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REZENSION/371: Klaus Henning - Aufstieg der "Neocons" (SB)


Klaus Henning


Aufstieg der "Neocons"

Politische Intellektuelle in den USA und der "Neue Imperialismus"



Vor dem Hintergrund des Irak-Desasters wird der Einfluß der neokonservativen Vordenker auf die US-Administration wieder geringer geschätzt als zu ihrer Hochzeit, in der sich US-Präsident George W. Bush öffentlich zu ihrer Doktrin bekannt und diese fast unverschnitten übernommen hat. Es wäre jedoch voreilig zu vermuten, daß es sich bei der Hegemonie des Neokonservativismus über die US-Außenpolitik um eine kurze Episode handelte. So wenig, wie dies in der Rückschau stimmt, dürfte dies auf die Zukunft zutreffen.

Für das bessere Verständnis des Strategiewechsels, der in der Außenpolitik Washingtons mit dem Amtsantritt George W. Bushs vollzogen wurde, ist es aufschlußreich, die Bedingungen zu untersuchen, die den Aufstieg eines überschaubaren Kreises politischer Theoretiker zu Beratern führender US-Politiker und in Schlüsselpositionen der US-Administration ermöglicht haben. Der Politikwissenschaftler Klaus Henning hat dies im vorliegenden Buch versucht, indem er dieses Phänomen vor dem Hintergrund der materialistischen Imperialismustheorie analysiert.

Dabei grenzt er sich von dem globalisierungskritischen Ansatz ab, Staat und Ökonomie als Antagonisten zu verstehen und daraus die Schlußfolgerung zu ziehen, daß es einer Stärkung staatlicher Regelungsgewalt bedürfe, um die zerstörerische Dynamik des neoliberalen Kapitalismus zu bändigen. Henning macht auf die unterschätzte Bedeutung militärischer Gewalt für die Regulation kapitalistischer Krisen aufmerksam und begreift den Terrorkrieg daher als praktische Umsetzung des strategischen Entwurfs, die Verwertungsbedingungen der neoliberalen Weltwirtschaft und die globale Vormachtstellung der USA zu erhalten und auszubauen.

Damit wird auch eine Antwort auf die Frage gegeben, wie sich der relativ kleine Kreis neokonservativer Intellektueller, die zum Teil bereits unter den Präsidenten Reagan und Bush sr. wichtige Ämter innehatten und während der achtjährigen Präsidentschaft Clintons in neokonservativen Think Tanks wie dem American Enterprise Institute (AEI) überwinterten, fast mühelos zur definitionsmächtigsten Gruppe innerhalb der jetzigen US-Regierung aufschwingen konnte. Er stellte die politische Legitimation und das praktische Konzept für eine administrative Ermächtigung zur Verfügung, derer es bedurfte, die globale Vormachtstellung der USA unter Mißachtung der Regeln des internationalen Völkerrechts in militärisch aggressiver Weise nach außen wie mit Hilfe des antidemokratischen Ausbaus exekutiver Verfügungsgewalt nach innen zu sichern und zu erweitern.

Anhand der Erörterung der Frage, ob sich in der Präsidentschaft Bushs die außenpolitischen Maßgaben der Regierung Clinton relativ kontinuierlich fortsetzten oder es zu einem grundlegenden Bruch mit dessen sich liberal und globalistisch gebenden Ansatz gekommen sei, läßt Henning die verschiedenen Schulen der US-Außenpolitik Revue passieren und stellt ihre wichtigsten Repräsentanten vor. Dabei wird hinreichend deutlich, daß die liberalen Politikwissenschaftler, die die multilaterale Außenpolitik Clintons favorisieren, in der Affirmation weltpolitischer Dominanz der USA nur bedingt hinter den imperialen Ambitionen ihrer neokonservativen Kollegen zurückbleiben. Im wesentlichen ist man sich einig darin, daß man auf die führende Stellung Washingtons als Sachwalter globaler Ordnungspolitik nicht verzichten will, da die Kontrolle über die Bedingungen, die die Weltwirtschaft und die internationale Politik regulieren, die Voraussetzung für ökonomische Prosperität, ununterbrochenen Rohstoffnachschub sowie den Erhalt des Dollars als globale Leitwährung, ohne die die US-amerikanische Volkswirtschaft nicht von der Produktivität anderer Staaten zehren kann, bildet.

