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REZENSION/572: Xabier Makazaga - Demokratie und Folter. Das Beispiel Spanien (SB)


Xabier Makazaga


Demokratie und Folter

Das Beispiel Spanien



Demokratie und Folter, passen diese Begriffe überhaupt zusammen? Schließen sie sich nicht - zugespitzt gefragt - definitionsgemäß aus, weil die Einhaltung der Menschenrechte und damit die Erfüllung des Rechtsstaatsversprechens innerstes Merkmal eines demokratischen Staates sei, weshalb, sollte es doch einmal zu solchen Übergriffen kommen, die staatlichen Kontrollmechanismen und -institutionen greifen, den Mißstand beheben und die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen würden? Viele Menschen, nicht nur in Spanien, sondern auch in den übrigen Staaten der sogenannten internationalen Gemeinschaft, die sich zur Schutzpatronin von Demokratie und Menschenrechten erklärt hat, würden wohl Einwände dieser Art erheben, sollten sie mit der Aussage, daß Folter auch in Demokratien ein großes Problem darstellt oder darstellen könnte, konfrontiert werden.

Gerade weil die meisten Menschen Folter und Diktatur synonym zu setzen gewohnt und deshalb geneigt sind anzunehmen, daß Folter und Demokratie miteinander unvereinbar wären, dürfte das Ende 2009 in Spanien erschienene Buch des baskischen Aktivisten Xabier Makazaga über Folter bzw. Foltervorwürfe in Spanien in seiner im Verlag Assoziation A in diesem Jahr herausgebrachten deutschsprachigen Ausgabe mit dem Titel "Demokratie und Folter - Das Beispiel Spanien" versehen worden sein. Xabier Makazaga, um dies gleich vorwegzunehmen, ist kein neutraler Beobachter oder unparteiischer Berichterstatter in dieser hochbrisanten und politisch prekären Thematik. Als Aktivist der baskischen Unabhängigkeitsbewegung ging er in den 1980er Jahren nach Frankreich, wo er verhaftet wurde und eine zehnjährige Gefängnisstrafe verbüßte, bevor er an Spanien ausgeliefert wurde.

Als Betroffener schilderte er die Situation nach seiner Festnahme in Frankreich auf eine Weise, die als subjektiv bewertet werden muß schon deshalb, weil es zur Objektivierung des Geschilderten der Bestätigung einer Instanz bedürfte, die zu Tatsachenfeststellungen dieser Art in juristischer und damit auch politischer Hinsicht autorisiert ist:

Wenn nicht wirklich so oft mit so schrecklichen Folgen an die spanischen Folterer ausgeliefert worden wäre - wie könnte man uns glauben machen, dass uns eben dieses Schicksal unmittelbar bevorstehen würde? Die ganze Macht der psychologischen Folter liegt in der höllischen Angst, die das Opfer verspürt, wenn es davon überzeugt ist, in den hinreichend bekannten Klauen derer zu landen, die es aus den Berichten derjenigen kennt, die früher in diese Hölle hinab gestiegen sind.

Ich musste diese bittere Erfahrung 1987 nach meiner Verhaftung in Bordeaux machen. In diesem Jahr hatten die französischen Behörden mit dem juristischen Argument Gefahr im Verzug über hundert baskische Flüchtlinge den spanischen Folterern überlassen. Zur selben Zeit nutzten sie die erzeugte allgemeine Angst, um falsche Geständnisse zu bekommen.
(S. 76)

Die Tatsache, daß der heute in Brüssel lebende Autor dieses Buch - wie schon sein vorheriges, das im Jahre 2008 für das im (spanischen) Baskenland aktive Antifolterkomitee TAT ("Torturaren Kontrako Taldea") verfaßte Werk "Das Netz. Folter im Rechtsstaat Spanien" ("La red. El tormento en la España constitucional") - aus eigener Betroffenheit und politischer Überzeugung verfaßt hat, berührt den Wahrheitsgehalt seiner Schilderungen und Ausführungen nicht unbedingt. Der Begriff "Wahrheit" beinhaltet nämlich entgegen der weitverbreiteten Vorstellung keineswegs eine neutrale Position bzw. Objektivität. Die gemeinsame indogermanische Wortwurzel "uer" des alt- wie mittelhochdeutschen Adjektivs "war" und des lateinischen Wortes "verus" in der Bedeutung von "vertrauenswert" deutet an, daß dieses Wort ursprünglich bedeutete, jemandem "eine Gunst oder Freundlichkeit zu erweisen". Ebensowenig, wie die Schilderungen Makazagas per se als "Wahrheit" ausgewiesen werden können, lassen sie sich ad hoc widerlegen. Wer der einfach anmutenden Frage, ob im heutigen Spanien noch gefoltert wird, nachgehen und sie unter Verwendung seriöser Quellen beantworten möchte, steht letzten Endes vor der Entscheidung, wessen "Wahrheit" er geneigt ist zu glauben und wessen nicht.

