Schattenblick →INFOPOOL →BUCH → SACHBUCH

REZENSION/391: J. Perkins - Bekenntnisse eines Economic Hit Man (SB)


John Perkins


Bekenntnisse eines Economic Hit Man

Unterwegs im Dienst der Wirtschaftsmafia



John Perkins gehört neben Leuten wie dem berühmten Linguisten Noam Chomsky vom Massachusetts Institute of Technology (MIT), dem Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaft und ehemaligen Chefökonomen der Weltbank, Joseph Stiglitz, oder Jean Ziegler, dem UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, zu den prominentesten Kritikern der Globalisierung. Mit seinem Ende 2004 in den USA erschienenen "Confessions of an Economic Hit Man", das sich monatelang auf den oberen Plätzen der Bestsellerliste der New York Times hielt und das nun in der deutschen Taschenbuchausgabe vorliegt, hat Perkins einen schonungslosen Bericht über den ausbeuterischen Umgang der führenden Industrienation USA mit den Ländern der sogenannten Dritten Welt sowie über seine eigene frühere Rolle, ausländische Regierungen über Kredite für Infrastrukturprojekte schnurstracks in die Schuldenfalle zu manövrieren, präsentiert.

Zwischen 1971 und 1981 arbeitete Perkins - angeblich nach Vermittlung durch die National Security Agency (NSA) - als Chefvolkswirt für die Unternehmensberatung Thomas H. Main, in deren Auftrag er Ländern wie Ecuador, Indonesien, dem Iran, Panama und Saudi-Arabien diverse überteuerte Großprojekte andrehte, während er in Artikeln in der Fachpresse und bei Vorträgen wie zum Beispiel an der Harvard School of Business die Wachstumsideologie predigte. Über sein damaliges Handeln schreibt der 1945 geborene Perkins im Vorwort:

Economic Hit Men (EHM) sind hochbezahlte Experten, die Länder auf der ganzen Welt um Billionen Dollar betrügen. Sie schleusen Geld von der Weltbank, der US Agency for International Development (USAID) und anderen ausländischen "Hilfsorganisationen" auf die Konten großer Konzerne und in die Taschen weniger reicher Familien, die die natürlichen Rohstoffe unseres Planeten kontrollieren. Die Mittel der Economic Hit Men sind betrügerische Finanzanalysen, Wahlmanipulationen, Bestechung, Erpressung, Sex und Mord. Ihr Spiel ist so alt wie die Macht, doch heute, im Zeitalter der Globalisierung, hat es neue und erschreckende Dimensionen angenommen.

Ich weiß das, ich war ein EHM.
(S. 9)

Als Nachfahre Thomas Paines - des politisch radikalsten unter den Gründervätern der Vereinigten Staaten -, ehemaliger Student des linken Historikers Howard Zinn und jemand, der zwischen dem Studiumabschluß an der University of Boston und dem Karrierebeginn bei der Beraterfirma Main drei Jahre als Mitglied des amerikanischen Peace Corps bei den Ureinwohnern Ecuadors gelebt hat, kostete Perkins die hochbezahlte Arbeit als EHM einige Selbstüberwindung und nicht wenige Gewissensbisse. Dafür erhielt er in diesen zehn Jahren einen unvergleichlichen Blick hinter die Kulissen von Politik und Wirtschaft auf globaler Ebene. Besonders aufschlußreich sind Perkins' Erläuterungen zur geringen Zuverlässigkeit von Wirtschaftsstatistiken und -prognosen - bestes Beispiel die im Buch beschriebene "innovative", weil vollkommen betrügerische Markow-Methode für ökonometrische Modelle -, die weit mehr den Zielvorgaben der Verfasser und deren Auftraggeber als irgendwelchen handfesten Realitäten entsprechen. Vor dem Hintergrund der aktuell auf der ganzen Welt zu verzeichnenden, sich vertiefenden Kluft zwischen Arm und Reich kommt Perkins auf die Kernursache, die Beteiligung des Einzelnen, zu sprechen:

