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EUROPA/620: Ostpreußische Wolfskinder erhalten Chance auf symbolische Wiedergutmachung


Presseerklärung vom 8. August 2017

"Seit langem überfällig":
Ostpreußische Wolfskinder erhalten Chance auf symbolische Wiedergutmachung


Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) begrüßt es, dass ostpreußische Wolfskinder jetzt die Chance auf eine symbolische Wiedergutmachung erhalten sollen. "Das ist seit langem überfällig", erklärte die Menschenrechtsorganisation am Dienstag in Göttingen. "Die Überlebenden der Hungerkatastrophe in Ostpreußen 1945 bis 1947 ringen seit Jahrzehnten um ideelle und politische Anerkennung ihres schweren Schicksals. Als deutsche Kinder sind sie durch alle Raster bislang beschlossener Entschädigungsgesetze gefallen. Das war eine sehr bittere Erfahrung für diese Menschen, die sich in der Nachkriegszeit in sowjetischen Kinderhäusern wiederfanden oder sich ganz allein und dem Hungertod nahe aus Ostpreußen nach Litauen durchschlagen mussten, wo sie von fremden Familien oft als willkommene Arbeitskraft aufgenommen wurden." Viele Wolfskinder hatten nach der Eroberung Königsbergs durch die Rote Armee 1945 ihre Eltern durch Mord, Vergewaltigung und Verschleppung verloren. Mehr als 100.000 Menschen starben an Seuchen oder verhungerten.

Wie der Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Hartmut Koschyk, der GfbV jetzt mitteilte, sollen die Wolfskinder und ehemaligen Kinderhausinsassen auf Empfehlung des im Bundesinnenministerium angesiedelten "Beirates zur Anerkennungsleistung an ehemalige deutsche Zwangsarbeiter" bis Ende 2017 beim Bundesverwaltungsamt einen Antrag auf Entschädigung stellen können. Darin müssen sie nachweisen, dass sie Zwangsarbeit leisten mussten. Die GfbV hatte dem Beirat eine aktuelle wissenschaftliche Stellungnahme des Historikers Christopher Spatz vorgelegt. Darin wird der Nachweis geführt, dass viele Wolfskinder zur Arbeit gezwungen wurden. So mussten sie auf Sowchosen mitarbeiten, Leichen beseitigen oder für die Besatzungsmacht aus Häusern und Wohnungen systematisch alle noch brauchbaren Gegenstände holen.

Die GfbV setzt sich seit Jahren für eine Entschädigung der Wolfskinder ein und appelliert an die Verwaltungsbehörden, ihren Prüfungsspielraum großzügig auszuschöpfen. In Litauen leben noch rund 55 Wolfskinder, für die sich auch der baden-württembergische Honorarkonsul für Litauen, Wolfgang Freiherr von Stetten, schon lange engagiert. In Deutschland gibt es noch einige hundert einschließlich der ehemaligen Kinderhausinsassen.

In einem 86-seitigen Report hat die GfbV viele Wolfskinder-Schicksale sowie die bisher ablehnenden Reaktionen der Politik auf Bitten um Entschädigung dokumentiert. Im April 2017 hatte die Menschenrechtsorganisation einen Appell an die Bundesregierung gerichtet, den Betroffenen wenigstens eine symbolische Wiedergutmachung zu gewähren. Dieser Appell wurde bisher unterzeichnet von: Tatiana Friesen (Übersetzerin) und Walther Friesen (Buchautor), Ulla Lachauer (Dokumentarfilmerin und Autorin), Vytautas Landsbergis (erstes Staatsoberhaupt Litauens nach Erlangung der Unabhängigkeit 1991), Wolf von Lojewski (Fernsehjournalist und Nachrichtenredakteur), Joachim Mähnert (Direktor des Ostpreußischen Landesmuseums), Uwe Neumärker (Direktor der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas), Alexander von Plato (Philosoph und Historiker), Romani Rose (Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma), Wolfgang Freiherr von Stetten (Honorarkonsul Litauens), Rainer Schulze (Historiker), Günter F. Toepfer (Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin a.D.), Martin Walser (Schriftsteller) und Tilman Zülch (GfbV-Gründer). Das Anliegen der GfbV wird auch von Bundespräsident a.D. Christian Wulff unterstützt.

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Quelle:
Presseerklärung Göttingen, den 8. August 2017
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
Postfach 20 24, D-37010 Göttingen
Telefon: 0551/499 06-25, Fax: 0551/58028
E-Mail: presse@gfbv.de
Internet: www.gfbv.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. August 2017

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