Im Prolog des Buches wird darauf hingewiesen, daß die Berichte von Menschenrechtsgruppen ein Bild zeichnen, das der vorherrschenden Auffassung, die Folter sei in Spanien während des Übergangs von der Franco-Diktatur zur Demokratie verschwunden, widerspricht. So soll die in Madrid ansässige Organisation "Koordination zur Folterprävention" C.P.T. ("Coordinadora para la Prevención de la Tortura") in ihren Berichten festgestellt haben, daß zwischen 2001 und 2009 "mindestens 6310 Personen angezeigt [haben], dass sie im polizeilichen Gewahrsam oder Gefängnis gefoltert oder misshandelt worden seien" (S. 13). Strenggenommen stellt eine Folteranzeige keinen juristisch belastbaren Beweis dar, daß der Betroffene tatsächlich gefoltert wurde. Er könnte, und genau dies ist die Argumentation der spanischen Behörden, die Vorwürfe aus der Luft gegriffen haben zu dem ausschließlich politisch motivierten Zweck, Spanien zu diskreditieren.

Xabier Makazaga hat diesen Einwand in seinem Buch keineswegs ausgespart, sondern ist ihm nachgegangen. Die Behauptung, daß Menschen, die im Zusammenhang mit dem politischen Konflikt im Baskenland verhaftet werden, fälschlicherweise Foltervorwürfe erheben würden, um den Behörden zu schaden, ist demnach im heutigen Spanien weit verbreitet. Ihre historischen Wurzeln reichen bis in die ersten Jahre der Übergangszeit von der Diktatur zur Demokratie ("Transición") zurück, als sich Folterfälle bzw. -vorwürfe häuften und die Behörden behaupteten, derartige Methoden, also die angeblich fälschlicherweise erhobenen Anschuldigungen, wären "eine gängige Methode der terroristischen Organisationen, um die Sicherheitskräfte zu diskreditieren und die Gunst der Bevölkerung zu gewinnen" (S. 36). 2003 wurde zudem zum ersten Mal behauptet, Festgenommene würden mit ihren Foltervorwürfen "haarklein den Anweisungen eines Handbuchs, in dem den Mitgliedern empfohlen wird, Folter anzuzeigen" (S. 37) folgen.

Dieses Buch soll 1998 bei einem ETA-Kommando sichergestellt worden sein. In der Folgezeit berief sich die spanische Regierung, um die gegen sie erhobenen Vorwürfe zu entkräften, mehr und mehr auf dieses angebliche ETA-Handbuch, so auch gegenüber dem UN-Beauftragten für Folter sowie dem "Europäischen Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe" (CPT - "Committee for the Prevention of Torture"), das durch die Europäische Antifolterkonvention des Europarates von 1987 autorisiert ist, sämtliche Haftorte in den Mitgliedstaaten unangekündigt zu untersuchen. Wie Makazaga in seinem Buch darlegt, hat die baskische Menschenrechtsgruppe TAT das vermeintliche "ETA-Handbuch" analysiert. Ihrer Auffassung nach könne es "schwerlich der bewaffneten Organisation zugeschrieben werden" und stehe in dem Verdacht, von Polizeikräften verfaßt worden zu sein. Zwei andere Dokumente, die dem TAT-Bericht zufolge tatsächlich bei ETA-Mitgliedern gefunden worden sein könnten, würden im Gegensatz zu den im angeblichen ETA-Handbuch empfohlenen, laut TAT nahezu lächerlichen und teilweise unmöglich umsetzbaren anempfohlenen Verhaltensweisen Ratschläge enthalten, "wie man die Folter überstehen könne" (S. 38).