In diesem Zusammenhang hätte die Darstellung der Debatte um den Einfluß der proisraelischen Lobby auf die Politik Washingtons mehr Raum verdient. Der letztes Jahr in den USA aufgrund einer Arbeit der Politologen John Mearsheimer und Stephen Walt aufgeflammte Disput um die Frage, wieso Israel von Washington massiv unterstützt wird, selbst wenn dies dem Ansehen der USA in der Region abträglich ist und das Land in Kriege führt, die nicht im Interesse seiner Bevölkerung sein können, berührt eine wesentliche Achse neokonservativer Ideologie. Deren Einfluß auf politische Entscheidungen im Krisenszenario des Nahen und Mittleren Ostens hat in der Außenpolitik der Bush-Regierung deutliche Spuren hinterlassen und spielt auch bei der derzeitigen Eskalation im Verhältnis der USA zum Iran eine wesentliche Rolle.

Immerhin erwähnt Henning den großen Einfluß evangelikaler Fundamentalisten, die sich aus religiösen Gründen für die uneingeschränkte Unterstützung der territorialen Expansion Israels einsetzen und den Kampf gegen islamisch geprägte Staaten in ein apokalyptisches Endzeitszenario einbetten, auf die Regierung Bush und nimmt damit der These, es seien vor allem jüdische Lobbyisten, die deren proisraelischen Kurs bewirkten, ein wenig den Wind aus den Segeln. Hier hätte die politisch-religiöse Doktrin des Protestantismus in ihrer spezifisch US-amerikanischen Ausprägung mehr Aufmerksamkeit verdient. Ein nicht kleiner Teil der US-Eliten ist bei aller Rationalität machtpolitischen Kalküls zugleich von einem messianischen Wahn beseelt, der bei der Analyse außenpolitischer Entwicklungen regelmäßig unterschätzt wird und der mit dem säkularen Demokratismus der Neokonservativen eine fruchtbare Symbiose eingeht.

Aufschluß über das bisweilen obsessiv wirkende Drängen neokonservativer Geostrategen auf die Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens geben Hennings Ausführungen über die Ziele ihrer militanten Ideologie. Dabei wird deutlich, daß die neokonservative Agenda sich in dem Vorhaben, den neoliberalen Kapitalismus mit Hilfe eines auf marktwirtschaftliche Kriterien verkürzten Demokratiebegriffs über die ganze Welt auszubreiten, nicht wesentlich von den Absichten anderer Fraktionen der US-Eliten unterscheidet, die dabei in Erwägung gezogene Bemittelung jedoch bedrohlicher denn je ist. Was derzeit im Irak und in Afghanistan stattfindet, soll lediglich der Beginn einer mit überwältigender militärischer Gewalt vorangetriebenen globalen Umwälzung sein, die freedom & democracy propagiert und die Freiheit des Kapitals sowie die Herrschaft einer machiavellistisch agierenden Elite meint.

Im Vordergrund der dabei zur Anwendung gelangenden Methoden steht die propagandistische Bewirtschaftung des Terrorkriegs. Zwar ist nicht immer ganz klar auszumachen, inwiefern neokonservative Demagogen tatsächlich glauben, was sie über den verwerflichen Charakter des Islam predigen. Der rassistische Charakter ihrer Ideologie steht jedoch außer Frage, und er wirkt sich nicht nur auf den "vierten Weltkrieg" aus, wie der "globale Krieg gegen den Terrorismus" von Neokonservativen gerne bezeichnet wird, sondern manifestiert sich auch in sozialpolitischen Entwürfen, wie sie etwa das AEI vorlegt. Auch dabei setzt man auf das Prinzip der "schöpferischen Zerstörung", dessen neoliberale Genese bruchlos im neokonservativen Konzept eines gesellschaftlichen Wandels aufgeht, der die Herrschaft der Eliten durch die systematische Zerstörung sozialer Sicherungssysteme wie basisdemokratischer Partizipation und die offensive, mit massiver staatlicher Repression durchgesetzte Ausgrenzung der dabei auf der Strecke bleibenden Menschen stark macht. Bezeichnenderweise versucht das AEI auch, die besorgniserregende Studie des UN-Klimarates zum Klimawandel als hysterische, wissenschaftlichen Ansprüchen nicht genügende Panikmache zu diffamieren, die vor allem darauf abgestellt sei, die globaladministrative Stellung der Vereinten Nationen zu Lasten der USA aufzuwerten.

