Schattenblick →INFOPOOL →BUCH → SACHBUCH

REZENSION/563: Ali Fathollah-Nejad - Der Iran-Konflikt und die Obama-Regierung (SB)


Ali Fathollah-Nejad


Der Iran-Konflikt und die Obama-Regierung

Alter Wein in neuen Schläuchen?



Überschattet von dem "arabischen Frühling", dem Libyenkrieg der NATO, der Finanzkrise in der Euro-Zone, den politischen und sonstigen Auswirkungen der Kernschmelze dreier Reaktoren im japanischen Atomkraftwerkkomplex Fukushima Daichi und dem Ausbruch des EHEC-Darmbakteriums in Deutschland spitzt sich der Streit um das iranische Kernenergieprogramm, das laut Teheran ausschließlich zivilen Charakter hat, hinter dem aber die USA und Israel illegale Nuklearwaffenforschung zu vermuten behaupten, gefährlich zu. Darauf deutet der am 1. Juni bei der liberalen israelischen Tageszeitung Ha'aretz unter der Überschrift "Obama's new security staff may approve attack on Iran" erschienene Artikel hin, in dem der Militärkorrespondent Amir Oren folgendes zu bedenken gab: "Zwischen dem Rücktritt von [US-Verteidigungsminister Robert] Gates Ende Juni und dem von [US-Generalstabschef Admiral Michael] Mullen Ende September ist die Gefahr besonders groß, daß [Premierminister Benjamin] Netanjahu und [Verteidigungsminister Ehud] Barack einen Überraschungangriff auf den Iran befehlen werden, nicht zuletzt weil dies die Aufmerksamkeit vom Thema Palästina ablenken würde."

Ein solcher Angriff Israels würde unweigerlich massive Vergeltungsmaßnahmen seitens der Iraner nach sich ziehen und aller Wahrscheinlichkeit nach recht schnell zur Intervention der USA und der schiitisch-libanesischen Hisb-Allah-Miliz in den Konflikt führen. Mit einer Kriegsbeteiligung Saudi-Arabiens und der Golfstaaten an der Seite der USA wie auch mit einem erneuten Ausbruch des schiitisch-sunnitischen Bürgerkrieges im Irak wäre ebenfalls zu rechnen. Die von Oren postulierte Gefahr erklärt vielleicht, warum ebenfalls am 1. Juni der ehemalige Mossad-Chef Meir Dagan öffentlich von einem israelischen Überraschungsangriff auf die Nuklearanlagen der Islamischen Republik dringend abriet und dessen schrecklichen Folgen in grellen Farben an die Wand malte, während am Tag davor der Pulitzerpreisträger Seymour Hersh in einem Beitrag für die Zeitschrift New Yorker enthüllte, daß alle 16 US-Geheimdienste trotz ausgiebiger Ausforschung - darunter geheime Spähoperationen amerikanischer Spezialkommandos im Iran selbst - bisher noch keine brauchbaren Hinweise auf die Existenz eines iranischen Atomwaffenprogramms gefunden haben.

Sollte tatsächlich in den kommenden Monaten der befürchtete Showdown zwischen Teheran und Washington eintreten, dann werden sich Millionen von Menschen fragen, wie es ausgerechnet während der Präsidentschaft Barack Obamas dazu kommen konnte, wo man ursprünglich doch erwartet hatte, daß der liberale Demokrat in der Außen- und Sicherheitspolitik einen weit weniger aggressiven Kurs als sein neokonservativer republikanischer Vorgänger George W. Bush verfolgen würde. Die Antwort auf jene, noch-theoretische Frage liegt schon vor, und zwar in Form des recht informativen Hefts "Der Iran-Konflikt und die Obama-Regierung - Alter Wein in neuen Schläuchen?" des deutsch-iranischen Politikwissenschaftlers Ali Fathollah-Nejad. Das Heft erscheint in der Schriftreihe "Welttrends - Zeitschrift für internationale Politik" des Universitätsverlages Potsdam.

Der 1981 geborene Fathollah-Nejad analysiert ausführlich die Iran-Politik der Regierung Obama seit ihrem Amtsantritt im Januar 2009 und erklärt, weshalb die damals in Aussicht gestellte Versöhnung zwischen Teheran und Washington ausgeblieben ist. Anhand von Äußerungen von Obama selbst, dessen Außenministerin Hillary Clinton und anderen US-Regierungsvertretern zeigt er, daß das Verhandlungsangebot Washingtons niemals wirklich ernst gemeint gewesen ist, da es von Anfang an eine Kapitulation Teherans in den strittigsten Fragen voraussetzte und somit von vornherein zum Scheitern verurteilt war. Allein die Art, wie Obama bei der Antrittsrede als Präsident das Angebot verkündete, seine Formulierung von der ausgestreckten Hand Amerikas, die nur darauf warte, daß der Iran seine "geballte Faust" endlich öffne, kündete von der alleinigen Verantwortung Teherans für den Kalten Krieg, der seit dem Sturz des Schahs 1979 zwischen beiden Staaten herrscht.

