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EUROPA/391: Frankreich - Sarkozys Erklärungen unerträglich und inhuman


Presseerklärung vom 4. Mai 2007

Frankreichs Präsidentschaftskandidat Sarkozy:

Unerträgliche, unverzeihliche, inhumane Erklärungen


"Wir bedauern, dass Frankreichs Präsidentschaftskandidat Nicolas Sarkozy den Holocaust missbraucht, um sein eigenes Land von anderen Verbrechen frei zu sprechen und gleichzeitig immer wieder die Sprache der Rechtsradikalen benutzt, um gegen Schwächere vorzugehen", erklärt der Generalsekretär der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), Tilman Zülch. Unerträglich ist seine Erklärung in diesen Tagen, "Selbstmörder haben eine genetische Schwäche". Unverzeihlich und rechtsradikal ist ebenfalls die Ausgrenzung der "farbigen" und nordafrikanischen Einwandererjugend. So hatte Sarkozy im November 2005 gesagt: "Ich werde die Vorstädte reinigen vom Abschaum, vom Gesindel, von den Gammlern und dem Krebsgeschwür."

Ohne Anerkennung vergangener Verbrechen können die europäischen Herausforderungen der Gegenwart nicht bewältigt werden. Auch deshalb hatte sich Frankreichs amtierender Präsident Jacques Chirac im Namen Frankreichs für die Mitwirkung der französischen Administration an der Deportation der französischen Juden entschuldigt. Kein Deutscher darf die Verantwortung Deutschlands für den Holocaust oder die Verbrechen an den Sinti, den Behinderten, den Homosexuellen oder an Osteuropäern leugnen, keiner darf sich der Kritik an diesem Teil der deutschen Geschichte entziehen.

Zur Erklärung von Sarkozy, Frankreich hätte keine Massaker begangen, erinnern wir an eine Reihe von Kriegs- und Nachkriegsverbrechen, die Frankreich, wie jedes andere europäische Land, für die Zukunft zu humaner Politik ermuntern sollten:

o Am 8. Mai 1945, als in Europa das Ende des Krieges gefeiert wurde, schwenkten feiernde algerische Soldaten der französischen Armee auch algerische Flaggen. Unabhängigkeitsforderungen von der französischen Kolonialmacht wurden laut. Nach Aufforderungen diese zu unterbinden, schossen Kolonialbeamte in die Menge. In Sétif und Guelma kam es zu Massakern, bei denen Schätzungen zufolge zwischen 15.000 und 45.000 Algerier getötet wurden.

o Der Versuch die algerische Unabhängigkeit zu verhindern kostete von 1954 bis 1962 zwischen 700.000 und einer Million Algerier und circa 24.000 Franzosen das Leben.

o Schon vor dem Einmarsch der Nazis im Zweiten Weltkrieg unterhielt Frankreich Internierungslager im eigenen Land. Die berüchtigtsten Lager wurden für spanische Bürgerkriegsflüchtlinge eingerichtet. Unter den Häftlingen befanden sich auch 4.000 deutsche, jüdische Flüchtlinge, gemeinsam mit linksorientierten französischen Politikern. Die Häftlinge wurden 1940 den deutschen Nazis übergeben, von denen sie in deutsche Konzentrationslager deportiert wurden. Nur wenige von ihnen überlebten.

o Die Kollaboration des französischen "Vichy"-Regime mit den Nazis ist bekannt: Zwischen 1941 und 1944 sind in Frankreich mit Hilfe französischer Beamter rund 75.000 Juden, davon etwa 12.000 Kinder, in Vernichtungslager deportiert worden - unter anderem nach Auschwitz-Birkenau, Majdanek und Sobibor. Vom Lager Drancy bei Paris wurden etwa 65.000 meist französische Juden in deutsche Konzentrationslager deportiert, 63.000 von ihnen - darunter etwa 6.000 Kinder - wurden entweder ermordet öder starben auf Grund der katastrophalen Transport- und Lebensbedingungen.

o Nach Kriegsende wurden in Frankreich mehr als 10.000 Menschen wegen erwiesener oder vermuteter Kollaboration in außergerichtlichen "Säuberungen" (Epuration) nach der Befreiung Frankreichs ermordet.

o Als "Siegermacht" des Zweiten Weltkriegs wandte sich Frankreich 1945 gegen die Unabhängigkeitsbewegung von Vietnam, nachdem dieses Land zunächst unter japanischen und später britischen Einfluss geraten war. Mit einem französischen Angriff auf die Hafenstadt Haiphong, bei dem rund 6.000 Zivilisten getötet wurden, begann 1946 der erste Indochinakrieg. Frankreich unterlag 1954 dennoch dem Viet Minh. Der Krieg forderte auf französischer Seite knapp 95.000, auf vietnamesischer Seite mehr als 300.000 Todesopfer.

o In Madagaskar, französische Kolonie von 1898 bis 1960, schlugen französische Streitkräfte im Jahr 1947 einen blutigen Aufstand mit größter Inhumanität nieder. Menschen wurden erschossen oder von Militärflugzeugen aus ins Meer geworfen. Schätzungen zufolge kamen bei der Rebellion bis zu 100.000 Menschen ums Leben.


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Quelle:
Presseerklärung Göttingen vom 4. Mai 2007
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
Postfach 20 24, D-37010 Göttingen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Mai 2007