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REZENSION/406: Louise Richardson - Was Terroristen wollen (SB)


Louise Richardson


Was Terroristen wollen

Die Ursachen der Gewalt und wie wir sie bekämpfen können



Die begeisterten Reaktionen des Kommentariats - 2006 in der englischsprachigen Welt, dieses Jahr in Deutschland - auf das Buch "Was Terroristen wollen" von Louise Richardson lassen nur auf intellektuelle Faulheit oder ein selbstauferlegtes Denkverbot schließen. Eigentlich gäbe es keinen Grund, die These von Richardson, daß "Terroristen" keine fanatisierten Zombies, sondern rational handelnde Menschen sind, plötzlich als bahnbrechende Erkenntnis zu behandeln. Wahrscheinlich hängt das alles mit den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 zusammen, deren Hintergründe und Verlauf bis heute Widersprüche und Ungereimtheiten in einem Ausmaß produzieren, daß sich viele Menschen - vor allem die in verantwortungsvoller, gesellschaftlich gehobener Position - lieber nicht näher damit befassen wollen. Zu diesem Personenkreis gehört eindeutig Louise Richardson.

Das Buch der 1958 geborenen Harvard-Dozentin läßt sich vielleicht am treffendsten als eine Mischung aus der Verarbeitung der eigenen katholisch-nationalistischen Erziehung in Irland und einer soziologisch verbrämten Verpackung derjenigen Anti-Terror-Ideologie begreifen, deren sich seit Jahrzehnten die Verfechter einer amerikanisch-israelischen Hegemonie im Nahen und Mittleren Osten befleißigen, um ihre Gegner bei der Bevölkerung dort zu diffamieren. Wer dieser Einschätzung mißtraut, muß nur in die Bibliographie schauen, die größtenteils aus Hinweisen auf Bücher zur irischen Geschichte, speziell den "Troubles" in Nordirland zwischen 1968 und 1997, auf Verlautbarungen des US-Außenministeriums und auf die Schriften derjenigen "Terrorexperten" besteht, die wie Alan Dershowitz, Bruce Hoffman, Bernard Lewis und Daniel Pipes unablässig die "muslimische Gefahr" heraufbeschwören und darauf hinarbeiten, Samuel Huntingtons "Kampf der Kulturen" zwischen dem Westen und dem Islam doch noch herbeizuführen. In der Bibliographie sind sogar frühere New-York-Times-Titelgeschichten der einstigen Meisterdesinformantin Judith Miller zu finden, deren Angaben aus der propagandistischen Giftküche der Regierung George W. Bushs stammen und die längst als diskreditiert gelten. Dafür sucht man vergeblich nach Einträgen derjenigen Autoren, die sich wie Michel Chossudovsky, David Ray Griffin, Daniel Hopsicker oder Peter Dale Scott seit nunmehr sechs Jahren um eine wirkliche Aufklärung der Anschläge auf die New Yorker Zwillingstürme und das Pentagon in Arlington bemühen.

Kennern der Materie dürfte es die Sprache verschlagen, daß Richardson als Paradebeispiel derjenigen gut ausgebildeten Vertreter der muslimischen Diaspora im Westen, die angeblich aus Idealismus und ideologischer Verblendung dem "Terrorismus" islamischer Prägung verfallen, ausgerechnet Sayeed Omar Scheich, einen Briten pakistanischer Herkunft, präsentiert. Ausführlich behandelt sie dessen Werdegang von der privilegierten Erziehung in Großbritannien, unter anderem an der London School of Economics, hin zur späteren Teilnahme an diversen spektakulären "Terroraktionen" in Indien und Pakistan, darunter die Entführung und bestialische Ermordung Daniel Pearls, des Südasienkorrespondenten des Wall Street Journals, Anfang 2002. Was sie jedoch verschweigt, obwohl es ihr unmöglich entgangen sein kann, sind Scheichs nachgewiesene Verbindungen zum pakistanischen Geheimdienst Inter Service Intelligence. Im Sommer 2001 soll gerade Scheich derjenige gewesen sein, der im Auftrag des damaligen pakistanischen ISI-Chefs General Mahmud Ahmed über eine Bank in Dubai 100.000 Dollar an den in den USA weilenden Mohammed Atta, den mutmaßlichen Chef der Flugzeugattentäter, überwies (möglicherweise nicht ganz zufällig hielt sich General Ahmed zum Zeitpunkt der 9/11-Anschläge in Washington zu Gesprächen mit führenden Vertretern des Sicherheitsapparats wie der damaligen Nationalen Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice und dem damaligen Director of Central Intelligence George Tenet auf).

