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REZENSION/589: Richard Gott - Britain's Empire (Geschichte) (SB)


Richard Gott


Britain's Empire

Resistance, Repression and Revolt



Richard Gott gehört zu den schillernsten Persönlichkeiten der britischen Publizistik. Der 1938 geborene Journalist und Historiker arbeitete lange Jahre, zunächst als Lateinamerika-Korrespondent, später als Redakteur für Sonderbeiträge, bei der linksliberalen Tageszeitung Guardian, die seit dem Qualitätsverlust der Londoner Times infolge der Übernahme durch den reaktionären australischen Verleger Rupert Murdoch während der Ära seiner ideologischen Glaubensgenossin Margaret Thatcher zum Leitmedium Großbritanniens geworden ist. 1967 hielt sich Gott, der damals auf einer Universität in Chile eine Arbeit über Guerilla-Bewegungen in Südamerika schrieb, in Bolivien auf, als dort die CIA Che Guevara zur Strecke brachte. Weil Gott drei Jahre zuvor am Rande einer Feier in der sowjetischen Botschaft im kubanischen Havana Guevara interviewen konnte und daher kannte, hat er die Leiche des argentinischen Marxisten und Revolutionärs auch identifiziert und dessen Ableben für die Nachwelt attestiert.

1994 sah sich Gott wegen eines minderbedeutenden Spesenskandals gezwungen, den Guardian zu verlassen, um Schaden von der Zeitung abzuwenden. Zuvor war bekannt geworden, daß er während des Kalten Krieges drei von Moskau bezahlte Reisen in die Sowjetunion angetreten war, ohne die Chefredaktion beim Guardian über die genauen Umstände der Finanzierung aufzuklären. Für die rechte Presse war damit der Beweis erbracht, daß Gott jahrelang als KGB-Agent für den Kreml gearbeitet hatte - was er natürlich energisch bestritt. Tatsächlich hatte Gott niemals einen Hehl aus seinen sozialistischen Überzeugungen gemacht. 1966 nahm er erfolglos an einer Nachwahl in Hull North für das britische Unterhaus als Kandidat einer sogenannten "Radical Alliance" und Gegner des Vietnamkrieges teil. 1981 wollte der staatliche Rundfunksender BBC Gott zum Chefredakteur seiner renommierten Kulturzeitschrift The Listener machen, doch legte der Inlandsgeheimdienst gegen die Personalie ein Veto ein. Offenbar war Gott für den MI5 politisch nicht zuverlässig genug, seine Treue zur britischen Monarchie nicht ausreichend vorhanden.

Mit ihrem Einspruch haben die Verfassungsschützer auf der Insel Gott zurecht als jemanden eingeschätzt, der eine Überwindung der britischen Klassenverhältnisse befürwortet. Dieser Linie ist Gott bis heute treu geblieben, wie seine 2001 erschienene Biographie von Hugo Chávez und seine 2004 veröffentlichte Geschichte Kubas zeigen. In seinem neuesten Werk "Britain's Empire - Resistance, Repression and Revolt" räumt der Forschungsstipendiat am Institute for the Study of the Americas an der University of London mit der Legende auf, die Briten wären als Kolonialherren mit den eroberten Völkern rücksichtsvoller als die Franzosen, Niederländer, Portugiesen oder Spanier umgegangen.

Im Grunde ist Gotts Buch all jenen gewidmet, die wie Pontiac in Nordamerika, Tacky und Nanny auf Jamaika, Papineau in Quebec, Wolfe Tone in Irland, Makhana in Südafrika, Tipu Sultan in Indien, Wickrama Sinha in Ceylon, Myat Toon in Burma und Te Manaku in Neuseeland den heldenhaften Kampf ihrer Völker gegen Fremdherrschaft, Ausbeutung und Ausrottung durch die britischen Kolonialisten geführt haben. Die wenigsten von ihnen, etwa die Paschtunen entlang der heutigen Grenze zwischen Afghanistan und Pakistan, die Vorfahren der Taliban, waren am Ende erfolgreich. Alle jedoch haben das British Empire vor erhebliche Probleme gestellt und das Feuer des Widerstands gegen Unterdrückung am Leben erhalten.

