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REZENSION/646: Magdalena Heuwieser - Grüner Kolonialismus in Honduras (SB)


Magdalena Heuwieser


Grüner Kolonialismus in Honduras

Land Grabbing im Namen des Klimaschutzes und die Verteidigung der Commons



Wo auch immer Menschen aus ihrem angestammten Lebensraum vertrieben werden, mildert es den erlittenen Verlust nicht, wenn dies in der Absicht geschieht, Klima, Wald, Trinkwasser oder seltene Arten schützen zu wollen. So ist es folgerichtig, wenn Magdalena Heuwieser bereits im Titel ihres Buchs "Grüner Kolonialismus in Honduras" auf eine Fortschreibung der jahrhundertelangen Kolonialzeit, der Lateinamerika ausgesetzt war und in der Vertreibung nicht einmal die schlimmste Form der Unterwerfung indigener Gemeinschaften darstellte, rekurriert.

Das Eldorado der heutigen Zeit sich global zuspitzender planetarer Krisen lockt nicht mit goldglänzendem Metall, sondern mit CO2-Zertifikaten, Verschmutzungsrechten, Gutschriften für Aufforstungs- und Walderhaltungsmaßnahmen und anderen "grünen" Mitteln und Methoden des modernen Ablaßhandels. Die Erde erwärmt sich als Folge der vermehrten Verbrennung fossiler Energieträger, aber anstatt daß die Hauptverantwortlichen für diese Entwicklung endlich damit aufhören, können sie sich davon freikaufen und weitermachen wie bisher. Hinzu kommt, daß das stets nach Anlagemöglichkeiten suchende global fluktuierende Finanzkapital versucht, sich durch die verschiedenen Formen der "Inwertsetzung und Finanzialisierung der Natur" (S. 20) unter dem Vorwand des Klimaschutzes Entlastung zu verschaffen und damit die immanente Krise der kapitalistischen Produktionsweise zu kompensieren. Nicht nur Kriege, auch Naturkatastrophen stellen ein attraktives Geschäftsmodell der Ökonomie dar, die sich immer häufiger grün ummäntelt.

Diese Entwicklung entfaltet in allen Ländern des Südens mehr oder weniger deutlich ihr destruktives Potential. Die österreichische Wissenschaftlerin und Aktivistin Magdalena Heuwieser zeigt am Beispiel Honduras detailliert auf, wie Vertreibung, das heißt "Land Grabbing im Namen des Klimaschutzes", abläuft, welche Interessen sich dabei wem gegenüber durchsetzen und wie Indigene versuchen, ihre traditionelle Eigentumsform der "Commons" (Gemeingüter) gegen den dominanten Einfluß der privaten Aneignung zu verteidigen. Dabei muß es dem österreichischen Verlag ProMedia positiv angerechnet werden, daß er in seiner "edition kritische forschung" dieses auf eine Diplomarbeit gegründete Buch in sein Verlagsprogramm aufgenommen und dem jubelgrünen Wirtschaftsmodell eine wichtige Kritik entgegengesetzt hat.

Obgleich das Werk sehr faktenreich ist, liest es sich spannender als typische landeskundliche Abhandlungen. Das ist vor allem darauf zurückzuführen, daß die Autorin nicht nur empirische Wissenschaft betreibt, sondern erklärtermaßen auch engagierte Aktivistin ist und sich der "dekolonialen Aktionsforschung als Methode" (S. 26) bedient. Heuwieser erhebt ganz bewußt keinen Anspruch auf Objektivität, wie er üblicherweise in der Wissenschaft vorgeschützt wird, sondern beruft sich auf die in den 1980er Jahren in Lateinamerika entstandene "partizipative Aktionsforschung".

Was das bedeutet, läßt sich an einer von "drei Fallstudien zu Green Grabbing" (S. 113) verdeutlichen. Dabei ergreift Heuwieser von Anfang an Partei für die Schwächsten der Gesellschaft, die Indigenen, und versucht gar nicht erst, in vermeintlicher Objektivität deren Interesse am Erhalt ihres angestammten Lebensraums gegen das Profitinteresse des Finanzkapitals oder wohlhabender honduranischer Akteure, die letztlich die Vertreibungen zu verantworten haben, abzuwägen. Kapitel 5.3 befaßt sich mit REDD+, einem Konzept, über das bei den aktuellen Verhandlungen über einen internationalen Klimaschutzvertrag, den die internationale Staatengemeinschaft im Dezember in Paris beschließen will, diskutiert wird und das neben den Clean Development Mechanisms (CDM), auf die Heuwieser ebenfalls ausführlich eingeht, an Bedeutung gewinnen dürfte.