Diesen besonders heiklen Aspekt von Scheichs Untergrundkarriere erwähnt Richardson vermutlich deshalb nicht, weil er einer ihrer Kernthesen, nämlich daß "weder das Wesen des Staates noch die Unterstützung durch einen Staat eine Ursache des Terrorismus ist", vollkommen widerspricht. Deshalb vermutlich blendet sie, obwohl eine ausgesprochene Kennerin des Streits zwischen Nationalisten und Unionisten in Irland, auch die nicht unerheblichen Waffenlieferungen des deutschen Kaiserreiches von Wilhelm II. an die Irish Volunteers und die Ulster Volunteers in den letzten Monaten vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges aus. Ohne die Gewehre und Munition aus Hamburg und die konkreten Hilfszusagen der "gallant allies" in Berlin an die Irish Republican Brotherhood wäre es womöglich gar nicht erst zur Ausrufung der Irischen Republik beim Osteraufstand 1916 und in der Folge mehr als vierzig Jahre nach der Teilung der grünen Insel zum Kampf der IRA im protestantisch-dominierten, noch zum Vereinigten Königreich gehörenden Nordirland gekommen. Genauso gut läßt sich konstatieren, daß es ohne die größte verdeckte Operation der CIA, nämlich die zur Unterstützung der Mudschaheddin in Afghanistan gegen die Sowjetarmee in den achtziger Jahren, Osama Bin Ladens Al-Kaida-"Netzwerk" nicht gäbe.

Gemäß ihrer Position an einer der renommiertesten Universitäten der Welt spielt Richardson alles, was auf eine staatliche Verwicklung in den modernen "Terrorismus" oder eine Steuerung desselben durch offizielle Stellen hinweist, konsequent herunter. Bezogen auf den Nordirlandkonflikt zum Beispiel stellt sie die "besonderen Gräuel der IRA" und die "erfolgreichen Sicherheitsmaßnahmen der Armee" Großbritanniens einander gegenüber. Zu letzteren gehörten - wiederum von Richardson nicht erwähnt - die jahrelange Einsetzung loyalistischer Milizen als Todesschwadronen zur Einschüchterung der katholischen Bevölkerung Nordirlands und die von britischen Militärangehörigen und ihren königinstreuen, protestantischen Kameraden durchgeführten Anschläge von Dublin und Monaghan, die am 17. Mai 1974 33 Menschen das Leben kosteten, mehr als 240 verletzt zurückließen und das Interesse der Öffentlichkeit in der Republik an den Vorgängen nördlich der inneririschen Grenze spürbar zurückgehen ließen. Richardson verweist mehrmals auf die Erfahrungen während der "Terrorjahre" in Italien, verliert jedoch nicht ein einziges Wort über die von Autoren wie Regine Igel oder Daniele Ganser nachgewiesene Haupttriebkraft jenes Konfliktes, nämlich das letztlich erfolgreiche Bemühen der NATO-Führungsnation USA, mittels einer "Strategie der Spannung", bei deren Erzeugung sich amerikafreundliche Geheimdienstler, Neofaschisten, Mafiakiller und Freimaurer hervortaten, den einfachen Bürgern alle Sympathien für den Kommunismus und dessen Ziel einer klassenlosen Gesellschaft auszutreiben - eine unverzeihliche Unterlassung.

