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REZENSION/547: N. Al-Rodhan - Sustainable History and the Dignity of Man (SB)


Nayef R. F. Al-Rodhan


Sustainable History and the Dignity of Man

A Philosophy of History and Civilisational Triumph



Die aktuelle menschliche Lage erscheint alles andere als vielversprechend. Die Probleme des Klimawandels, des Ressourcenverbrauchs, des Aussterbens von Pflanzen und Tieren sowie der Umweltdegradierung und -vergiftung nehmen zu statt ab. Die internationale Finanzkrise, selbst nur eine akute Manifestation eines fraglichen Wachstumsmodells, bedroht die Zahlungsfähigkeit und Stabilität ganzer Nationen bis hin zu den USA. Weitverbreitete Armut bedeutet laut einer vor kurzem abgegebenen Erklärung des Weltbank-Präsidenten Robert Zoellick, daß "zum erstenmal in der Geschichte mehr als eine Milliarde Menschen jede Nacht hungrig ins Bett gehen".

Die internationale Arena, bereits durch den "globalen Antiterrorkrieg" der NATO belastet, den ein Gutteil der mehr als eine Milliarde Moslems auf der Welt für einen Angriff auf ihre Religion und Kultur halten, ist von Spannungen und der Gefahr eines dritten Weltkrieges gekennzeichnet, für die z. B. der Streit um das Atomprogramm des Irans oder die zunehmende Konkurrenz zwischen China und Japan um die Ausbeutung der vermuteten Öl- und Gasressourcen im Ostchinesischen Meer den Funken liefern könnte. Nicht umsonst hat Michael Meacher 2003 in seiner damaligen Position als britischer Umweltminister davor gewarnt, daß die Menschheit Gefahr laufe, "nach nur einer Viertelmillion Jahre ... ihren eigenen Untergang herbeizuführen" - während die Dinosaurier, obgleich angeblich nur mit erbsengroßen Gehirnen ausgestattet, "den Planeten 160 Millionen Jahre lang beherrschten".

Glücklicherweise scheint für den Homo Sapiens noch nicht alles verloren zu sein. In "Sustainable History and the Dignity of Man" extrapoliert Dr. Nayef R. F. Al-Rodhan aus einem neuro-chemischen Modell des menschlichen Verhaltens die Mittel, mit denen sich die moderne Gesellschaft auf der internationalen und interkulturellen Ebene optimal organisiert werden könnte, was nichts weniger als "globale Harmonie" (S. 444) zur Folge hätte. Laut Al-Rodhan könnte "good governance" zusammen mit Respekt für die "menschliche Würde" des Einzelnen und kulturelle Unterschiede die Menschheit zur "nachhaltigen Geschichte" und "Lebensqualität" auf diesem "oder anderen Planeten" (S. 13) führen. Wenn das etwas anmaßend klingt, dann zumindest nach Meinung des Rezensenten deshalb, weil es das ist.

Die überambitionierte Beschaffenheit der Blaupause des Autors für das menschliche Überleben kann vielleicht zum Teil auf dessen akademische Herkunft zurückgeführt werden. Al-Rodhan ist Absolvent und derzeit Senior Member des St. Anthony College an der Universität Oxford, zu dessen Ehemaligen Richard Haas, der ehemalige Berater der US-Präsidenten George Bush sen. und jun. und heutige Präsident des enorm einflußreichen Council on Foreign Relations (CFR), der dreimalige Pulitzerpreisträger und New-York-Times-Kolumnist Thomas Friedman und der britische Historiker und Guardian-Kolumnist Timothy Garton Ash gehören. St. Anthonys steht in dem Ruf, eine Kaderschmiede angehender Globalisten zu sein. Das Buch Al-Rodhans trägt neben den Schriften seiner illustreren Kollegen zur Richtigkeit dieses Urteils bei.

Es gibt viel Empfehlsenwertes in "Sustainable History and the Dignity of Man". Al-Rodhans Erläuterung der Geschichtsphilosophie durch die Epochen und der unterschiedlichen Theorien des Wissens ist sowohl umfassend als auch für den Leser leicht nachzuvollziehen. Sein Eintreten für humanistische Werte, seine Anerkennung des Beitrags islamischer Gelehrter zum christlich-europäischen Denken und seine Verneinung der singulären Eignung des westlichen Modells für gesellschaftliche Entwicklung in anderen Teilen der Welt sind überzeugend und fordern die Befürworter militärischer Gewalt heraus, welche die Menschheit zu Beginn des 21. Jahrhunderts in einem "Kampf der Kulturen" wähnen.

