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REZENSION/484: Klaus Gietinger - ... Die Ermordung Rosa Luxemburgs (SB)


Klaus Gietinger


Eine Leiche im Landwehrkanal

Die Ermordung Rosa Luxemburgs



In der Nacht vom 15. auf den 16. Januar 1919 wurden die Spartakusbund- und KPD-Gründer Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg von rechtsgerichteten Freikorpssoldaten der Garde-Kavallerie-Schützen-Division (GKSD) in Berlin ermordet. Weder hatte Liebknecht zu fliehen versucht noch wurde Luxemburg vom aufgebrachten Mob gelyncht, wie anschließend von den Tätern, einer willfährigen Presse und später auch von Gerichten, die der Verschleierung und nicht der Aufklärung der Tat dienten, behauptet wurde. Die Anweisung zur Exekution hatte Waldemar Pabst, 1. Generalstabsoffizier der GKSD, erteilt. Dieser wiederum versicherte sich, kurz bevor er den Mordbefehl gab, der stillschweigenden Zustimmung des damaligen sozialdemokratischen Volksbeauftragten für Heer und Marine Gustav Noske. Wenngleich von diesem kein direkter Mordauftrag ausging, dürfte seine Rolle in dem Komplott unzweideutig sein, hat er doch später die Aufklärung des Falls zu verhindern versucht.

Die Kooperation der gemäßigten Sozialdemokraten mit den rechtsgerichteten Kräften, die Beteiligung der Offiziere an den Morden und die Verschleierung der Tat durch Regierung und Justiz sind spätestens seit der Ausstrahlung des detailreichen TV-Dokumentarspiels "Der Fall Liebknecht-Luxemburg" von Dieter Ertel im SDR im Jahre 1960 einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. In dem Buch "Eine Leiche im Landwehrkanal. Die Ermordung Rosa Luxemburgs" zeichnet der Autor Klaus Gietinger den exakten Tathergang nach. Sein intensives Quellenstudium bringt ihn zu der Ansicht, daß Rosa Luxemburg in einem fahrenden Auto nicht von Oberleutnant a.D. Kurt Vogel - wie inzwischen als vermeintliche Korrektur zur "Lynchthese" offiziell anerkannt -, sondern von Leutnant Hermann W. Souchon getötet wurde, nachdem sie kurz zuvor bereits von einem schweren Kolbenhieb getroffen worden war und bewußtlos im Fonds des Wagens saß.

Die Frage, wer als Todesschütze verantwortlich zeichnete, mag für Historiker nicht unwichtig sein, zumal Souchon noch im selben Jahr der Ermordung als Entlastungszeuge vor einem Feldkriegsgericht der GKSD auftrat und sehr viel später erfolgreich gegen die ihn in der Ertel-Dokumentation belastenden Darstellungen geklagt hatte, doch verschließt sich einem breiteren Lesepublikum von heute die Notwendigkeit und Bedeutung einer Aufklärung der genauen Täterschaft, solange diese Frage nicht vom Autor historisch eingeordnet wird. Denn daß Luxemburg mit Duldung Noskes vom Freikorps gemeuchelt wurde, ist heute nicht mehr die Frage. Nicht zuletzt weil Gietinger seine Version des Tathergangs bereits 1993 in einem Büchlein und zwei Jahre darauf in erweiterter Form veröffentlicht hat. Wurde in der Zwischenzeit bei der Sichtung der Quellen das eine oder andere Detail zusätzlich gehoben, so versäumt es der Autor zu begründen, was seiner Meinung nach an der Aufklärung der von ihm akribisch behandelten Detailfragen wichtig sein könnte, um es dem Strom des Vergessens zu entreißen. Die Korrektur einer längst korrigierten Geschichtsdarstellung bleibt dann nebensächlich, wenn es ein Autor unterläßt zu erklären, warum seine Erkenntnisse heute noch, da mit jedem Tag von neuem die Geschichte der Sieger geschrieben wird, bedeutsam sein könnte.

