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REZENSION/314: Ted Honderich - Terrorismus für Humanität (Politik) (SB)


Ted Honderich


Terrorismus für Humanität



"Terroristen" gibt es nur dann, wenn man das verhängnisvolle Denkkonzept globalstrategischer Herrschaftsentfaltung teilt, das sich anschickt, potentielle Gegnerschaft ein für allemal präemptiv auszurotten. Wer wollte da noch fragen, was ein "Terrorist" eigentlich sei, wenn der US-Präsident mit seiner Warnung vor den "bösen Menschen" alles auf einen dummdreisten Nenner bringt, was es vorgeblich dazu zu sagen gibt. Hat man den Zirkelschluß erst einmal geschluckt, daß mit dem Prädikat des Bösen die Antriebskräfte seiner Agenten hinreichend definiert und begründet seien, ist man der Suche nach allen konkreten Motiven des Widerstands gegen Ausbeutung und Unterdrückung enthoben. So nimmt es nicht Wunder, daß die Spekulationen über die mutmaßliche Interessenlage sogenannter "Terroristen" vage und abstrus bleiben, wenn etwa räsoniert wird, sie gönnten den Amerikanern deren Freiheit nicht oder seien verbohrte und rückständige Fanatiker, die in der Demokratie eine Ausgeburt der Hölle sähen.

Die innovative Verfügungsgewalt des Terrorbegriffs entfaltet sich in seiner totalitären Verdammung eines Menschen oder Lebenszusammenhangs bis hin zu dessen vorbeugender Vernichtung unter Aushebelung aller bislang akzeptierten ethischen, moralischen und rechtlichen Standards. Da der "Terrorist" per Definition entmenschlicht ist, gibt es im Umgang mit ihm keine Schranken, die man gemeinhin nicht überschreiten würde. Er darf ausspioniert, festgenommen, gefoltert, lebenslang eingekerkert oder zum Tode verurteilt, aber auch auf dem Vorwege liquidiert werden, wenn es gilt, den verübten "Terrorakt" zu sanktionieren oder künftige zu verhindern. Natürlich verschwimmen Kategorien von Schuld und Unschuld, Verdacht und Beweis, Tat und Sühne bis zu ihrer vollständigen Auflösung und damit der Rechtfertigung eines unumschränkten Regimes, das nach Maßgabe seines Herrschaftsstrebens verfolgt und vernichtet, was immer ihm dabei in die Quere kommen könnte.

In welchem Ausmaß der Terrorbegriff den Charakter der Denkkontrolle angenommen hat, die weit über bloße Propaganda oder Indoktrination hinaus zum selbstverständlichsten und unhinterfragten Gemeingut des sogenannten öffentlichen Bewußtseins geronnen ist, dokumentiert nicht zuletzt seine Verwendung seitens vieler Gegner des globalen Kriegs gegen den "Terror". Den Spieß vermeintlich umzudrehen, indem man den Kriegstreibern vorwirft, sie seien die "wahren Terroristen", ist ebenso verständlich wie fatal. Jeder Gebrauch des Terrorbegriffs verankert diesen nur um so unverrückbarer im Denken, wobei man überdies der folgenschweren Verkennung unterliegt, daß dieses Konzept aus Perspektive der Ohnmacht, also ohne einen entsprechenden Militär-, Polizei- und Justizapparat, Relevanz besitze.

Nicht von ungefähr fühlt man sich in diesem Zusammenhang an die Zeit der großen Hexenverfolgung erinnert, die in den Parametern damaligen Rechtsvollzugs ein Instrument der Vernichtung schuf, dem die Opfer nicht entkommen konnten. Mit der Bezichtigung war das Urteil bereits gesprochen und ein grausamer Tod gewiß, wobei allenfalls Ausmaß und Dauer der Tortur variieren konnten. Was uns bei der Rückschau als verdammenswerte Grausamkeit, unmenschliche Willkür und abgrundtiefe Borniertheit einer finsteren Epoche mit Abscheu und Entsetzen erfüllt, akzeptieren wir heute auf einer weitaus qualifizierteren Stufe der Vernichtungsgewalt als einen Grundpfeiler politischer, militärischer und juristischer Prinzipien und Aufgaben.