Doch der Sprung von einer Analyse der geschichtlichen Vorstellungen der Menschheit und ihrem Verhältnis zum restlichen Kosmos hin zur Vorlage eines Programms, mittels dessen unsere derzeitigen Schwierigkeiten überwunden werden sollten - und das für immer - riecht nach Hybris, um es milde auszudrücken. Die kleinen Kästchen-Kreis-Diagramme, wie das des "Global Education Octagon" (S. 404), mit denen praktisch jedes Kapitel abschließt, und der übermäßige Rückgriff auf eigene Wortschöpfungen wie z. B. "neo-statecraft" und "symbiotic realism" vermitteln dem Leser den Eindruck, daß Al-Rodhan tatsächlich von sich glaubt, er habe, nachdem er alle konventionellen Herangehensweisen in den Bereichen Philosophie, Psychologie und Geopolitik zerpflückt und sie nach eigenem Gutdünken wieder zusammengesetzt hat, den Schlüssel zur konfliktfreien Existenz auf Erden gefunden.

Leider werden Al-Rodhans beeindruckende analytische Fähigkeiten von seinen bevormundenden Tendenzen überschattet. Das Streben, Lösungen zu präsentieren, und die unhinterfragte Übernahme des post-9/11-Sicherheitsdiskurses - "Bioterrorismus", "Netzbedrohungen" usw. -überraschen nicht, wenn man Al-Rodhans berufliche Position als Director of the Geopolitics of Globalisation and Transnational Security Programme am Geneva Centre for Security Policy (GCSP) bedenkt, welches sich selbst als "internationale Stiftung, die im Rahmen der Teilnahme der Schweiz an Partnerschaft für den Frieden kreiert wurde", bezeichnet und in dessen Beirat zudem Leute wie General a. D. Klaus Naumann, Ex-Generalinspekteur der Bundeswehr und unverfrorener Befürworter der nuklearen Erstschlagsstrategie der NATO, sitzen. Vor diesem Hintergrund bekommt Al-Rodhans wiederholte Absage an den Nationalstaat, weil angeblich zur Bewältigung der aktuellen und künftigen Herausforderungen unfähig, und seine immer wiederkehrende Forderung nach einer Weltregierung als einzigem Weg, jedem Menschen die ihm zustehende Würde zu gewähren, einen eigennützigen Beigeschmack.

Bei der Anregung, Globalinstitutionen wären besser als das Konzert der Nationen imstande, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 zu verwirklichen, handelt es sich um eine bloße Annahme - und eine schwache noch dazu. Entgegen den Erwartungen Al-Rodhans in diesem Zusammenhang deuten alle Hinweise, darunter auch die bevorzugte Position der diversen Konzernlobbygruppen auf der multinationalen Ebene - siehe die zerstörerischen Auswirkungen des Bemühens des US-Unternehmens Monsanto, weite Teile der landwirtschaftlichen Produktion Indiens zu beherrschen - darauf hin, daß die Haftbarkeit ab- statt zunimmt, je weiter hierarchisch, geographisch, kulturell usw. die entscheidungstreffenden Institutionen von den Menschen entfernt sind, deren Leben sie beeinflussen.

Die Mängel des Paradigmas Globalisierung, wie sie in E. F. Schumachers 1973 erschienenem Bestseller "Small is Beautiful" (veröffentlicht 1977 auf Deutsch unter dem Titel "Die Rückkehr zum menschlichen Maß - Alternativen für Wirtschaft und Technik") erklärt wurden, werden von Al-Rodhan nicht adäquat behandelt, sondern durch den Einsatz von schwammigen Konzepten wie "civilisational triumph" übertüncht. Ein angemessener Versuch, sich mit dem Ernst der derzeitigen Lage der Menschheit zu befassen, müßte mit tiefgreifenden Fragen bezüglich der politisch-ökonomischen Untermauerung des existierenden Systems einhergehen, statt vorzuschlagen, daß die einzig notwendige Korrektur in einer Neujustierung vorhandener philosophischer Konzepte und politisch-kultureller Traditionen zu begreifen wäre.

2. Dezember 2010


Nayef R. F. Al-Rodhan
Sustainable History and the Dignity of Man
A Philosophy of History and Civilisational Triumph
Lit Verlag, Berlin, 2010
464 Seiten
ISBN: 978-3-643-80005-3