Es fällt schwer, Richardsons liberale Kritik - wie begründet auch immer - am innen- und außenpolitischen Kurs Washingtons seit dem 11. September 2001 wirklich ernst zu nehmen. Sie wirft der Bush-Administration vor, überreagiert zu haben, indem sie im Innern Bürgerrechte massiv einschränkte und im Ausland einen "Global War on Terror" anzettelte. Richardson erhebt den Einwand, daß der "Antiterrorkrieg" nicht gewonnen werden kann, sondern nur weitere Militanz unter den Moslems in aller Welt schürt. Aber vielleicht ist gerade das der Sinn der Sache. Seit den Flugzeuganschlägen verdienen sich Bushs Freunde in den US-Rüstungsunternehmen und der neuen Sicherheitsindustrie dumm und dämlich. Nicht nur in den USA übernehmen private Konzerne wie Blackwater, SAIC, Halliburton, KBR und Booz Allen Hamilton immer mehr Aufgaben im polizeilichen, militärischen und geheimdienstlichen Bereich und entziehen diesen der parlamentarischen Kontrolle. Der Antidrogenkrieg gilt ebenfalls seit Jahrzehnten als nicht gewinnbar, wird jedoch trotz der verheerenden Auswirkungen auf das gesellschaftliche Leben in fast allen Ländern aus Rücksicht auf bestimmte mächtige Interessen unter anderem im internationalen Bankensektor durch ein kategorisches, durch nichts als Ideologie begründetes Nein zur Beendigung der UN-Prohibition von Rauschmitteln am Laufen gehalten.

So gesehen muten Richardsons Verweise auf die Bemühungen des liberalen britischen Premierministers William Gladstone, der gegen Ende des 19. Jahrhunderts den irischen Nationalismus durch taktische Zugeständnisse zu beschwichtigen suchte, mehr als ein bißchen blauäugig und ihr Eintritt für demokratische Reformen in der arabischen Welt als genauso wenig ernst gemeint wie Bushs "Vorwärtsstrategie der Freiheit" an. Zu begrüßen wäre Richardsons Vorschlag, mit den "Terroristen" zu verhandeln, wenn es der Autorin nicht in erster Linie darum ginge, nach Art der britischen Aufstandsbekämpfungskoryphäe Sir Robert Thompson die "Gemäßigten" gegen die "Hardliner" auszuspielen. Die "Ursachen der Gewalt" in der islamischen Welt werden sich nicht beheben lassen, solange man nicht den Menschen dort das Recht auf Selbstbestimmung und Freiheit von fremder Einmischung zugesteht. Dazu müßte die Möglichkeit gehören, ähnlich wie 1979 im Iran korrupte, dem Westen gegenüber gefällige Despoten zu stürzen und diese notfalls durch eine islamisch-geprägte Regierungsform zu ersetzen. Und weil die irisch-amerikanische Expertin für Sicherheitspolitik offenbar genauso wenig wie Bush und Konsorten bereit ist, einen generellen Abzug der Streitkräfte der USA aus der Region in Betracht zu ziehen, damit die Muslime ihren eigenen Weg in die Moderne finden, postuliert sie einen "Terrorismus", den "wir", die vermeintlich zivilisierten Menschen im Westen, auf Jahre hinaus werden "bekämpfen" müssen. Ein Beitrag zur Lösung des Problems ist das nicht, sondern eher zu seiner Fortsetzung mit technokratischen Mitteln.

4. September 2007


Louise Richardson
Was Terroristen wollen
Die Ursachen der Gewalt und wie wir sie bekämpfen können
(Aus dem Englischen "What Terrorists want. Understanding the Enemy,
Containing the Threat" von Hartmut Schickert)
Campus Verlag, Frankfurt, 2007
381 Seiten
ISBN: 978-3-593-38375-0