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REZENSION/471: Christoph R. Hörstel - Brandherd Pakistan (SB)


Christoph R. Hörstel


Brandherd Pakistan

Wie der Terrorkrieg nach Deutschland kommt



Der spektakuläre Überfall auf die Cricket-Nationalmannschaft Sri Lankas, als diese am Morgen des 3. März mit dem Bus auf dem Weg von ihrem Hotel zum Länderspiel im Lahorer Gaddafi-Stadion unterwegs war, hat viele ebenso unangenehme wie brisante Fragen aufgeworfen. In der Annahme, islamistische Täter steckten hinter dem Anschlag, dachten die meisten Kommentatoren laut über die zunehmende Instabilität Pakistans nach und malten das Schreckensszenario, das Atomwaffenarsenal Islamabads könnte in die falschen Hände geraten, an die Wand. Zurecht kritisierten nicht wenige Experten den offensichtlichen Umstand, daß der Krieg der NATO in Afghanistan, vor allem der von den USA in letzter Zeit forcierte Einsatz gegen talibanfreundliche Elemente in der Grenzregion Pakistans mittels Drohnenangriffe der CIA und Offensiven der pakistanischen Armee, das Land immer mehr destabilisiert und eventuell in den Bürgerkrieg treiben könnte.

Die bisherigen Erkenntnisse zum Überfall, der sechs Polizisten und dem Fahrer eines Begleitwagens das Leben kostete und acht Mitglieder der Cricket-Nationalmannschaft Sri Lankas und ihrer Entourage verletzt zurückließ, geben schwer zu denken. Auffällig ist zunächst, daß sich bisher niemand zu dem Anschlag bekannt hat. Pakistans Präsident Ali Asif Zardari und die Regierung der USA haben die Laschkar-e-Taiba (L-e-T) verantwortlich gemacht, die seit Jahren für die Unabhängigkeit des mehrheitlich von Muslimen bewohnten Kaschmirs von Indien kämpft und die hinter dem Massaker von Mumbai im letzten November, dem mehr als 170 Menschen zum Opfer fielen, vermutet wird. Rehman Malik, der mächtige De-Facto-Innenminister Pakistans, der offiziell als Sicherheitsberater von Premierminister Yousuf Raza Gilani fungiert, hat dagegen - ohne Indien namentlich zu nennen - "ausländische Kräfte" bezichtigt und soll entsprechende Hinweise dem FBI-Direktor Robert Mueller, der gerade zu Besuch in Islamabad war, vorgelegt haben.

In einem Artikel, der am 5. März im britischen Daily Telegraph unter der Überschrift "Pakistan blames India for Lahore 'cricket terror plot'" erschienen ist und in dem man die Informationen Maliks kolportierte, wurde aus einer strengvertraulichen, auf den 22. Februar datierten Mitteilung des pakistanischen Geheimdienstes an die Zentralregierung in Islamabad und die Regierung des Bundesstaates Punjab, dessen Hauptstadt Lahore ist, wie folgt zitiert: "Aus zuverlässiger Quelle hat man erfahren, daß der RAW [der indische Geheimdienst Research and Analysis Wing] seine Agenten damit beauftragt hat, die Cricket-Nationalmannschaft Sri Lankas während ihres aktuellen Besuchs in Lahore, insbesondere während der Fahrten zwischen Stadion und Hotel oder während ihres Aufenthalts im Hotel anzugreifen ... Extreme Achtsamkeit und verschärfte Sicherheitsvorkehrungen werden daher empfohlen."

In Pakistan selbst gibt die Tatsache, daß die zehn bis zwölf schwer bewaffneten und unmaskierten Täter den Bus der Sri Lanker fast ungehindert angreifen und anschließend ohne besondere Hektik auf Motorrädern entkommen konnten - wofür die im Fernsehen gezeigten und bei Youtube anzuschauenden Bilder von dem minutenlangen Überfall am Verkehrsknotenpunkt Liberty Square im Herzen Lahores ein schockierendes Zeugnis abgeben -, Anlaß zu der Vermutung, daß zumindest Teile der eigenen Sicherheitskräfte in die blutige Operation verwickelt waren.

