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REZENSION/417: Declan Kiberd - Idir Dhá Chultúr (Gälisch) (SB)


Declan Kiberd


Idir Dhá Chultúr



Als einer der wichtigsten, wenn nicht sogar als der wichtigste Literaturkritiker Irlands überhaupt gilt Declan Kiberd. Der 1951 geborene Professor für Anglo-Irish Literature and Drama an der University College Dublin (UCD) ist der Autor mehrerer preisgekrönter Bücher und veröffentlicht regelmäßig Essays und Buchrezensionen in der Irish Times, der Londoner Times Literary Supplement, der London Review of Books, der New York Times und der Zeitschrift Comhar. Sein 1995 erschienenes Buch "Inventing Ireland: The Literature of the Modern Nation", eine postkolonialistische Analyse der Celtic Revival, die Ende des 19. Jahrhunderts mit einer Besinnung auf die gälische Sprache begann, zu einer bedeutenden Bewegung der kulturellen Erneuerung wurde und schließlich den Grundstein für die Wiedererlangung der politischen Unabhängigkeit Irlands nach jahrhundertelanger Vorherrschaft Großbritanniens legte, wird allgemein und völlig zurecht als Meisterwerk betrachtet.

Besonders interessant an "Inventing Ireland" ist Kiberds Hervorhebung des bis dahin vernachlässigten Einflusses der gälischen Sprache auf das Werk zahlreicher irischer Autoren, die in den Jahrzehnten vor und nach dem Ersten Weltkrieg hauptsächlich, in den meisten Fällen sogar ausschließlich auf Englisch geschrieben haben. Diese Perspektive hängt mit der Ausbildung Kiberds zusammen, der in den sechziger Jahren den später berühmt gewordenen Schrifststeller John McGahern als Schullehrer hatte sowie in den Siebzigern am Trinity College Dublin, wo er Englisch und Gälisch studierte, Máirtín O'Cadhain, den bedeutendsten gälischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, zum Dozenten und bei seiner Promotion an der Oxford-Universität in England Richard Ellmann, den international anerkannten Biographen des Romanciers James Joyce, des Dramatikers Oscar Wilde und des Dichters William Butler Yeats, zum Doktorvater hatte.

In seiner Doktorarbeit, die 1979 unter dem Titel "Synge and the Irish Language" als Buch erschien, setzte sich Kiberd mit der Karriere des Dramatikers John Millington Synge auseinander, dessen Bühnenstücke, insbesondere "The Playboy of the Western World", das 1904 von Yeats und Lady Gregory gegründete Abbey Theatre weltberühmt machten (Kiberd sitzt heute selbst im Vorstand des an der Abbey Street in Dublin ansässigen, gleichnamigen irischen Nationaltheaters). Synges große Innovation war es, das Gälische des einfachen Volkes der irischen Westküste, wo er viel Zeit verbrachte und die meisten seiner Dramen ansiedelte, roh ins Englische übersetzt, stehen zu lassen, was der Sprache seiner Charaktere einen kraftvollen wie zugleich poetischen Klang verlieh. Während viele Kritiker Synge damals vorwarfen, er würde seine armen Landsleute als ignorante Bauernlümmel persiflieren, wies Kiberd nach, in welchem bis dahin verkannten Ausmaß der Dramatiker, der Alt- und Mittelgälisch an der Pariser Sorbonne unter dem französischen Keltologen Henri d'Arbois de Jubainville studiert hatte, Bilder und Metaphern aus der Blütezeit der gälischen Dichtung verwendete.

Bereits zwei Jahre vor dem gefeierten Erscheinen von "Inventing Ireland" veröffentlichte Kiberd beim Dubliner Verlag Coiscéim (Fußstapfen) das Buch "Idir Dhá Chultúr" ("Zwischen zwei Kulturen"), das 2002 in einer Neuauflage mit einem zweiten Vorwort des Autors herausgebracht worden ist. Kiberd versteht beide Bücher als Einheit, denn in dem von ihm auf gälisch verfaßten, deshalb weniger beachteten Buch untersucht er - sozusagen als Vorwegnahme des später erschienenen Opus magnum - insbesondere den nicht immer negativen, häufig bereichernden Einfluß, den Sprache und Literatur Englands auf irische Autoren der letzten Jahrhunderte gehabt haben. Als Professor der angloirischen Literatur wie zugleich als passionierter Gaelgóir, das heißt einer, der sich für die Wiederbelebung der irischen Sprache einsetzt, glaubt Kiberd, daß es diesem Ziel diente, wenn man im irischen Bildungssystem die künstliche, jedenfalls in der Literatur Irlands seit Jahrhunderten nicht mehr existierende Trennung zwischen beiden Sphären einrisse.

