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NAHOST/100: Frauenfußball ist im Iran ein Tabu (ai journal)


amnesty journal 06/07/2008 - Das Magazin für die Menschenrechte

"Frauenfußball ist im Iran ein Tabu"

Teheran, April 2006. In einem bisher beispiellosen Freundschaftsspiel treffen das iranische Frauenfußball-Nationalteam und ein Berliner Frauenteam aufeinander. Ein Gespräch mit dem iranischen Regisseur Ayat Najafi über das ungewöhnliche Dokumentarfilmprojekt "Football under cover".


FRAGE: Sie mussten viel Überzeugungsarbeit leisten, um den Film drehen zu können. Jetzt ist er im Iran verboten.

AYAT NAJAFI: Frauenfußball ist im Iran ein Tabu. Man möchte nicht, dass die iranische Öffentlichkeit etwas darüber erfährt. Zunächst wurde sogar behauptet, es gäbe im Iran gar keinen Frauenfußball. Wir mussten das erst beweisen! Schließlich bekamen wir die Drehgenehmigung - aber mit der klaren Vorgabe, dass der Film nicht im Iran gezeigt wird. Es gibt in allen Disziplinen weibliche Teams, im Basketball, Volleyball, selbst im Taekwondo. Das einzige weibliche Team, das nach wie vor große Probleme hat, ist das Frauenfußball-Nationalteam. Es wird komplett ignoriert.

FRAGE: Das heißt, die Fußballerinnen aus dem Iran werden den Film nie zu Gesicht bekommen?

AYAT NAJAFI: Jeder Film ist auf dem Schwarzmarkt erhältlich. Und ich bin sicher: Sobald es eine DVD von "Football under cover" gibt, werden die Menschen den Film sehen, obwohl er offiziell verboten ist. Alle Iraner schauen zensierte Filme.

FRAGE: Die Kluft zwischen öffentlichem und privatem Leben im Iran ist riesig.

AYAT NAJAFI: Das Regime versucht krampfhaft, die Türen geschlossen zu halten, aber die Menschen schaffen sich ihre eigene Privatsphäre. Selbst auf dem Land kann man spüren, dass wir in einer globalisierten Welt leben. Es gibt Satellitenfernsehen, Internet, Filme, die das Leben der Menschen verändern. Gleichzeitig verstärken sich Repression und Kontrolle.

FRAGE: Das hört sich so an, als lehne die Mehrheit der Bevölkerung die Regierung ab. Und doch haben die Konservativen die Parlamentswahlen im März klar gewonnen.

AYAT NAJAFI: Man darf keinem totalitären Regime trauen. Vieles spricht dafür, dass die Wahlen gefälscht wurden. Anhand der Wahlergebnisse können wir uns jedenfalls kein Urteil über die iranische Gesellschaft erlauben. Das geht erst, wenn wir offene Wahlen durchführen, mit internationaler Wahlbeobachtung.

FRAGE: Was denken iranische Männer über kickende Frauen?

AYAT NAJAFI: Die Fundamentalisten sind natürlich strikt dagegen. Aber in der Bevölkerung habe ich noch nie einen Mann getroffen, der etwas gegen Frauen hat, die Fußball spielen.

FRAGE: Trotzdem haben Frauen keinen Zugang zu Fußballstadien.

AYAT NAJAFI: Es ist unlogisch, aber wahr: Frauen dürfen sich - in abgetrennten Bereichen - Basketball- oder Volleyballspiele ansehen. In ein Fußballstadion dürfen sie keinen Fuß setzen.

FRAGE: Es gibt Frauen im Iran, die für einen Zugang von Frauen zu Fußballstadien kämpfen. Ihr Engagement ist Teil der "Kampagne für Gleichberechtigung" (www.we-change.org).

AYAT NAJAFI: Die Frauenbewegung im Iran ist stark. Viele Frauen kämpfen für ihre Rechte, während das Regime versucht, ihre Rechte immer mehr zu beschneiden. Jetzt soll Männern schon erlaubt werden, mehrere Frauen zu haben. Und 65 Prozent der Schüler im Iran sind weiblich - diese Zahl soll auf 30 Prozent reduziert werden...