Das Dilemma des Wahrheitsbegriffs kommt in diesem Punkt ebenso zum Tragen wie in der grundsätzlichen Frage, ob im Spanien der Nach-Franco-Zeit noch immer gefoltert werde oder nicht. Das vorliegende Buch zum Thema ist nicht etwa deshalb jedem Interessierten dringend zu empfehlen, weil es dem Autor gelungen wäre, den Gordischen Knoten zu lösen und einen finalen Beweis für seine Kernaussage der Folter in Spanien zu erbringen. Wie hätte ihm oder einem anderen Autoren oder Publizisten dies auch gelingen können, wenn sogar Gerichtsurteile höchster spanischer Gerichte, in denen Polizisten oder Angehörige der Guardia Civil wegen Folter verurteilt wurden, in ihrer politischen Wirkung vollständig absorbiert werden durch die zur inoffiziellen Staatsdoktrin Spaniens erklärten Behauptung, es gäbe keine Folter?

Xabier Makazaga hat derartige Gerichtsurteile in seinem Buch keineswegs ausgelassen. So schilderte er den Fall der Juanita Goikoetxea, die im Alter von über 50 Jahren am 7. Januar 1982 festgenommen und anschließend ohne Auflagen wieder freigelassen wurde. Beim Verhör durch die Guardia Civil hat sie die Foltermethoden durchlitten, von denen in jenen Jahren rund 80 Prozent der Gefolterten betroffen gewesen sein sollen. Sie wurde mit Händen und Füßen an eine Eisenstange gefesselt, so daß sie mit ihrem ganzen Gewicht daran hing, und mit Elektroschocks und Schlägen so sehr traktiert, daß ihr Kopf nach ihrer Freilassung "völlig verformt" wirkte (S. 117) und die Spuren des "Verhörs" am ganzen Körper sichtbar waren.

Fünf Jahre später wurden fünf Beamte der Guardia Civil deshalb zu vier Monaten Haft und einem auf vier Jahre befristeten Verbot jeglicher Amtsausübung verurteilt. Die Folterung Juanita Goikoetxeas war aufgrund ihrer schweren, unübersehbaren und deshalb kaum zu leugnenden Verletzungen von Gerichts wegen bestätigt worden. Der Oberste Gerichtshof Spaniens bestätigte die Verurteilung der fünf Beamten im März 1992. Zu diesem Zeitpunkt hatten zwei von ihnen entgegen des ihnen auferlegten Betätigungsverbots in öffentlichen Ämtern bereits eine steile Karriere im staatlichen Sicherheitsapparat gemacht, worüber sich der Richter, der die Urteile gegen die fünf Guardia-Civil-Beamten verhängt hatte, beschwerte. Das Schlußwort sprach in dieser Angelegenheit die Regierung des damaligen Ministerpräsidenten Felipe Gonzáles von der PSOE, die alle fünf wegen Folter verurteilten Beamten begnadigte.

Ein einziges Mal kam es in Spanien zu einer Verurteilung von Polizisten wegen Folter mit Todesfolge. Das ETA-Mitglied Joxe Arregi war am 4. Februar 1981 von der Policía Nacional verhaftet worden. Nachdem er neun Tage später in ein Haftkrankenhaus überstellt worden war, lebte er nur noch wenige Stunden. Die offizielle Todesursache lautete laut gerichtsmedizinischem Gutachten: "ein Versagen der Atemorgane, verursacht durch eine Bronchial- und Lungenbeeinträchtigung mit zweiseitigem starken Lungenödem und Erguss in beiden Lungenflügeln sowie im Herzbeutel" (S. 55). Dies gilt als typische Folge der "bañera", wie in Spanien die berüchtigte Wasserfolter genannt wird, bei der der Kopf des Opfers unter Wasser gehalten wird. Wie Makazaga schilderte, hätten heimlich gemachte Fotos von seinem Leichnam die Vertuschung dieses Falls verhindert sowie zu einem Generalstreik im Baskenland geführt, der das wirtschaftliche Leben lahmgelegt hätte. Wie erst 2009 bekannt geworden sei, hätte der inzwischen verstorbene Anwalt entgegen eines strikten behördlichen Verbots den Sarg geöffnet.