In "Idir Dhá Chultúr" führt Kiberd unzählige Fälle an, in denen auf englisch schreibende irische Schrifsteller bewußt oder unbewußt Syntax und Redewendungen aus dem Gälischen verwandt oder ihre auf gälisch schreibenden Kollegen Ideen und stilistische Impulse aus dem Englischen übernommen haben. Seán O'Riordán, der als größter gälischer Dichter des 20. Jahrhunderts gilt, ließ es sich beispielsweise nicht nehmen, gelegentlich auf die Metrik William Wordsworthes oder Gerald Manley Hopkinsens zurückzugreifen. Laut Kiberd ist ihm keinerlei Vorwurf zu machen, schließlich hätten sich die letzten der großen gälischen Barden im 18. Jahrhundert wie Aogán O'Rathaille von den bedeutenden englischen Schrifstellern ihrer Zeit wie Samuel Johnson, Alexander Pope und Thomas Fielding inspirieren lassen, während es sogar starke Hinweise darauf gibt, daß "Gullivers Reisen" von Jonathan Swift auf ein gälisches Märchen zurückgeht (bei der Ähnlichkeit der Lilliputaner mit den Leipreacháns dürfte das keine große Überraschung sein). Dazu Kiberd: "Mar a dúirt T. S. Eliot: "The test of a good artist is not whether he borrows, but how he uses his borrowings." ("Wie T. S. Eliot sagte: 'Der Prüfstein für einen großen Künstler ist nicht, ob er borgt, sondern wie er das, was er borgt, verwendet'.") (S. 272)

Zu den in der vorliegenden Essay-Sammlung behandelten Themenkomplexen gehören unter anderem der Osteraufstand der IRA und die Ausrufung der Irischen Republik 1916 in Dublin als gezielte, politisch-militärische Inszenierung, der häufige Richtungstreit innerhalb der keltischen Erneuerungsbewegung, das Verhältnis zwischen Kurzgeschichte und Folklore sowie zwischen Erzähltradition und Moderne. Zu den Schrifstellern, deren Werke hier von Kiberd ausführlich behandelt werden, gehören Daniel Corkery, George Moore, Seosamh Mac Grianna, dessen 1940 veröffentlichter Selbstfindungsroman "Mo Bhealach Féin" ("Mein eigener Weg") Jack Kerouacs auf die moderne Jugendkultur enorm einflußreiches, 1951 geschriebenes, erst 1957 erschienenes "On the Road" praktisch vorweg nahm, Pádraic O'Conaire, Brian O'Nolan (Flann O'Brien/Myles na Gopaleen) sowie die bereits erwähnten Lady Gregory, O'Cadhain, O'Riordán und Synge. Sozusagen nebenbei erfährt man nicht wenig über Samuel Beckett, Brendan Behan, Patrick Kavanagh, Tomás O'Criomhthain, Sean O'Casey, Patrick Pearse, Peig Sayers und eben auch Joyce, Wilde und Yeats. Kiberd zitiert Joyce, der im 1916 erschienenen "Portrait of the Artist as a Young Man (dt. "Jugendbildnis", 1926) feststellte, daß für ihn das Englische "so vertraut und doch so fremd, ... für immer eine erlernte Sprache bleiben" wird, und führt dies als Motiv an, warum der frühere Jesuitenschüler in seinem wichtigsten Werk, dem 1922 in Paris (dt. 1927) erschienenen Roman "Ulysses", die einzelnen Kapitel dazu nutzte, "gach aon stíl i stair litríocht an Bhéarla" ("jeden einzelnen Stil in der Geschichte der englischen Literatur"), zu parodieren.

Im Vorwort zur ersten Ausgabe von "Idir Dhá Chultúr" bedankt sich Kiberd für die Unterstützung, die er über die Jahre von vielen Akademikern und Schrifstellern, darunter Terence Brown, Seamus Deane, Seán O'Tuama und Edward Said, erfahren hat, und schreibt:

Cé gur thréig mé mo chairde agus mo chomhgleacaith i Roinn na Gaeilge sa Tríonóid i laethanta m'óige, tá súil agam go léiríonn na haistí seo, gur fhan mé dílis don dúchas ar mo bhealach défhúisach féin. (Obwohl ich mit jungen Jahren meine Freunde und Mitstreiter im Gälischseminar am Trinity verlassen habe, hoffe ich, daß diese Essays zeigen, daß ich auf dem mir eigenen Sonderweg meiner Herkunft treu geblieben bin).
(S. XII)

Dem selbstgesteckten Anspruch ist Kiberd mit einem faszinierenden und empfehlswerten Buch über das nicht unkomplizierte, politisch belastete Verhältnis der englischen und gälischen Sprache zueinander gerecht geworden.

14. November 2007


Declan Kiberd
Idir Dhá Chultúr
Coiscéim Verlag, Dublin, 2002
279 Seiten