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AFRIKA/155: Erdölförderung im Nigerdelta (ai journal)


amnesty journal 10/2007 - Das Magazin für die Menschenrechte

Freiwillige Selbstkontrolle
Die Erdölförderung im Nigerdelta zeigt, welchen Einfluss Unternehmen auf die Situation der Menschenrechte haben können.

Von Katharina Spieß


Das Nigerdelta ist reich an Öl und zerrüttet von Gewalt. Bewohner der Ölregion werden immer wieder Opfer von Übergriffen durch Sicherheitskräfte, insbesondere durch die 2004 zum Schutz der Ölfirmen gegründete "Joint Task Force". Menschen werden erschossen, vergewaltigt, Häuser und Dörfer zerstört. Am 4. Februar 2005 schoss die Joint Task Force auf Demonstranten vor der Förderanlage "Escravos" der Firma "Chevron". Ein Mann starb, dreißig Demonstranten wurden teilweise schwer verletzt. Weder die Soldaten noch Chevron kümmerten sich um die medizinische Versorgung der Verletzten. Bis heute hat es weder eine unabhängige Untersuchung gegeben noch sind die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen worden.

Nach dem Tod von Ken Saro-Wiwa 1995 haben viele Ölunternehmen im Nigerdelta beschlossen, Entwicklungsprojekte zu finanzieren. Damit traten sie quasi an die Stelle des nigerianischen Staates. Bei vielen dieser Projekte wurde die lokale Bevölkerung nicht konsultiert und deren Erwartungen nicht erfüllt. Häufig haben Unternehmen nur Gemeinden in der Nähe ihrer Ölanlagen mit Entwicklungsmaßnahmen bedacht. Dadurch kam es zu Konflikten mit anderen Gemeinden, die von den Hilfsleistungen nicht profitierten. Die Ölunternehmen haben daher nur wenig zur Linderung der Not beigetragen - bis heute leben 70 Prozent der Bevölkerung des Nigerdeltas von weniger als einem US-Dollar pro Tag, während die Gewalt weiter zunimmt.

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte unterstreicht in ihrer Präambel, dass jede Institution eine Verantwortung für die Menschenrechte trägt. Das gilt auch für Unternehmen und transnationale Konzerne, die auf ihre Beschäftigten, Geschäftspartner und die örtliche Bevölkerung großen Einfluss ausüben. Wenn Unternehmen in einem funktionierenden Rechtsstaat ihrer Verantwortung nicht nachkommen, wird diese Verletzung in der Regel vom Staat geahndet - genauso wie die Verletzung, die ein Einzelner begangen hat. In Staaten hingegen, die nicht willens oder nicht in der Lage sind, die Menschenrechte einzuhalten, werden die Bürger auch nicht vor schädlichen Handlungen der Unternehmen geschätzt. Häufig sind die jeweiligen Regierungen sogar daran beteiligt oder profitieren davon.

Immer mehr Unternehmen bekennen sich zu ihrer Verantwortung für die Menschenrechte. Sie geben sich Verhaltenskodizes oder schließen sich freiwilligen Instrumenten an, mit denen sie sich verpflichten, die Menschenrechte zu achten. Diese Instrumente gelten für bestimmte Branchen oder branchenübergreifend. Mittlerweile gibt es eine Vielzahl von Verhaltenskodizes, aber nur ein Bruchteil berufen sich auf die Menschenrechte.

Das prominenteste Instrument freiwilliger Selbstkontrolle ist der "Global Compact". Er wurde im Jahr 2000 vom damaligen UNO-Generalsekretär Kofi Annan als Pakt zwischen den Vereinten Nationen und der Wirtschaft für eine nachhaltige Entwicklung ins Leben gerufen. Die teilnehmenden Unternehmen verpflichten sich, unter anderem die Menschenrechte und die Arbeitnehmerrechte zu achten.