Die damalige Regierung leitete Untersuchungen ein, die ergaben, daß 73 Polizisten an dieser Folterung beteiligt gewesen sein sollen. Als fünf von ihnen angeklagt wurden, kam es zu massiven Protesten seitens hoher Polizeifunktionäre wie auch der Militärführung. Nur zwei Polizisten wurde schließlich der Prozeß gemacht. In erster Instanz wurden sie freigesprochen, doch der Oberste Gerichtshof verhängte, da der zu Tode Gefolterte eindeutige Verbrennungsspuren an den Fußsohlen aufwies, Strafen von zwei bzw. drei Monaten Arrest sowie ein drei- bzw. zweijähriges Verbot der Berufsausübung. Auch diesen beiden Polizisten stand diese Verurteilung wegen Folter nicht im Wege. Sie wurden mehrfach befördert und bekleideten hohe Posten im Sicherheitsapparat. Makazaga schrieb, der Begriff 'bañera' sei "im kollektiven Bewusstein der baskischen Bevölkerung mit dem Grauen der Wasserfolter verbunden". (S. 60)

Nach Ansicht der spanischen Regierung und Behörden, die die Auffassung vertreten, es werde in Spanien nicht gefoltert, sind dies isolierte Einzelfälle. Zwischen dieser Position und der Ansicht des Autors und der Herausgeber, daß die Folter in Spanien weit verbreitet sei, läßt sich kein gemeinsamer Nenner definieren - sie stehen einander diametral und keineswegs "auf gleicher Augenhöhe" gegenüber. Wer sich auf der Basis des verfügbaren Faktenmaterials und unter Berücksichtigung der Quellenproblematik ein eigenes Urteil bilden und die jeweiligen Argumentationsstränge und Behauptungen hinsichtlich ihrer Plausibilität und Glaubwürdigkeit prüfen möchte, wird in dem vorliegenden Band umfangreiche und ergiebige Anhaltspunkte finden.

Wer heute öffentlich kundtut, daß in Spanien nicht gefoltert werde, hat nicht die geringsten Repressalien zu erwarten. Wer hingegen Foltervorwürfe gegen spanische Behörden erhebt, läuft Gefahr, selbst strafrechtlich verfolgt zu werden. So schildert der Autor den Fall des ehemaligen Chefredakteurs der 2003 geschlossenen baskischen Zeitung Egunkaria, Martxelo Otamendi, der fünf Tage lang in Isolationshaft gehalten und währenddessen unter anderem auch mit der "Bolsa" gefoltert wurde. In einem am 21. April 2010 veröffentlichten Interview mit der Berliner Zeitung erklärte der renommierte Journalist, daß die "Bolsa" eine "Art Plastikhaut" sei,

die sich auf das Gesicht legt. Wenn man dann einatmet, zieht sie sich in die Nasenlöcher und in den Mund hinein. Man hat den Eindruck, man müsse sofort ersticken. Diese Art der Folter ist aus den Diktaturen Südamerikas bekannt.
(S. 60, Anmerkung 75)

Die Vorwürfe, die Zeitung sei von ETA finanziert worden oder habe ETA finanziert ließen sich ebensowenig beweisen wie der Vorwurf, bei der Redaktionsleitung handele es sich um ETA-Mitglieder. Der Berliner Zeitung zufolge hatte der Nationale Gerichtshof im April 2010 ausdrücklich festgestellt, daß es dafür nicht das geringste Indiz gegeben habe, die Schließung der Zeitung sei nach Auffassung der Richter das Produkt der "engstirnigen und irrigen" Vorstellung gewesen, "dass alles, was mit der baskischen Sprache und Kultur zu tun hat, zwangsläufig unter der Kontrolle von ETA stehen müsse". Otamendi wurde 2010 freigesprochen, da die Richter die Selbstbezichtigungen, die er in der fünftägigen Isolationshaft unterschrieben hatte, als "unglaubwürdig" zurückwiesen und damit, wenn auch indirekt, Otamendis Foltervorwürfe bekräftigten. Der Journalist hatte 2003 nach seiner Freilassung vor laufenden Kameras, sichtlich gezeichnet, öffentlich gemacht, was ihm widerfahren war, und damit Massendemonstrationen im Baskenland ausgelöst.

