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EUROPA/229: EU und Rußland - Fundament mit Rissen (ai journal)


amnesty journal 5/2007 - Das Magazin für die Menschenrechte

Fundament mit Rissen
Die EU und Russland verhandeln unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft das neue Partnerschafts- und Kooperationsabkommen.

Von Tanja Gey


Am 7. Oktober 2006 wurde die Journalistin Anna Politkowskaja in Moskau ermordet. Der Mord bildete den traurigen Höhepunkt einer Reihe von Menschenrechtsverletzungen, die Grundrechte wie die Meinungsfreiheit, aber auch das Recht auf Leben in Frage stellen. 2006 war auch das Jahr, in dem Stanislav Dmitrievskii wegen "Rassenhass" verurteilt wurde. Dmitrievskii war Direktor der "Russisch-Tschetschenischen Freundschaftsgesellschaft" (RCFS), die die Menschenrechtssituation in Tschetschenien beobachtete. Er hatte Texte eines tschetschenischen Separatistenführers veröffentlicht. In ihnen rief er nicht zu Gewalt oder Hass auf Dmitrievskii hatte lediglich von seinem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht.

Im April 2006 trat in Russland ein Gesetz in Kraft, das die Arbeit von unabhängigen NGOs stark reglementiert. Im Oktober wurde daraufhin das Büro der RCFS geschlossen. Die Verurteilung Dmitrievskiis hatte den Weg bereitet, denn nach dem neuen Gesetz ist eine Organisation, die von einem "Extremisten" geleitet wird, illegal. Die RCFS ist nicht die einzige Organisation, die ihre Arbeit einstellen musste. Und andere, nicht verbotene Organisationen, müssen viel Zeit und Personal für die Verwaltung aufwenden, um die neuen Anforderungen zu erfüllen, denn bei Nichteinhaltung droht die Schließung.

Zu Russland pflegt die EU enge Beziehungen. Schon 1997 hat sie mit Russland ein Partnerschafts- und Kooperationsabkommen geschlossen. Dieses bildet das Fundament für ein Arbeitsprogramm, das auf vier Säulen basiert: Wirtschaft, Zusammenarbeit in der äußeren Sicherheit, Forschung und Bildung sowie Freiheit, Sicherheit und Recht. Darin wurde festgeschrieben, dass die Achtung der Menschenrechte Grundlage der Zusammenarbeit ist. Doch schon beim EU-Russland-Gipfel 2006 stieß die Erneuerung dieses Abkommens auf Schwierigkeiten. Während die EU die Aufnahme eines starken Menschenrechtsbezugs in einem neuen Abkommen wünscht, stößt dies bei der russischen Regierung auf geringes Interesse.

Dieses Jahr steht der EU-Russland-Gipfel unter deutscher Präsidentschaft an. Am 18. Mai wird EU-Ratspräsidentin Merkel versuchen, die Verhandlungen über ein neues Abkommen wiederzubeleben. Die Offenheit der russischen Regierung, sich ihren menschenrechtlichen Defiziten zu stellen, wird sich bereits vorher zeigen. Denn auch die Menschenrechtskonsultationen, die alle sechs Monate stattfinden, sind Bestandteil der EU-Russland-Beziehungen. Zu diesen werden die EU und Russland am 3. Mai in Berlin zusammenkommen. Die EU muss sich klar positionieren, damit der Menschenrechtsschutz nicht wirtschaftlichen Interessen untergeordnet wird, sondern das Fundament der EU-Außenpolitik bildet. Es reicht nicht aus, die Bestimmungen aus dem alten Abkommen von 1997 einfach zu übernehmen. Damit würde die EU signalisieren, dass sie die Entwicklungen in Russland toleriert, wenn Menschen wie Stanislav Dmitrievskii grundlegender Menschenrechte beraubt werden.

Die Autorin ist EU-Referentin der deutschen ai-Sektion.


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Quelle:
amnesty journal, Mai 2007, S. 18
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Mai 2007