Gott behandelt in seinem in 66 Kapiteln unterteilten Buch nicht die ganze Geschichte des britischen Überseereiches, sondern die Ära zwischen dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg um 1776 herum und die endgültige Niederwerfung Indiens - das legendäre Juwel der britischen Krone - rund ein Jahrhundert später. In gleichem Maße wie das Aufbegehren der verschiedenen Stämme und ihrer Häuptlinge gegen die waffentechnologisch überlegenen Briten beeindruckt, erschreckt der gnadenlose Durchsetzungswillen der fremdländischen Invasoren und deren Fähigkeit, sich den Umständen anzupassen und kurzfristige Niederlagen wegzustecken.

Nach dem Verlust der nordamerikanischen Kolonien standen zum Beispiel die britischen Behörden vor dem Problem, was sie mit den überflüssigen Menschen aus England, Irland, Schottland und Wales, die infolge der Einhegungen ihres traditionellen Gemeindelandes durch die Adligen mittellos bzw. straffällig geworden waren, machen sollten. Schnell war die Lösung gefunden - sie wurden ans Ende der Welt nach Australien deportiert. Kaum, daß 1783 der Friedensvertrag zwischen Großbritannien und dem neuen Staat USA geschlossen worden war, machten sich vier Jahre später die ersten britischen Gefangenenschiffe auf dem Weg nach Botany Bay, dem heutigen Sydney, um den fünften Kontinent zu besiedeln. Und auch die frühe Entscheidung Londons, die Sklaverei abzuschaffen, beruhte weniger auf christlicher Nächstenliebe oder der Verbreitung humanistischer Werte als vielmehr auf schnöde kaufmännisch-technokratische Überlegungen. Durch die ständigen Aufstände in der Karibik war die Sklaverei zu umständlich und zu teuer geworden, so daß man sich gezwungen sah, ein anderes System einzuführen. Es folgte die Ansiedlung Millionen armer Inder und Chinesen an Orten wie Fiji, Trinidad, Mauritius, Malaysia, Kenia oder Südafrika, wo sie die Plantagen reicher Briten für einen Hungerlohn bewirtschafteten und das Empire mit Tee, Kaffee, Zucker et cetera belieferten.

Die Interessen der Kaufleute in London wie zum Beispiel der berühmt-berüchtigten East India Company wurden gegen den Widerstand der einheimischen Völkerschaften in den betroffenen Regionen der Welt mit brutalster militärischer Härte durchgesetzt. Auf Missionare und Vermesser folgten bald Soldaten, Steuereintreiber und Kolonialverwalter. Ohne die Hilfe einheimischer Opportunisten und Überläufer, die sich in den Dienst der neuen Herren stellten, wäre das weltumspannende Empire, über dem die Sonne niemals unterging, so nicht entstanden. Aber auch diese Gruppe mußte permanent gezügelt und dressiert werden. Wegen ausgebliebenen Soldes kam es dennoch hin und wieder zu Meutereien unter den britischen Hilfstruppen wie den indischen Sepoys. Für solche Fälle hatten sich die Briten ein ganz besonderes Bestrafungsmittel ausgedacht - das sogenannte Kanonieren. Nach der Niederschlagung solcher Revolten wurden die Rädelsführer öffentlich exekutiert, indem man sie mit den Schultern vor den Läufen der Kanonen band und diese dann abfeuerte. Die abschreckende Wirkung derart blutiger Hinrichtungen soll enorm gewesen sein.

Seit der Rückkehr der Konservativen an die Macht in Großbritannien vor zwei Jahren gibt es Bestrebungen, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Mode gekommene, kolonialismus-kritische Geschichtsschreibung über Bord zu werfen und das britische Empire als zivilisatorischen Segen für die Menschheit zu feiern. Zu diesem Zweck engagierte Bildungsminister Michael Gove - nicht zufällig früher ein Journalist bei Murdochs Times of London - den neokonservativen Historiker Niall Ferguson. Der in Glasgow geborene, heute an der Universität von Harvard lehrende Professor soll das Unterrichtsfach Geschichte im britischen Schulsystem entsprechend "modernisieren". Passend zu den aktuellen Bemühungen um eine Schönfärberei der britischen Geschichte - in die auch Filmregisseur Danny Boyles unterhaltsame wie gelungene Eröffnungszeremonie für die Sommerolympiade in London einzureihen ist -, hat Richard Gott mit "Britain's Empire" eine faktenreiche und spannende Lektüre geliefert, welche die Initiative Goves und Fergusons als ideologisch motiviertes Herrschaftsinstrument demaskiert.

7. August 2012


Richard Gott
Britain's Empire
Resistance, Repression and Revolt
Verso, London, Oldenburg 2011
568 Seiten
ISBN-13: 978-1-84467-738-2