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REZENSION/503: Helfrich, Heinrich-Böll-Stiftung - Wem gehört die Welt? (SB)


Silke Helfrich und Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.)


Wem gehört die Welt?

Zur Wiederentdeckung der Gemeingüter



Still und leise, aber unerschrocken und nicht mehr aufzuhalten wird sich weltweit eine Bewegung ausbreiten, die den Trend zur Privatisierung und Aneignung vormaliger Gemeingüter rückgängig macht. Am Ende dieser Entwicklung wird die menschliche Gesellschaft nicht nur oberflächlich umgekrempelt sein, vielmehr werden natürliche Ressourcen wie Wasser, Boden und Luft, aber auch die Ergebnisse menschlicher Arbeitskraft vorwiegend gemeinschaftlich genutzt. Damit einhergehend findet ein Prozeß der sanften Umerziehung, der Einsicht und wachsenden Vernunft statt, nach der nicht mehr Bereicherung und Ausbeutung Motiv menschlichen Handelns sind, sondern Mehrung von Wohlstand und Wohlbefinden für alle.

Auf diese Weise läßt sich, im Kern die Wünsche und Träume vieler Beteiligter zumindest berührend, das Ziel der Commons- bzw. Allmende- oder Gemeingüter-Bewegung in wenigen Sätzen beschreiben. Das vorliegende Buch "Wem gehört die Welt? Zur Wiederentdeckung der Gemeingüter" liefert dazu den passenden Einstieg in die Thematik und Debatte um den angestrebten gesellschaftlichen Wandel, wobei durch die Vielzahl der Einzelbeiträge ein treffender Eindruck vom Spektrum der Fragen, die hierbei eine Rolle spielen, geschaffen wird.

In 30 Aufsätzen, verteilt über die Schwerpunkte "Gemeingüter, Bürgerschaft und Eigentum", "Entgrenzungen und Eingrenzungen" und "Institutionen des Commons-Managements" und eingerahmt von einem Vor- und Nachwort sowie einem Aufruf der indischen Menschenrechtsaktivistin und Preisträgerin des Alternativen Nobelpreises Vandana Shiva, führen internationale Autorinnen und Autoren in den breit gefächerten Diskurs über gemeinschaftlich genutzte Güter ein. Auch wenn dieser hin und wieder trocken und sperrig wirkt, wenn es beispielsweise um rein rechtliche Fragen geht, sollte nie aus dem Blick verloren gehen, daß sich hier Menschen letztlich um eine andere Gesellschaftsordnung bemühen, in der durch staatliche Gewalt gesicherter Privatbesitz, wenngleich nicht durch einen revolutionären, so doch einen evolutionären Prozeß wenigstens partiell aufgehoben werden soll.

Zu den klassischen Erfolgen, die der Commons-Bewegung zugerechnet werden, gehört die Verbreitung des Betriebssystems Linux, dessen kommerzielle Verwertung von seinem Entwickler ausdrücklich untersagt wird, sowie die Internetseite Wikipedia, die Wissen sammelt und kostenlos zur Verfügung stellt. GNU, Freie Software, Open Source, Open Access, Creative Commons lauten hierzu einige in der Fachwelt weit verbreiteten und inhaltlich laufend weiter gefüllten Stichworte. Nicht zufällig handelt es sich vor allem um Beispiele aus der digitalen Welt, in denen entgegen dem Trend auf eine kommerzielle Nutzung absichtlich verzichtet wird.

Die Herausgeber des Sammelbands bemühen sich um die Vermittlung des Eindrucks, daß die Gemeingüterbewegung viele gesellschaftliche Bereiche erfaßt. Dem kann nicht in jeder Hinsicht zugestimmt werden. Im Bereich der Medien wurden mit Abstand die meisten Commons-Projekte konzeptioniert oder auch konkretisiert, wohingegen, um ein extremes Beispiel zu nennen, die Industriegüterproduktion von dem Trend bislang weitgehend unbeleckt geblieben ist. Kaum vorstellbar beispielsweise, daß Pkws nach Commons-Kriterien hergestellt und für jedermann und jede Frau kostenlos zur Verfügung gestellt werden. (Wohingegen bei der Nutzung von Pkws schon vor langer Zeit "fahrgemeinschaftliche" Konzepte verwirklicht wurden.)

