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REZENSION/356: Jon Cassar - "24 - Twenty Four: Behind the Scenes" (TV) (SB)


Jon Cassar


24 - Twenty Four: Behind the Scenes

Der erste offizielle Bildband zur Serie



Wer kennt sie nicht, die US-Erfolgsserie "24", in der Special Agent Jack Bauer, gespielt von Kiefer Sutherland, innerhalb von vierundzwanzig Stunden eine größere "terroristische" Gefahr für die nationale Sicherheit Amerikas abwenden muß? Die Handlung einer jeden Staffel spielt an einem einzigen Tag, also bilden die 24 Folgen jeweils eine Stunde im Kampf Bauers und seiner Kollegen von der fiktiven Counter Terrorism Unit (CTU) in Los Angeles gegen das Böse. Die Geschichten - jedesmal ein Wettlauf gegen die Uhr mit überraschenden, nervenzerreißenden Wendungen - werden spannend erzählt und vom Optischen und Schauspielerischen her absolut meisterhaft in Szene gesetzt. Die fünfte Staffel, deren Ausstrahlung in Deutschland im Januar 2007 beginnen soll, war in diesem Jahr für zwölf Emmys nominiert und erhielt vor einigen Wochen die für die beste Serie, den besten Hauptdarsteller und für die beste Regie für die Folge "7 a.m. to 8 a.m". Mit diesem grandiosen Erfolg habe "24" "ihren Ruf als eine der provokantesten und einflußreichsten Fernsehserien zementiert", hieß es am 27. August im Artikel der New York Times über die 58. Emmy- Verleihung.

Mit dem Buch "24 - Twenty Four. Behind the Scenes" liefert der Co- Produzent und Regisseur Jon Cassar einen exklusiven Blick hinter die Kulissen. Dem Fan bietet der vom Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf herausgegebene Hochglanzbildband viele schöne, bisher unveröffentlichte Fotos sowie interessante Anekdoten und technische Einzelheiten von den Dreharbeiten. Nicht ohne Grund rühmt sich Cassar in seiner Einleitung damit, daß das, was von ihm und seinem Co- Produzenten Joel Surnow 2001 ursprünglich als einmalige Miniserie gedacht war, "dank Millionen treuer Zuschauer und Fans weltweit zu einem popkulturellen Phänomen herangewachsen ist".

Eigentlich gibt sich Cassar mit dieser Einschätzung viel zu bescheiden. Vor dem Hintergrund der Flugzeuganschläge vom 11. September 2001 hat sich "24" schlechthin als wirkungsvollstes Propagandamittel derjenigen hauptsächlich in den USA und in Israel etabliert, die einen jahrzehntelangen, "globalen Antiterrorkrieg" gegen den sogenannten "Islamofaschismus" befürworten. Was für Nazideutschland Leni Riefenstahls Nürnbergepos "Triumph des Willens" war, ist zweifelsohne "24" für George W. Bushs Amerika. Nicht umsonst wird die Serie von Rupert Murdochs Fernsehsender Fox produziert, dessen Schwesterunternehmen Fox News bekanntlich seit fünfeinhalb Jahren als Desinformationskanal Nummer eins der Bush-Regierung fungiert. Dies belegen Umfragen, wonach die Mehrheit derjenigen US- Bürger, die Fox News als ihre wichtigste Informationsquelle angeben, heute immer noch glaubt, Saddam Hussein sei in die Anschläge auf das New Yorker World Trade Center und das Arlingtoner Pentagon verwickelt gewesen beziehungsweise habe noch im Frühjahr 2003 über Massenvernichtungswaffen verfügt.

Dem aufmerksamen Leser und Kenner der Serie gewährt "24 - Behind the Scenes" einen hervorragenden Einblick in die selbstgefällige Sichtweise und das beschränkte Weltbild von Cassar und Surnow. Nehmen wir nur das von Cassar ständig wiederholte Gedöns, die Schauspieler und die Produktionscrew der Serie bildeten eine "Familie" beziehungsweise stellten seine "besten Freunde" dar. Solche Floskeln mögen dem einen oder anderen blauäugigen Fan suggerieren, er gehöre im weitesten Sinne auch zu dieser erlauchten Gemeinde, sie widersprechen jedoch allem, was vom knallharten Geschäft der Filmmetropole Hollywood bekannt ist. Daß Cassar nicht einmal seinem eigenen menschenfreundlichen Anspruch gerecht wird, zeigt die im Buch an den Tag gelegte, unterschiedliche Behandlung der Schauspieler beziehungsweise ihrer Figuren.