Wer sich fragt, wie man Staaten bombardieren und ihre Bevölkerung aushungern kann, um dann zu behaupten, man tue ihnen einen Gefallen damit, weil man sie von einer Diktatur befreie, der wird in Hennings kurzer Abhandlung zum Gedankengut des politischen Philosophen Leo Strauss fündig. Dessen Einfluß auf die neokonservative Ideologie beruht auf einem elitären Menschenbild, das der Tradition von Thomas Hobbes und Carl Schmitt gemäß staatliche Herrschaft verabsolutiert, da die Masse der Menschen zu einem Leben in Freiheit und Verantwortung, sprich einer herrschenden Interessen freiwillig folgenden Vergesellschaftung, nicht in der Lage wäre. Der antidemokratische und rassistische Charakter dieser Ideologie, den Henning mit weiteren Versatzstücken des neokonservativen Weltbilds wie dem Kulturkämpfertum Samuel Huntingtons oder der Liberalismuseschatologie Francis Fukuyamas belegt, wird in der bürgerlichen Publizistik generell verharmlost, weil man zum einen eigene Aktien in dieser Weltanschauung hat und zum andern Gefahr läuft, bei allzu wirksamer Kritik an der Leitdoktrin Washingtons des Antiamerikanismus bezichtigt zu werden.

Während die auch in Europa um sich greifende affirmative Artikulation eines "Neuen Imperialismus" unmittelbar mit dem neokonservativen Ideengebäude verbunden ist und die Anwendung des Attributs "neokonservativ" auf die europäischen Pendants der Kristol, Kagan, Perle und Ledeen gerechtfertigt erscheinen läßt, bietet die allgemeine Darstellung der politischen Ökonomie der USA nur wenig direkte Anknüpfungspunkte zum Thema des Buchs, da die dabei herausgearbeiteten Zwänge und Motive alle Denkschulen des globalen Vormachtstrebens der USA betreffen. Durchaus von Interesse für die Geschichte des Neokonservativismus hingegen ist Hennings Widerlegung der These, diese politische Theorie habe ihre Wurzeln im Trotzkismus. Der Versuch libertärer US-Kriegsgegner, die hegemoniale Position des Neokonservativismus durch seine angebliche Nähe zu linkem Gedankengut zu erschüttern, dokumentiert vor allem deren Widersprüchlichkeit, den Kapitalismus als Basis imperialistischer Politik zu ignorieren und zu unterstellen, der darin begründete aggressive Expansionismus ließe sich durch republikanische Werte einhegen.

Wer eine bündige Einführung in das Thema des Neokonservativismus sucht, wird mit dem vorliegenden Werk zufrieden sein. Über die theoretischen Grundlagen dieser Weltanschauung und die Geschichte des Aufstiegs neokonservativer Konzepte zu einer wirkmächtigen Leitdoktrin hinaus werden die Grundlagen und Motive der US-Kriegführung im Nahen und Mittleren Osten transparent dargestellt. Wer sich darüber hinaus mit dem Thema auseinandersetzen will, stößt auf alle Akteure und Inhalte, die für ein intensiveres Studium der Materie unerläßlich sind. Dafür gibt die ungebrochene Dominanz neoliberaler Politik, deren ökonomische Programmatik nicht umsonst im Gefolge kriegerischer Eroberungen für angeblich gescheiterte Staaten maßgeblich wird, und das nach Europa ausgreifende Hegemoniestreben der neokonservativen Weltordnungsdoktrin allen Anlaß.

4. Februar 2007


Klaus Henning
Aufstieg der "Neocons"
Politische Intellektuelle in den USA und der "Neue Imperialismus"
Neuer ISP Verlag, Köln, 2006
164 Seiten
ISBN 3-89900-023-4