Bedauerlicherweise wird in diesem Buch die verhältnismäßig weit entwickelte Achtung der Gemeingüter in Staaten wie Kuba und Venezuela gar nicht behandelt. Warum nicht? An einen Zufall mag man nicht glauben. Wer eine neue Gesellschaftsordnung verwirklichen will, scheint nicht gut beraten, wenn er sein Tun von den Interessen bestimmen läßt, die an der alten Ordnung festhalten und sie mit allen Mitteln verteidigen. Ein etwas entspannterer, unvoreingenommener Umgang mit der Politik dieser beiden Länder muß ja nicht bedeuten, die dort zur Anwendung gelangten Gesellschaftsmodelle unkritisch übernehmen zu wollen. Aber wenn zum Beispiel die venezolanische Regierung Gelder zur freien Verfügbarkeit örtlicher Bürgerkomitees verteilt und diese damit die kommunale Wasserverfügbarkeit entscheidend verbessern, dann entlarvt das venezolanische Modell die neoliberale Behauptung, daß nur über Privatisierung oder Public-Private-Partnership die Wasserversorgung in ärmeren Ländern gesichert werden kann, als von Ausbeutungs- und Bereicherungsinteressen gesteuert.

Herausgeberin Silke Helfrich und Jörg Haas von der Heinrich-Böll-Stiftung und European Climate Foundation beschreiben in ihrem Schlußwort, das die Überschrift "Statt eines Nachworts - Gemeingüter: Eine große Erzählung" (S. 251) trägt und deshalb lesenswert ist, weil hier noch einmal grundsätzliche, gesellschaftlich-politisch übergreifende Fragen aufgeworfen und diskutiert werden, die Gemeingüterbewegung als eine Art dritten Weg, befreit von Marktradikalismus und Staatssozialimus, und umreißen den Hintergrund der Debatte:

"Viele Konflikte unserer Zeit entwickeln sich um die Erosion der Gemeingüterressourcen einerseits und die Konzentration an den Verwertungs- und Verfügungsrechten über diese Ressourcen andererseits. (...) Seit Jahrzehnten sichern staatliche Institutionen weltweit privatwirtschaftliche Interessen ab. Dieser unheiligen Allianz fielen und fallen zahlreiche Gemeingüter zum Opfer."
(S. 251 f)

Am Beispiel des Zugangs zu Wissen stellen Helfrich und Haas fest, daß "Rechteverwerter einen Großteil ihrer Gewinne" aus der "künstlichen Verknappung von Kultur, Wissen und Ideen" erzielen. Die "permanente Ausweitung der technologischen und juristischen Möglichkeiten der Verknappung" habe sich als "kontraproduktiv bezüglich der gesamtgesellschaftlichen Innovationskraft, Kreativität und Produktivität" erwiesen. (S. 254) Die Beschränkung des Zugangs zu "immateriellen Ressourcen" richte sich gegen die "Lebensverwirklichung" der Menschen.

Hier sprechen Helfrich und Haas einen viel zu selten beleuchteten Zusammenhang zwischen Verknappung und Verwertung an, der keineswegs auf die hier beschriebenen immateriellen Dinge beschränkt bleibt. Mehr als eine Milliarde Menschen wird durch die vorherrschende Form des Wirtschaftens von der materiellen Lebensverwirklichung abgehalten, kurzum, die Betroffenen leiden Hunger. Es ist nicht ersichtlich, warum die Öffentlichkeit die Verknappung von Nahrung in der Regel als schicksalhaft, die Verknappung von Wissensgütern, auf die sich Helfrich und Haas beziehen, aber als politisch gewollt betrachtet. Wäre nicht treffenderweise die Essenz jeglichen Eigentums als Ausschluß der Nutzung durch andere zu bezeichnen? Und daran anschließend eine auf Akkumulation privaten Eigentums abzielende Wirtschaftsweise als absichtsvolle Produktion von Mangel?

Bei der "Wiederentdeckung der Gemeingüter" wäre folglich zu fragen, ob die Anhängerinnen und Anhänger dieser Bewegung entschlossen sind, sich von der mangelgenerierenden Verwertungslogik zu befreien. Nur auf diese Weise, so scheint es, bietet die Gemeingüterbewegung die Chance, nicht alten Wein in neuen Schläuchen zu verkaufen. Andernfalls könnte aus dem Blick geraten, daß die kapitalistische Gesellschaft von heute aus einer Gesellschaftsform, in der Gemeingüter noch verbreiteter waren, hervorgegangen ist. Die Gemeingüteridee steht dem staatlich oder marktwirtschaftlich ausgerichteten Kapitalismus nicht gegenüber - sie besaß nie die Durchsetzungskraft, ihn zu verhindern, sondern hat ihn stets begleitet.

