch vorgestellten Visionen gelten sollen.

In Erinnerung an die Zeit des deutschen Wirtschaftswunders der 50er und 60er Jahre möchte Franz Alt eine ähnliche Begeisterung heraufbeschwören und eine Aufbruchstimmung initiieren. Wie auch in seinen vorangegangenen Büchern bemüht er sich stets um den Entwurf einer machbaren Zukunft. Kritik allein reicht nicht aus, um den Boden für Veränderungen zu bereiten - dafür bedarf es Visionen.

In seinem neuen Buch "Das ökologische Wirtschaftswunder" widmet er sich ganz dem Entwurf von Vorschlägen und Plänen für die Durchsetzung eines "ökologischen Wirtschaftwunders", das "Arbeit und Wohlstand für alle" ermöglichen soll.

Anhand vieler detailliert durchgerechneter Beispiele aus den Bereichen Verkehrsplanung, Energiewirtschaft und Arbeitsplatzbeschaffung werden heutige Produktionsweisen dargestellt und ihre Absurdität und Widersprüchlichkeit offengelegt.

"Wir werden es bald empfinden, daß das heutige Auto gesellschaftspolitisch, ökonomisch und ökologisch die größte Fehlkonstruktion der Industriegeschichte war. Es ist nicht intelligent, daß mit Hilfe von 1,5 Tonnen Blech 70 kg Mensch befördert werden. Es ist nicht intelligent, Fahrzeuge zu benutzen, die in Wirklichkeit Stehzeuge sind. Im Schnitt wird ein PKW 2,8 % seiner Zeit genutzt, steht aber 97,2 % auf einem Parkplatz und rostet vor sich hin [...]. Daß ein Auto ein billiges Fortbewegungsmittel sei, ist ein frommer Selbstbetrug. Ein Arbeitnehmerhaushalt zahlt im Schnitt für das Auto ein Viertel seines Nettoeinkommens. So wird ein Verkehrssystem finanziert, das heute in der City unserer Großstädte pro Stunde 16,2 km zurücklegt. Pferdekutschen legten vor 200 Jahren im Schnitt 17,2 km pro Stunde zurück. Warum tun wir uns trotzdem so schwer mit dem "Verzicht" auf das Auto?" (S. 90)

Soweit ein beliebig ausgewähltes Beispiel, das neben vielen anderen in diesem Buch dem Leser durchaus simpel und einleuchtend erscheinen mag. Doch handelt es sich um den fortwährenden Versuch, Argumente zu liefern, die eine Neuorientierung nahelegen.

Meines Wissens ist es allerdings nichts Neues, daß gesellschaftliche Umstrukturierungen stattgefunden haben, die - immer unter dem Banner der Erneuerung, der Verbesserung oder gar der "Revolution" zu den Entwicklungsschritten zu zählen sind, die zu unserer heutigen globalen Situation geführt haben. Hätte auch nur ein einziges Mal in der Geschichte ein Versprechen realisiert werden können, zum Beispiel "Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit" - wie könnte die Welt dann heute so aussehen? Oder wäre der Gedanke, daß alle Menschen gleich sind, irgendwann einmal ernst genommen worden, wie sollte es Abgrenzung, Verachtung und Vernichtung von "doch nicht so gleichen" Menschen geben können? Es ist nie darum gegangen, "für alle" Wohlstand und Gesundheit zu erreichen. Dieses Streben bezieht sich heute wie in allen Jahrtausenden zuvor immer nur auf den Teil der Menschen, die Macht und Gewalt besitzen, ihre eigenen Interessen gegen andere durchzusetzen.

Franz Alt sieht das etwas anders und weist darauf hin:

Schon in der 2000 Jahre alten Bergpredigt des Jesus von Nazareth finden wir den zukunftsträchtigen Hinweis, daß die Schöpfung so angelegt ist, daß sie ausreichend Güter zur Bedürfnisbefriedigung aller Lebewesen zur Verfügung hat. Das ökologische Wirtschaftswunder wird deutlich machen: Wir haben alles, was wir brauchen, auch für sechs Milliarden Menschen. Es reicht tatsächlich für die Bedürfnisse aller. Es reicht allerdings nicht für die Habgier aller! Diesen feinen Unterschied werden wir lernen müssen, oder wir werden von der Erde verschwinden. (S. 136f.)

Und wer entscheidet, wann es sich um Habgier und wann um "wahres" Brauchen handelt? Für die Nahrungsverteilung wurde schon vor sehr langer Zeit ein Maßstab geschaffen. Die Einheit "Joule" (Kalorie) soll berechnen helfen, wieviel Nahrung ein Mensch braucht. Trotz dieser Berechnungen ist der Hunger in den armen Ländern dieser Erde nicht weniger geworden und wohl nur wenige Menschen aus den reichen Ländern würden sich sagen lassen, daß sie ihr Mittagessen eigentlich nicht brauchen - rein rechnerisch betrachtet. Man stelle sich nur einmal vor, für alle Menschen würde die Zuteilung gelten: Nahrung mit einem Brennwert von 1200 Kalorien pro Tag (hier nur beispielhaft gewählte Größe)! Das sagt noch nichts darüber aus, in welcher Form man diesen Brennwert zu sich nimmt: mit Kartoffeln, Brot, Trauben oder Reis, Mais, Mehl oder Fisch. Rückschlüsse auf das Wohlbefinden, das Sättigungsgefühl des einzelnen Menschen sind auch nicht möglich. Der eine arbeitet hart auf dem Feld, ein anderer gar nicht oder wieder ein anderer ist krank - alle werden sie unterschiedlich mit dieser angeblich "gebrauchten" Menge Nahrung zurechtkommen.

Franz Alt macht es sich ziemlich einfach mit seinen Lösungsvorschlägen. Abgesehen davon dürfte es doch einem vorgeblich am Weltgeschehen Interessierten nicht entgangen sein, daß die Nahrungsmittel auf unserer Erde nicht mehr für alle Lebewesen reichen.

So mag das Buch denn nützlich sein, speziell für Bürger der Bundesrepublik Deutschland, und Anregungen liefern für Umstrukturierungen in der Arbeitswelt. Es mag lesenswert sein, für diejenigen, die plausible Argumente suchen für Solarstromanlagen, gegen die Automobilgesellschaft und gegen Atomkraftwerke. Vielleicht habe ich Herrn Alt aber auch nicht ganz richtig verstanden und er hat mit dem Satz "Arbeit und Wohlstand für alle" gar nicht a l l e gemeint, sondern nur die Bundesbürger?


Franz Alt
Das ökologische Wirtschaftswunder
Arbeit und Wohlstand für alle
Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 1997
4. korrigierte Auflage 1998
144 Seiten
ISBN 3-7466-8510-9