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REZENSION/110: Kofi Annan - Brücken in die Zukunft (Weltordnung) (SB)


Kofi Annan


Brücken in die Zukunft



Ein von einer so renommierten, mit vielerlei Verpflichtungen beladenen Institution wie den Vereinten Nationen initiiertes Manifest zur globalen Entwicklung und zur künftigen Rolle der Weltorganisation muß schon deshalb eine höchst langweilige Lektüre darstellen, da sie sich nur auf dem größten gemeinsamen Nenner in Allgemeinplätzen ergehen kann. Wem es nicht von vorneherein nach einer guten Dosis abwiegelnder Beschwichtigung ohne Ecken und Kanten verlangt, der wird schon angesichts der auf dem Umschlag des Taschenbuchs aus dem S.Fischer Verlag aufgelisteten Namen prominenter Persönlichkeiten, die mit "Brücken in die Zukunft" "Ein Manifest für den Dialog der Kulturen" verfaßt haben, zurückschrecken. Einmal abgesehen von der Unmöglichkeit des Unterfangens, mit 19 Personen einen halbwegs lesbaren Text zu verfassen, drückt die Liste der Autoren, die allesamt einer vom UN-Generalsekretär Kofi Annan einberufenen Group of Eminent Persons angehören, nichts anderes als den Versuch aus, mit einem repräsentativen Querschnitt aus den Eliten in Nord und Süd Zeugnis vom mit diesem Pamphlet angeblich verwirklichten Dialog der Kulturen abzulegen.

Alle 19 angeblichen Autoren aufzuführen und vorzustellen sprengte nicht nur den Rahmen einer Rezension, sondern hieße dem Text zu viel des Gewichts zuzumessen, das ihm durch den geballten institutionellen Einfluß dieser so wichtigen Menschen zugewiesen werden soll. Hier sei nur darauf verwiesen, daß mit dem ehemaligen EU-Kommissionpräsidenten Jacques Delors ein Technokrat der kapitalistischen Verwesung Europas, mit dem Präsidenten des Council on Foreign Relations Leslie H. Gelb eine der grauen Eminenzen der amerikanischen Hegemonialpolitik, die bereits in den sechziger Jahren in leitender Stelle im US- Verteidigungsministerium an der Erstellung der Pentagon Papers beteiligt war und sich explizit gegen ihre Veröffentlichung gewandt hatte, um später als Chefkommentator der New York Times medial verpackte Regierungspropaganda zu verfassen, mit dem Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften Amartya Sen der Repräsentant eines sich sozial gerecht gerierenden Zweiges der neoliberalen Schule, mit dem katholischen Theologen Hans Küng eine Art Ethik-Berater der Neuen Weltordnung und mit dem ehemaligen BRD-Präsidenten Richard von Weizsäcker ein Grandseigneur für alle Gelegenheiten wie Experten für die Steigerung militärischer Schlagkraft Personen des öffentlichen Lebens aufgelistet wurden, deren Name quasi Programm ist und daher bereits wesentlich darüber aufklärt, von welcher Beschaffenheit die hier propagierten Brücken sind.

Am interessantesten an dem Buch ist ohnehin, daß es offensichtlich nach dem 11. September verfaßt wurde und damit eine Form der politischen Sinnstiftung bildet, die bereits vom Stempel des Terrorkriegs gekennzeichnet ist. Außenminister Joseph Fischer leitet den Reigen der Belanglosigkeiten denn auch in seinem Geleitwort mit einigen Floskeln zum Wert der kulturellen Vielfalt ein, die gerade jetzt als Bereicherung zu verstehen sei, ohne sich irgend etwas zu vergeben, das wie eine persönliche Stellungnahme zu den von ihm attestierten "drängenden globalen Problemen" erscheinen könnte.

So läßt sich der fürderhin immer wieder beschworene Dialog der Kulturen mit der Formel gegenseitiger Hochachtung für strikt aufrechterhaltene Distanz zum andern nach dem Motto "Es ist gut, daß wir darüber geredet haben" zusammenfassen, und die dabei angeblich zutage tretenden "gemeinsamen Werte", die Fischer zufolge "alle in der internationalen Völkergemeinschaft verbinden", als Aufforderung zum Ablegen aller Kritikfähigeit verstehen. Wann immer Fischer und Schröder, Powell und Bush oder Straw und Blair den Begriff "internationale Gemeinschaft" in den Mund nehmen, meinen sie ohnehin jene 15 Prozent der Weltbevölkerung, die in den westlichen Industriestaaten und Japan leben, und daß deren Regierungen den Anspruch, die große Mehrheit der Menschheit stände hinter der EU und den USA, dazu nutzen, um Kriege zu führen und Tribunale einzurichten, mit denen ihre hegemonialen und ordnungspolitischen Ziele durchgesetzt werden, darf geradezu als konstitutive Grundlage der in diesem Buch propagierten Werte Verstanden werden. Die an die erste Stelle dieses Katalogs an Vergünstigungen für ökonomisch geknüppelte und politisch geknebelte Menschen gesetzten "universell gültigen Menschenrechte" haben nicht umsonst Gewalt legitimiert und Leid erzeugt, indem ihr egalitärer Anspruch ein solcher blieb, um die Suggestion einer zumindest um Besserung bemühten Welt zu nähren und den Modus prinzipieller Vergleichbarkeit des Menschen zwecks seiner besseren Verwalt- und Verwertbarkeit zu schützen.