REDD+ ist ein typisches Akronym "grüner" Technokratensprache und bedeutet "Reducing emissions from deforestation and forest degradation and the role of conservation, sustainable management of forests and enhancement of forest carbon stocks in developing countries". Selbst die deutsche Übersetzung - "Reduzierung von Emissionen aus Entwaldung und Waldschädigung sowie die Rolle des Waldschutzes, der nachhaltigen Waldbewirtschaftung und des Ausbaus des Kohlenstoffspeichers Wald in Entwicklungsländern" - bedarf der Erläuterung.

Die Idee dahinter: Wenn Wald in Entwicklungsländern geschützt wird, dann wird der im Holz enthaltene Kohlenstoff auf natürliche Weise "gespeichert", gewissermaßen der angedrohten Verbrennung vorenthalten und trägt somit nicht als Emittent von treibhausgaswirksamem Kohlenstoffdioxid (CO2) zur Erderwärmung bei. Wird darüber hinaus nicht nur die Entwaldung gestoppt, sondern Wald aufgeforstet, würde das der Atmosphäre sogar CO2 entziehen. Für diese "Dienstleistung" am Ökosystem Erde sollen die Waldschützer finanziell belohnt werden, so daß sie einen Anreiz haben, den Wald zu bewahren, nachhaltig zu bewirtschaften und aufzuforsten.

Das im Jahr 2005 von Papua-Neuguinea und Costa Rica in die internationale Klimaschutzdebatte eingebrachte REDD-Konzept will sozusagen den Kapitalismus mit seinen eigenen Waffen schlagen. Indem Waldschutz profitabel gemacht wird, soll die Profitabilität der Waldrodung ausgehebelt werden. In dieser Rechnung wird jedoch eine Größe unterschlagen, nämlich die der Indigenen. Sie werden in beiden Fällen vertrieben - die "grüne" Variante des immer gleichen Kolonialismus.

Bevor im Rahmen von REDD+-Verträgen Wald als schützenswert anerkannt wird, muß zunächst einmal ein Bedrohungsszenarium aufgebaut werden. Man muß annehmen (oder zumindest so tun, als nähme man an), daß der Wald, den man bewahren und für den man Gutschriften einheimsen will, gefährdet ist. Nun leben aber die Indigenen in Honduras traditionell in Wäldern. Sie betreiben dort Subsistenzwirtschaft, bei der sie - selbstverständlich - auch Holz einsammeln und verbrennen. Das hat bisher ganz gut geklappt. Honduras wäre längst ein kahler Landstrich, verhielte es sich anders. Subsistenzwirtschaft und Nachhaltigkeit sind in vielerlei Hinsicht deckungsgleich.

Dennoch wird von Regierung, Wirtschaft, Entwicklungsorganisationen und internationalen NGOs der Eindruck erweckt, daß in Honduras wie auch anderen Ländern ausgerechnet die Indigenen für die Waldverluste verantwortlich sind. Nachdem sich nun alle auf dieses Feindbild eingeschossen haben, gibt es, abgesehen von den Indigenen selbst, kaum jemanden, der auf die Perversion dieser Bezichtigung aufmerksam macht. Heuwieser zählt zu den Ausnahmen. Sie schreibt: "Während die lebensnotwendige Verwendung von Feuerholz und Subsistenzlandwirtschaft der indigenen bäuerlichen Bevölkerung als höchst klimafeindlich dargestellt wird, werden beispielsweise der Bau von Shopping-Centern, die wachsende Automobilität, steigender Fleischkonsum oder die exzessive Verwendung von Klimaanlagen nicht hinterfragt, sondern als 'moderne Entwicklung' weiter vorangetrieben." (S. 150)

Auch der langjährige Direktor von WWF International, Claude Martin, macht in seinem Buch "Endspiel - Wie wir das Schicksal der tropischen Regenwälder noch wenden können" (2015), das zugleich als "neuer Bericht an den Club of Rome" herausgegeben wurde, nicht die Lebens- und Wirtschaftsweise der Indigenen, sondern die Umwandlung des Waldes in agroindustrielle Flächen, Urbanisierung und Holzwirtschaft als Hauptfaktoren für Waldverluste verantwortlich.

