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REZENSION/689: USA - Wie den Ureinwohnern, so dem Rest der Welt ... (SB)


Christina Halwachs


Manifest Destiny und die Indigenenpolitik der USA

Vom Indian Removal Act 1830 zum General Allotment Act 1887



Der aufsehenerregende Kampf um die Dakota Access Pipeline (DAPL), in dem die indigene Bevölkerung der nördlichen Vereinigten Staaten von Amerika ihre angestammten Rechte gegen ein kulturell und ökologisch zerstörerisches Projekt der Öl- und Gasindustrie verteidigte, hat es einmal mehr gezeigt - Verträge werden geschlossen, um gebrochen zu werden. Wozu bedürfte es in der kapitalistischen Eigentumsordnung eines Vertragsschlusses, wenn es nicht darum ginge, ein asymmetrisches Verhältnis zu zementieren? Dies mag im liberalen Rechtsstaat nicht immer so augenfällig sein wie in der Geschichte der autochthonen Bevölkerung Nordamerikas, immerhin haben ja beide Vertragspartner Interesse an den dadurch geregelten Tauschverhältnissen. Doch geht es in Gesellschaften von krasser sozialer Ungleichheit zuerst einmal darum, die herrschende Eigentumsordnung vor den Ansprüchen der Habenichtse zu schützen. Wo formell gleichberechtigte Vertragspartner unter höchst unterschiedlichen sozialen Voraussetzungen aufeinandertreffen, geht es nicht um die Aufhebung letzterer, sondern um ihre Stabilisierung zugunsten eines Friedens, der seiner klassengesellschaftlichen Brüche gemäß ebensogut als permanenter sozialer Krieg bezeichnet werden könnte.

Übersetzt auf die Geschichte indigener Bevölkerungen tritt dieses Gewaltverhältnis häufig als langwieriger und letztlich aussichtsloser Widerstand gegen die Übermacht der Eroberer und Kolonisatoren hervor. Deren Geschick bestand nicht nur darin, die Überlegenheit der eigenen Feuerkraft einzusetzen, sondern auch die unterworfenen Bevölkerungen nach dem Prinzip des Teilens und Herrschens gegeneinander auszuspielen. So hat sich der europäische Kolonialismus stets darin hervorgetan, die von ihm zu "Wilden" degradierten Menschen nicht nur zum wahren Glauben bekehren und zivilisieren zu wollen, sondern auch die ihnen solchermaßen eingebleute Untertänigkeit für die Bewirtschaftung und Verwaltung der Kolonien zu nutzen.

Die Unterwerfung, Vertreibung und Auslöschung der autochthonen Bevölkerung der USA nimmt in der Geschichte des Kolonialismus insofern eine Sonderstellung ein, als die indigenen Stämme Nordamerikas auf einem Territorium lebten, auf dem sich nach dem Krieg gegen die originären britischen Eroberer ein Staat formiert hatte, der weniger als ein Jahrhundert nach der vollständigen Unterwerfung der Ureinwohner zur führenden Weltmacht aufstieg. Wie dieser Staat mit den Menschen verfuhr, die lange vor der Ankunft der ersten weißen Siedler dort lebten, hat die Historikerin Christina Halwachs anhand der dafür zuständigen Gesetzgebung wie auch des ideologischen Überbaus, der die ständige Expansion auf indigenes Land rechtfertigte, untersucht. Sie wählte dazu einen bestimmten Zeitraum US-amerikanischer Staats- und Rechtsgeschichte Mitte des 19. Jahrhunderts, in dem der die Ureinwohner übervorteilende Charakter der administrativen Strategien der Landnahme besonders deutlich hervortritt.

