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REZENSION/129: Biermann/Klönne - Ein Kreuzzug...? (US-Imperialismus) (SB)


Werner Biermann & Arno Klönne


Ein Kreuzzug für die Zivilisation?

Internationaler Terrorismus, Afghanistan und die Kriege der Zukunft



Wer in dieser Zeit vor dem ersten Jahrestag der Flugzeuganschläge von New York und Arlington, der mit hundertprozentiger Sicherheit von den Weltmedien, der US-Regierung und ihren Verbündeten im Westen bis über das Maß des Unerträglichen hinaus propagandistisch ausgeschlachtet wird, sowie vor dem näherrückenden Krieg George W. Bushs gegen die Regierung Saddam Husseins im Irak nach einer Lektüre sucht, die den sogenannten globalen Antiterrorkrieg der USA und seine Hintergründe sachlich und nüchtern beleuchtet, dem kann man ohne wenn und aber das Buch "Ein Kreuzzug für die Zivilisation? Internationaler Terrorismus, Afghanistan und die Kriege der Zukunft" von Werner Biermann und Arno Klönne empfehlen. Darin befassen sich die beiden Göttinger Soziologen ausführlich mit der US-Außenpolitik seit dem zweiten Weltkrieg und kommen zu folgendem, nicht von der Hand zu weisenden Schluß: Der Antiterrorkrieg ist der Kalte Krieg im neuen Gewand, mittels dessen sich Washington seine derzeitige Position als unangefochtene militärische Supermacht langfristig zu sichern sucht.

Die Nüchternheit, mit der sich das Autorenpaar gleich zu Beginn der Legendenbildung um den 11. September entledigt, ist erfrischend. Da ist nichts vom vermeintlichen "Tag, an der sich die Welt veränderte" zu finden. Statt dessen unterstellen Biermann und Klönne den westlichen Politikern und den ihnen hörigen Medien in ihrer Reaktion auf die Flugzeuganschläge eine "selektive Wahrnehmung". Gleich zu Beginn ihres Werkes verweisen sie auf die "komplexe Herkunftsgeschichte des Terrorismus" sowie darauf, daß "viele der terroristischen Gruppen und Netzwerke, soweit sie moslemisch- 'fundamentalistisch' auftreten, so auch die Bin-Laden-Truppe", zu Kraft gekommen sind, "weil westliche, vor allem US-amerikanische Dienststellen sie zunächst gefördert haben, mit Waffen, Geld und Beratung".

Mit dem Begriff des Terrorismus, wie er allgemein verwendet wird, setzen sich die Autoren kritisch auseinander. Sie zeichnen nach, wie gerade dieser Terminus seit der Präsidentschaft Ronald Reagans konsequent zur Vielzweckwaffe gegen alle Gegner und Kritiker des militärisch-industriellen Komplexes der USA entwickelt wurde, um in Innern den "Weg in den Sicherheitsstaat" zu ebnen, sowie um die angebliche Notwendigkeit eines weltweiten Geflechts aus amerikanischen Militärstützpunkten in weit über 100 Ländern zu begründen. Was sich hinter den hehren Zielen von "Frieden" und "Stabilität" à la Washington verbirgt, zeigt sich beispielsweise anhand des von Biermann und Klönne zitierten, berüchtigten Pentagonpapiers "Strategy of Primacy" aus dem Jahre 1992. Noch unter George Bush sen. schrieben der heute Stellvertretende US- Verteidigungsminister Paul Wolfowitz und Lewis Libby, heute Sicherheitsberater von Vizepräsident Dick Cheney, Washington folgende Ambitionen vor:

1. "jede feindliche Macht, daran zu hindern, irgendeine Region zu beherrschen, die es ihr ermöglichen würde, zur Großmacht aufzusteigen"
2. "die fortgeschrittenen Industriestaaten daran zu hindern, die US-Führung herauszufordern oder die bestehenden politische und wirtschaftliche Ordnung zu verändern" und
3. "das Entstehen eines potentiellen künftigen globalen Konkurrenten zu verhindern"