Vor allem Präsident Zardari kommt der Anschlag von Lahore höchst gelegen. Nur wenige Tage zuvor, nämlich am 25. Februar, hatte er den Ministerpräsidenten des Punjab, Shahbaz Sharif, abgesetzt und durch Salman Taseer, einen Vertrauensmann aus der eigenen Pakistan Peoples Party (PPP), ersetzt. Anlaß war die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom selben Tag, Shahbaz Sharif und seinem Bruder Nawaz, dem Ex-Premierminister und Anführer der Pakistan Moslem League (Nawaz), aufgrund von Verurteilungen aus der Ära des Diktators Pervez Musharraf für amtsunfähig zu erklären und ihnen das passive Wahlrecht abzusprechen. Die beiden Sharifs hatten sich daraufhin der Protestbewegung der pakistanischen Juristen angeschlossen und wollten an ihrem für den 12. März geplanten großen Marsch auf Islamabad teilnehmen. Unter dem Eindruck der schockierenden Ereignisse von Lahore hat nun Zardari Sharifs PML-N und die Anwaltsbewegung, die seit über einem Jahr für die Wiedereinsetzung Dutzender von Musharraf entlassener Richter eintritt, zur Beendigung ihrer außerparlamentarischen Proteste aufgefordert, weswegen das frühere Cricket-Idol und der heutige Oppositionspolitiker Imran Khan ihm vorgeworfen hat, Pakistan mit "faschistischen Methoden" regieren zu wollen.

Wer angesichts solcher Verwicklungen meint, die politische Szene in Pakistan sei hochkompliziert und schwer zu durchschauen, der hat völlig Recht. Doch Interessierte finden Hilfe in Form des höchst empfehlenswerten Buchs "Brandherd Pakistan - Wie der Terrorkrieg nach Deutschland kommt" von Christoph Hörstel. Der 1956 geborene Bremer war in den achtziger und neunziger Jahren unter anderem als Korrespondent der ARD viel am Hindukusch unterwegs. Von dort hat er sowohl über den Krieg der Mudschaheddin gegen die Sowjetunion in Afghanistan, der mit Hilfe der CIA von Pakistan aus organisiert wurde, und den anschließenden Kampf der Warlords um die Macht in Kabul als auch über die brutale Unterdrückung der Bevölkerung im indischen Teil Kaschmirs durch die Sicherheitskräfte Neu-Delhis berichtet. Wie kaum ein zweiter versteht Hörstel die Situation in "Af-Pak" - so die brandneue Bezeichnung der Regierung Barack Obamas für die Problem-Region. Hörstel kennt viele Leute sowohl in den Behörden in Kabul und Islamabad als auch unter den diversen militanten Gruppen in Afghanistan und dem pakistanischen Grenzgebiet. Nicht umsonst hat ihn 2006 und 2007 die Bundeswehr geholt, um ausgewählte Führungskräfte der ISAF-Truppe in Afghanistan in Landeskunde zu unterrichten.

Wie bereits in seinem 2007 erschienenen, viel beachteten Buch "Sprengsatz Afghanistan - die Bundeswehr in tödlicher Mission" zu erkennen war, steht Hörstel der westlichen Militärpräsenz am Hindukusch ablehnend gegenüber. Für die sehr weitreichenden Vorstellungen des früheren Verteidigungsministers Peter Struck hinsichtlich der Sicherheitsbedürfnisse Deutschlands hat er absolut nichts übrig. Die Gründe für diese Ablehnung erläutert Hörstel im neuen Buch anhand einer eingehenden Abhandlung der Geschichte Pakistans von der britischen Kolonialzeit über die Kriege mit Indien, die Abspaltung des heutigen Bangladesch, das Aufkommen des islamischen Fundamentalismus unter dem früheren Diktator General Zial ul-Haq, den Bau der Atombombe unter der Regie von Dr. Abdul Qadeer Khan, den jahrelangen Machtkampf zwischen Nawaz Sharif und Benazir Bhutto, die Musharraf-Ära bis hin zur heutigen Konfrontation zwischen dem Bhutto-Witwer Zardari und dem vor allem in Punjab immer noch populären Sharif. Hörstel betrachtet Pakistan als Spielball ausländischer Interessen, allen voran der USA, die glauben über die "Terror"-Karte ihre Position im ressourcenreichen Zentralasien festigen zu können.