Drei Wochen später wurden Otamendi und andere vom spanischen Innenminister Àngel Acebes angezeigt wegen "Beleidigung, Verleumdung, falscher Anschuldigungen und Behinderung der Justiz mit terroristischer Zielsetzung sowie wegen strafbarer Zusammenarbeit mit einer bewaffneten Gruppe", weil sie mit ihren Foltervorwürfen den Anweisungen des angeblichen ETA-Handbuchs gefolgt seien. (S. 37) Makazaga verweist auf einen Bericht der "Koordination zur Folterprävention" (C.P.T., "Coordinadora para la Prevención de la Tortura") vom April 2008, in dem 24 Fälle aufgelistet wurden, in denen Menschen wegen "falscher Anschuldigungen" verurteilt wurden, weil sie Foltervorwürfe erhoben hatten. (S. 105) Dabei soll es zu Verurteilungen gekommen sein selbst dann, wenn, wie im Fall Unai Romano, Beweisfotos vorgelegen haben sollen, die dessen durch die Folter entstelltes Gesicht zeigen. Freigesprochen wurden die fünf von Romano wegen Folter angezeigten Beamten der Guardia Civil, angezeigt wurde er selbst wegen "Verleumdung im Zusammenhang mit der Kollaboration mit einer bewaffneten Bande" (S. 105).

Träfe die Auffassung spanischer Behörden zu, daß die angeblich fälschlicherweise erhobenen Foltervorwürfe einer auf eine Diskreditierung Spaniens abzielenden ETA-Kampagne zuzurechnen seien, würde dieser Vorwurf auch die Gefangenenhilfsorganisation amnesty international sowie weitere internationale bzw. europäische Institutionen betreffen. In einem im Dezember 2004 zur Folter in Spanien veröffentlichten Bericht, der auf der Analyse von 450 Urteilen spanischer Gerichte wegen Folter und Mißhandlungen zwischen 1980 und 2004 beruhte, stellte amnesty international "die Bemühungen des Staates zum Schutz der Opfer und ihrer Rehabilitation, Entschädigung und Wiederherstellung ihrer Würde sowie die Garantie, dass sich dieses Verbrechen nicht wiederholt, ernsthaft in Frage" (S. 115). Nach Ansicht Spaniens sind die Folter- und Mißhandlungsvorwürfe, die amnesty international gegen die Repressionsorgane des Landes erhebt, vollkommen falsch und beruhen auf Lügen. Nicht anders reagiert die Regierungsseite auf Anschuldigungen, die in Expertenberichten der Vereinten Nationen erhoben werden.

Dem Buch ist desweiteren zu entnehmen, daß internationale Antifolter-Organisationen wie auch der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen, Theo van Boven, in diesem Zusammenhang seit Jahren die Abschaffung der fünftägigen Kontaktsperre und Isolationshaft fordern (Incommunicado-Haft, die in "Terrorismus"-Fällen auf 13 Tage ausgeweitet werden kann), weil sie Folter begünstige. Diese Forderung wird seitens der spanischen Behörden ebenso abgelehnt wie die nach einer lückenlosen Videoüberwachung in allen Räumen, in denen sich Gefangene aufhalten. Wenn Spanien zu Unrecht der Folter bezichtigt wird, warum läßt sich die Regierung dann diese Möglichkeiten, die ihrer Meinung nach auf Lügen beruhenden Foltervorwürfe auch als Lügen zu entlarven, entgehen?

Im März 2011 hatte das "Europäische Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe" (CPT, ein Gremium des Europarats) Foltervorwürfe gegen praktisch alle Einheiten der spanischen Sicherheitskräfte erhoben und von Madrid Maßnahmen zum Schutz Festgenommener vor Folter verlangt. Die Komiteemitglieder hatten bei ihren Besuchen Folterungen festgestellt und ihren Berichten medizinische und weitere Unterlagen beigefügt.

Zur selben Zeit wurde die spanische Regierung, wie dem Vorwort zur deutschen Ausgabe des Buches "Demokratie und Folter. Das Beispiel Spanien" zu entnehmen ist, vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte "zum zweiten Mal wegen der Nicht-Verfolgung einer Strafanzeige wegen Folter" (S. 9) verurteilt, wobei es um den jungen Basken Aritz Beristain gegangen war, der 2002 nach militanten Straßenaktionen verhaftet worden war und anschließend Anzeige erstattet hatte. Dasselbe Gericht verurteilte die spanische Regierung wenig später zu 20.000 Euro Schadenersatz, weil Arnaldo Otegi, Sprecher der linken baskischen Unabhängigkeitsbewegung, zu einem Jahr Haft verurteilt worden war, weil er den spanischen König und militärischen Oberbefehlshaber für die Folter der Redakteure der baskischen Zeitung Egunkaria durch die Guardia Civil verantwortlich gemacht hatte.