Die wichtigsten wie Kiefer Sutherland (Jack Bauer), Carlos Bernard (Tony Almeida), Dennis Haysbert (Präsident David Palmer), Sarah Clarke (Nina Myers), Elisha Cuthbert (Kim Bauer), Reiko Aylesworth (Michelle Dressler) und Mary Lynn Rajskub (Chloe O'Brien) kommen häufig in Bild und Text vor. Auch einigen Nebendarstellern wie Vanessa Ferlito, die in der dritten Staffel die Freundin des Drogenbosses Hector Salazar spielte und laut Cassar "eine wahre Schönheit" ist, die "der Serie definitiv einen Schuß Erotik" verliehen hat, wird eine ganze Seite gewidmet. Dagegen wird Penny Johnson Jerald, die in den ersten drei Staffeln die Rolle der ständig intrigierenden Senatorengattin und späteren First Lady "Sherry Palmer" bravourös gespielt hat, mehr oder weniger unter ferner liefen abgehandelt und wird ganz nebenbei in Verbindung mit einem Drehtag, zu dem man ausnahmsweise den Strand von Malibu aufgesucht hatte, in der Nahaufnahme gezeigt. Statt wie in den anderen Fällen die mehrjährige Zusammenarbeit zu würdigen oder Jerald ein verdientes Wort des Lobes nach dem Ausscheiden aus der Serie mit auf dem Weg zu geben, schreibt Cassar lediglich, beim Außendreh in Malibu sei die Hauptfigur die "Ehefrau von Präsident Palmer" gewesen. "Wir filmten ihren nicht allzu vorzeitigen Tod", (S. 78) so sein kryptischer wie lapidarer Kommentar.

Darauf, daß die Produzenten von "24" bereitwillig Propaganda im Sinne des Weißen Hauses und des Pentagons machen, deutet nicht nur das Foto, das Kiefer Sutherland zeigt, wie er auf einer Startbahn voller Kampfjets einen Fernsehspot für das US-Militär macht, sondern auch die dazugehörige Bemerkung Cassars hin:

Wir erhalten viel Unterstützung von jeder militärischen Abteilung, und das Militär hat uns oft geholfen, so dass wir gemeinsam beschlossen, den Gefallen zu erwidern. (S. 57)

Vom US-Verteidigungsministerium ist bekannt, daß es bei allen Film- und Fernsehproduktionen, bei denen man auf die technische Hilfe der PR- Abteilung des Pentagons zurückgreift, auf ein Mitsprache- und eventuell auch ein Vetorecht in Bezug auf das Drehbuch beharrt. Wie dies im konkreten Fall aussehen kann, erwähnt Cassar auf Seite 131 in der Erklärung zu einem Foto von den Dreharbeiten am US-U-Boot Stützpunkt Loma Point im kalifornischen San Diego für die Folge "6.00 - 7.00" der fünften Staffel:

Jack und Henderson gehen an Bord des U-Boots. Es war eine großartige Erfahrung, in einem Atom-U-Boot drehen zu können. Dieses ist ein U-Boot der Los Angeles-Klasse, das Tomahawk- Marschflugkörper und Torpedos abfeuern kann. Im Torpedoraum lernten wir, daß Tomahawks aus den Torpedorohren abgefeuert werden können. Wir benutzen einen Kamerakran, denn so konnten wir am Dock bleiben und dann über das U-Boot schwenken. Der Kran hatte eine Reichweite von 15 Metern und die C-Kamera war an einem Schwenkarm befestigt. In letzter Minute wurde festgelegt, dass wir auf amerikanischem Boden kein amerikanisches U-Boot erfolgreich angreifen dürfen, also wurde daraus ein russisches U-Boot, die Natalia. (S. 131)

Doch es sind nicht nur die Mitarbeiter aus dem Hause Donald Rumsfelds, die beim Drehbuch für "24" mitreden, sondern auch die des erzkonservativen, australo-amerikanischen Medienmoguls Murdoch. In der vierten Staffel planten Cassar und Co. einen Anschlag auf den Jumbo- Jet des US-Präsidenten und mußten auf Geheiß des Auftraggebers Fox weitreichende Änderungen an der ursprünglichen Szene vornehmen:

Das Drehbuch verlangte nach der Explosion der Air Force One und wir wollten die Sprengung mittels einer Computeranimation simulieren. Wir waren in den Vorbereitungen schon ziemlich weit fortgeschritten, als der Sender beschloss, dass das Drehbuch geändert werden sollte. Die Entscheidung wurde sehr spät getroffen, so dass wir uns in letzter Minute etwas einfallen lassen mussten, wie wir die Geschichte verändern und dabei noch die Elemente benutzen könnten, die wir bereits hergestellt hatten. Sie gaben uns die Erlaubnis, den Flieger zerschellen zu lassen, aber wir durften ihn nicht in die Luft jagen. Aus produktionstechnischer Sicht wurde das zu einer komplizierten Angelegenheit. Wir mussten Trümmer zeigen und dennoch klarstellen, dass der Präsident noch lebte, wenngleich er verletzt war. (S. 157)

Den Produzenten von "24" geht es offenbar nicht nur um die pure Unterhaltung, sondern auch um die politische Indoktrination, wie ihre Äußerungen in Verbindung mit dem berüchtigten Handlungstrang "Terrorfamilie" klar zeigen. Diese taucht in der vierten Staffel auf. Es handelt sich um einen Vater, eine Mutter und ihren jugendlichen Sohn, die, aus dem islamischen Raum kommend, seit mehreren Jahren das Leben einer amerikanischen Wohlstandsfamilie führen, obwohl sie an den Vorbereitungen für einen gleichzeitigen Anschlag auf sämtliche US- Kernkraftwerke beteiligt sind. Als der Sohn am Tag des geplanten Angriffs kalte Füße bekommt, tötet die Mutter seine weiße Freundin, nimmt ihn aber anschließend in Schutz vor dem Vater, der seinen Sprößling wegen Feigheit vor dem Feind erschießen will. Anfang 2005 kam es in der amerikanischen Öffentlichkeit zu einer regen Diskussion über die "Terrorfamilie" von "24", nachdem islamische Organisationen in den USA dem Sender Fox und den Serieproduzenten vorgeworfen hatten, gezielt antimuslimische Ressentiments zu schüren. Damals rechtfertigte Joel Surnow gegenüber der Industriezeitschrift Entertainment Weekly das Drehbuch mit der an Deutlichkeit nicht zu überbietenden Aussage: "Derzeit sind die Muslime die Terroristen."

In "24 - Behind the Scenes" erzählt Jon Cassar in einer Erklärung zu der Szene "Ventura" ziemlich unverblümt, welche Absichten er und Surnow damals verfolgten:

Das hier ist der Schauspieler Nestor Serrano in der Rolle des Navi Araz, des Vaters der Terroristenfamilie. Da er einer Geheimzelle angehörte, wollten wir die Szene mit Nestor an einem öffentlichen, zugänglichen, traditionell amerikanischen Ort drehen und entschieden uns für ein Restaurant in Ventura, Kalifornien. Wir wählten dieses Lokal, weil es eine altehrwürdige Atmosphäre hat, und fügten eine amerikanische Flagge hinzu. Wir wollten alle Zuschauer daran erinnern, dass die Terroristen unter uns sind, vor unserer Nase, an scheinbar sicheren, alltäglichen Orten. In dieser Folge sieht man die Flagge nur für ein, zwei Sekunden, aber das reicht auch völlig, um unsere Intention sichtbar werden zu lassen. (S. 103)

