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AFRIKA/557: Algerien - Verfassungsreform sieht Anerkennung der Berber-Sprache vor


Presseerklärung vom 7. Januar 2016

Algerien: Verfassungsreform sieht Anerkennung der Berber-Sprache vor:

Sprachenrechte für nicht-arabische Minderheiten sind großer Erfolg für jahrzehntelanges friedliches Engagement


Als bedeutenden Schritt zur Anerkennung der kulturellen Rechte nicht-arabischer Minderheiten in Nordafrika hat die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) die Ankündigung der algerischen Regierung bezeichnet, die Berber-Sprache Tamazight im Rahmen einer Verfassungsreform als "nationale und offizielle Sprache" anerkennen zu wollen. "Nach 40 Jahren des friedlichen Engagements von Kabylen, Chaoui, Tuareg und anderer indigener Völker Algeriens für die Anerkennung ihrer lange unterdrückten Kultur gibt es nun einen Hoffnungsschimmer, dass Algerien seine Arabisierungspolitik endlich aufgibt", erklärte der GfbV-Afrikareferent Ulrich Delius am Donnerstag in Göttingen. "Doch so positiv diese Ankündigung auch ist, erst die Umsetzung der Verfassungsreform wird zeigen, ob Algeriens Machthaber auch im Alltag bereit sind, die Kultur und Sprache der nicht-arabischen Minderheiten als gleichberechtigt zu behandeln." Algeriens Staatspräsident Abdelaziz Bouteflika hat die Verfassungsreform am 5. Januar 2016 angekündigt. In Artikel 3 der neuen Verfassung soll das Tamazight als offizielle und nationale Sprache neben dem Arabischen anerkannt werden.

Die GfbV erinnerte daran, dass Algeriens Machthaber damit ein lange überfälliges Versprechen aus dem algerischen Unabhängigkeitskrieg einlöst. Während dieses Krieges gegen die französische Kolonialmacht (1954-62) hatten die Berber, die sich heute selber als Masiren bezeichnen, in der Freiheitsbewegung FLN an der Seite von Arabern gekämpft. Doch deren Versprechen für kulturelle Autonomie wurde auch nach der Unabhängigkeit Algeriens 1962 niemals umgesetzt. Stattdessen begannen Algeriens korrupte Machthaber eine systematische Politik der Arabisierung des Landes, die jede Spuren indigener Masiren-Kultur auszulöschen versuchte. Als sich die Masiren 1980 im so genannten "Berber Frühling" friedlich dagegen auflehnten und mit Veranstaltungen, Streiks und Demonstrationen gegen ihre Unterdrückung aufbegehrten, wurde ihr Protest massiv niedergeschlagen. Dutzende Aktivisten wurden verhaftet und zum Teil jahrelang inhaftiert. Als Masiren im Jahr 2001 erneut öffentlich für Sprachenrechte demonstrierten, wurden die Demonstrationen blutig zerschlagen. Mindestens 132 Masiren kamen dabei zu Tode, mehr als 5.000 Menschen wurden verletzt. Die Täter blieben bis heute straflos.

Nachdem Marokko, Tunesien und Libyen seit dem Jahr 2011 die Masiren endlich offiziell als indigene Bewohner Nordafrikas anerkannt haben, ist Algerien nun der letzte Staat, der sich dazu entschließt. "Leider scheint dieser längst überfällige Schritt nicht aus Einsicht zu erfolgen, sondern aus politischem Machtkalkül", sagte Delius. "So sollen dem Kreis um den gesundheitlich schwer angeschlagenen 79 Jahre alten Präsidenten Bouteflika offenbar Wählerstimmen gesichert und das Weiterregieren ermöglicht werden." Rund acht Millionen der zehn Millionen Masiren in Algerien sprechen trotz staatlicher Unterdrückung noch immer ihre Sprache. Sie stellen mindestens 27 Prozent der 39 Millionen Bewohner Algeriens.

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Quelle:
Presseerklärung Göttingen, den 7. Januar 2016
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
Postfach 20 24, D-37010 Göttingen
Telefon: 0551/499 06-25, Fax: 0551/58028
E-Mail: presse@gfbv.de
Internet: www.gfbv.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Januar 2016

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