Ein weiteres Beispiel sind die "Voluntary Principles on Security and Human Rights" ("Freiwillige Grundsätze für Sicherheit und Menschenrechte"). Sie wurden im Jahr 2000 von der US-amerikanischen und der britischen Regierung, von Nichtregierungsorganisationen und Ölunternehmen entwickelt. Sie sollen rohstofffördernde Unternehmen dabei unterstützen, ihre Sicherheitsbelange menschenrechtskonform zu lösen.

Alle freiwilligen Instrumente sind ein Schritt in die richtige Richtung. Dennoch können sie allein nicht garantieren, dass durch das Handeln der Wirtschaft keine Menschenrechte verletzt werden. So mangelt es häufig an unabhängigen Überwachungs-, Kontroll- und Beschwerdemechanismen, die gerade für die Opfer von Menschenrechtsverletzungen wichtig sind.

Darüber hinaus gelten diese Instrumente nur für Unternehmen, die sich ihnen angeschlossen haben. Am "Global Compact" nehmen heute 2.900 Unternehmen aus hundert Ländern teil, während 77.000 transnationale Unternehmen weltweit tätig sind. Der Großteil der transnational agierenden Unternehmen hat sich also nach wie vor keinerlei Regeln unterworfen.

In der UNO wird die Frage der menschenrechtlichen Verantwortung von Unternehmen seit 2003 intensiv diskutiert. Nach langen Konsultationen mit Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen hatte die UNO damals Normen bezüglich der Menschenrechte vorgestellt.

Diese Normen definieren, wie Unternehmen die Menschenrechte achten sollen. Sie wurden jedoch von weiten Teilen der Wirtschaft abgelehnt. Immerhin führte die Debatte dazu, dass die Menschenrechtskommission 2005 einen Sonderberichterstatter für Wirtschaft und Menschenrechte einsetzte. Ernannt wurde der Harvard-Professor John Ruggie. Er unterstrich in seinem jüngsten Bericht an den UNO-Menschenrechtsrat, dass ein Missverhältnis zwischen dem Einfluss von Unternehmen und der fehlenden Regulierung ihres Verhaltens bestehe. Dieses Missverhältnis müsse behoben werden.

Notwendig ist ein international verbindlicher Standard der die Verantwortung aller Unternehmen für die Menschenrechte definiert. Nur so kann sichergestellt werden, dass alle Unternehmen ihrer menschenrechtlichen Verantwortung nachkommen, und gleichzeitig alle Staaten ihre menschenrechtliche Schutzpflicht garantieren. Ein internationaler Standard könnte daher auch dazu beitragen, dass Menschenrechtsopfer ein Unternehmen in einem anderen Staat zur Verantwortung ziehen können, wenn dies in dem Land, wo die Tat geschah, nicht möglich ist.

Die Autorin ist ai-Expertin für Wirtschaft und Menschenrechte.


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GLOBAL COMPACT

Der Global Compact der UNO ist ein freiwilliger Verhaltenskodex für Unternehmen, die sich verpflichten, zehn Prinzipien im Bereich der Menschenrechte, des Arbeitsrechts, des Umweltschutzes und der Korruptionsbekämpfung anzuerkennen und im Rahmen ihrer Tätigkeiten umzusetzen. Die Partnerschaft zwischen UNO und Wirtschaft soll gestärkt und Vertreter der Zivilgesellschaft und der Arbeitsorganisation (ILO) einbezogen werden. Doch nur die wenigsten Unternehmen erfüllen die vereinbarten Menschenrechts-, Umwelt- und Sozialstandards. Deshalb fordert ai verbindliche Richtlinien für Unternehmen. Die Prinzipien des Global Compact basieren u.a. auf der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, der ILO-Deklaration der fundamentalen Arbeitsrechte und der Rio-Deklaration zu Umwelt und Entwicklung.


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Quelle:
amnesty journal, Oktober 2007, S. 20-21
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Oktober 2007