Wer mit seinem Einwand auf halber Strecke stehenbleibt, indem er den Terrorbegriff im Prinzip akzeptiert, ihn jedoch in bestimmten Konstellationen aufgehoben, in anderen hingegen unnachsichtig angewendet wissen möchte, hat sich längst in den Fallstricken der Teilhaberschaft verfangen und damit dem eigenen Opfergang den Weg bereitet. Das gilt auch für Ted Honderich, wenn er in seinem Buch "Terrorismus für Humanität", einer Sammlung eigener Essays, die vor dem 11. September 2001 verfaßt und später lediglich redigiert wurden, schreibt:

Die Änderungen an diesem Buch sind mehr stilistischer Art und kaum bedeutend. Eine Änderung war jedoch nötig, um das Buch in Einklang mit einem unbezwingbaren sprachlichen Fakt zu bringen und das ist die durchgängige Benutzung des Begriffs 'Terrorismus' an Stelle von 'politischer Gewalt'. Diese Änderung steht auch in Übereinstimmung mit der Tatsache, daß angemessene Definitionen aus den beiden Begriffen ein und dasselbe machen. Es gibt keinen Grund, hier eine Unterscheidung vorzunehmen. Eine weitere Änderung ist das Ergebnis eines Sinneswandels in Bezug auf einen wichtigen Grundsatz, auf das moralische Prinzip, das sich durch das ganze Buch zieht. Es wird weniger Verwirrung und weniger Beteuerungen der Verwirrung begegnen, wenn es den Namen des Prinzips der Humanität trägt.
Der Gebrauch des Begriffs 'Terrorismus' schien tatsächlich unabdingbar zu sein. Das soll nicht heißen, daß er mir angenehm ist. Das Wort hat die Welt erobert, teilweise als Resultat einer Wortwahl und tatsächlich einer Manipulation von Sprache durch die Regierungen, für gemeinsame Interessen und in manchen Fällen von Teilen von Völkern für ihre eigenen Zwecke, manchmal für Zwecke, die erkennbar bösartig sind, wie im Falle des gegenwärtigen Zionismus in Palästina. Dennoch hilft es wenig, sich der Weiterentwicklung der Sprache entgegenzustellen. Es scheint wichtiger, die menschliche Tatsache der Opfer von politischer Gewalt im Blick zu behalten, welcher der Gebrauch des Begriffs 'Terrorismus' und seiner Konnotationen auch geschuldet ist. Es würde der Wahrheit und Moral kaum dienlich sein, vom Gebrauch des Begriffs zurückzuschrecken, so wie die übliche Art der Politiker, den Begriff zu gebrauchen, der Wahrheit und Moral nicht dienlich ist, da sie nicht bloß impliziert, sondern auch bekannt gibt, dass alles an ihm falsch ist.
(S. 13)

Honderich räumt also durchaus ein, daß er Probleme mit dem Begriff "Terrorismus" habe, der die Welt erobere und dabei teilweise eine Manipulation von Sprache durch die Regierungen für mitunter bösartige Zwecke sei. Dennoch hält er es für wenig hilfreich, sich der Weiterentwicklung der Sprache entgegenzustellen. Daß es sich bei der Begriffsbildung keineswegs um einen Nebenschauplatz handelt, mit dem man sich nicht aufhalten sollte, widerlegt Honderich allerdings selbst, wenn er den Begriff "politische Gewalt" in seinen Essays bei deren zumeist stilistischer Überarbeitung für das vorliegende Buch durch "Terrorismus" ersetzt hat und meint, damit einer inhaltlichen Übereinstimmung Rechnung zu tragen.