Daß es sich bei dem Anstoß zu dem Dialog der Kulturen um einen Vorschlag des Präsidenten der Islamischen Republik Iran vom 21. September 1998 handelt und die Entstehung des Buches auf eine daraus resultierende Resolution der UN-Vollversammlung zurückgeführt wird, widerspricht seinem Charakter einer ethischen Legitimation der Neuen Weltordnung von kapitalistischen Gnaden keineswegs. Gerade der mit dem 11. September losgebrochene Terrorkrieg bildet einen scharfen Kontrast zur in dem Text unterstellten Differenzierung der "Machtstreuung", zu der es etwa heißt:

Trotz der Sorge vor einer weltweiten Gleichmacherei und der übermächtigen Vorrangstellung des Stärksten sind die globalen Entscheidungsprozesse feiner aufgesplittert als je zuvor. Die Starken und die Schwachen tragen beide mehr zur Gestaltung der Zukunft bei als zu jeder anderen Zeit in der Menschheitsgeschichte.

Wie das funktionieren soll, erklären die Autoren auch nicht durch das ständige Beschwören der so wichtigen Rolle von Nichtregierungsorganisationen im Rahmen globaler Entscheidungsprozesse, denn bei diesen handelt es sich in erster Linie um Legitimationsfunktionen, die an die Leerstelle getreten sind, die die mit dem Abgesang auf die Nationalstaaten geschwundene Bedeutung demokratischer Partizipation hinterlassen hat. Gäbe es so etwas wie eine Zusammenarbeit von Starken und Schwachen, die nicht durch das diesem Vergleichsmoment inhärente Gewaltverhältnis bestimmt wäre, dann bedürfte es nicht dieser Unterscheidung. Die sogenannte Ausdifferenzierung moderner Gesellschaften schützt nichts anderes als eine klassischen Formen demokratischer Kontrolle vermeintlich enthobene Komplexität aus Administration, Zivilgesellschaft und Ökonomie vor, innerhalb der sich Sonderinteressen besonders gut plazieren und der sich übergeordnete Strukturen globaler Ordnung ohne weiteren Widerstand seitens der Betroffenen aufoktroyieren lassen.

Das in dem Text propagierte neue Paradigma, mit dem der Niedergang der Nationalstaaten und die damit liquidierte Souveränität ihrer Bevölkerungen abgefeiert wird, ist vor allem das eines Ausblendens jedes nur erdenklichen Widerspruchs zugunsten störungsfreier Regulation durch Akteure, die die Interessen globaler Eliten besonders geschickt als die der gesamten Menschheit zu verpacken verstehen. Während das alte Paradigma vor allem eines der Exklusion sein soll, die sich anhand der "Dämonisierung des Anderen" entfalte und auf dem Begriff des "Feindes" insistiere, obwohl alle Menschen dem andern doch nur das Beste wünschen, beschwört das neue Paradigma mit der "Hoffnung auf Gerechtigkeit" religiöse Eschatologie reinsten Wassers.

Ohne die Erlösungshoffnung ließe sich die Aneinanderreihung von Euphemismen, mit denen jedes Probleme der Herrschaft des Menschen über den Menschen zielgerichtet umschifft wird, auch gar nicht ertragen:

Die Globalisierungsprozesse haben ein neues Paradigma der globalen Beziehungen ins Leben gerufen: Gleichstellung, Neubewertung des Begriffs 'Feind', Machtstreuung, Teilhabe (stakehholding), individuelle Verantwortlichkeit und themenorientierte Kooperationen sind dafür typisch.

Nun mögen die USA kein repräsentatives Beispiel für einen neuen Umgang mit Feindbildern sein und sich auch nicht gerade als Vorbild für interkulturelle Dialoge empfehlen, sie stehen jedoch als der Staat, der die Vereinten Nationen dominiert wie kein anderer, durchaus für das Paradigma der Neuen Weltordnung, der diese Schrift auf bemühteste Weise alle aggressiven und zerstörerischen Absichten dementiert. Dazu bedient man sich abenteuerlicher Definitionen wie etwa folgender Erklärung zum Begriff der Gleichstellung:

Die Minimaldefinition von Gleichstellung (equal footing) scheint eine Situation zu sein, in der jede Stimme gehört werden kann und Gelegenheit, Mittel und Rahmenbedingungen bekommt, auch tatsächlich gehört zu werden; die Maximaldefinition ist wohl die der gleich großen Partizipation. Gleichstellung darf jedoch nicht als Gnadenakt eines Stärkeren gegenüber einem Schwächeren betrachtet werden. Auch der Schwächere hält einen Trumpf in der Hand, denn er kann dem Legitimationsanspruch des Stärkeren die Unterstützung gewähren oder verweigern.