Mit solchem Nonsens lagen Cassar und Surnow natürlich voll auf der Linie Washingtons. Gerade Anfang 2005 schürten der FBI-Chef Robert Mueller und Heimatschutzminister Michael Chertoff Ängste mit der wilden Behauptung, unter den rund eine Million Menschen, die jährlich über die 6000 Meilen lange Grenze zu Mexiko illegal in die Vereinigten Staaten einreisten, könnte sich auch eine unbekannte Anzahl von Handlangern Osama Bin Ladens befinden. Demgegenüber steht die Erkenntnis von Karen Greenberg, der leitenden Direktorin des Center on Law and Security der Juristischen Fakultät der New York University (NYU) und Mitautorin des in Fachkreisen vielbeachteten Buchs "The Torture Papers: The Road to Abu Ghraib", die in dem am 14. März 2005 auf der von der Zeitschrift Nation betriebenen Website Tomdispatch.com veröffentlichten, aufschlußreichen Artikel "The Courts and the War on Terror" konstatierte, die Bush-Regierung hätte allen anderslautenden Erfolgsmeldungen zum Trotz seit dem Herbst 2001 keinen einzigen "Terroristen" aburteilen lassen, geschweige denn, irgendwelche ernstzunehmenden Anschlagspläne gegen Ziele in den USA vereitelt - und das trotz der Verhaftung von mehr als 1200 Verdächtigen, die meisten von ihnen Moslems.

Zu den vermeintlichen juristischen Etappensiegen Washingtons im Kampf gegen den "Terrorismus" merkte Greenberg an:

Es existieren tatsächlich Terroristen, die gerne den Vereinigten Staaten großen Schaden zufügen würden, doch Urteile wie in den vom Präsidenten angeführten Fällen tragen im allgemeinen nicht zum besseren Schutz bei. Wenn überhaupt, wiegen sie Amerikaner in trügerische Sicherheit und lassen sie annehmen, wichtige Terroristen würden in der Tat wegen schwerwiegender Pläne oder Taten abgeurteilt und hinter Gitter gebracht werden. Währenddessen stellen die meisten dieser Fälle im besten Fall schlampige, im schlimmsten betrügerische Anklageerhebungen dar. In allen Fällen hat man den starken Eindruck, daß Verzweiflung offensichtlich vorherrschend ist, daß Staatsanwälte herumfuchteln, als gebe es nichts wichtigeres, als einfach zu erklären: 'Ja, wir haben Schläferzellen gefunden; ja, es lauern unter uns Gefahren; ja, wir gewinnen den Krieg an der Heimatfront.' Tatsache ist, daß die politische Zweckdienlichkeit des Antiterrorkrieges eine effektive Verfolgung von Terroristen unterminiert hat. Der Drang nach Anklageerhebungen, der Druck, Verurteilungen zu erzielen, selbst das Festhalten von Gefangenen, ohne sie anzuklagen, zeugt mehr von Politik als von Justiz, mehr von Schein als von Substanz.

Für die Richtigkeit der Kritik Greenbergs spricht ein geheimer, am 16. Februar 2005 vorgelegter FBI-Bericht, in dessen Besitz wenige Wochen später die Nachrichtenabteilung des US-Fernsehsenders ABC gekommen ist. Wie ABCNews.com am 9. März 2005 unter der Überschrift "Secret FBI Report Questions Al Qaeda Capabilities - No 'True' Al Qaeda Sleeper Agents Have Been Found in U.S." berichtete, hatten die Geheimdienste und Strafverfolgungsbehörden in den USA seit den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 nicht eine einzige Al-Kaida-"Schläferzelle" ausgehoben. Das ernüchternde Fazit der 32seitigen FBI-Analyse lautete: "Bis dato haben wir keine echten 'Schläfer'-Agenten in den USA identifiziert." Diese Feststellung läßt die Behauptung von FBI-Chef Mueller vom Februar 2003 vor dem Geheimdienstausschuß des Senats - "Unsere größte Bedrohung geht von Al-Kaida-Zellen in den Vereinigten Staaten aus, die wir noch nicht identifizieren konnten. Das Aufspüren und die Festnahme von Al-Kaida-Mitgliedern, nachdem sie in die Vereinigten Staaten eingereist sind und die Zeit gehabt haben, sich zu etablieren, stellt die schwerste Herausforderung für unseren Geheimdienst und unsere Strafverfolgungsbehörden dar" - wie auch die Bedrohungszenarien, welche die Produzenten von "24" der amerikanischen Bevölkerung erklärtermaßen einimpfen wollen, mehr als nur ein bißchen überzogen erscheinen.