Das Gemeingut kam erst in die Welt, nachdem es die nicht-gemeingütige Nutzung gab. Zuvor konnte es die Bezeichnung gar nicht geben, weil das Verständnis ihres Gegenteils nicht existierte. Gemeingüter beschreiben demnach das ihnen noch nicht Entzogene, sie sind ein Überbleibsel. Diese logische Bindung müßte die heutige Bewegung überwinden, wollte sie nicht als Neuauflage der alten Verhältnisse enden. Ähnliches mahnt auch Ulrich Brand in seinem Aufsatz "Das Zusammenwirken von Bewegungen" an, wenn er schreibt:

"Eine Gefahr der Commons-Debatte liegt, auch in Teilen der Bewegungen für globale Gerechtigkeit, darin, dass sie Elemente der herrschenden neoklassischen Weltsicht übernimmt. Diese bezeichnet jene Dinge als öffentliche Güter, die aufgrund der Nicht-Rivalität im Konsum und bzw. oder aufgrund der hohen Kosten für die Ausschließbarkeit anderer nicht profitabel, aber dennoch notwendig sind und insbesondere vom Staat bereitgestellt (Frieden, Leuchttürme) oder geschützt (saubere Luft) werden sollen. Hier wird die Welt aus einer zuvorderst ökonomischen und nutzenmaximierenden Perspektive betrachtet."
(S. 241)

Sicherlich wäre es diskutierenswert, ob nicht die Gefahr besteht, daß die ursprüngliche Unzulänglichkeit der Allmende als Gegenentwurf zur privaten Aneignung heutzutage in ungenügend hinterfragten Vorstellungen wie "Gerechtigkeit" fortbesteht. So bündeln Helfrich und Haas in ihrem Schlußwort noch einmal ihre Vorstellungen vom Umgang mit Gemeingütern und fordern "gerechten Zugang" zu natürlichen Ressourcen, "gerecht geteilten Nutzen", "Verantwortung für den Erhalt der Ressource" und eine "demokratische Entscheidungsfindung". (S. 259)

Heute werden jedoch Angriffskriege im Namen von Verantwortung, Demokratie und Gerechtigkeit geführt, und auch das Vorenthalten von Wasser, Weizen und Wissen mit existenzvernichtenden Konsequenzen erfolgt nach gegenwärtig geltendem Recht und Gesetz. Hier wird also ein Widerspruch erkennbar, der nicht deshalb unwirksam wird, weil man ihn vermeidet. Sicherlich kann er auch nicht durch bloße Negation, also durch die Propagierung von Recht- und Gesetzlosigkeit gelöst werden, setzte solch ein Standpunkt doch Recht und Gesetz zwingend voraus. Was aber dann? Helfrich und Haas gehen mit dieser naheliegenden Frage nicht ungeschickt um, indem sie schreiben:

"... wenn politisch zugespitzte Auseinandersetzungen zu Lösungen drängen, taugen Commons kaum als Kampfbegriff, wohl aber zur Orientierung und differenzierten Bewertung des Vorfindlichen. Die Gemeingüterdebatte bietet statt einer Blaupause eine programmatische Klammer. Eine neue Vision."
(S. 267)

Das Buch verdeutlicht, daß trotz aller Anstrengungen der Autorinnen und Autoren, von denen sich die meisten ausgiebig um die Bestimmung ihrer eigenen Position bemühen, eigentlich niemand eine abschließende und alle Aspekte lückenlos beschreibende Definition von Gemeingütern, Commons oder der Allmende liefern kann und auch nicht so genau weiß, wohin die Reise geht. In eben dieser Unsicherheit dürfte eine Chance liegen, daß die Gemeingüterbewegung nicht den Kurs einschlägt, den viele Kampagnen zum gesellschaftlichen Umbruch vor ihr genommen haben und deren Apologeten heute zu eben jenem Establishment gehören, das abzuschaffen sie nie angetreten waren.

22. Februar 2010


Silke Helfrich und Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.)
Wem gehört die Welt?
Zur Wiederentdeckung der Gemeingüter
oekom Verlag, München 2009
ISBN 978-3-86581-133-2
288 Seiten, 24,90 Euro