Manche halten eine organisierte Verschwörung für die Ursache unserer derzeitigen Probleme. Ich wünschte, es wäre so einfach. Die Mitglieder einer Verschwörung können aufgespürt und der Gerechtigkeit zugeführt werden. Dieses System ist jedoch eine weit größere Gefahr als eine terroristische Verschwörung. Es wird nicht von einer kleinen Gruppe Männer getragen, sondern von einem Konzept, das als Prinzip allgemein akzeptiert wird: die Idee, dass wirtschaftliches Wachstum der Menschheit immer nützt. Je größer das Wachstum, desto größer der Nutzen. Von dieser Ansicht leitet sich ein weiterer Grundsatz ab: Wer das Feuer wirtschaftlichen Wachstums schürt, wird erhöht und belohnt, wer dagegen in den Randgebieten des wirtschaftlichen Wachstums geboren ist, darf ausgebeutet werden.

Das Konzept ist natürlich unsinnig. Wir wissen, dass in vielen Ländern nur ein kleiner Teil der Bevölkerung vom Wirtschaftswachstum profitiert, für die Mehrheit können sich die Bedingungen durch Wachstum sogar erheblich verschlechtern. Dieser Effekt wird verstärkt durch die vorherrschende Meinung, dass die Wirtschaftsbosse, die dieses System steuern, einen besonderen Status genießen sollten. Hier liegt die Ursache vieler unserer aktuellen Probleme und vielleicht auch der Grund dafür, warum es so viele Verschwörungstheorien gibt. Wenn der Mensch für seine Gier belohnt wird, wird Gier zum korrumpierenden Motiv. Wenn wir die Verschwendung unserer Ressourcen quasi heilig sprechen, wenn wir unseren Kindern beibringen, Menschen nachzueifern, die ein rastloses Leben führen, und wenn wir große Teile der Bevölkerung als Untergebene einer Elite definieren, werden vor allem die Probleme stetig wachsen.
(S. 14f.)

Im Laufe seiner zehn Jahre als EHM kam Perkins viel in der Welt herum und lernte viele Führungspersönlichkeiten kennen, darunter den von ihm bewunderten Präsidenten Panamas, General Omar Torrijos, der 1981 bei einem Flugzeugabsturz, hinter dem vermutlich die CIA steckte, ums Leben kam. Darüber hinaus führten Perkins' Idealismus und seine Offenheit anderen Menschen und Kulturen gegenüber dazu, daß einheimische Kritiker und Gegner der von den USA gestützten Regime im Indonesien Suhartos und im Iran des Schahs Kontakt zu ihm aufnahmen, um ihm eine andere Sichtweise der Verhältnisse in ihren Ländern nahezubringen. Mit Erstaunen mußte der Fortschrittsmissionar Perkins feststellen, daß die unter ärmlichen und schwierigen Bedingungen lebenden Oppositionellen im Ausland häufig über die Welt besser Bescheid wußten als er. In Indonesien warnten bereits 1971 seine studentischen Gesprächspartner unter Verweis auf den britischen Historiker Arnold J. Toynbee vor dem kommenden Jahrhundertkrieg des Westens und der USA gegen die islamische Welt. Dazu schreibt Perkins:

Die Vorstellung eines weltweiten "heiligen Krieges" war für mich äußerst beunruhigend, aber je länger ich darüber nachdachte, desto mehr kam ich zu der Überzeugung, daß er stattfinden könnte. Doch meiner Meinung nach würde dieser Dschihad weniger zwischen den Muslimen und den Christen als zwischen den unterentwickelten und den entwickelten Ländern ausgetragen werden, vielleicht mit Muslimen an der vordersten Front. Wir, die Bewohner der entwickelten Länder, verbrauchten die Rohstoffe; die Menschen in den unterentwickelten Länder lieferten sie uns. Die kolonialistischen Handelsstrukturen waren noch immer in Kraft; sie ermöglichten es jenen, die über Macht, aber nicht über Rohstoffe verfügten, jene anderen auszubeuten, die Rohstoffe besaßen, aber keine Macht. Ich mußte nicht erst das Buch von Toynbee lesen, denn ich verstand genug von Geschichte, um zu wissen, dass Lieferanten, wenn sie lange genug ausgebeutet werden, eines Tages rebellieren.
(S. 100)