Wie sehr "24" das atavistische Schwarz-Weiß-Weltbild der Bush- Regierung transportiert, zeigt eine weitere Bemerkung Cassars aus dem vorliegenden Buch in Verbindung mit der "Terroristenfamilie":

Wir hatten das große Glück, die für den Oscar nominierte Schauspielerin Shohreh Aghdashloo für unsere Show zu gewinnen. Sie spielte die Rolle der Dina Araz - Ehefrau, Mutter und wichtiges Mitglied einer verdeckten Terroristenzelle in Los Angeles. ... Ich kann gar nicht beschreiben, was für eine wunderbare Schauspielerin Shohreh ist; sie hat es tatsächlich geschafft, in eine 'böse' Rolle Mitgefühl einfließen zu lassen. Sie war eine Mörderin, aber als ihr Sohn sich in Gefahr befand, war sie bereit, alles zu tun, um ihn zu beschützen. Sie brachte diese psychologische Zweiteilung sehr glaubhaft rüber. Wenn wir versuchen, Terroristen zu zeigen, steht uns ja nicht viel Information zur Verfügung, wie sie wirklich sind. Wenn man einen Arzt porträtieren will, kann man sich auf die Rolle vorbereiten, indem man Ärzte bei der Arbeit beobachtet. Terroristen lassen sich nicht gern über die Schulter gucken. Wir wollten diese Rolle dennoch echt und auch menschlich gestalten. Meiner Meinung nach hat Shohreh diese Gratwanderung wunderbar hinbekommen. (S. 100)

Die Behauptung, über die "Terroristen" stünde "nicht viel Information zur Verfügung", kann nur jemand bringen, der mit Absicht die Hintergründe und Ursprünge dessen, was das US-Verteidigungsministerium offiziell den Global War on Terrorism (GWoT) nennt, ignorieren und statt dessen die militanten Gegner Amerikas als rachedurstige, der Vernunft unzugängliche Fortschrittsverweigerer darstellen will. 2005 sorgte der Politikwissenschaftler Prof. Robert Pape von der Universität von Chicago mit dem Buch "Dying to Win: The Strategic Logic of Suicide Terrorism", in dem er alle Erkenntnisse über sämtliche 325 terroristischen Selbstmordattentate, die zwischen 1980 und 2003 stattfanden, und die Biographien der 462 daran beteiligten Individuen analysierte, für Aufsehen. Das nüchterne Ergebnis der umfassendsten Studie zu diesem Thema faßte Pape, der auch drei Jahre an der School of Advanced Air and Space Studies der US-Luftwaffe in Alabama lehrte, in einem Gastkommentar, der am 9. Juli 2005 bei der New York Times erschienen ist, wie folgt zusammen:

Die Zahlen zeigen, daß Al Kaida weniger das Produkt islamischen Fundamentalismus als vielmehr des einfachen strategischen Zieles ist, die USA und ihre westlichen Alliierten dazu zu zwingen, ihre Streitkräfte von der arabischen Halbinsel und aus anderen muslimischen Ländern abzuziehen.

Laut Pape geht auch aus den Daten klar hervor, daß, sobald die ausländische Besatzung beendet wird, in der Regel auch das Problem des "Terrorismus" erledigt ist.

Von solchen Erkenntnissen wollen die Macher von "24" gar nichts wissen, sondern versuchen statt dessen, das Bush-Märchen von den "Terroristen" als "Feinden der Freiheit" den Fernsehzuschauern der Welt nahe zu bringen. Mittels dieser Version des GWoT soll vor allem bei den US-Bürgern die Einsicht in den andauernden Ausnahmezustand hervorgerufen werden, den laut Weißem Haus die Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon erforderlich gemacht haben. Das eindrücklichste Beispiel dieser Lehre von einer angeblich neuen Ära lieferte "24" in der dritten Staffel mit der Hinrichtung von "Ryan Chappelle", gespielt von Paul Schulze. Jack Bauer mußte seinen Vorgesetzten Chappelle mit dessen Einverständnis erschießen, um eine Forderung der "Terroristen" zu erfüllen und einen weiteren verheerenden Biowaffenanschlag zu verhindern. Zu recht nennt Cassar dies "die schockierendste Szene in der Geschichte von 24". Schließlich handelt es sich hier um das allererste Mal in der Film- und Fernsehdramaturgie, daß die "Guten" einen der ihrigen selbst töten, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Solches Handeln nach dem Motto "Der Zweck heiligt die Mittel" ist normalerweise das Erkennungsmerkmal des "Bösen" per se.