Um dem Zweck der rasanten Aneignung der nicht zu Kanada gehörenden Teile der nordamerikanischen Landmasse zu genügen, bedurfte es einer ideologischen Flankierung der US-amerikanischen Indigenenpolitik, die die dabei angewendete Gewalt in ein vollständig anderes Licht, das einer zivilisatorischen Mission, tauchte. Die 1845 in einem Artikel der Zeitung Democratic Review geprägte Wortkombination "Manifest Destiny" ging neueren Erkenntnissen nach nicht auf deren Herausgeber John O'Sullivan zurück, sondern wurde wahrscheinlich von der Journalistin Jane McManus Storm Cazneau geprägt. Den Kontinent den in die USA drängenden Menschenmassen zu erschließen sollte nicht als profaner Raub- und Eroberungszug erscheinen, sondern wurde in Abgrenzung zum als korrupt und despotisch geltenden Europa als Ausdruck einer höheren Bestimmung dargestellt. Der Anspruch der unter die Räder dieser Expansion geratenden Ureinwohner auf die Unverletzlichkeit der Grenzen ihres Territoriums wurde schlichtweg negiert, indem sie auf rassistische Weise als zivilisatorisch unterentwickelt und zu seiner Bewirtschaftung unfähig herabgesetzt wurden.

Wie schon die Bedeutung des Wortes "manifest" nahelegt, bedurfte es dafür außerhalb des Primats gouvernementaler Entscheidungsgewalt eigentlich keiner weiteren Begründung, war die territoriale Zukunft der werdenden Nation doch ebenso "offenkundig" (manifest) wie vom "Schicksal" (destiny) bestimmt oder auch "unaufhaltsam" (destined). Was mit der Annexion von Texas 1845 und dem Krieg gegen Mexiko als Aggression nach außen hervortrat, spielte sich bei der Entrechtung und Umsiedlung der indigenen Bevölkerungen analog im Innern der Republik ab. Da der Westen des Kontinents zu diesem Zeitpunkt noch nicht für die Vereinigten Staaten erschlossen war, wurde den indigenen Stämmen eine neues Territorium westlich des Mississippi zugewiesen, nur um es ihnen wenige Jahre später erneut zu nehmen.

Wie dieser Prozeß im einzelnen vonstatten ging und welche Akteure dabei prominent hervortraten, unter welchen politischen und rechtlichen Bedingungen die jeweils dazu unternommenen Gesetzgebungsprozesse erfolgten und welche Gegenbewegungen, die sich für indigene Menschen einsetzten, dabei unter der euro-amerikanischen Bevölkerung entstanden, vermittelt einen aufschlußreichen Einblick in die US-amerikanische Innenpolitik vor, während und nach dem Bürgerkrieg. Bezeichnend sind auch Details wie die besonders rücksichtslose Vernichtung der indigenen Stämme Kaliforniens. Ausgerechnet in dem US-Gliedstaat, der sich als neue Frontier zur Zukunft der totalen Digitalisierung des Menschen und seiner Produktionsweise versteht, wurde bei einem früheren Boom rasanter, von Goldgier getriebener Aneignung ein regelrechter Genozid an den dort bereits lebenden Menschen begangen.

Von besonderem Interesse sind all jene Erkenntnisse, die Aufschluß über die Grundlagen der heutigen Staatsideologie Washingtons wie des der US-Gesellschaft inhärenten Rassismus gewähren. So gemahnt vieles, was die Leser über das Konzept der Manifest Destiny erfahren, an die Kriege des US-Präsidenten George W. Bush, wurden diese doch erklärtermaßen nicht nur geführt, um die Attentäter der Anschläge vom 11. September 2001 zur Strecke zu bringen, sondern die angebliche zivilisatorische Überlegenheit des Westens im allgemeinen und der USA im besonderen zu sichern. Im Globalen Krieg gegen den Terrorismus erkannten viele US-amerikanische Kritiker der Regierungspolitik Washingtons Züge der Manifest Destiny und verwandter Konzepte wie dem des American Exceptionalism. Das damit produzierte Selbstverständnis der besonderen Mission eines auserwählten Staates gelangte auch in den Staatenkriegen des 19. Jahrhunderts zur Anwendung, die die USA gegen die Kolonialmächte Großbritannien, Frankreich und Spanien führten, um von diesen in Anspruch genommene Gebiete zu erobern.