Durch seine Begegnungen mit Menschen aller Bevölkerungsschichten in Pakistan - und Afghanistan - hat Hörstel viel Verständnis dafür entwickelt, daß einige von ihnen sich mit Waffengewalt gegen den westlichen Kolonialismus zu wehren versuchen. Daß solche Leute häufig den Geheimdiensten in die Hände spielen, ist einer der perfidesten Aspekte dessen, was wir seit dem 11. September 2001 den "globalen Antiterrorkrieg" nennen. Wie die Manipulation und Aussteuerung des "terroristischen" Fußvolks durch höhere, mächtigere Instanzen erfolgt, legt Hörstel im vorliegenden Buch ausführlich anhand zahlreicher Beispiele wie das des Sauerland-Trios um Fritz G. sowie mittels des von ihm entwickelten, recht schlüssigen "Terror-Management"-Modells offen. Durch den technokratischen Begriff Management unterstreicht Hörstel, daß sich hinter der "Bekämpfung" des "Terrorismus" dessen Instrumentalisierung zu innen- und außenpolitischen Zwecken nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland verbirgt.

Angesichts des unsäglichen Leids, welche die Kriege der letzten Jahrzehnte in Afghanistan über die Menschen nicht nur dort, sondern auch in Pakistan gebracht haben, versucht Hörstel seit geraumer Zeit als Regierungs- und Unternehmensberater die Verantwortlichen in Berlin, Brüssel und Washington für sein eigenes Konzept zur Beilegung der verschiedenen Konflikte am Hindukusch, allen voran desjenigen zwischen Indien und Pakistan um den Zankapfel Kaschmir, zu gewinnen. Das Konzept, das Wiederaufbauhilfe und Dialogbereitschaft an die Stelle des Traums von der Niederringung der Taliban setzt und das im Falle seiner tatsächlichen Anwendung zum Erfolg führen könnte, wird im Buch ausführlich erklärt. Hörstel befürchtet, daß die Truppenaufstockungsstrategie in Afghanistan, wie sie derzeit der Obama-Regierung vorschwebt, über kurz oder lang zu einem gigantischen Desaster führen könnte, von dem ein Atomkrieg zwischen Pakistan und Indien lediglich ein Teil wäre. Seine Befürchtungen, auch was den Ausbau des polizeistaatlichen Apparats in Europa und Nordamerika im Falle eines Festhaltens am "Antiterrorkrieg" gegen Teile der muslimischen Welt betrifft, sind mehr als begründet.

Auf dem Treffen der NATO-Außenminister am 5. März in Brüssel hat die neue Chefin im State Department, Hillary Clinton, Afghanistan und Pakistan zu einem "einzigen strategischen Anliegen" und die Grenzregion beider Länder zum "Nervenzentrum" des "internationalen Terrors" erklärt, weil von dort angeblich die Flugzeuganschläge vom 11. September, die Bombenanschläge in Madrid 2003 und London 2005, die Ermordung Benazir Bhuttos 2007 und der paramilitärische Angriff auf Mumbai 2008 ausgingen. Will man das, was in diesem gefährlichen und strategisch wichtigen Teil der Welt tatsächlich vorgeht, besser verstehen, dann gibt es wahrscheinlich keine bessere Einführung als das neuste Buch Christoph Hörstels.

6. März 2008


Christoph R. Hörstel
Brandherd Pakistan
Wie der Terrorkrieg nach Deutschland kommt
Kai Homilius Verlag, Berlin, 2008
399 Seiten
ISBN: 978-3-89706-841-4