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AFRIKA/190: Ostkongo - Tödliche Geschäfte (ai journal)


amnesty journal 10/11/2011 - Das Magazin für die Menschenrechte

Tödliche Geschäfte

von Andrea Riethmüller


Im Ostkongo leidet die Zivilbevölkerung weiterhin unter den Angriffen bewaffneter Gruppen. Grund für die fortwährende Gewalt ist der Kampf um die wertvollen Rohstoffe in der Region und die fehlende Strafverfolgung der Täter.


Besitzen Sie ein Mobiltelefon oder eine Digitalkamera? Dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Rohstoffe für die Produktion Ihres Gerätes aus der Demokratischen Republik Kongo stammen. In den Konfliktprovinzen im Osten des Landes befinden sich einige der weltweit größten Vorkommen an Coltan, Kassiterit, Gold, Kobalt und Uran. Bodenschätze, die sowohl in Waffensystemen als auch in zivilen Anwendungen wie Handys oder Laptops Verwendung finden. In vielen der ertragreichsten Minen werden diese Rohstoffe illegal und unter militärischer Kontrolle bewaffneter Gruppen abgebaut. Dahinter stehen grenzübergreifende illegale Netzwerke: Bewaffnete Milizen kooperieren mit zum Teil hochrangigen Angehörigen der kongolesischen Regierungsarmee (FARDC) sowie mit Ministerialbehörden in Ruanda und Burundi.

Im vergangenen Jahr dokumentierte der UNO-Bericht einer Expertengruppe zur Demokratischen Republik Kongo erneut den Zusammenhang zwischen illegalem Ressourcenabbau, Schmuggel in die östlichen Anrainerstaaten des Kongo und illegalem Handel von Kleinwaffen in die ostkongolesischen Konfliktprovinzen - trotz eines bestehenden UNO-Waffenembargos. Ein verbrecherischer Wirtschaftskreislauf nährt somit den gewalttätigen Konflikt in der Region.

In einem fortdauernden Machtpoker um die militärische und wirtschaftliche Kontrolle liefern sich bewaffnete Gruppen heftige Kämpfe mit der kongolesischen Regierungsarmee FARDC - allen voran die Hutu-Gruppierung FDLR (Forces Démocratiques de Libération du Rwanda) sowie ihr bedeutendster Gegenspieler, die kongolesische Tutsi-Gruppierung CNDP (Congrès National pour la Défense du Peuple).

So dauert nach dem offiziellen Ende des "Zweiten Kongo-Krieges" im Frühjahr 2003 der bewaffnete Konflikt bis heute an. Amnesty International dokumentierte seit 2003 eine Vielzahl schwerer Menschenrechtsverletzungen, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Ost-Kongo. Die gewaltsamen Angriffe und Vergeltungsschläge durch die kongolesische Regierungsarmee und eine Vielzahl rivalisierender bewaffneter Gruppen richten sich gezielt gegen die Zivilbevölkerung. Plünderungen von Dörfern gehen einher mit Massenvergewaltigungen und -erschießungen sowie der gezielten Rekrutierung und dem Einsatz von Kindersoldaten. Seit Mitte 2008 hat der Konflikt mehr als sechs Millionen Todesopfer gefordert, durch direkte Gewalteinwirkung und durch die humanitäre Krise infolge der Auseinandersetzungen. Pro Tag verlieren schätzungsweise 1.500 Menschen ihr Leben.

Eine der größten Herausforderungen für Frieden im Ostkongo ist die nachhaltige Entwaffnung und Befriedung aktiver bewaffneter Gruppen. Die Zerschlagung der FDLR und die Wiedereingliederung ihrer Kämpfer blieb trotz mehrerer Versuche der kongolesischen sowie der ruandischen Regierung und trotz der Unterstützung durch die UNO-Mission MONUC erfolglos. Die Kommandostruktur wie auch die Kampfstärke der FDLR sind bis zum heutigen Tag ungebrochen. In den ressourcenreichsten Regionen Nord-Kivus sind zahlreiche Gebiete weiterhin unter der Kontrolle der FDLR. Im August 2010 erschütterte das von der FDLR planvoll durchgeführte Massaker in Walikale die Weltöffentlichkeit. Mehrere Tage lang wurden 300 Frauen, Mädchen, Männer und Jungen jeden Alters systematisch vergewaltigt. Ähnliche Vergeltungsaktionen der FDLR, als Reaktion auf die militärischen Entwaffnungsoperationen, häufen sich derzeit wieder. Experten der UNO befürchten, dass die Gruppierung im Vorfeld der kongolesischen Präsidentschaftswahlen im November 2011 einen bewaffneten Aufstand vorbereiten könnte.

Im Mai 2011 wurde vor dem Oberlandesgericht Stuttgart gegen die in Deutschland aktive Führungsspitze der FDLR, Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni, der Prozess wegen "Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen sowie wegen Mitgliedschaft in der ausländischen terroristischen Vereinigung 'FDLR'" eröffnet. In der Demokratischen Republik Kongo wurden Täter bisher nur vereinzelt strafrechtlich verfolgt. Das Land steht vor der Herausforderung einer umfassenden Reform des Justizsystems. Die Unfähigkeit der Regierung, Armeeangehörige und Kämpfer bewaffneter Gruppen für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht zu stellen und zu verurteilen, schafft ein Klima der Straflosigkeit, das einer Einladung zu Angriffen auf die Zivilbevölkerung gleichkommt.


Die Autorin ist Sprecherin der Kongo-Ländergruppe von Amnesty.


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Quelle:
amnesty journal, Oktober/November 2011, S. 33
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Dezember 2011