Das Festhalten der Obama-Administration an der "Zwangsdiplomatie" der Bush-Regierung im Umgang mit den Iranern wundert Fathollah-Nejad wenig, hatte doch Amerikas erster afro-amerikanischer Präsident sein Kabinett und seinen Nationalen Sicherheitsrat fast ausschließlich mit Establishment-Figuren wie Robert Gates, Hillary Clinton und Dennis Ross besetzt, die als Kriegsfalken und eiserne Verfechter des globalen Supermachtstatus der USA einschließlich der regionalen Hegemonialrolle Israels im Nahen Osten lange bekannt sind. Von der Bush-Regierung hat Obama zum Beispiel neben den Ex-CIA-Direktor und Iran-Contra-Veteran Gates als Pentagonchef auch Stuart Levey als Staatssekretär im Finanzministerium übernommen, der wegen seiner berüchtigten Torpedierung der sogenannten Sechsergespräche im September 2005 von der Asia Times Online ironischerweise zum "Vater der nordkoreanischen Atombombe" getauft wurde und der sich bereits seit 2004 der Aufgabe widmet, auf internationaler Ebene den Sanktionsdruck auf Teheran kontinuierlich zu erhöhen.

Neben der Bedeutung der Personalien der Obama-Regierung erläutert Fathollah-Nejad auch den ungeheuren Einfluß der US-Denkfabriken wie des den Demokraten nahestehenden Brookings Institute, des neokonservativ-republikanischen American Enterprise Institute - beide in Washington ansässig -, des Wall-Street-Sprachrohrs Council on Foreign Relations in New York und der seit dem Zweiten Weltkrieg von Forschungsaufträgen der US-Luftwaffe getragenen RAND Corporation in Kalifornien auf die Politik beider großen Parteien im Repräsentantenhaus und Senat. Gerade vor wenigen Tagen sorgte ein RAND- Analytiker namens Gregory Jones mit der hysterisch-überzogenen Behauptung, die Mullahs in Teheran bräuchten nur noch acht Wochen, um in den Besitz der Atombombe zu gelangen, in den amerikanischen Medien - vornehmlich denen des reaktionären Australo-Amerikaners Rupert Murdoch - für Schlagzeilen.

In seiner Darstellung des Washingtoner Dauerringens um die optimale Iran-Politik läßt Fathollah-Nejad die Bemühungen von Pragmatikern wie des ehemaligen US-Botschafters bei den Vereinten Nationen, Thomas Pickering, und des Ehepaars Flynt und Hillary Mann Leverett, die beide unter George Bush jun. dem Nationalen Sicherheitsrat angehörten - er als Nahost-Referent und sie als Iran-Referentin -, nicht zu kurz kommen. Wie sie sieht er jede Menge Felder, darunter Energiepolitik, Stabilisierung des Iraks und Afghanistans, Friedensprozeß zwischen Israelis und Palästinenser, auf denen eine Zusammenarbeit zwischen den USA und dem Iran für beide Seiten großen Sinn machen würde. Dennoch sind die Kräfte, die von der Konfrontation profitieren, israelische Hardliner wie Netanjahu, die US-Rüstungsindustrie mit ihren milliardenschweren Waffenverkäufen an die Saudis und die sunnitischen Monarchien am westlichen Ufer des Persischen Golfs und nicht zuletzt Amerikas Generäle mit ihrem globalen Basenimperium, zu stark, als daß es bald zu einer vernünftigen Beilegung aller strittigen Fragen kommen könnte. Bereits 2003 hat die iranische Regierung über den Schweizer Diplomaten Tim Guldiman eine entsprechende Offerte gemacht, die aber von der Bush-Administration brüsk zurückgewiesen wurde. Beharrt Washington darauf, im Streit mit dem Iran alle Optionen "auf dem Tisch" zu behalten, ist der Griff zur Anwendung militärischer Gewalt nur noch eine Frage der Zeit.

14. Juni 2011


Ali Fathollah-Nejad
Der Iran-Konflikt und die Obama-Regierung
Alter Wein in neuen Schläuchen?
Universitätsverlag Potsdam 2011
78 Seiten
ISBN: 978-3-86956-042-7