Es ist inzwischen gängige Praxis geworden, den Terrorbegriff rückwirkend sogar auf einen historischen Kontext anzuwenden, in dem er noch gar nicht existierte. Diesen Eingriff als läßliche Sünde allzu leichtfertigen Umgangs mit Geschichte zu verharmlosen, kapituliert vor deren Fälschung in Gestalt einer Eliminierung vormals existierender Denkmöglichkeiten. Spricht man von politischer Gewalt, so erlaubt dies eine kontroverse Debatte um die Frage, inwieweit diese als Gegenentwurf zu erlittener Knechtschaft geboten sei. So listet auch Honderich eine Reihe diffenzierter Spezifizierungen auf, ohne allerdings den Begriff "Terrorismus" zu verwerfen:

Die Verwendung des Begriffs 'Terrorismus' bleibt als Notwendigkeit bestehen, auch wenn Terrorismus vielmals absolut richtig durch andere Begriffe ersetzt werden kann. Er kann auch eine ständige Antwort auf Staatsterrorismus sein, eine Selbstverteidigung, die Verteidigung des Heimatlands, ein Freiheitskampf, ein Befreiungskampf, die persönliche Selbstopferung in der Hoffnung großer Vorteile für andere, die Verteidigung gegen ethnische Säuberung, der Kampf eines Volkes ums Überleben, Terrorismus für Humanität.
(S. 14)

Honderich zäumt das Pferd beim Schwanz auf, wenn er anführt, man könne "Terrorismus" durch diverse andere Begriffe ersetzen. Wie diese Aufzählung unterschiedlichster Begründungszusammenhänge zeigt, ist in umgekehrter Verlaufsrichtung deren Subsumption unter den Begriff "Terrorismus" ein Zwangskonstrukt, das nur dem einen Zweck geschuldet sein kann, sie zu diffamieren und ihnen jede nachvollziehbare Berechtigung abzusprechen. So verengt sich die ursprünglich vorhandene Vielfalt der Denkmöglichkeiten und Handlungsmotive auf eine einzige Option, die per se als indiskutabel und verwerflich eingestuft wird.

Indessen kann man die allzu kurze Reichweite der vom Autor vorgebrachten Einwände und seinen Verzicht auf die kritische Weiterentwicklung der Fragestellung bedauern, ohne ihm deshalb die Anerkennung dafür zu versagen, eine inzwischen geradezu tabuisierte Skepsis gegenüber dem Monolog der Herrschaft zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen genommen zu haben. Sollte nicht angesichts eines Konflikts die menschlichste aller Handlungsweisen sein, zuallererst Partei für den Schwächeren zu ergreifen, um dessen drohender Vernichtung Einhalt zu gebieten? Von dieser Position geht Honderich aus, was für sich genommen schon Grund genug ist, seinen Beitrag als diskussionswürdig zu schätzen und die Veröffentlichung seines Buches zu begrüßen.

Der gebürtige Kanadier Ted Honderich ist emeritierter Professor für Philosophie des Geistes und der Logik. Er hat unter anderem in Yale, an der City University of New York und zuletzt am University College London gelehrt. In seinen Veröffentlichungen befaßt er sich vor allem mit Fragen der Kausalität, des Determinismus, der Zeit und der Gerechtigkeit. Er ist Herausgeber des Nachschlagewerkes "The Oxford Companion to Philosophy" (1995).

Bekanntlich zählt Honderich hierzulande seit geraumer Zeit zu jenen Autoren, deren Werk man verfemt hat und an denen sich niemand die Finger verbrennen will. Im Sommer 2003 sorgte er mit seinem Traktat "Nach dem Terror" für heftige Turbulenzen in den deutschen Feuilletons. So trat Micha Brumlik, Leiter des Frankfurter Fritz-Bauer-Instituts, Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte des Holocaust, auf den Plan und warf ihm die Verbreitung eines "antisemitischen Antizionismus" und "philosophischen Judenhaß" vor. Zugleich forderte Brumlik den Suhrkamp Verlag auf, diesen Titel aus dem Programm zu nehmen. Nun bekam auch Jürgen Habermas kalte Füße, der dieses Buch zuvor ausdrücklich zur Veröffentlichung im Suhrkamp Verlag vorgeschlagen hatte. Er machte eine komplette Kehrtwende und entschuldigte sich für seine Empfehlung, woraufhin der Verlag das Buch umgehend aus seinem Programm nahm.