1981 gab Perkins die Karriere als EHM auf und gründete ein Unternehmen im Bereich der alternativen Energiegewinnung, das er zehn Jahre später verkaufte. Seit Anfang der Neunziger widmet er sich der gemeinnützigen und der schriftstellerischen Arbeit. In beiden Fällen bleibt die Sorge um das Schicksal bedrohter Völker und die Umweltzerstörung sein Hauptthema. Zwar hat er 1982 als eine Art Selbstreinigung und Wiedergutmachung begonnen, das Tagebuch eines Economic Hit Man zu schreiben, hat sich aber fast zwanzig Jahre lang durch Bestechung und Einschüchterung davon abhalten lassen, das brisante Buch zu veröffentlichen. Unter dem Schock der Flugzeuganschläge vom 11. September 2001 hat Perkins entschieden, seine Lebensgeschichte herauszubringen, unter anderem auch, um seinen amerikanischen Mitbürgern zu erklären, warum die USA in der Welt inzwischen so verhaßt und zum Hauptziel "terroristischer" Akte geworden sind.

Deswegen behandelt Perkins nicht nur die eigene Zeit als EHM, sondern läßt auch die Geschichte der Globalisierung seit Ende der sechziger Jahre und der Präsidentschaft von Richard Nixon bis zur neo-imperialistischen Ära George W. Bushs im Weißen Haus Revue passieren. Die Ausführungen Perkins über die Funktionsweise der Globalwirtschaft einschließlich der heimlichen Zusammenarbeit der Regierung in Washington mit Finanzinstituten wie Goldman Sachs und Chase Manhattan und multinationalen Konzernen wie Bechtel, Enron oder Halliburton zu Lasten der Länder des unterentwickelten Südens und die historischen Anekdoten über die Erfahrungen des Autors an der Front im globalen Ressourcenkrieg tragen zum besseren Verständnis vieler der heutigen Problemfelder der internationalen Politik wie der völkerrechtlich illegalen Besetzung des Iraks, der unversöhnlichen Haltung der USA gegenüber der Islamischen Republik Iran und dem Venezuela von Hugo Chávez, des gigantischen Handelsdefizits Amerikas gegenüber der restlichen Welt im allgemeinen, der Volksrepublik China im besonderen, der Schwäche des Dollars und der damit einhergehenden Gefahr einer Weltwirtschaftskrise sowie der unilateralistischen Außen- und Sicherheitspolitik der Bush-Regierung bei.

Perkins hat für seine "Bekenntnisse" einen recht persönlichen Schreibstil gewählt, der einem das Buch manchmal wie eine Art Selbsthilfemanifest, dessen Verfasser sich von der Last seiner früheren Missetaten befreien will, erscheinen läßt. Gleichwohl macht dieser Stil das Buch selbst denjenigen, die von der Makroökonomie wenig bis gar nichts verstehen, zugänglich und leicht verständlich. Perkins Erlebnisse im Ausland und seine Begegnungen mit den Vertretern anderer Kulturen, seien es Bettler oder Regierungschefs, werden spannend und mit Liebe zum Detail erzählt. Als Schlußfolgerung hätte man sich jedoch vielleicht eine kritischere, in der Analyse weitergehende Aussage als den etwas pauschalen Eintritt für einen gerechteren Handel zwischen Nord und Süd und ein bescheideneres Konsumverhalten der Menschen in den Industriestaaten gewünscht.

19. Juni 2007


John Perkins
Bekenntnisse eines Economic Hit Man
Unterwegs im Dienst der Wirtschaftsmafia
Aus dem Englischen "Confessions of an Economic Hit Man"
von Hans Freundl und Heike Schlatterer, Verlagsservice Dr. U. Mihr
Goldman Verlag, München, 2007
383 Seiten
ISBN: 978-3-442-15424-1 (Taschenbuchausgabe)