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AFRIKA/194: Äthiopien - Massive Unterdrückung der Meinungsfreiheit


Amnesty International - 7. August 2012

Äthiopien - Massive Unterdrückung der Meinungsfreiheit



In Äthiopien verschlechtert sich die Menschenrechtssituation zusehends. Die Regierung geht rigoros gegen Regierungskritiker und Menschenrechtsverteidiger vor und missbraucht bestehende Gesetze, um die Meinungs-, Presse- und Religionsfreiheit immer stärker einzuschränken. Unabhängige Menschenrechtsarbeit ist daher kaum noch möglich.


18 Jahre Haft für die Forderung nach Freiheit

In den vergangenen Jahren wurden die Meinungs- und Pressefreiheit von den äthiopischen Behörden immer stärker eingeschränkt. Durch breite Auslegung des Anti-Terrorgesetzes und des 2008 verabschiedeten "Gesetzes über Massenmedien und Informationsfreiheit" versucht die äthiopische Regierung, abweichende Meinungen zu unterdrücken.

Zwischen 2006 und 2011 wurden Tausende Personen willkürlich inhaftiert. Seit März 2011 wurden mindestens 114 Oppositionelle und 6 Journalisten verhaftet, darunter zwei schwedische Journalisten, die über die Konflikte in der Region Somali berichten wollten. Fast alle wurden terroristischer Aktivitäten beschuldigt.

Unmittelbar nach einem Treffen mit einer Amnesty-Delegation wurden am 27. August 2011 die beiden Oppositionsführer Bekele Gerba und Olbana Lelisa in der Hauptstadt Addis Abeba festgenommen. Sie wurden beschuldigt, Mitglieder der "Oromo Liberation Front" (OLF) zu sein, die als terroristische Organisation verboten ist.

Amnesty International geht davon aus, dass die beiden aufgrund des Treffens mit Amnesty verhaftet wurden. Erst im Juni dieses Jahres wurden 24 Regierungskritiker, darunter der prominente Journalist Eskinder Nega, terroristischer Aktivitäten und des Hochverrats für schuldig befunden. Nega, der schon zuvor mehrere Male verhaftet worden war, hatte in einer Rede Äthiopier zum friedlichen Einsatz für die Freiheit aufgefordert. Nun wurde er zu 18 Jahren Haft verurteilt.

Personen, die in Äthiopien unter Terrorverdacht stehen, droht nach einer Verhaftung häufig wochen- oder sogar monatelange Untersuchungshaft, da sie aufgrund des Anti-Terrorgesetzes 28 Tage bis vier Monate ohne Vorlage von Beweisen inhaftiert werden können. Zudem wird den Gefangenen häufig der Kontakt zu Familienangehörigen und Rechtsbeiständen verweigert.

Darüber hinaus liegen Amnesty zahlreiche Berichte über die regelmäßige Anwendung von Folter durch Bundespolizei und Geheimdienst in Untersuchungshaftanstalten, Polizeiwachen, Militäranlagen und Gefängnissen vor. Betroffene gaben an, mit Drähten, Metallstücken und Möbeln traktiert worden zu sein. Einige wurden an den Handgelenken aufgehängt, am Schlafen gehindert und mussten lange Zeit in völliger Dunkelheit in Einzelhaft verbringen. Viele wurden gezwungen, Geständnisse zu unterschreiben.


Unterbindung der Menschenrechtsarbeit

Das Gesetz "Charities and Societies Proclamtion" (CSO) führte zu einer drastischen Einschränkung der Arbeit von Menschenrechtsorganisationen in ganz Äthiopien. Das 2009 in Kraft getretene Gesetz sieht vor, dass äthiopische Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die zu Menschenrechten arbeiten, nicht mehr als zehn Prozent ihrer Einnahmen aus dem Ausland generieren dürfen. Ausländischen Organisationen ist eine Arbeit im Menschenrechtsbereich untersagt. Da äthiopische Organisationen ihr Budget überwiegend aus dem Ausland bezogen, hatte das CSO für sie gravierende Auswirkungen. So waren die beiden größten äthiopischen Menschenrechtsorganisationen gezwungen, einen großen Teil ihrer Arbeit einzustellen.

Der äthiopische Menschenrechtsrat (HRCO), Äthiopiens älteste nichtstaatliche Menschenrechtsorganisation, beobachtet und dokumentiert seit 1991 als unabhängige Organisation die Menschenrechtslage im Land. In zwölf regionalen Büros arbeiten 58 Mitarbeiter. Nach Inkrafttreten des CSO-Gesetzes wurde das Bankguthaben der Organisation im Wert von 566.000 US-Dollar rückwirkend eingefroren. Neun der zwölf Büros mussten geschlossen und 85% der Mitarbeiter entlassen werden.

Die Frauenrechtsorganisation "Ethiopian Woman Lawyers Organization" (EWLA) war gezwungen, 75% ihrer Mitarbeiter entlassen. Auch ihr Bankguthaben von 595.000 US-Dollar wurde rückwirkend eingefroren. Während die Organisation vor Inkrafttreten des CSO-Gesetzes für rund 17.000 Frauen kostenlose Rechtshilfe bereitstellen konnte, ist sie derzeit kaum arbeitsfähig.


Zunehmende Repressionen gegenüber muslimischer Minderheit

In den vergangenen Monaten kam es mehrfach zu Demonstrationen der muslimischen Minderheit gegen Einschränkungen der Religionsfreiheit. Die muslimische Gemeinschaft in Addis Abeba protestierte gegen die Einmischung der Regierung in die Wahlen zum Obersten Rat für Islamische Angelegenheiten sowie gegen Bemühungen, die Lehren der islamischen Al-Ahbash-Sekte anderen äthiopischen Muslimen aufzuzwingen.

Zuletzt war es am 13. Juli zu Ausschreitungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften gekommen. Während die Regierung über 70 Festnahmen bestätigte, berichteten Zeugen von bis zu 1000 festgenommen Personen. Unter ihnen befanden sich Mitglieder des Ausschusses der Vertreter der Muslimischen Gemeinschaft. Zwischen dem 19. und 21. Juli wurden zahlreiche weitere Personen festgenommen, darunter der Vorsitzende des Ausschusses, Abubakar Ahmed, und der Sprecher des Ausschusses, Ahmedin Jebel.

Amnesty ist besorgt über das Schicksal der festgenommen Personen. Viele von ihnen werden ohne Kontakt zur Außenwelt an teilweise unbekannten Orten festgehalten. Ihnen drohen Folter und Misshandlung.

Lesen Sie hier den englischsprachigen Bericht "Stifling human rights work: the impact of Ethiopia's civil society legislation".
http://www.amnesty.org/en/library/info/AFR25/002/2012/en

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Quelle:
Mitteilung vom 7. August 2012
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin
Telefon: 030/42 02 48-306, Fax: 030/42 02 48 - 330
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. August 2012