Windiger geht's nimmer, möchte man meinen, wenn man den egalitären Anspruch der eben noch hochgehaltenen Menschenrechte als Produkt eines Machtverhältnisses relativert, dem auch noch mithilfe von Legitimationstautologien abgesprochen wird, daß das Wirken ökonomischer und militärischer Gewalt von zwingender Art ist. Der Text strotzt nur so von Beschönigungen dieser Art, die vor dem Hintergrund realer Ereignisse wie etwa denen, daß der Irak seit elf Jahren im Namen der Vereinten Nationen ausgehungert wird und daß Jugoslawien von der NATO überfallen wurde, während dem Land Sitz und Stimme bei den Vereinten Nationen vorenthalten wurde, als Rechtfertigungen krudester Eroberungspolitik in Erscheinung treten.

Die von Kofi Annan propagierten "Brücken in die Zukunft" erweisen sich daher als aus jener Propaganda gefertigt, die man schon von der Anlage des Buches her zu erwarten hatte und die dem prekären Versuch der Vereinten Nationen, die eigene Existenz dadurch sichern zu wollen, daß man sich als institutioneller Wurmfortsatz der westlichen Globaladministration empfiehlt, allemal entspricht. Als solcher arbeitet man in New York nach Kräften an der Abschaffung aller Möglichkeiten, der Ausbildung totalitärer Strukturen mithilfe von Begriffen wie dem der Governance und der Zivilgesellschaft sowie der Strategie des supranationalen Übergriffs auf die Interessen von Menschen, deren kulturelle wie ökonomischen Eigenständigkeit gerade durch die als Dialog getarnte Unterwerfungsforderung negiert wird, entgegenzutreten.

So werden Antikapitalisten in dem Buch als Anhänger des "alten Paradigmas" diffamiert und demokratische Institutionen als im Verhältnis zum Wirken einer pragmatischen Exekutive aus internationalen Akteuren überkommen diskreditiert:

Allein die Tatsache, daß manche heute Einfluß von eigenen Gnaden ausüben, stellt das Paradigma von der demokratischen Wahl als Mechanismus der Machtdelegierung in Frage. Es sieht so aus, als könne man unter dem neuen Paradigma Macht auch ohne Wahlen haben; in gewissem Umfang war das zwar auch in Vergangenheit so, doch heute trifft es in viel weiterem Sinne zu. Solche Einflußmöglichkeiten verdanken wir nicht nur dem Reichtum, sondern auch Überzeugungen, Werten und menschlicher Solidarität. Das Anomale der neuen Akteure auf der internationalen Bühne ist nicht so sehr ihre - verglichen mit dem Nationalstaat - Vielfalt, sondern das Wesen ihres 'Mandats'. Man könnte argumentieren, daß einige sich selbst eines gegeben haben und sich ihr Mandat weder verifizieren noch kontrollieren läßt. Am anderen Ende des Spektrums könnte man argumentieren, daß das Mandat dadurch legitimiert wird, daß sie sich an der Macht halten und auf der internationalen Bühne aktiv bleiben können. Denn die ihnen eigene Effektivität ist in gewisser Hinsicht eine Legitimierung ihres Mandats. Eindeutig sind viele Gruppen, die heute die Szene beherrschen, nicht aus Wahlen hervorgegangen. Das wahre Kriterium für die neuen Akteure auf der internationalen Bühne ist jedoch nichts weniger als ihre Glaubwürdigkeit: Glaubwürdigkeit in den Augen so vieler Menschen, daß dies ausreicht, um sie zu unterstützen, sich für sie einzusetzen und in gewisser Weise sie als Sprachrohr der eigenen Stimme anzusehen.

Hier erweist sich das "Manifest für den Dialog der Kulturen" vollends als Rechtfertigung autoritärer Ermächtigung, die mit programmatischer Ambivalenz, indifferenten Behauptungen und der systematischen Unterschlagung konkreter Gewaltverhältnisse den Schein des Friedens über den immer heftiger entbrennenden Krieg um die Sicherung der schwindenden Überlebensmöglichkeiten deckt. Wo Effektivität, Überzeugungen, Werte und menschliche Solidarität als selbstevidentes Kriterien für Herrschaft angeführt werden, ohne die Folgen der seit dem 11. September in ihre Endphase getretene Neuordnung der Welt für die Millionen Menschen zu bedenken, die nichts zu essen und trinken haben, dafür jedoch vom militärischen Arm der Sachwalter dieser Ordnung behelligt werden, kann man ebensogut die NS-Diktatur mithilfe der Schaffung von Arbeitsplätzen für den Bau von Autobahnen und die Herstellung von Rüstungsgütern gutheißen. Wenn man schon nicht umhin kommt, einen Blick in dieses - zudem von anglifizierter Stilistik und Grammatik verunsteltetes - Pamphlet zu werfen, dann ist man gut beraten, diese unerträgliche Anhäufung von Beschönigungen auf die zugrundeliegende Absicht ihrer Autoren hin abzuklopfen.


Kofi Annan
Brücken in die Zukunft
Ein Manifest für den Dialog der Kulturen
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2001