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NAHOST/096: Menschenrechtsverletzungen in Syrien (ai journal)


amnesty journal 9/2007 - Das Magazin für die Menschenrechte

Kein Frühling in Damaskus
In Syrien sind Menschenrechtler und ethnische Minderheiten politischer Verfolgung und Schikanen ausgesetzt.

Von Jürgen Grosche


Der Nahe Osten lenkt derzeit mit vielen negativen Nachrichten den Blick der Weltöffentlichkeit auf sich. Im Zentrum der Konfliktregion liegt Syrien. Seit 44 Jahren befindet sich der Staat im Ausnahmezustand, seit mehr als 36 Jahren wird er von der Assad-Familie beherrscht, zuerst vom früheren General Hafis al-Assad, und nach dessen Tod im Jahr 2000 von seinem Sohn Bashar al-Assad.

Erste Äußerungen von Bashar al-Assad hatten darauf hingedeutet, dass er das politische System reformieren wollte. Doch in den sieben Jahren seiner ersten Amtszeit hat sich die Lage kaum verbessert. Syrische Kurden werden nach wie vor diskriminiert. Im Gewahrsam der Sicherheitskräfte kommt es immer noch zu Folterungen und Misshandlungen. Menschenrechtler werden verfolgt, vor Gericht gestellt, und zu hohen Strafen verurteilt.

Am 17. Juli dieses Jahres versprach Assad bei der Vereidigung für die zweite siebenjährige Amtszeit erneut politische Reformen sowie die Einführung eines Parteiengesetzes. Im Mai war der Präsident in einem Referendum mit 97,62 Prozent im Amt bestätigt worden. Bislang ist es jedoch bei leeren Versprechungen geblieben, wie aktuelle Ereignisse zeigen.

Im Juni wurden sieben junge Männer zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt, nur weil sie Geheimdienstmitarbeitern aufgefallen waren. Sie sollen im Internet ein Diskussionsforum für Jugendliche eingerichtet und Artikel mit Forderungen nach demokratischen Reformen veröffentlicht haben. Im Frühjahr sind Menschenrechtler, darunter der Anwalt Anwar al-Bunni und der Arzt Kamal al-Labwani, zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Der Grund für die Repressalie: Die Männer hatten die so genannte Beirut-Damaskus-Erklärung unterzeichnet, die Vorschläge zur Verbesserung der Beziehungen zum Libanon beinhaltete. Seit dem syrischen Rückzug 2005 ist das Verhältnis zum Nachbarland angespannt.

Immerhin konnten Beobachter an einigen Gerichtsverhandlungen gegen die Menschenrechtler teilnehmen. Dabei zeigte sich, wie wenig die Verfahren rechtsstaatlichen Ansprüchen genügten. Hinzu kommen die katastrophalen Haftbedingungen. So wurde im Zusammenhang mit einer Gefängnisrevolte Anwar al-Bunni gefoltert, nur weil er Polizisten daran hindern wollte, andere Gefangene zu misshandeln. Kamal al-Labwani wurde von einem Mithäftling mehrfach geschlagen, ohne dass die Gefängnisaufsicht etwas dagegen unternommen hätte. Offenbar wurden auch andere Gefangene angestiftet, inhaftierte Menschenrechtler zu schikanieren und auszuhorchen.

An der Lage hat auch die politische Diskussion mit der Europäischen Union nicht viel geändert. Im Gegenteil: Wer zur Opposition gehört und internationale Kontakte pflegt, läuft Gefahr, verfolgt zu werden. So war Kamal al-Labwani im November 2005 nach einer Reise in die USA und durch Europa verhaftet worden. In den Verhandlungen vor dem Obersten Strafgericht Damaskus wurde ihm zur Last gelegt, "mit einem auswärtigen Land zu intrigieren bzw. mit einem solchen Land Kontakt zu unterhalten mit dem Ziel, es zu einem Angriff auf Syrien zu veranlassen".

Mehrfach indes hatte der Arzt, der bereits 2001 im zusammenhang mit der Reformbewegung des so genannten "Damaszener Frühlings" zu drei Jahren Haft verurteilt worden war, betont, dass er gegen eine Einmischung der USA sei.

In Europa hatte al-Labwani auch mit Abgeordneten des Europäischen Parlaments gesprochen. Im Mai dieses Jahres verabschiedete das EU-Parlament dann eine Resolution, in der Syrien aufgefordert wurde, die Menschenrechte einzuhalten und über das Schicksal mehrerer Menschenrechtsaktivisten Auskunft zu erteilen, darunter auch Anwar al-Bunni.

Während die Verfahren gegen die Oppositionsmitglieder und Menschenrechtler wenigstens eine gewisse Öffentlichkeit fanden, dürften die Prozesse gegen die sieben jungen Männer, die im Juni verurteilt wurden, erst recht unfair und willkürlich verlaufen sein. Denn diese Verfahren wurden nicht vor einem normalen Strafgericht verhandelt, sondern vor dem Obersten Staatssicherheitsgericht. Es behandelt ausschließlich politische Angelegenheiten oder Fälle der "Staatssicherheit". Dieses Gericht steht außerhalb der gewöhnlichen Strafgerichtsbarkeit und ist nur dem Innenministerium unterstellt.

Dieses Staatsicherheitsgericht ist bekannt dafür, Urteile jenseits aller rechtsstaatlichen Standards zu fällen. Es wurde 1968 im Rahmen der Gesetzgebung im Ausnahmezustand eingerichtet. Den Ausnahmezustand verhängte die Ba'ath-Partei nach ihrem Putsch im Jahr 1964 mit der Begründung, das Land befinde sich im Krieg mit Israel. Hunderte politische Gefangene wurden seitdem verurteilt.

Unter ihnen sind auch viele Kurden. Der Staat sieht in dieser Minderheit offenbar eine Bedrohung, viele werden angeklagt wegen "Verwicklung in Aktivitäten mit dem Ziel, das nationale Bewusstsein zu schwächen", "Anstiftung zum Bürgerkrieg" oder dem "Versuch, Teile des syrischen Territoriums abzuspalten und einem fremden Staat zu unterstellen". Kurden, die syrischen Behörden in die Hände fallen, müssen oft das Schlimmste befürchten. ihnen drohen in der Haft Folter und Misshandlungen. Fälle von "Verschwindenlassen" werden nicht aufgeklärt. So auch im Fall des Kurden Sheikh al-Khiznawi, der im Mai 2005 entführt worden war. Knapp drei Wochen später wurde seine Leiche seiner Familie übergeben. Sein Körper wies dem Vernehmen nach Folterspuren auf, darunter eine gebrochene Nase und ausgeschlagene Zähne.

Selbst die kurdische Sprache ist in Syrien verboten. Im Sommer vergangenen Jahres sollen vier Lehrer für einen Monat in Haft genommen worden sein, weil sie kurdischen Sprachunterricht erteilt hatten. Wer unter Verdacht gerät, Verbindungen zu kurdischen Parteien oder Gruppierungen zu unterhalten, die Kritik an der Behandlung der Kurden in Syrien üben, steht ebenfalls in Gefahr, willkürlich festgenommen und inhaftiert zu werden.

Der Autor ist Mitglied der Syrien-Ländergruppe von ai.


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Quelle:
amnesty journal, September 2007, S. 26-27
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Oktober 2007