Das Aufstöbern und Bewerten neuer Quellen gehört seit jeher zum Handwerkszeug linker historischer Analyse. Darin weiß Gietinger durchaus zu überzeugen, wie durch zahlreiche Quellenverweise sowie einen umfangreichen Anhang mit Biographien über Beteiligte und Unterstützer des Mordkomplotts sowie Dokumenten unter anderem über den Schriftverkehr Pabsts mit Ertel belegt wird. Erfreulich auch das gründlich erarbeitete Personenregister, das für die nachbereitende Erarbeitung des Stoffs unverzichtbar ist.

Aber wenn Gietinger wenigstens die Leserinnen und Leser auf den Geschmack gebracht hätte, sich mit den politischen Ansichten Rosa Luxemburgs zu befassen! Zu begründen, warum in der heutigen Zeit des massiven Rückbaus der im Laufe von Jahrzehnten mühsam erkämpften Errungenschaften der Arbeiterschaft die Beschäftigung mit Rosa Luxemburg höchste Aktualität besitzt, verliehe einer Ermittlungsarbeit wie der von Gietinger vorgelegten einen erheblich größeren Nutzen.

Die Leserschaft wird in vielerlei Hinsicht im dunkeln gelassen. Sie erfährt wenig, um die Bedeutung Rosa Luxemburgs für die damalige Epoche einschätzen zu können - außer eben, daß sie als gefährlich für die etablierten Interessen angesehen und deshalb ermordet wurde. Es wäre nützlich gewesen, wenn der Autor zumindest einige kurze, einordnende Worte zu den Umständen, die zur ersten und einzigen Revolution der Arbeiter in Deutschland geführt hatten, verloren hätte. Denn immerhin hatte eine Partei, deren Kürzel sich noch heute auf den Stimmzetteln der Bundesbürger findet, sich mit großem Pathos den herrschenden Kräften unterworfen, woraufhin Liebknecht und Luxemburg, die sich im Unterschied zu ihren Genossen und unbeirrt ob der massiven gesellschaftlichen Gegenkräfte weiterhin auf Karl Marx beriefen, die Konsequenz zogen und aus der SPD austraten.

Liebknecht und Luxemburg hatten im unmittelbaren Anschluß an den Krieg von 1914 - 1918 die historische Chance für einen revolutionären Prozeß erkannt, um Adel und Bourgeosie ein für alle Mal das Zepter zu entreißen und es in die Hand der Arbeiter zu legen. Die Leserschaft erfährt wenig über das mörderische Wüten der von der SPD-Regierung unterstützten Freikorps-Soldaten, dem in den nächsten Wochen und Monaten nach Luxemburgs und Liebknechts Tod mehr als 1200 Oppositionelle zum Opfer fielen, und sie erfährt nichts über die Gewerkschaften, die ihr Fähnchen in den Wind hängten und mit der Regierung gegen die KPD paktierten. Somit werden Rückschlüsse über das Verhältnis der damaligen Sozialdemokraten zu den Kommunisten und das heutige Verhältnis der SPD zur wiedererstarkten Linken in Deutschland unnötig erschwert.

Nach der Lektüre des Buchs "Eine Leiche im Landwehrkanal" kommt der Eindruck auf, als habe der Sozialwissenschaftler, Drehbuchautor und "Tatort"-Regisseur Klaus Gietinger mit seiner minutiösen Beschreibung des Tathergangs der Ermordung Rosa Luxemburgs erfolgreich vermieden, sich mit den politischen Ansichten dieser einflußreichen Politikerin und Revolutionärin auseinanderzusetzen. Ein Nutzen des Buchs könnte darin bestehen, daß die Leserinnen und Leser diesen Umstand zum Anlaß nehmen, sich mit politischen Ideen zu befassen, denen bis heute aus gutem Grund so wenig Verbreitung wie möglich zugestanden wird.

25. Mai 2009


Klaus Gietinger
Eine Leiche im Landwehrkanal
Die Ermordung Rosa Luxemburgs
Edition Nautilus Verlag Klaus Schulenburg
Hamburg, Januar 2009
190 Seiten
ISBN 978-3-89401-593-0