Damit war die Debatte allerdings nicht beendet, mehrten sich doch kritische Stimmen, die Micha Brumlik und anderen empörten Rezensenten Unkenntnis des Gesamttextes Honderichs vorwarfen, wie auch den Antisemitismusvorwurf als "publizistischen Selbstläufer" einstuften und zurückwiesen. Auch in den USA schieden sich die Geister an Honderichs Buch, doch führte man die Debatte offen. Während beispielsweise die New York Times seinen Zugang zu heiklen Fragen lobte, befand das Wall Street Journal, Honderich sei ein Fossil der Lehnstuhl-Linken.

In Deutschland fehlte gerade diese Diskussion, wie etwa der Völkerrechtler Norman Paech bedauerte. Honderich stelle sein Resümee in einen inhaltlichen und historischen Kontext, welcher lehre, daß mancher "Terrorismus" als eine Reaktion auf das, was andere strukturelle Gewalt nennen, gerechtfertigt werden könnte. Der Einsatz von "Terrorismus", so man bei diesem Terminus bleiben möchte, sei gerade im Nahostkonflikt kein neues Phänomen. So gehörten militärische Aktionen aus dem Untergrund, bei denen der Tod unbeteiligter Zivilisten billigend in Kauf genommen wurde, schon vor der Gründung des Staates Israel zum Repertoire der Interessengruppen, die sich auch heute gegenüberstünden.

Seiner Meinung nach ging es in Honderichs Buch überhaupt nicht um Juden, Israelis oder Palästinenser, sondern allein um "Terrorismus" in allen seinen Varianten, die allesamt, so Paech weiter, "völkerrechtlich inakzeptabel, aber vielleicht politisch verständlich" seien. Indem das Buch unter dem Vorwurf des Antisemitismus vom Markt genommen werde, sei eine Diskussion blockiert, die kontrovers und deshalb ohne Tabus geführt werden müsse.

Die Stigmatisierung Honderichs als Antisemit diene der Aufklärung nicht, befand denn auch der Melzer Verlag, der das Traktat in überarbeiteter Fassung und neuer Übersetzung herausbrachte. In Anbetracht dieser Debatte und der Gefahr, die durch eine Selbstzensur für den freien politischen Diskurs entsteht, setzte später der Kai Homilius Verlag mit der Veröffentlichung von "Terrorismus für Humanität" ein weiteres Zeichen gegen die Selbstbeschränkung der öffentlichen Meinung.

Beim vorliegenden Buch mit dem programmatischen Titel "Terrorismus für Humanität" handelt es sich um die Zusammenführung von sechs Essays, die bereits in "Violence for Equality: Inquiries in Political Philosophy" veröffentlicht wurden. Sie entstanden vor dem 11. September 2001 als Vorträge für Konferenzen zur Philosophie oder ähnliche Anlässe und wurden später überarbeitet. Angesichts dieser Entwicklungsgeschichte konnte es nicht ausbleiben, daß der Text die Stringenz und Geschlossenheit eines von vornherein als Gesamtwerk konzipierten Argumentationsbogens vermissen läßt und seinen Vortragscharakter nicht verhehlen kann. Auch hätte man sich sicherlich eine Übersetzung aus dem Englischen gewünscht, die sich mutiger vom formalen Wortgebrauch gelöst und dem Leser eine flüssigere deutsche Entsprechung geboten hätte.

Honderichs Disziplin ist die politische Philosophie, die, wie er den Leser vorab warnt, weder politische Theorie, politische Geschichte noch die skeptische Untersuchung vergangener oder gegenwärtiger Politik sei. Auch handle es sich bei ihr nicht um Politikwissenschaft, reflektierenden Journalismus, Moral und vieles mehr, was man mit einem politischen Werk in Verbindung bringen könnte. Politische Philosophie sei vielmehr Resultat eines andersgearteten Strebens nach Klarheit, methodischem Denken und vollständiger Argumentation, verpflichtet der Logik im Allgemeinen und in der Regel Teil der Moralphilosophie. Die bescheiden anmutende Empfehlung, von falschen Erwartungen an die vorliegenden Ausführungen abzusehen, mündet am Ende also doch in den hohen Anspruch einer Königsdisziplin, den zu erfüllen Honderich beträchtliche Mühe hat.