Erst aufgrund des Drucks von indigenen Gemeinschaften und Nichtregierungsorganisationen seien im REDD-Prozeß von der Weltbank und verschiedenen UN-Institutionen "safeguards" - Schutzmaßnahmen - für Indigene ausgearbeitet worden, berichtet Heuwieser. (S. 152) Für deren Einhaltung müssen die Betroffenen kämpfen, und die Regierung kommt ihnen vermutlich nur deshalb entgegen, weil Honduras andernfalls Gefahr läuft, von der internationalen REDD-Finanzierung ausgeschlossen zu werden.

Alles in allem zieht Heuwieser ein gemischtes Fazit zu REDD+, indem sie schreibt:

"Dass Finanzmarktakteure und private Großgrundbesitzer*innen gewinnen, ist relativ eindeutig. Wird REDD+ jedoch auch Waldschutz fördern, einen Beitrag zum Klimawandel darstellen und indigene Völker in ihren Rechten stärken? Die Antwort ist: Möglicherweise ja, doch nur, wenn wirklich effektiv Abholzung verhindert würde, wenn bindende globale Reduktionsziele festgelegt und eingehalten würden, wenn die eingesparten Emissionen nicht durch vermehrten Treibhausgasausstoß im Globalen Norden kompensiert würden, wenn die Kompensationszahlungen vom Markt abgekoppelt wären, wenn indigene Landrechte tatsächlich gewährleistet und das Recht auf FPIC respektiert würden, wenn traditionelle Waldnutzung anerkannt und wenn diese nicht durch 'grüne' Managementlogiken verdrängt würde."
(S. 171/172)

Mit dem Kürzel FPIC (Free Prior and Informed Consent, z. Dt.: freiwillig vorab und in Kenntnis der Sachlage gegebene Zustimmung) wird beschrieben, was in einer demokratischen Gesellschaft eigentlich selbstverständlich sein sollte, woran es aber allzu häufig nicht nur in Honduras mangelt. Nämlich daß die Menschen, in deren Lebensraum und Lebensweise beispielsweise durch den Bau eines Staudamms eingegriffen werden soll, nicht genötigt sein sollten, ständig über sämtliche Bedrohungen seitens der Administration informiert zu bleiben, sondern daß diese von sich aus auf die Menschen zugeht, von Anfang an alle Karten auf den Tisch legt und um die Zustimmung der Betroffenen zu einem Projekt bittet.

Der Grüne Kolonialismus hat viele Gesichter, wie hier an einem der von Heuwieser näher untersuchten Beispiele in Gestalt des REDD-Konzepts wiedergegeben wird. Somit bietet diese exemplarische Studie reichlich Anhaltspunkte, um aktuelle klimapolitische Vorschläge und Konzepte dahingehend abzuklopfen, wer am Ende den Dienst leistet. Denn es sind ja niemals die Wälder (oder andere Ökosysteme), die Dienstleistungen verrichten, sondern stets die Menschen, die in und von dem Wald leben. Dazu Heuwieser:

"In der Praxis werden die Gemeinden meist nur dann in diese Projekte eingebunden, wenn ihre Inklusion den Kapitalinteressen dient: um Arbeitsplätze für die Baustelle zu schaffen, Widerstände zu zerstreuen, moderne Manager des 'Naturkapitals' zu generieren oder neue Produzenten und Konsumenten für den Markt zu schaffen."
(S. 180)

Das Buch verdeutlicht aber auch, daß die Green Economy "noch keinesfalls hegemonial" ist. Sie folgt jedoch der Akkumulationslogik des alten, "braunen" Modells des Extraktivismus. Heuwieser spricht unter Berufung auf Ulrich Brand und Markus Wissen (2013) von einem "Greening des alten, finanzdominerten Regimes". (S. 181) Wobei die "grünen" Klimastrategien und Energiepolitiken "die für den traditionellen Kolonialismus typische Gewaltsamkeit und Aneignung der Reichtümer" mit sich bringen. (S. 180)

Unser Resümee: Fachlich fundiert, aufs angenehmste parteilich und alternative Produktionsformen und Lebensentwürfe nicht aussparend ist "Grüner Kapitalismus in Honduras" eine empfehlenswerte Begleitlektüre zum Klimawandeldiskurs, ebenso wie zu der unverzichtbaren, jedoch viel zu selten geführten gesellschaftskritischen Debatte.

11. Oktober 2015


Magdalena Heuwieser
Grüner Kolonialismus in Honduras
Land Grabbing im Namen des Klimaschutzes und die Verteidigung der Commons
ProMedia Verlag, Wien 2015
216 Seiten, 20,- Euro
ISBN 978-3-85371-391-4


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