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EUROPA/557: Kosovo - Letztes bleiverseuchtes Flüchtlingslager aufgelöst


Presseerklärung vom 14. Dezember 2012

Kosovo: Letztes bleiverseuchtes Flüchtlingslager aufgelöst

Deutschland muss Entgiftung der Roma-Flüchtlinge aus dem Lager "Osterode" gewährleisten



Nach der Auflösung des letzten bleiverseuchten Flüchtlingslagers im Norden des Kosovo hat die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) am Freitag von der Bundesregierung verlangt, umgehend für eine medizinische Behandlung der ehemaligen Lagerinsassen zu sorgen. "Es muss sofort ein Ärzteteam entsandt werden, das die Flüchtlinge auf Schwermetallvergiftung untersucht und sie zur Therapie in deutsche Krankenhäuser bringt", erklärte der GfbV-Generalsekretär Tilman Zülch am Freitag in Göttingen und kritisierte: "Es ist ein ungeheuerlicher Skandal, dass hunderte von Menschen mit ihren Kindern jahrelang auf kontaminiertem Gelände leben mussten, obwohl die Vergiftungsgefahr bekannt war. Wären die Flüchtlinge keine Roma und Aschkali, sondern Angehörige einer jüdischen Volksgruppe gewesen, wären sie niemals mit solcher Gleichgültigkeit in so große Gefahr gebracht worden." Die deutsche Bundeswehr habe bei der Nato-Intervention im Kosovo 1999 eine wichtige Rolle übernommen. Auch deshalb habe Deutschland eine besondere Verantwortung für die dort lebende Roma-Minderheit zu tragen.

Die letzten sechs von früher rund 150 Roma- und Aschkali-Flüchtlingsfamilien konnten aus dem Lager "Osterode" in Nord-Mitrovica jetzt in ihre neu errichteten Wohnungen im Norden der Stadt ziehen. Auf dem kontaminierten Gelände einer ehemaligen Bleischmelzanlage gab es seit 1999 insgesamt vier Flüchtlingslager für rund 1.400 Roma und Aschkali. Seit 2001 hat die GfbV wegen der Verseuchung der Region die Evakuierung der Lager gefordert. Denn schon damals klagten viele Flüchtlinge über gesundheitliche Probleme. Auf Initiative der GfbV nahm der Umweltmediziner Dr. Klaus-Dietrich Runow 2005 Haar- und Blutproben unter den Betroffen - mit erschreckendem Ergebnis: Die Bleiwerte überstiegen den Grenzwert mindestens um das 20-Fache, bei mehreren Kindern waren sie mit dem 1200-Fachen des Normalwertes extrem erhöht. Das Nerven- und Immunsystem wird durch eine hohe Schwermetallkonzentration irreversibel geschädigt, das Knochenwachstum und die Blutbildung werden gestört. Frauen erleiden häufig Fehlgeburten.

Im Süden der Stadt Mitrovica lebten vor der Nato-Intervention etwa 8.000 Roma, Aschkali und "Kosovo-Ägypter". Ihre Häuser und Wohnviertel wurden vor den Augen der untätigen Nato-Soldaten von nationalistischen Albanern zerstört, die Bewohner vertrieben. Bis heute werden Angehörige der Roma-Minderheiten im Kosovo diskriminiert und ausgegrenzt. Sie haben kaum Zugang zu Arbeit, Bildung und Gesundheitswesen. Nur etwa 3.000 ihrer rund 14.000 zerstörten Häuser wurden wieder aufgebaut.

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Quelle:
Presseerklärung Göttingen, den 14. Dezember 2012
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Dezember 2012