Vor diesem Hintergrund des unbestreitbaren Strebens der USA nach "uneingeschränkter Hegemonie" über die restliche Welt schildern Biermann und Klönne die allmähliche Verwandlung des Jahrhundertkampfes Amerikas gegen das Schreckgespenst Kommunismus in den vermeintlichen Zivilisationskrieg gegen "das Böse" des Terrors. Die Stationen dieses blutigen Dauerfeldzuges der USA heißen unter anderem Indochina, Indonesien, der Nahe Osten, Afghanistan, Mittel- und Südamerika, Irak, Bosnien-Herzegowina, Kosovo und der 11. September. In großer Detailfülle und unter Verweis auf zahlreiche originale US-Regierungsdokumente sowie die Schriften namhafter Experten und Zeitzeugen wie William Arkin, William Blum, Alexander Cockburn, Robert Fisk, Michael Klare, John Pilger und vieler mehr gehen die Autoren auf so wichtige Komplexe wie Operation Phoenix in Vietnam, die gigantische CIA-Operation zur Unterstützung der afghanischen Mudschaheddin, die Iran-Contra- und BCCI-Skandale, die Zusammenarbeit zwischen den Islamisten und den westlichen Geheimdiensten auf dem Balkan, im Kaukasus sowie im Zentralasien ein.

Trotz alledem bekommt man den Eindruck, Biermann und Klönne hätten sich nicht vollständig vom vereinnahmenden Einfluß des einseitigen Begriffes des "Terrorismus" befreit. Es fällt schwer, Sätze wie "Zum gegenwärtigen Zeitpunkt erscheint es fraglich, ob die USA über ein Instrumentarium verfügen, das geeignet ist, das Ziel der Vernichtung internationaler Terrornetzwerke zu verwirklichen", ernst zu nehmen. Das wäre tatsächlich das absolute "Alptraumszenario" der Sicherheitsfanatiker in Washington, würde es keine "Terrornetzwerke" mehr geben. Da könnten womöglich die "Vassallenstaaten" (O-Ton - Zbigniew Brzezinski) wie zum Beispiel Deutschland auf die dumme Idee kommen, zu fragen, ob nicht G.I. Joe irgendwann einmal nach Hause zurückkehren möchte. Die Nützlichkeit der "Terror"-Karte zeigt sich gerade in diesen Tagen, wenn US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld den drohenden Überfall auf den Irak damit zu rechtfertigen versucht, daß Al Kaida-Kämpfer sich mit Duldung Saddam Husseins angeblich im Zweistromland aufhalten und dort Experimente mit Biowaffen durchführen.

Die Inkonsequenz von Biermann und Klönne zeigt sich auch im Umgang mit dem 11. September. Obwohl sie, seitenlang und sehr gut recherchiert, die Verflechtungen zwischen der CIA, dem pakistanischen ISI und dem saudischen Geheimdienst sowie zahlreiche wichtige Hinweise präsentieren, die dafür sprechen, daß die Bush-Regierung im voraus über die Flugzeuganschläge auf das World Trade Center und das Pentagon informiert war, schwächen sie ihre eigene Arbeit mit folgender kategorischer Aussage wieder ab: "Der 11. September war ein Ereignis, das von den Machteliten der USA sicherlich nicht beabsichtigt oder gewollt war." Woher nehmen Biermann und Klönne diese Sicherheit? Es zeugt von einer gewissen Blauäugigkeit, die Möglichkeit von vornherein auszuschließen, daß die "Machtelite" - im wahrsten Sinne des Wortes - der USA nicht den ganzen 11. September mittels ferngesteuerter Passagiermaschinen und der gezielten Sprengung der Türme des World Trade Center selbst inszeniert haben könnte.