FRAGE: Sie leben seit vier Jahren in Deutschland. Waren Sie im Iran politisch aktiv?

AYAT NAJAFI: In der Stadt Isfahan gab es einen Intellektuellen, an dessen Kursen ich regelmäßig teilgenommen und von dem ich sehr viel gelernt habe. Er war mein Vorbild, und er hat mich ermutigt, Themen wie Menschenrechte in meinen Film- und Theaterstücken zu reflektieren. In den frühen neunziger Jahren begann das Regime, das Land von "subversiven Kräften" zu reinigen. Rund 70 Intellektuelle wurden ermordet, darunter auch er.

FRAGE: Hatten Sie nie Angst, Ihnen könnte so etwas zustoßen?

AYAT NAJAFI: Natürlich - aber meine Generation hat gelernt, mit Angst umzugehen. Ich war vier, als der Iran-Irak-Krieg ausbrach und Teheran bombardiert wurde. Ich habe immer in Angst gelebt. 1999 führten wir Shakespeares "Sommernachtstraum" auf. Regierungstruppen stürmten die siebte Vorstellung. Wir wurden geschlagen und verhaftet. Man brachte den Regisseur vor Gericht und zwang ihn, das Land zu verlassen. Uns legte man ein Schreiben vor, mit dem wir unsere Schuld bekennen und uns entschuldigen sollten. Ich weigerte mich, zu unterschreiben. Von da an hatte ich große Probleme im Iran. Nach der Uni gründete ich eine unabhängige Theatergruppe, aber jede Aufführung meiner Stücke wurde verboten. Also spielten wir an privaten Orten, bei mir zuhause oder in ausländischen Botschaften. Das ist die Erfahrung meiner Generation. Wir akzeptieren das Regime nicht, aber wir können auch nicht als direkte Opposition bestehen. Also versuchen wir, mit zivilen Aktivitäten für einen Wandel einzutreten. Das heißt oft, sich über die eigene Angst hinwegzusetzen.

FRAGE: Wird die iranische Frauenfußball-Nationalmannschaft jemals an einer Frauenfußball-WM teilnehmen?

AYAT NAJAFI: Das hängt von den Regeln der FIFA ab. Gegenwärtig darf man außer dem Trikot keine weiteren Kleidungsstücke am Körper tragen. Frauen mit Kopftuch dürfen deshalb nicht mitspielen.

FRAGE: ...an dieser Regelung wird die FIFA festhalten, genauso wie die islamischen Sittenwächter darüber wachen werden, dass sich die iranischen Frauen verschleiern.

AYAT NAJAFI: Ich bin komplett gegen das Kopftuch. Trotzdem möchte ich, dass Frauen mit Kopftuch Fußball spielen. Die Fußballspielerinnen sind sehr jung und ich glaube an ihre Zukunft. Einmal angenommen, die iranischen Frauen müssten in vier Jahren kein Kopftuch mehr tragen, dann hätten sie immerhin schon vier Jahre Trainingserfahrung. Bei der Frauenfußball-WM könnten sie die große Überraschung sein. Davon träume ich oft.


Interview: Rebekka Rust

Ayat Najafi (31) ist Teilnehmer des Berlinale Talent Campus 2008. Im gleichen Jahr lief sein Film auf der Berlinale in der Sektion "Perspektive Deutsches Kino". Najafi arbeitet als Regisseur und Art Director. "Football under cover" ist sein erster längerer Film.


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Football under cover

Ein Fußballspiel zwischen der iranischen Frauen-Nationalmannschaft und einer Berliner Frauenfußball-Mannschaft? Zunächst war das eine fixe Idee ein paar junger Filmemacher, die jedoch bald in die Tat umgesetzt wurde. Der Film dokumentiert die Widrigkeiten bei der Umsetzung des Projekts, zeigt das Leben der Spielerinnen im Iran und in Deutschland und das ersehnte Spiel vor mehr als 1.000 jubelnden Frauen in Teheran. "Football under cover", Deutschland 2007.
http://www.football-under-cover.de


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Quelle:
amnesty journal, Juni/Juli 2008, S. 24-25
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. August 2008