Wie bereits dargelegt, liegt Honderichs Stärke im Einstieg seines Diskurses, wobei es wohl kein Zufall ist, daß der erste der sechs Essays als einziger den Rahmen einer philosophischen Abhandlung überschreitet und sich auch empirischer Daten bedient, die in der dargebotenen Präsentation fast schon für sich sprechen und vorwegnehmen, was die nachfolgende Ableitung kaum besser begründen kann. "Elend und Terrorismus und die Unterschiede, die wir zwischen ihnen machen", wirft die Frage auf, was in einer Welt eklatant ungleicher Möglichkeiten des Überlebens für politische Gewalt und was dagegen ins Feld geführt werden kann.

Der zweite Essay befaßt sich kritisch mit Argumentationslinien anderer Autoren, in denen es etwa um die Verpflichtung geht, dem Gesetz Folge zu leisten und sich der Gewalt zu entziehen oder die Debatte um die Wertigkeit einander widersprechender moralischer Forderungen bis hin zur Gewissensentscheidung zu führen. Erörtert werden zudem die Idee eines hypothetischen sozialen Vertrags und die zwei großen Prinzipien der Gerechtigkeit.

Wie Leid und Wohlergehen innerhalb einer Gesellschaft und zwischen Gesellschaften verteilt sein sollten, diskutiert der dritte Essay unter dem Titel "Das Prinzip der Humanität". Im Mittelpunkt der Überlegungen steht das Problem der Gerechtigkeit, das als Kernfrage der moralischen und politischen Philosophie ausgewiesen wird. Als möglicher Lösungsweg wird Humanität postuliert, wobei der Autor verschiedene Vorgehensweisen in der Annäherung an dieses Ziel diskutiert.

Unterlassungen, die zu Leid und Elend anderer beitragen, sind Thema des vierten Essays. Herausgearbeitet wird dabei ein Unterschied zwischen Taten, die unmittelbar zur Beeinträchtigung anderer führen, und Unterlassungen, die dies auf mittelbare Weise tun. Auch geht es dabei um die Frage der Schuld und Versuche, diese von sich zu weisen.

Im fünften Essay wird der "Demokratische Terrorismus" thematisiert, indem der Autor das Verhältnis von Gewalt und Demokratie erörtert. Gesucht wird dabei insbesondere eine Antwort auf die Frage, wie Gewalt zu den Zielen und Werten steht, die als grundlegende Argumente für Demokratie ins Feld geführt werden.

Der sechste und letzte Essay wirft zunächst die Frage auf, was von der Tradition eines tatsächlich existierenden sozialen Vertrags gerettet werden kann. In einem zweiten Teil werden die Konsequenzen aus einer bestimmten moralischen Grundhaltung erörtert. Von diesen beiden Komplexen ausgehend kehrt der Autor sodann zu den im ersten Essay vorgelegten empirischen Daten über Leid und Elend zurück, woraus er Schlußfolgerungen in Hinblick auf den "Terrorismus für Humanität" ableitet.

Wie Honderich an anderer Stelle erklärt hat, rechtfertige nichts das vorsätzliche Töten von Kindern, Frauen oder Zivilisten. Man spreche heutzutage von "Kollateralschaden", wenn dies dennoch geschehe. So werde kein US-Amerikaner einem Landsmann verbieten, in den Krieg zu ziehen, weil diese Menschen sterben werden. Man tue dies im vollen Wissen dieser Konsequenz und stütze sich dabei auf gesellschaftliche Akzeptanz. Jeder stimme darin überein, daß palästinensische Aktivisten keine israelischen Kinder töten dürfen, so Honderich weiter. Wie aber verhalte es sich mit Aktionen, bei denen der Tod von Kindern in Kauf genommen wird, fragt der Philosoph und greift damit die Idee eines "schwachen Terrors" seines deutschen Kollegen Georg Meggle auf. Auch die israelische Armee schließe bei ihren Einsätzen den Tod von Frauen, Kindern und alten Menschen nicht aus, argumentiert Honderich und verweist auf die Kontroverse in den israelischen Streitkräften um die Legitimität solcher Einsätze.