Die im vorliegenden Buch geschilderte Geschichte der kontinentalen Eroberung und Aneignung indigenen Landes wird in den Kontext der für rassistische Ideologien signifikanten Strategie gestellt, das Bild der davon betroffenen Menschen als "Wilde" oder "Barbaren" praktisch im Verlauf ihrer Unterwerfung und Vertreibung zu produzieren. Die auch heutigen Kolonialsubjekten zur Last gelegte Widerständigkeit erweist sich damit als selbsterfüllende Prophezeiung - sie werden vertrieben oder getötet, nicht weil sie auf eine Aggression reagieren, die als eine ihnen innewohnende Grausamkeit ausgelegt wird, sondern weil ihr Land zur Beute anderer werden soll.

Daß das Gesicht der Unterdrückten nicht schön anzuschauen sein mag, ist das Ergebnis ihrer Unterdrückung. Indem ihre Praxis und Erscheinung als "häßlich", "barbarisch" oder "böse" attributiert wird, werden sie doppelt gestraft. Untersucht man den ideologischen Subtext der von Samuel Huntington propagierten These vom "Clash of Civilizations", der maßgeblich zur kulturalistischen Diffamierung islamisch geprägter Gesellschaften und zum antimuslimischen Rassismus beiträgt, stößt man auf eine der paternalistischen Suprematie der Manifest Destiny verwandte Denkweise. Von daher ist die Untersuchung dieses Teils US-amerikanischer Geschichte alles andere als rückwärtsgewandt oder irrelevant.

Wie die Entwicklung bei der Erschließung und Förderung fossiler wie mineralischer Ressourcen zeigt, ist die Geschichte der Unterwerfung der indigenen Bevölkerungen längst nicht abgeschlossen. Überall auf der Welt müssen sie dem Zugriff extraktivistischer Industrien weichen, die die Erde aufreißen, um an knapper werdende Rohstoffe zu gelangen. Bisweilen werden sie, so im Klimaschutzprogramm REDD, auch im Rahmen ökologischer Maßnahmen aus ihren Siedlungsgebieten in den verbliebenen Wäldern des Planeten vertrieben. Wie die Autorin erkennen läßt, ist die Eigentumsfrage in allen Angelegenheiten, die sich um das Land indigener Menschen drehen, zentral. Die weltweit geführten Auseinandersetzungen um die knappe Ressource Land werden an Schärfe zunehmen, wie ihre anwachsende Bedeutung für die Kapitalverwertung und ihre für die Zukunft sozialer Reproduktion maßgebliche Nutzung entweder zum Anbau von Biomasse für Energiezwecke oder von Nahrungsmitteln für Menschen zeigen.

Christina Halwachs hat mit "Manifest Destiny und die Indigenenpolitik der USA" eine Studie vorgelegt, die die Bedeutung des Schutzes indigener Bevölkerungen für die Zukunft des Planeten unterstreicht und die theoretische Grundlegung der Kritik an rassistischen und kolonialistischen Praktiken innerhalb der USA unterstützt. Letzteres gilt um so mehr, als die sich selbst zuerkannte zivilisatorische Überlegenheit weißer US-Eliten bis heute das Gegenüber eines Barbarentums produziert, mit dem, wenn es nicht gefügig ist, fast nach Belieben verfahren werden kann, und die politische und kulturelle Legitimation eigenen Handelns bis heute als Spaltungsstrategie einer folgenschweren Aufteilung anderer Bevölkerungen in die Dichtomie von "gut" oder "böse" hervortritt.

31. Dezember 2017


Christina Halwachs
Manifest Destiny und die Indigenenpolitik der USA
Vom Indian Removal Act 1830 zum General Allotment Act 1887
Promedia, Wien 2017
208 Seiten, 20,00 Euro
ISBN 978-3-85371-431-7


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