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EUROPA/561: Türkei - Merkel setzt zu schwaches Signal für Christen


Presseerklärung vom 26. Februar 2013

Bedauerlich: Merkel setzt in der Türkei zu schwaches Signal für Christen und huldigt "Minderheitenfeind" Atatürk



Der Generalsekretär der Gesellschaft für bedrohte Völker, Tilman Zülch, kritisiert den Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Türkei als "verpasste Chance", sich für die Rechte der kurdischen und christlichen Volksgruppen zu engagieren. Zülch erklärt dazu wörtlich:

"Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) begrüßt zwar, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ihrem Besuch in Kappadokien sowie durch ihre Begegnung mit religiösen Führungspersönlichkeiten auf die christliche Vergangenheit der Türkei verwiesen hat. Mit Bedauern musste unsere Menschenrechtsorganisation jedoch zur Kenntnis nehmen, dass Merkel die gegenwärtigen schwerwiegenden Probleme der dortigen christlichen Religionsgemeinschaften nicht angesprochen hat. Dabei leben in Deutschland etwa 90.000 christliche Assyrer/Aramäer, die als Kriegs- oder Glaubensflüchtlinge hierher kamen und in der deutschen Gesellschaft vorbildlich integriert sind. Sie erwarteten von ihrer Bundeskanzlerin mehr als ein symbolisches Treffen mit christlichen Würdenträgern im fernen Ankara oder Istanbul. Sie hätten sich gewünscht, dass Merkel Vertreter ihrer Volksgruppe in der historischen Heimat der syrisch-orthodoxen Christen im Tur Abdin im Südosten der Türkei oder im bedrängten Kloster Mor Gabriel trifft. Ein solches Treffen wäre für die syrisch-orthodoxen Christen, die sich für den Erhalt ihrer Sprache und Kultur in der Türkei einsetzen, von großer Bedeutung gewesen.

Zudem ist für unsere Menschenrechtsorganisation, die Partei für die Opfer von Verbrechen gegen die Menschlichkeit ergreift und Täter beim Namen nennt, die Kranzniederlegung durch Merkel am Grab des Gründers der modernen Türkei, Kemal Atatürk, unverständlich. Nach dem Völkermord der "Jungtürken" an etwa 1,5 Millionen Armeniern setze er während seiner Amtszeit die Verfolgung und Vernichtung von Minderheiten fort. Mindestens 200.000 christliche Einwohner der Hafenstadt Smyrna, dem heutigen Izmir, und Ostthraziens, im europäischen Teil der Türkei, fielen unter seiner Herrschaft Massenmorden zum Opfer. Mindestens zwei Millionen griechisch-orthodoxe, armenische, assyrisch-aramäische und arabische Christen mussten Ionien, den Pontos, Kappadokien bzw. den Sandjak Alexandrette/Iskenderun verlassen. Der Anteil der Christen an der Gesamtbevölkerung der Türkei fiel so von 20 Prozent auf 0,1 Prozent. Gnadenlos ließ Kamal Atatürk auch die Erhebungen kurdischer Widerstandsbewegungen niederschlagen. Viele zehntausend Kurden verloren damals ihr Leben.

Ministerpräsident Erdogan hat die Bundeskanzlerin auf die Präsenz von fünf Millionen Türken in der EU aufmerksam gemacht. Wir erinnern daran, dass mindestens ein Drittel von ihnen kurdische Flüchtlinge sind, deren Zahl sich aufgrund der andauernden Kurdenverfolgung und -unterdrückung in der Türkei ständig vergrößert. Unter den 1,1 Millionen Kurden in der Bundesrepublik befinden sich im Übrigen inzwischen 400.000 Wahlberechtigte, die ihre Repräsentanten zunehmend in deutsche Parlamente von Kommunen und Bundesländern schicken."

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Quelle:
Presseerklärung Göttingen, den 26. Februar 2013
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
Postfach 20 24, D-37010 Göttingen
Telefon: 0551/499 060, Fax: 0551/58028
E-Mail: presse@gfbv.de
Internet: www.gfbv.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. März 2013