Die spanischen Behörden zeigen sich immun gegen Vorwürfe, Forderungen und Appelle internationaler Organisationen und Gerichte, die konsequenterweise ebenfalls in den Verdacht gestellt werden müßten, der infamen Diskreditierungskampagne der ETA - und sei es unwissentlich - aufgesessen zu sein. Das vorliegende Buch richtet sich, wie dem Buchrückentext seiner deutschen Ausgabe zu entnehmen ist, "gegen ein Kartell des Schweigens", was die Herausgeber damit begründen, daß nicht einmal die alljährlichen Folterproteste der Menschenrechtsgremien der Vereinten Nationen, der EU oder amnesty internationals in der Presse Erwähnung finden.

Xabier Makazagas besonderer Verdienst besteht darin, durch eine akribische Darstellung der verfügbaren Anhaltspunkte sowie eine sensible Einführung in die Thematik ein Bewußtsein für die Tiefe der Folter-Problematik geschaffen zu haben. Die Frage, ob im heutigen Spanien gefoltert wird, steht somit zu verbinden mit der nicht minder beunruhigenden Frage, ob es den spanischen Behörden unter mehr oder minder stillschweigender Duldung anderer Staaten sowie internationaler Organisationen möglich sein könnte, eine solche Praxis systematisch zu verschleiern sowie repressiv gegen all jene vorzugehen, die derartige Vorwürfe zu erheben wagen. Eine offene und öffentliche Diskussion der konträren Standpunkte - die Foltervorwürfe gegen spanische Sicherheitsbehörden auf der einen, die These von der Diffamierungskampagne des spanischen Staates durch ETA auf der anderen Seite - kann in Spanien, wenn überhaupt, ohnehin nur unter sehr eingeschränkten Bedingungen geführt werden.

Veröffentlichungen zum Thema sind in Spanien nämlich von Zensur betroffen und bedroht. So wurden die Folterberichte, die die Madrider "Vereinigung gegen die Folter" für die Jahre 1996 bis 1999 erstellt hatte, von der Regierung der konservativen Volkspartei (PP) zensiert. Gegen die im Dezember 2009 erschienene Originalausgabe des vorliegenden Buches gibt es subtilere Zensurbestrebungen. So verbreitete unter anderem auch die der heutigen, sozialdemokratischen Regierung von Felipe González nahestehende Tageszeitung El País die Behauptung, das Buch stamme aus dem "Umfeld von Batasuna" (einer ungeachtet ihrer Distanzierung von ETA illegalisierten baskischen Partei) und gehöre aus den Bibliotheken des Landes verbannt. Diesem Druck gab die Bürgermeisterin der baskischen Stadt Basauri im vergangenen Jahr bereits nach und ließ das Buch aus der Stadtbibliothek entfernen; weitere Bibliotheken standen unter dem Druck, diesem Beispiel zu folgen.

Ein solches politisches Klima erschwert oder verunmöglicht eine ergebnisoffene und die Standpunkte und Argumentationsstränge beider Seiten deutlich machende und berücksichtigende öffentliche Diskussion. Angesichts der Zensurbemühungen wie auch der Weigerung, die Empfehlungen befreundeter Staaten und europäischer und internationaler Gremien zur Folterprävention zu berücksichtigen, stellt sich die spanische Regierung selbst kein gutes Zeugnis aus. Xabier Makazaga hat mit diesem Buch jedoch nicht nur Foltervorwürfe erhoben, wie sie von vielen namhaften Organisationen auch öffentlich gemacht werden. Er hat die "politische" Qualität dieses hochbrisanten und keineswegs auf Spanien begrenzbaren Konflikts deutlich gemacht. Seiner Ansicht nach ist Spanien aufgrund der Folter keineswegs das schwarze Schaf unter den demokratischen Staaten, sondern lediglich ein - wenn auch krasses - Beispiel dafür, daß Folter und Demokratie keineswegs unvereinbar sind.