Mit der These, die Bereitschaft, beliebte Figuren über den Jordan gehen zu lassen, sei "das Markenzeichen" von "24", macht Cassar sich und den Lesern ebenfalls etwas vor. Schließlich gebührt dieses Prädikat eher der brillanten Mafiaserie "Die Sopranos" von Home Box Office (HBO). Wenn es etwas gibt, das "24" von allen anderen bisherigen Fernsehserien unterscheidet, so sind es die häufigen Folterszenen. Der Anlaß hierfür ist das immer wiederholte Szenario, ein fürchterlicher Anschlag stünde bevor und man habe nur wenige Stunden, ihn zu verhindern. Immer wieder gibt es Personen, die möglicherweise wichtige Hinweise besitzen und die scheinbar nicht bereit sind, diese preiszugeben, ob nun der terroristische Handlanger, der Sohn des Verteidigungsministers, die CTU-Kollegin oder der ahnunglose Geschäftsmann, gefoltert wird notfalls bis in den Tod. Selbst der gute Jack Bauer ist bei einer Folterszene unter Einsatz von Herzlähmungsmedikamenten von seinen Gegnern fast getötet worden.

Für die unsägliche Kungelei zwischen den Produzenten von "24" und den reaktionärsten Elementen der Polit- und Meinungselite in den USA sprechen die Bilder des vorliegenden Buchs. Sie zeigen, wie der republikanische Senator und bekannte Militarist John McCain die Dreharbeiten zur fünften Staffel besucht und eine Statistenrolle spielen darf, und wie Joel Surnow den chauvinistischen Radiomoderator Rush Limbaugh bei einem Besuch am Set "im Raucherzimmer bewirtet". Limbaugh ist bekanntlich derjenige, der im Frühjahr 2004, als der Folterskandal von Abu Ghraib bekannt wurde, im amerikanischen Radio die Opfer mit der zynischen Bemerkung verhöhnte, das, was ihnen angetan worden sei, stünde lediglich auf der selben Stufe wie die Ausschweifungen bei einer x-beliebigen Wochenendorgie an einer amerikanischen Hochschule.

Welchen Stellenwert "24" in der amerikanischen "Terror"-Debatte inzwischen innehat, zeigen erstaunliche Meldungen der letzten Wochen. Am 27. Juni berichtete der Londoner Guardian, Gregory Itzin, der in der vierten und fünften Staffel die Rolle von US-Präsident Charles Logan spielt, sei wenige Tage zuvor zusammen mit dem echten US- Heimatschutzminister Chertoff auf einer Konferenz der konservativen Heritage Foundation mit dem verblüffenden Titel "24 and America's Image in Fighting Terrorism: Fact, Fiction or does it matter" aufgetreten. In einer in der 9.-Oktober-Ausgabe der Zeitschrift American Conservative erschienenen Besprechung des Buchs "War by Other Means - An Insider's Account of the War on Terror" von John Yoo, der als Stellvertretender Justizminister zwischen 2001 und 2004 die wesentlichen Argumente für die Anwendung von Folter, die Einrichtung von Sondergefangenenlagern und die Sondervollmachten des Präsidenten formuliert hat, schrieb James Bovard, die Argumente des heutigen Berkeley-Juraprofessors läsen sich wie der schriftliche Antrag eines Winkeladvokaten, der alle seine Informationen von Fox News erhalte. Laut Bovard "ignoriert" Yoo "FBI- und Militärexperten, die Folter verachten, weil es falsche Geständnisse produziert". Statt dessen "beruft" dieser "sich auf Vizepräsident Dick Cheney als Autorität, was die Frage des Wertes von Folter betrifft, sowie auf die 'populäre Fernsehsendung 24'". Früher haben die Menschen Agentenserien im Fernsehen wie "Solo für Onkel", "Maxwell Smart" und "Cobra übernehmen Sie" genießen können, ohne diese mit der Realität zu verwechseln. Es wäre zu wünschen, daß die Zuschauer von "24" und die Fans von Jack Bauer das gleiche täten.

19. Oktober 2006


Jon Cassar
24 - Twenty Four: Behind the Scenes
übersetzt von Anne Litvin
Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, Berlin, 2006
168 Seiten
ISBN 3-89602-728-X