Für diese Möglichkeit sprechen nicht nur die himmelschreienden Lücken und Widersprüche in der offiziellen Verschwörungstheorie der Bush- Regierung, wie zum Beispiel die auffällig vergessene Frage nach den ganzen Aktienschiebereien im Vorfeld der Anschläge, sondern auch bekannte historische Beispiele wie Pearl Harbor 1941, die von US- Präsident John F. Kennedy verworfenen "Operation Northwoods" zur Rückeroberung Kubas 1960, der Golf-von-Tonkin-Vorfall 1964, die Umstände um den irakischen Einmarsch in Kuwait 1990, die dubiose Rolle des FBI beim ersten WTC-Anschlag 1993 und das Racak-"Massaker" im Kosovo 1999. Um Biermanns und Klönnes eigene Metapher zu mißbrauchen, wären diejenigen, die tagein, tagaus im Rahmen ihrer "mörderischen... politisch-militärischen Operationen" irgendwelche Hütten im Ausland zerstören, sicherlich bereit, den einen oder anderen Palast im eigenen Land - einschließlich der darin befindlichen Menschen - zu opfern, diente dieses der langfristigen Sicherung ihrer Weltherrschaft.

Nichtsdestotrotz schildern Biermann und Klönne anhand einer Fülle von Fakten und Angaben, wie verdächtig genau der 11. September und die Anthrax-Anschläge vom letzten Herbst in den USA in die strategische Planung der Imperialisten in Washington paßten. Geradezu heraufbeschworen haben über mehr als zehn Jahre die selbsterwählten Sicherheitsexperten des Westens den neuen "Feind". Doch nicht nur das. Es spricht alles dafür, daß der Milzbrand-Mörder aus den Reihen der Wissenschaftler, die ohnehin Biowaffenforschung für das US- Militär und die CIA betreiben, stammt. Ob dieser mit Einverständnis von höherer Stelle oder allein gehandelt hat, ist eine Frage, die in den Fachkreisen noch eifrig diskutiert wird.

Auffällig ist jedenfalls, wie sehr die Bush-Regierung von den Flugzeuganschlägen und den Milzbrand-Briefen durch die Verabschiedung des drakonischen PATRIOT-Gesetzes zur inneren Sicherheit und die Schaffung des Amtes des Heimatschutzes (Homeland Security Office), die Aufstockung des ohnehin gigantischen US-Wehretats einschließlich der Gelder für das umstrittene Raketenabwehrsystem, die Stärkung der Präsidialgewalt, die "grenzenslose Solidarität" des eingeschüchterten Auslandes und den drastischen Ausbau der amerikanischen Militärpräsenz in Zentralasien profitiert hat. Biermann und Klönne weisen zudem nach, daß gerade letztere Entwicklung dem Pentagon dazu dient, die strategischen Partnern respektive Konkurrenten Rußland und China künftig besser in Schach zu halten.

Wer sich über die strategischen Ziele der US-Außen- und Sicherheitspolitik - Stichwort Globalisierung - nicht im klaren ist, dem dürften beim Lesen dieses Buches die Augen aufgehen. Selbst Kennern der Materie verschaffen Biermann und Klönne in einem Band nicht nur einen beeindruckenden Überblick über die geopolitischen Entwicklungen des letzten Vierteljahrhunderts, sondern bieten dem Leser spannenden Zugang zur im Westen wenig vertrauten Geschichte Zentralasiens im allgemeinem, Afghanistans im besonderen. Nur schade, daß die Autoren kein Personen- und Sachregister sowie keine Bibliographie zum schnellen Nachschlagen beigefügt haben, die im Buch zu findenden Perlen hätten es sicherlich verdient.

- 22. August 2002


Werner Biermann & Arno Klönne
Ein Kreuzzug für die Zivilisation?
Internationaler Terrorismus, Afghanistan und die Kriege der Zukunft
PapyRossa Verlag, Köln, 2002
268 Seiten
ISBN 3-98438-239-2