Um diese eigentliche Kernaussage seines Buches zu untermauern, erwähnte der Autor das unter dem Titel "Folter und Demokratie" 2007 erschienene Buch von Darius Rejali, Professor am Reed College in Oregon, das von der Amerikanischen Gesellschaft für Politikwissenschaften als "Bestes Buch über Menschenrechte" geehrt wurde. Rejali beklagte in ihm "die Scheinheiligkeit heutiger demokratischer Staaten, die ihre Foltermethoden immer weiter verfeinert hätten, um physische Spuren möglichst zu vermeiden" (S. 27). Der US-Wissenschaftler hatte festgestellt, daß die "umfassendsten und grausamsten Modernisierungen der Folter das Werk westlicher Demokratien" seien und erklärt, daß "westliche Demokratien heutzutage alle möglichen Vorsichtsmaßnahmen ergriffen [haben], um zu verhindern, dass Folteropfer auch nur den minimalsten Beweis für ihren Folteralbtraum vorbringen können". (S. 27)

Ein aktuelles Beispiel, das Makazaga in seinem Buch erwähnte, ist der Fall von Igor Portu und Marttín Sarasola, die am 6. Januar 2008 von der Guardia Civil verhaftet worden waren. Einen Tag später war Portu mit schwersten Verletzungen in die Intensivstation eines Krankenhauses eingeliefert worden. Da es in diesem Fall deutliche Folterbeweise gab, wurden vier Beamte der Guardia Civil Ende 2010 zu Haftstrafen zwischen zweieinhalb und viereinhalb Jahren verurteilt. Ohne diese Entscheidung in diesem Folterprozeß abzuwarten, hatte der Nationale Gerichtshof ein halbes Jahr zuvor Portu und Sarasola wegen eines ETA-Anschlages von 2006 zu mehr als 1000 Jahren Haft verurteilt, wobei deren Selbstbezichtigungen aus der Zeit ihrer Isolationshaft als Hauptbeweismittel zum Tragen gekommen waren, weil das Gericht befand, daß sie nicht das Ergebnis irgendeiner Folter oder Mißhandlung gewesen seien.

Am 6. Juni 2011 hatte eine Grünen-Abgeordnete des Europäischen Parlaments, die belgische Politikerin der Partei Nieuw-Vlaamse Alliantie (N-VA), Frieda Brepoels, eine parlamentarische "Anfrage zur schriftlichen Beantwortung" an den Rat der Europäischen Union gerichtet. Darin hatte sie nicht nur auf den jüngsten Jahresbericht von amnesty international hingewiesen, demzufolge Folterungen und Mißhandlungen Festgenommener in Spanien wie schon in der Vergangenheit auch 2010 an der Tagesordnung gewesen waren, sondern auch auf den Fall Portu/Sarasola Bezug genommen. Vom Rat wollte sie unter anderem wissen, ob ihm die offiziellen amnesty-Berichte über Spanien bekannt seien und ob er die darin angeführten Beweise anerkennen würde. Die EU-Parlamentarierin fragte auch, ob der Rat, wie schon in der Vergangenheit, die Anwendung des spanischen Strafrechts als innere Angelegenheit Spaniens auffassen würde und wie er in Hinsicht auf die europäischen Verträge an einem solchen Standpunkt festhalten könne.

Die Antwort auf diese umfangreiche schriftliche parlamentarische Anfrage fiel denkbar kurz aus, teilte der Rat doch lediglich mit, daß er diese Frage nicht erörtert habe. Wer nun glaubt, die von den Herausgebern des vorliegenden Makazaga-Buches aufgeworfene These von einem "Kartell des Schweigens" in diesem Zusammenhang widerlegen zu können oder auch nur zu wollen, müßte dies, um glaubwürdig zu sein, nicht nur angesichts der vielen Fragen und Fakten, die das Buch selbst liefert, plausibel machen können, sondern müßte auch in einer den Vorwurf systematischer Folterungen entkräftenden Weise erklären können, warum der Rat der Europäischen Union, immerhin (neben dem Parlament) deren wichtigstes Gremium, eine solche Anfrage einfach unbeantwortet ließ.

17. November 2011


Xabier Makazaga
Demokratie und Folter
Das Beispiel Spanien
Aus dem Spanischen von Harry Stürmer
Deutschsprachige Ausgabe bei Assoziation A, Berlin/Hamburg 2011
ISBN 978-3-86241-406-2
Originalausgabe Manual del torturador español bei Txalaparta, Nov. 2009