Honderichs Position ließe sich wie folgt zusammenfassen: Für ihn gibt es wenige Fälle, in denen der von ihm so bezeichnete "Befreiungsterrorismus" gerechtfertigt sei: Das Attentat auf Hitler, der Kampf gegen das Apartheidregime in Südafrika, die Anschläge jüdischer Organisationen in der Phase der Staatsgründung Israels und eben auch der Kampf der Palästinenser. Allein den letzten von ihm genannten Fall herauszugreifen und ihn darauf gestützt des Antisemitismus zu bezichtigen, kann dem Gesamtzusammenhang seiner Aussagen nicht gerecht werden.

Zweifellos stößt Honderich eine außerordentlich komplexe und emotionsgeladene Debatte an, ist doch die Kalkulation, wann Gewalt das gebotene Mittel der Auseinandersetzung sei, so alt wie die vorteilsstrebende Menschheit selbst. Im Zuge sich entfaltender Herrschaft gewannen ethische, moralische und rechtliche Konzepte zunehmend an Bedeutung, um das in immer aufwendigere Strukturen gegossene Zwangsverhältnis handhabbar zu halten. Daß dabei stets Kategorien postuliert und bemüht werden, die scheinbar von Partikularinteressen befreit und gerade deswegen allgemein verbindlich und verpflichtend sein sollen, liegt ebenso in der Natur der Sache, wie ihre Inanspruchnahme im Dienst der Herrschaftsverhältnisse.

Auch der Durchschnittsbürger, der am Gewaltmonopol des Staates oder überstaatlicher Machtkomplexe nichts auszusetzen hat, dürfte damit übereinstimmen, daß individuell angewendete Gewalt unter gewissen Umständen legitim, notwendig und sogar moralisch geboten sei, wenn es gilt, in Selbstverteidigung das eigene Leben zu retten oder das anderer zu schützen. Das ist jedoch keine Rechtfertigung unbegrenzter Gewalt, und auch der Zweck, Leben zu retten, rechtfertigt nicht jedes gewaltsame Mittel. Folglich kann es nicht ausbleiben, daß man bei dieser Debatte schnurstracks in Teufels Küche gerät. Scheinbar klare Ausgangsgrößen werden plötzlich zweifelhaft, wenn etwa das Konzept der Selbstverteidigung auf die Kriegführung angewendet wird. Welcher Aggressor bediente sich nicht des Vorwands, er reagiere auf feindliche Angriffe, verteidige seine Bürger, befreie ein unterdrücktes Volk oder führe eine humanitäre Intervention durch?

Ein Ende der Diskussion ist also nicht in Sicht, was man im Übrigen nur begrüßen kann, denn verhielte es sich anders, müßte man Schlimmstes befürchten. So definiert ein amerikanisches Wörterbuch, Merriam-Websters' Third New International Dictionary, den Begriff "Antisemitismus" als "Sympathie für die Gegner Israels". Nach dieser zum gültigen Sprachverständnis erklärten Festlegung setzt sich jede Kritik an Israel und seiner Politik automatisch als Antisemitismus ins Unrecht.

Ted Honderich trägt, nicht selten holprig und stolpernd, bisweilen mißverständlich oder kurzschlüssig, so doch zur Belebung der Debatte bei, als er auf schlichte Tatsachen und daraus resultiernde Fragen zurückkommt, die in zunehmendem Maße tabuisiert werden. Die Diskussion zu öffnen ist das Gebot der Stunde, soll der Ausgangspunkt seiner Argumentation, nämlich die höchst ungleiche Verteilung von existentiellen Lebensgütern, also Mitteln, die das Überleben, sowie die Befriedigung von Grundbedürfnissen gewährleisten, nicht vollends ausgeblendet werden.



Ted Honderich
Terrorismus für Humanität
Kai Homilius Verlag, Berlin, 2004
263 Seiten, Euro 24,80
ISBN 3-89706-650-5

22. März 2006